Protokoll der Sitzung vom 11.09.2020

Die Fraktion DIE LINKE wird sich bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf der Stimme enthalten und selbstverständlich in der gewohnten Art und Weise die Umsetzung dieses Gesetzes begleiten.

(Beifall - Unruhe)

Danke. Ich sehe auch hierzu keine Wortmeldungen. - Ich habe nur eine Bitte: Ich freue mich über jeden Abgeordneten, der bei der Diskussion anwesend ist. Es wäre auch schön, wenn es nicht nur körperlich wäre. Das bringt man dadurch zum Ausdruck, dass man zugehört und sich nicht permanent mit anderen Abgeordneten in einem gewissen Geräuschpegel unterhält. Das stört manchmal ein wenig.

Jetzt ist für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Abg. Frau Lüddemann an der Reihe. Bitte, Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Bei aller Bescheidenheit: Die parlamentarische Beratung hat tatsächlich noch etwas gebracht. Das will ich auch zur Stärkung des Parlamentes noch einmal sagen. Wir haben ein gutes Gesetz noch ein wenig besser gemacht. Ich bin durchaus stolz auf den vorliegenden Gesetzentwurf und danke allen Kolleginnen und Kollegen, die sich daran beteiligt haben, insbesondere natürlich den Koalitionspartnern.

In den vergangenen 25 Jahren hat sich die Sicht auf die Psychiatrie und auf das Verhältnis zwischen Ärzten und Patienten grundlegend geändert. Dem trägt dieser Gesetzentwurf deutlich Rechnung. Wir stärken die Patientenrechte; wir

stärken die kommunale Ebene. Davon verspreche ich mir einen Zugewinn an Prävention, aber auch einen Zugewinn an guter Nachsorge. Wir setzen endlich die gerichtlichen Normierungen - als Stichwort nenne ich: Zwangsbehandlungen - um. Das war überfällig.

Aufgrund der guten Zusammenarbeit in der Koalition haben wir, wie bereits gesagt, deutliche Verbesserungen vornehmen können. Zentral ist für mich die erstmalige und deutlichere Verbindlichkeit des neuen Psychiatriegesetzes. Die Kolleginnen und Kollegen vor mir haben es angesprochen. An vielen Stellen, an denen im Regierungsentwurf noch von „kann“ und „sollte“ die Rede war, sind viele Dinge jetzt obligat, wie zum Beispiel bei den Psychiatriekoordinatoren und den gemeindepsychiatrischen Verbünden, die jetzt für alle Landkreise und kreisfreien Städte verbindlich sind. Das finde ich richtig gut.

Mit dieser Verbindlichkeit machen wir einen gewaltigen Sprung nach vorn, indem wir flächendeckend eine lokale Vernetzung der Akteure schaffen - zusammengehalten vor Ort von den Psychiatriekoordinatoren und unter anderem mit der Aufgabe betraut, die kommunale Planung und Steuerung fachlich zu untersetzen. Diese ist geklammert von einer neuen Landesplanung, die regelhaft fortzuschreiben ist.

Wenn all das umgesetzt und am Laufen ist, haben wir bestmögliche Strukturen geschaffen, um die Versorgung, die Betreuung und die Unterbringung der Betroffenen zu sichern. Wir haben die Rechte der Betroffenen weiter gestärkt, indem wir die freie Arztwahl explizit in den Gesetzentwurf aufgenommen haben. Für die Fälle, in denen der sozialpsychiatrische Dienst erstmalig bei einem Verdachtsfall tätig wird, ist ebenfalls Rechte stärkend die neue Normierung von gelockerten Formen der Unterbringung als Anspruch der Untergebrachten.

Da sicherlich auch dieses Gesetz trotz aller intensiven Arbeit nicht der Weisheit letzter Schluss ist, da ja - auch das wurde bereits erwähnt - an einigen Stellen noch nicht das umgesetzt wurde, was sich vielleicht jeder für sich gewünscht hätte, was in der Gemeinsamkeit jetzt nicht durchsetzbar war, finde ich es richtig und wichtig, dass wir einen festen Zeitpunkt für die Evaluierung vorgesehen haben. Die zuständigen Kolleginnen und Kollegen werden sich in der nächsten Legislaturperiode damit zu beschäftigen haben, was daraus an Handlungsbedarf erwächst.

