Protokoll der Sitzung vom 11.09.2020

Es gibt keine Fragen an den Berichterstatter. Bevor wir in die Fünfminutendebatte einsteigen, spricht für die Landesregierung Frau Ministerin Grimm-Benne, die jetzt auch schon das Wort hat. Bitte sehr.

Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Zehn Monate nach der Einbringung des Gesetzentwurfs der Landesregierung in den Landtag kann heute die Neufassung des Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen für Personen mit einer psychischen Erkrankung des Landes Sachsen-Anhalt verabschiedet werden.

Die Diskussion war von einer hohen Sachlichkeit und dem festen Willen geprägt, die Situation von psychisch kranken Menschen zu verbessern. Ich danke den Landtagsfraktionen, namentlich Herrn Bönisch, Frau Dr. Späthe, Frau Lüddemann und Frau Zoschke. Ich danke Ihnen für die gewissenhafte Auseinandersetzung mit dem Gesetzentwurf und für die in der Beschlussempfehlung enthaltenen weiteren Verbesserungen, auf die Sie sich mehrheitlich verständigt haben.

Wir können zu Recht behaupten, dass wir es uns nicht leicht gemacht haben, das in die Jahre gekommene Gesetz auf rechtssichere Füße zu stellen, die Patientenrechte zu stärken und die Kommunen mit neuen Strukturen zu unterstützen. Der Hilfscharakter des Gesetzes hat einen deutlich höheren Stellenwert erhalten. Wir haben ein modernes Gesetz entwickelt, das in den nächsten Jahren deutliche Verbesserungen für psychisch kranke Menschen, ihre Angehörige und auch ihre Kinder nach sich ziehen wird. Das kann jedoch nur erfolgreich gelingen, wenn wir alle gemeinsam mit den kommunalen Partnern das Gesetz mit Leben füllen und aktiv an dessen Umsetzung mitarbeiten. Ich verspreche mir davon, dass Stigmatisierungen abgebaut werden und der Bereich Psychiatrie in Sachsen-Anhalt attraktiver wird.

Meine Damen und Herren Abgeordneten! Wir können besten Gewissens sagen: Es tut sich

etwas in unserem Land. Es spricht sich hoffentlich auch bundesweit unter den Fachkräften herum, dass wir unter anderem für die Leitung der sozialpsychiatrischen Dienste oder auch im ambulanten Bereich, insbesondere in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, dringend Hilfe benötigen.

Als Erstes wird die neue Struktur der Patientenfürsprecherinnen und -fürsprecher umzusetzen sein. Wir stärken damit die Patientenrechte auf der kommunalen Ebene. Anders als im Gesetzentwurf der Landesregierung vorgesehen wird die Einrichtung dieser neuen ehrenamtlichen Stellen nun nicht mehr im Ermessen der Landkreise und kreisfreien Städte liegen, sondern verbindlich sein. Wir werden uns mit den kommunalen Verbandsvertreterinnen und -vertretern sowie Praktikerinnen und Praktikern sobald wie möglich zusammensetzen und einen dazu in meinem Haus erarbeiteten Leitfaden diskutieren.

Wir müssen aber auch unsere auf Schätzungen basierenden Berechnungen anpassen, da nun das Konnexitätsprinzip greift. Der Hintergrund für die Implementierung dieses Instruments ist das Ergebnis der vielen durchgeführten Fachgespräche und eingegangenen Stellungnahmen im Rahmen der Erarbeitung des neuen PsychKG.

Auch auf den Abschlussbericht der Bestandsanalyse zur psychiatrischen Versorgung sei an dieser Stelle noch einmal verwiesen. Dabei mussten wir feststellen, dass wir in Sachsen-Anhalt keine auf Landesebene organisierte Vertretung der Psychiatrieerfahrenen haben.

