Strafrechtliche Ermittlungsverfahren werden nicht öffentlich geführt und dies aus gutem Grund, denn es geht hier neben der Beachtung der Unschuldsvermutung auch um die Vermeidung jedweder öffentlichen Vorverurteilung. Laufende strafrechtliche Ermittlungen sind unserem Informationsanspruch entzogen.
Frau Ministerin hat auch nicht die Unwahrheit gesagt, da das Ermittlungsverfahren zum Todesfall Jalloh zum Zeitpunkt der in Rede stehenden Landtagsdebatte am 28. September 2017 nicht eingestellt war. Der innerbehördliche Entscheidungsfindungsprozess war nicht abgeschlossen. Die Verfahrenseinstellung erfolgte bekanntlich am 12. Oktober 2017. Die Staatsanwaltschaft Halle hätte die Verfahrenseinstellung auch ablehnen können. Die Verfahrenseinstellung war zum Zeitpunkt der Landtagsdebatte also ein ungewisses und in die Zukunft gerichtetes Ereignis.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nicht vertretbar wäre hingegen gewesen, wenn Frau Keding in der Landtagsdebatte als Fachministerin eine Prognose darüber angestellt hätte, ob nun eine Einstellung erfolgt oder nicht, ganz abgesehen davon, dass wir im Parlament keinen informatorischen Mehrwert hiervon gehabt hätten.
So wäre bei einer solchen öffentlichen Äußerung die Gefahr sehr groß gewesen, dass bei der zuständigen Staatsanwaltschaft aufgrund des weisungsgebundenen Aufbaus dieser Behörde der Eindruck eines faktischen Anweisungscharakters hervorgerufen worden wäre. Gerade dies galt es zu vermeiden, ansonsten würden wir heute eine Debatte um eine ministerielle bzw. politische Einflussnahme auf den Entscheidungsprozess der Staatsanwaltschaft Halle führen.
Ich habe nunmehr in epischer Länge erneut zu Ihren Rücktrittsforderungen, betreffend Frau Ministerin Keding, Stellung genommen und hoffe, dass wir nicht ein drittes Mal die Debatte im Landtag hierzu führen müssen.
Ich bitte Sie abschließend um Ihre Zustimmung zum Antrag der Koalitionsfraktionen und um Ablehnung des Antrages der LINKEN. - Vielen Dank für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Abg. Kolze. Ich sehe keine Wortmeldungen. - Somit wird die Abg. Frau Quade jetzt den Antrag unter Tagesordnungspunkt 7 b - Kein Schlussstrich im Fall Oury Jalloh - einbringen. Sie dürfen jetzt zum Rednerpult und erhalten das Wort von mir. Bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir befinden uns im 15. Jahr der Nichtaufklärung des Todes von Oury Jalloh. Nach einem zähen Verfahren, nachdem der Beginn ihrer Arbeit immer wieder verzögert wurde, legten und stellten am 28. August die Berater des Rechtsausschusses ihren über 300 Seiten starken und mit Spannung erwarteten Bericht vor.
Die entscheidenden Fragen sind: Was sagt uns der Bericht und was folgt daraus? - Mit unserer Antragsüberschrift will ich es gleich zu Beginn klar festhalten: Aus der Sicht unserer Fraktion kann dieser Bericht kein Schlussstrich sein.
Denn der Bericht beantwortet Fragen. Und er ist sehr erhellend zum Verständnis der uns als Ausschuss vorgelegten Akten. Er wirft aber auch zahlreiche Fragen auf. Was sagt uns also der Bericht und was kann er uns überhaupt sagen?
Die Sachverständigen hatten einerseits die juristischen Sachverhalte zu prüfen; andererseits sollten sie beurteilen, ob das Parlament jederzeit korrekt informiert wurde und ob es Versuche der Einflussnahme gab.
Die Sachverständigen beurteilen Akten und Ermittlungsansätze, sie beurteilen juristische Entscheidungen juristisch, sie beurteilen, ob angesichts der vorgelegten Akten Ermittlungen korrekt geführt wurden, sie konstatieren Fehler und sie werfen in vielen Bereichen ein in der Tat erschreckendes Licht auf die Verfasstheit zentraler Bereiche dieses Landes im Jahr 2005.
Sie beantworten zudem Fragen, die der Rechtsausschuss den Sachverständigen als Leitfragen für die Prüfung auf den Weg gegeben hat - sofern sie das können. Eine zentrale Rolle dabei hätten nämlich Gespräche mit den handelnden Vertreterinnen der Justiz spielen sollen. Sie waren von Anfang an im Arbeitsauftrag der Berater formuliert
und sie waren auch - das haben die Berater selbst gesagt - wesentliche Voraussetzung dafür, dass sie den Auftrag überhaupt angenommen haben. Diese Möglichkeit wurde den Beratern jedoch genommen. Das schränkt natürlich die Aussagekraft des Berichtes ein, ohne dass dies den Beratern vorzuwerfen wäre. Und es stellt einen deutlichen Widerspruch zu dem ursprünglich beschlossenen Verfahren dar.