Für uns GRÜNE geht mit der heutigen zweiten Lesung ein langer Prozess zu Ende; das will ich hier auch einmal sagen. Ich kann mich daran erinnern, dass sich Schwarz-Rot über Jahre in der Diskussion verhakt hatte - damals ging es quasi nur um die Zwangsbehandlung; all die anderen

Dinge sind dann erst hinzugekommen -, weswegen wir fast genau auf den Tag - ich habe es gar nicht mehr gewusst; unser Referent hatte das noch auf dem Schirm - heute vor fünf Jahren aus der Opposition heraus einen Gesetzentwurf vorgelegt haben, um das PsychKG zu modernisieren.

Es hat jetzt noch einmal die Zeit gebraucht, um jetzt gemeinsam das, was jetzt vorliegt, auf den Weg zu bringen. Ich freue mich sehr, dass wir das im Sinne der Patientinnen und Patienten erreichen konnten, aber eben auch im Sinne derjenigen, die aus der Fachwelt lange auf diese Regelungen gewartet haben. Ich denke, es war der Mühe wert.

(Zustimmung)

Wir haben hier ein gutes Gesetz. Auch wenn es vielleicht nicht die Schlagkraft hat, um auf die Titelseiten der Zeitungen zu kommen, ist es für viele Menschen in diesem Land geeignet - damit will ich mich Herrn Bönisch anschließen -, ein schweres Leben dann doch gesetzlich besser normiert und mit gestärkten Rechten etwas besser zu machen. Das ist auch sehr wichtig für ein Parlament. Und es gehört zu ernsthafter Arbeit dazu, den Bericht hier dann nicht nur durchzurattern, sondern tatsächlich mit der nötigen Ernsthaftigkeit darzubringen. - Vielen Dank.

(Beifall)

Dann werden wir, da es keine weiteren Wortmeldungen zu diesem Diskussionsbeitrag gibt, in der Debatte fortfahren. Das wird Frau Dr. Späthe tun und sie tut das für die SPD-Fraktion. Frau Dr. Späthe, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Ihnen liegt heute zur Beschlussfassung das Gesetz zur Novellierung über Hilfen für psychisch Kranke und Schutzmaßnahmen des Landes Sachsen-Anhalt vor. Ich bitte Sie bereits jetzt um Zustimmung.

Mit der Novellierung wird ein weiteres Gesetzesvorhaben aus dem Koalitionsvertrag abgeschlossen. Dort heißt es nämlich:

„Eine bedarfsgerechte, wohnortnahe und umfassende Versorgung aller psychisch erkrankten Menschen und Menschen mit Behinderungen ist anzustreben. Es gilt auch hier der Vorrang der ambulanten vor der stationären Behandlung.

Wir werden das Gesetz über die Hilfen für psychisch Erkrankte und Schutzmaßnahmen des Landes bis zur Mitte der Legis

laturperiode novellieren. Insbesondere sind Regelungen zu Zwangsbehandlungen, der Psychiatrieplanung, zum flächendeckenden Ausbau der Gemeindepsychiatrie, zur Stärkung der Rechte von Betroffenen und zum Einsatz von Psychiatriekoordinatoren zu treffen.“

Ich kann Ihnen sagen: All das ist uns gelungen; lediglich das mit der Hälfte der Legislaturperiode hat nicht ganz geklappt.