Ich hoffe, dass sich psychisch kranke Menschen künftig dazu ermutigt fühlen, sich zusammenzufinden, um ihren Stimmen stärkeres Gehör zu verleihen. Ich hoffe auf die Selbsthilfekontaktstellen und die Liga der Freien Wohlfahrtspflege und auf den Ausschuss für Angelegenheiten der psychiatrischen Krankenversorgung, dass sie alle mit uns gemeinsam diesen Prozess unterstützen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ab dem Jahr 2022 werden weitere zentrale strukturelle Verbesserungen umgesetzt. Von den Psychiatriekoordinatorinnen und -koordinatoren erwarten wir uns eine deutliche Qualitätsverbesserung in Bezug auf die Präsenz und Wertigkeit der psychiatrischen Versorgung in den kommunalen Entscheidungs- und Handlungsprozessen sowie die Erarbeitung einer kommunalen Psychiatrieberichterstattung.

Zu den Aufgaben und der strukturellen Anbindung der Psychiatriekoordinatorinnen und -koordinatoren gibt es bereits konkrete Vorstellungen. Ebenso wird daran gearbeitet, für die Psychiatrieberichterstattung einen einheitlichen Rahmen zu entwickeln. Auch zu diesen wichtigen Arbeits

grundlagen sind im nächsten Jahr Arbeitsgespräche geplant.

Wir wollen den bereits bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfes begonnenen partizipativen Weg fortsetzen und auch bei dessen Umsetzung eine größtmögliche Beteiligung realisieren.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich möchte noch einmal meinen Dank darüber zum Ausdruck bringen, mit wie viel Engagement sich zahlreiche Organisationen, Verbände, Institutionen, aber auch Einzelpersonen in den letzten Jahren unterstützend eingebracht haben. Das hat mich und unser Haus sehr beeindruckt.

Im Jahr 2022 sind die Landkreise und kreisfreien Städte außerdem gefordert, gemeindepsychiatrische Verbünde zu bilden. War die Entscheidung darüber im Gesetzentwurf der Landesregierung noch ins Ermessen der Kommunen gestellt, ist diese Struktur nun auch verbindlich umzusetzen. Auch damit wird eine qualitative Verbesserung auf der kommunalen Ebene erreicht.

Im Gesetzentwurf der Landesregierung war beabsichtigt, die Kommunen mit einer einmaligen finanziellen Unterstützung bei diesem Prozess zu unterstützen. Auch hierzu prüft mein Haus gerade, welche finanziellen Auswirkungen diese nun Konnexität auslösende Aufgabe hat.

Es gibt also viel zu tun, was über diese Legislaturperiode hinaus von einem neu gewählten Landtag zu begleiten sein wird. Aber, meine Damen und Herren Abgeordneten, lassen Sie mich noch einen Ausblick geben. Viele engagierte Menschen haben angeregt, auch die Implementierung von kinder- und jugendpsychiatrischen Diensten sowie von Krisendiensten in den Abendstunden und an den Wochenenden in das PsychKG aufzunehmen. Fachlich sprechen viele Gründe dafür.

Daher rege ich an, dass wir uns in vier Jahren im Rahmen der Evaluierung des Gesetzes noch einmal mit diesen Fragen beschäftigen. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall)

Danke, Frau Ministerin. - Es gibt keine Nachfragen hierzu. Deswegen können wir in die Debatte der Fraktionen einsteigen. Herr Bönisch kann sich für die CDU-Fraktion schon langsam auf den Weg nach vorn zum Rednerpult machen. Herr Bönisch, Sie haben das Wort. Bitte sehr.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Frau Ministerin hat eigentlich alles gesagt, was inhaltlich in diesem Gesetzentwurf steckt. Wir

haben ein sehr altes Gesetz in Angriff genommen und zu einer positiven Veränderung gebracht. Ich bin froh darüber, dass wir die Zeit, die wir seit der ersten Einbringung hatten, intensiv für sachliche und kollegiale Zusammenarbeit nutzen konnten. Ich denke, das, was uns zum Schluss gelungen ist, ist ganz in Ordnung.

Ich möchte deshalb auf den Inhalt nicht weiter eingehen und nur zwei Aspekte herausgreifen. Wir haben entgegen dem ursprünglichen Gesetzentwurf die Einführung der gemeindepsychiatrischen Verbünde und auch die Einführung des Patientenfürsprechers zur Pflichtaufgabe für die Kommunen erhoben, wohl wissend, dass damit das Konnexitätsprinzip greift.