Dies festzuhalten ist überaus wichtig. Denn genau dieses Verfahren - Sachverständige prüfen die Akten und können alle zur Beantwortung der ihnen gestellten Fragen und aus ihrer Sicht notwendigen Gespräche führen - war zuletzt die zentrale Argumentation gegen einen Untersuchungsausschuss.
Zunächst waren es noch bevorstehende Ermittlungen, dann waren es laufende Ermittlungen, abgelöst von abgeschlossenen Verfahren, die immer wieder als Argumente gegen einen Untersuchungsausschuss und gegen eine parlamentarische Untersuchung der Todesumstände Oury Jallohs angeführt wurden. Und auch das verweist ja darauf, dass die Frage der juristischen Aufklärung auf das Engste mit der der politischen Aufarbeitung verknüpft war und ist und oft dafür herhalten musste, parlamentarische Befassung als nicht möglich oder nicht nötig darzustellen.
Meine Damen und Herren! Wer über Oury Jalloh redet, der muss über Verantwortung reden. Es gehört zur Mindestverantwortung dieses Parlamentes, festzuhalten, dass der mehrheitlich beschlossene Weg nicht konsequent gegangen wurde.
Dass politische Aufarbeitung mehr erfordert als die Überprüfung von Akten durch Sachverständige, das war auch vorher klar. Denn politische Aufarbeitung heißt weit mehr als juristische Aufklärung. Sie will nicht ermitteln und sie kann es nicht. Das ist nicht der Anspruch. Das eine soll das andere nicht ersetzen und will es nicht. Aber daraus leitet sich aus der Einschätzung der Sachverständigen ja auch ab, dass es heute keine offenen Ermittlungsansätze gibt, die Erfolg versprechend sind. Das heißt keineswegs, dass es keinen Aufarbeitungsbedarf gibt.
Denn politische Aufarbeitung muss nach Konsequenzen fragen und muss nach Ursachen fragen. Und woran liegt es denn, dass Ermittlungen heute in den Augen der Berater nicht Erfolg versprechend, also mit der Erwartung einer Verurteilung zu führen sind? - Das liegt erstens daran - so hält es der Bericht fest -, dass sich Fehler, die in der Ermittlungsarbeit passiert sind, nicht korrigieren lassen. Ein Spurensicherungsbericht kann nicht nachträglich gefertigt werden. Fotos vom Tatort
können nicht nachträglich gefertigt werden. Das abgebrochene Video, das kann nicht geheilt werden. Dass Brandsachverständige erst Tage nach dem Brand vor Ort waren, kann nicht korrigiert werden.
Es liegt zweitens daran, dass nicht davon auszugehen ist, dass Polizisten sich anders verhalten als bisher und ihr Schweigen brechen.
Drittens liegt es daran, dass mögliche oder anzunehmende Straftaten - Brandstiftung, unterlassene Hilfeleistung etc. - entweder verjährt sind oder aber bereits zur Anklage gebracht wurden und deswegen nicht weiter verfolgt werden können.
Das alles heißt aber nicht, dass kein Verbrechen geschehen ist. Das alles heißt nicht, dass es hier nichts zu untersuchen gibt und nicht zumindest der Versuch unternommen werden müsste, auch möglichen verjährten Straftaten, wie zum Beispiel den gutachterlich festgestellten Verletzungen Oury Jallohs, nachzugehen.
Genau das wäre eine der Aufgaben eines Untersuchungsausschusses und nur eine davon; denn er müsste zugleich beleuchten, was die Sachverständigen schonungslos zusammenfassen.
„Es ist deshalb mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass Oury Jalloh am 7. Januar 2005 nicht kurz nach 12 Uhr im polizeilichen Gewahrsam gestorben wäre, wenn im Polizeirevier Dessau das geltende Recht und die geltenden Verordnungen befolgt worden wären.“
Nahezu alle polizeilichen Maßnahmen, von Ingewahrsamnahme über ID-Feststellung und Blutabnahme bis hin zur Fixierung, waren rechtswidrig und zugleich gelebte Praxis im Polizeirevier Dessau.
Zugleich konstatieren die Berater ein erhebliches Problem mit Rassismus, sowohl individuellem als auch institutionellen Rassismus im Revier in Dessau. Und nein, weil es lange her ist, ist das Problem lange nicht behoben.
Die Berater stellen ebenfalls fest, dass im Gegensatz zu dem offensichtlichen Bedarf auch heute Rassismus als Thema in der Ausbildung eine nicht ausreichende Rolle spielt. Sie sagen: Der Begriff des Rassismus und seine verschiedenen Erscheinungsformen als institutioneller Rassismus, systemimmanenter Rassismus oder Alltagsrassismus werden nicht ausdrücklich angesprochen, was nach Überzeugung der Berater ein Mangel ist.