Aber, meine Damen und Herren Abgeordneten, der Erarbeitung des novellierten Gesetzentwurfes und der sich anschließenden Anhörung mit Vereinen und Verbänden sowie der umfassenden Beratung innerhalb der Koalition ging eine 200-seitige Studie eines externen Fachinstitutes voraus, das sehr detailliert die ambulante und die klinische psychiatrische Versorgungssituation im ganzen Land untersucht hat. Der Bericht bietet nach 22 Jahren eine aktuelle Grundlage über den Stand der psychiatrischen Versorgung und zeigte Handlungsfelder auf, unter anderem die bereits erwähnten zu niedrigschwelligen Angebote in den Kommunen und die geringe Koordination und Steuerung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Rund ein Drittel aller SachsenAnhalterinnen ist früher oder später von einer psychiatrischen Erkrankung oder Störung betroffen.

(Zuruf)

Aber - das wissen wir - die ambulante und stationäre Hilfe ist für die Betroffenen regional sehr unterschiedlich aufgestellt. Genau an diesem Punkt setzt das novellierte Psychiatriegesetz an. Es wird zukünftig in allen Kommunen und kreisfreien Städten verbindliche Psychiatriekoordinatoren und gemeindepsychiatrische Verbünde geben. Sie sollen Angebote für Betroffene und ihre Familien besser aufeinander abstimmen, vernetzen, Teilhabe fördern und die Selbsthilfe unterstützen.

Eine weitere Aufgabe wird die Erstellung eines kommunalen Psychiatrieplans sein. Es freut mich besonders, dass es nun gelungen ist, die Rahmenbedingungen für eine bedarfsgerechte, wohnortnahe und umfassende psychiatrische Versorgung landesweit zu verbessern, da in meinem Heimatkreis seit vielen Jahren schon ein solcher arbeitet, und ich weiß, wie gewinnbringend diese Struktur ist.

Lassen Sie mich zum Abschluss noch einige aus unserer Sicht wichtige Punkte hervorheben. Das ist erstens die Stärkung der Rechte der Betroffenen; das ist auch schon erwähnt worden. In dem neuen Psychiatriegesetz wird es ehrenamtliche Patientenfürsprecher bei den Landkreisen

und Städten geben. Die Selbstbestimmungsrechte der Patienten bezüglich der Behandlungen werden weiter gestärkt.

Zweitens haben wir die Rechtsgrundlagen weiterentwickelt, die Berücksichtigung der UN-Behindertenrechtskonvention, zum Beispiel Umsetzungsvorschriften zum Datenschutz, aber auch die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Zwangsbehandlungen und Fixierungen.

Drittens - ein Punkt, der mir sehr am Herzen lag -: Die Besuchsrechte des Psychiatrieausschusses sind wieder erweitert worden, sodass jetzt auch in Alten- und Pflegeheimen wieder Besuche möglich sind. Sie sind nicht „endlich“ möglich; sie waren aber schon einmal möglich. Wir als Besuchskommissionsmitglieder haben selbst daran teilgenommen. Sie sind erst jetzt ins Gesetz eingefügt worden, weil sie aufgrund dessen, dass das nicht der Fall war, für einige Jahre ausgesetzt waren.

Zum Abschluss, meine Damen und Herren Abgeordneten, möchte ich noch einmal erwähnen, dass das novellierte Psychiatriegesetz - das kann man mit Recht sagen - ein modernes, vor allem an den Bedürfnissen der Betroffenen und ihrer Rechte orientiertes Gesetz geworden ist. Auch ich möchte allen sehr herzlich für die konstruktive Diskussion innerhalb der Koalition und im Ausschuss sowie für die Vorarbeiten des Ministeriums danken. - Herzlichen Dank. Ich bitte Sie um Zustimmung.

(Zustimmung)

Auch zu diesem Redebeitrag sehe ich keine Fragen. Deswegen kann sich jetzt für die Fraktion der AfD der Abg. Herr Wald, der den abschließenden Redebeitrag vorbringen wird, bereits auf den Weg machen. Herr Wald, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Abgeordnete! Hohes Haus! Egal ob Depressionen, Burn-out oder narzisstische Persönlichkeitsstörungen - psychische Erkrankungen sind im 21. Jahrhundert zu einem gesamtgesellschaftlichen Problem, ja, zu einer Volkskrankheit geworden. Gut ein Viertel der Deutschen leidet unter einer oder mehreren psychischen Erkrankungen. In Sachsen-Anhalt liegt die Quote sogar bei mehr als einem Drittel.