Wer daran zweifelt, dass das richtig ist, den möchte ich auf die schriftliche Stellungnahme der kommunalen Spitzenverbände zu diesem Gesetzentwurf verweisen. Darin war nicht ein einziges Wort in Bezug auf die Sorge um das Wohl der Patienten zu finden, sondern es ging darin ausschließlich um Geld.

Das hat mich letztendlich dazu bewogen, genau für diese Verpflichtung zu stimmen. Es macht mir Sorge, wie die kommunalen Spitzenverbände an dieser Stelle agiert haben, und ich finde es auch ärgerlich. Aber ich will darauf jetzt nicht weiter eingehen.

Es ist richtig, Frau Ministerin, ein paar Punkte sind strittig geblieben. Deshalb haben wir die Möglichkeit der Evaluation in den Gesetzentwurf geschrieben, sodass sich das Hohe Haus in vier Jahren noch einmal damit befassen muss. Das ist auch vernünftig. Es gab sicherlich Gründe dafür, zum Beispiel in den Gesetzentwurf zu schreiben, dass eine Kriseninterventionsinstitution geschaffen werden solle, und es gab sicherlich auch Gründe dafür, dass man kinder- und jugendpsychiatrische Dienste in spezieller Weise etablieren sollte. Es gibt aber auch sachliche Gründe, die dagegen sprechen. Wir würden damit nämlich neue bürokratische Strukturen schaffen.

(Zuruf)

Frau Zoschke, es gibt Gründe dafür. Ich habe mich mit vielen Menschen über dieses Thema unterhalten. In Halle funktioniert das, so wie es ist, ganz gut, und zwar ohne dass Zwänge erhoben werden. Wenn man auf Kreisebene zu dem Schluss kommt, dass es richtig ist, einen kinder- und jugendpsychiatrischen Dienst einzurichten, dann wird man es dort tun können. Das ist nicht verboten, auch heute nicht.

Die Krisenintervention ist auch ein Thema, das im Rahmen der sozialpsychiatrischen Dienste etabliert und organisiert werden kann, wenn man es vor Ort nur will; ohne dass wir jetzt bürokratische Hürden neu aufgebaut hätten.

Unterm Strich ist das ein gutes Gesetz, das zukunftsweisend ist. In vier Jahren wird es sicherlich eine weitere spannende Diskussion dazu geben. Ich hoffe, dass die Umsetzung auf der kommunalen Ebene jetzt zügig erfolgen kann; denn wir haben dort nicht nur mit finanziellen Problemen, sondern auch mit einem Fachkräftemangel zu tun.

Ich hoffe, dass wir die Voraussetzungen dafür geschaffen haben, dass es gut werden kann. Die Umsetzung liegt nicht mehr bei uns. Ich wünsche allen psychisch Kranken gute Bedingungen für die Behandlung ihrer Krankheit.

Ich bitte um Zustimmung zum Gesetzentwurf. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Zustimmung)

Auch hierzu sehe ich keine Wortmeldungen. Deswegen werden wir in der Debatte der Fraktionen fortfahren. Für die Fraktion DIE LINKE hat sich genau zu diesem Zweck bereits Frau Zoschke auf den Weg gemacht. Deswegen bekommt sie jetzt auch das Wort. Bitte, Frau Zoschke.

Danke, Herr Präsident. - Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir werden heute ein Gesetz beschließen, auf das die in diesem Bereich arbeitenden Akteure, die Patientinnen und Patienten sowie ihre Angehörigen schon sehr lange warten.

Die Diskussion hat mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur Zwangsbehandlung

begonnen und hat nun zu dem in Rede stehenden Gesetzentwurf geführt. Ja, wir können diesem Gesetzentwurf durchaus positive Seiten abgewinnen.

Infolge der Anhörung im Ausschuss für Arbeit, Soziales und Integration, der intensiven Beteiligung des Landespsychiatrieausschusses und einiger Gestaltungsvorschläge des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes liegt nunmehr eine durchaus gute Beschlussvorlage vor. Allerdings hat auch der in der letzten Ausschusssitzung gezeigte Diskussionsunwille der regierungstragenden Fraktionen, unter anderem zu einigen unserer Beschlussvorschläge bzw. zu Anfragen zum Inhalt und zur Auslegung des Gesetzestextes, dem Verfahren insgesamt einen gewissen Beigeschmack bereitet, der nicht hätte sein müssen.