„… lässt sich mit Sicherheit oder an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen, dass Oury Jalloh das Feuer selbst gelegt hat. Diese Frage lässt sich nach den bisherigen Erfahrungen aus der Sicht der Berater gutachterlich nicht beantworten. Hinsichtlich des Brandes sind derartig viele Parameter nicht oder nicht mehr nachvollziehbar, dass ein mit dem tatsächlichen Geschehen übereinstimmender Versuchsaufbau nicht darstellbar ist.“
„Mord ist ein Verbrechen, welches keiner Verjährung unterliegt. Deshalb ist es auch zukünftig jederzeit möglich, Ermittlungen gegen konkret zu benennende Beschuldigte aufzunehmen. Praktisch ist dies nach Überzeugung der Berater aber nur noch im Falle eines glaubwürdigen Geständnisses oder einer neuen glaubwürdigen Aussage eines Zeugen eines möglichen Mordes an Oury Jalloh möglich.“
Der Bericht hält zudem fest, dass die Tatsache der Einstellung der Strafverfahren im Fall Oury Jalloh nicht zwingend Ergebnis von Fehlern der Ermittlungen oder Unwillen, sie zu führen, sein müssen. Er widerlegt aber weder die Fehler noch kann er Sicherheit darüber geben, dass es keinen Unwillen gab. Allein schon die Möglichkeit muss uns beschäftigen.
Und nein, es geht nicht um juristische Details, beispielsweise bei der Frage: Warum klagt die Staatsanwaltschaft Dessau nur fahrlässige Tötung an und nicht Freiheitsberaubung mit Todesfolge, obwohl sie es zuvor selbst juristisch anders einschätzte?
Es ist keine juristische Frage, die eh nur Experten verstehen. Es geht darum, was vom Fall Oury Jalloh eigentlich übrig bleibt: Selbstmord oder ein ungeklärter Todesfall in Polizeigewahrsam? Fahrlässigkeit oder Freiheitsberaubung mit Todesfolge? Fehler oder systematische Ignoranz und Willkür? - Das zeigt, die juristischen Entscheidungen haben politische und gesellschaftliche Folgen. Deswegen dürfen sie nicht politisch beeinflusst werden. Aber deswegen müssen sie politisch analysiert und untersucht werden.
Abwägungsentscheidungen, die juristisch zulässig sind, sind nicht zwangsläufig nicht politisch motiviert. Genau das muss untersucht werden.
Allein dieser, wirklich unvollständige Blick darauf, was ein Untersuchungsausschuss beleuchten müsste, macht deutlich, um welche Mammutaufgabe es sich dabei handelt. Dass dies sinnvoll zu bearbeiten in dieser Legislaturperiode nicht mehr möglich ist, liegt auf der Hand. Und das müssen sich diejenigen zuschreiben lassen, die es verhindert haben.
Dass es mittlerweile mehrere Fraktionen gibt, die einen Untersuchungsausschuss fordern, ist deshalb natürlich zu begrüßen und in gewisser Weise ein politischer Lernprozess. Es wäre nur konsequent - in diesem Sinne ist der Punkt 5 unseres Antrages auch zu verstehen -, wenn die Abgeordneten dieser Wahlperiode das Ergebnis dieses Lernprozesses den Abgeordneten der nächsten Legislaturperiode als Empfehlung - nur das kann es ja sein - mit auf den Weg geben.
Aber, meine Damen und Herren, keineswegs alle Vorgänge, die die Berater untersucht haben, können oder sollten erst ab dem nächsten Jahr bearbeitet werden.
Der Bericht stellt fest, allein in der aktuellen Legislaturperiode haben wir es mit drei schwerwiegenden Vorgängen zu tun. Ministerin Keding hat den Landtag bewusst unvollständig und damit falsch informiert und auch auf Nachfragen nicht ihren tatsächlichen Kenntnisstand mitgeteilt.
Der mittlerweile pensionierte Generalstaatsanwalt Konrad hat den Rechtsausschuss mehrfach belogen. Angesichts der vorhandenen Akten muss von einem unzulässigen Versuch der Einflussnahme durch den damaligen Staatssekretär Böning ausgegangen werden.
Die Deutlichkeit, mit der die Berater diese offensichtlichen Lügen und die nicht vorhandene rechtliche Überzeugungskraft der Ministerin feststellen, war dann für unsere Fraktion doch überraschend. Denn sie halten auch fest, dass solche Vorgänge nur in absoluten Ausnahmefällen Teil der offiziellen staatsanwaltschaftlichen, gerichtlichen oder ministeriellen Akten werden. Telefonische oder mündliche konspirative Vorgänge werden, wenn überhaupt, nur durch Selbstbekenntnisse, anonyme Anzeigen, Hinweise an die Presse oder durch Whistleblower bekannt. Die Tatsache, dass die Akten das nicht hergeben, ist weder überraschend, noch sagt sie aus, dass es das nicht gab.