(Zuruf: Aha!)

Die Anforderungen einer immer schneller werdenden Globalisierung eines Arbeitsmarktes, der immer weniger verortet ist, und eines Wachstums, das keine Grenzen mehr zu kennen scheint, haben Spuren in der Seele der Menschen hinter

lassen. Ein Grund dafür ist die Auflösung gesellschaftlicher Kernstrukturen, die Bekämpfung der traditionellen Familie, die Zerstreuung der Dorfgemeinschaften, die Zergliederung des gewachsenen Volkes hin zu einer anonymen Verbraucher- und Konsumentenmasse, die man sich möglichst zeit- und ortsflexibel einsetzbar wünscht.

(Zustimmung)

Der renommierte Psychoanalytiker und Psychiater Dr. Hans-Joachim Maaz

(Unruhe)

schreibt dazu in seinem Buch „Das gespaltene Land“: Wir Menschen brauchen soziale Strukturen, in denen wir uns beheimaten können, und zwar umso mehr, je größer die persönliche Selbstentfremdung ist. - Unter genau diesem Gesichtspunkt können wir bisher nur ahnen, welche seelischen Wunden die verfehlte Coronapolitik der Altparteien bei den Menschen in unserem Land hinterlassen wird.

(Zurufe)

Schon jetzt warnen Ärzte und Psychologen allerdings vor den psychischen Folgen, die Isolation, Lockdown und Maskenzwang auf die Bevölkerung haben werden. Die Gesetzesänderung kommt also gerade zur rechten Zeit. Immer mehr Menschen sind darauf angewiesen, dass der Staat Ihnen dort die sichernde Hand reicht, wo Familien und soziales Umfeld eine angemessene Betreuung und Versorgung nur noch teilweise oder überhaupt nicht mehr gewährleisten können.

Die Vorschläge zur Gesetzesänderung, welche die Landesregierung heute zur Debatte gestellt hat, sind nach der Ansicht der AfD-Fraktion ein wichtiger und richtiger Schritt hin zu einer menschenwürdigen Betreuung der Betroffenen. Insbesondere die Stärkung der Rechte der Patienten ist zu begrüßen; denn beim Eingriff in die Grundrechte ist immer ein hohes Maß an Sensibilität gefragt. Es ist gut, dass in der Neufassung des Gesetzes ein Kompromiss gefunden wurde, der die Würde der Menschen und Patienten wahrt und trotzdem ein vernünftiges Handlungsbesteck für die Betreuer und die verantwortlichen Behörden bereitstellt.

Auch die Einrichtung von Schnittstellen zwischen der Erziehungs- und Jugendhilfe, den Schulen und dem therapeutischen System halten wir für einen Erfolg; denn wenn ein Familienmitglied psychisch erkrankt, trifft das oft nicht nur die Einzelperson, sondern die ganze Familie und besonders deren Kinder.

Wichtig ist unserer Fraktion, dass diese Posten auch in der Debatte über den kommenden Haushaltsplan Berücksichtigung finden; denn wie in

so vielen Punkten hinken ländliche Bereiche den großen urbanen Zonen hinterher. Im Moment weist das Hilfenetz, welches Betroffene in Anspruch nehmen können, regional immer noch Lücken auf, die es zu schließen gilt. Zu wenige niedrigschwellige Angebote und die vergleichsweise geringe regionale Koordination und Steuerung, all das sind Kritikpunkte, die nach wie vor gelten, auch wenn sie im Gesetzentwurf nur teilweise berücksichtigt wurden.

Es ist unser politischer Auftrag, dafür zu sorgen, dass auch psychisch kranke Menschen weiterhin als integraler Teil unserer Gesellschaft wirken können und den Rückhalt erfahren, den sie zu ihrer Gesundung benötigen. Der vorliegende Gesetzesentwurf ist ein richtiger Schritt in die richtige Richtung.