(Beifall)

Eine lange im Raum stehende Forderung des Landespsychiatrieausschusses nach der Aufnahme von Besuchen von Altenpflegeheimen in die eigene Arbeitsplanung ist mit diesem Gesetzentwurf erfüllt. Damit ist eine adäquate Beratung

und Begleitung von psychisch erkrankten älteren Menschen in stationären Einrichtungen nun endlich möglich.

Die von uns noch im Rahmen der Einbringung des Gesetzentwurfes bemängelte Unverbindlichkeit des Gesetzestextes ist zugunsten von mehr Verbindlichkeit beseitigt worden. Dies trifft für die gemeindepsychiatrischen Verbünde ebenso zu wie für Patientenfürsprecherinnen und Patientenfürsprecher.

Dies zusammengenommen wird das Land in die Lage versetzen, konkret und zeitnah eine psychische Versorgungsstrategie auf den Weg zu bringen. Gegenstand müssen hierbei sowohl die stationäre als auch die ambulante Versorgung sein. Das ist wichtig, um lange stationäre Aufenthalte zu verhindern und um ein sicheres ambulantes Netz der Vor- und Nachsorge besonders in den uns allen bekannten sogenannten weißen Flecken zu ermöglichen.

Auch die Tatsache, dass nach vier Jahren Wirkung dieses Gesetzes alle Inhalte auf den Prüfstand gestellt, also evaluiert werden, findet unsere Zustimmung. Das war übrigens einer unserer Anträge.

Selbstverständlich sind wir noch nicht ganz zufrieden. Das haben Sie sicherlich von uns auch nicht erwartet. Ein Kritikpunkt für uns bleibt der Verzicht auf die Einrichtung von kinder- und jugendsozialpsychiatrischen Diensten in der Fläche. Sehr häufig wird gesagt: Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Besonders im Zusammenhang mit der steigenden Anzahl von psychisch auffälligen bzw. kranken Kindern und Jugendlichen trifft dies zu.

Werte Kolleginnen und Kollegen der regierungstragenden Fraktionen, wir können Ihrem Argument, der Vorsitzende des Landespsychiatrieausschusses Prof. Flechtner sehe diese Notwendigkeit nicht, nicht folgen. Es mag sein, dass die Bedingungen in der Landeshauptstadt besser sind. Es existieren kurze Wege zu stationären Einrichtungen und es existiert ein ambulantes Netz; nicht so auf dem flachen Land.

In zahlreichen Gesprächen mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der sozialpsychiatrischen Dienste in unserem Land haben wir laut und deutlich diesen Entlastungswunsch vernommen, gepaart mit der Möglichkeit einer besseren, altersgerechten Versorgung der kleinen und jungen Patientinnen und Patienten, um lange Krankhausaufenthalte zu vermeiden und eine schnelle und gute Versorgung im ambulanten Bereich zu sichern. Hier ist eindeutig eine Chance verpasst worden, unter anderem um dem Problem der Systemsprenger vorzubeugen.

Ähnlich verhält es sich mit der Einrichtung von Kriseninterventionsteams vor Ort. Es ist nämlich keine akademische Diskussion, mit wem psychisch kranke Menschen und ihre Angehörigen im Krisenfall zuerst zusammentreffen. Die Frage ist, ob mit der Ordnungsmacht Polizei oder einem Team, das darauf spezialisiert ist, in dieser Situation mit psychisch Kranken und ihren Angehörigen einfühlsam und dennoch bestimmt umzugehen.

Es sei mir letztlich gestattet, noch ein Problem wenigstens zu benennen. Wir hätten uns durchaus vorstellen können, durch einen offenen Katalog von Interventionsmöglichkeiten im Maßregelvollzug den Beamtinnen und Beamten, den Ärzten und den Pflegekräften nicht nur mehr Verantwortung und Absicherung, sondern auch mehr eigene Möglichkeiten einzuräumen. Sie wollen dies nicht.

Die Fraktion DIE LINKE wird sich bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf der Stimme enthalten und selbstverständlich in der gewohnten Art und Weise die Umsetzung dieses Gesetzes begleiten.