Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hiermit eröffne ich die 111. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt der siebenten Wahlperiode. Dazu begrüße ich Sie auf das Herzlichste.
Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest, auch wenn ich mir wünschen würde, dass noch mehr Kolleginnen und Kollegen zu Beginn der Sitzung anwesend wären.
Sehr geehrte Damen und Herren! Wir setzen nunmehr die 53. Sitzungsperiode fort. Wir beginnen die heutige Beratung mit Tagesordnungspunkt 5: Vereinbarte Debatte. Danach folgen die Tagesordnungspunkte 6, 32 und 33, die Aktuellen Debatten.
Ich erinnere daran, dass heute Herr Minister Tullner und Herr Minister Prof. Dr. Willingmann parallel an der Videokonferenz der Kultusminister teilnehmen. Ebenfalls wird Herr Minister Richter abwesend sein. Zusätzlich lässt sich Herr Staats- und Kulturminister Robra heute und morgen krankheitsbedingt entschuldigen. Auch wenn er heute Geburtstag hat, ist er natürlich dennoch entschuldigt.
Die Redezeit soll zehn Minuten je Fraktion betragen und auch die Landesregierung hat zehn Minuten Redezeit.
Wir beginnen mit der CDU-Fraktion. Der Abg. Herr Krull wird für diese sprechen. Danach spricht für die Landesregierung Herr Ministerpräsident Dr. Haseloff. - Sie haben jetzt das Wort, bitte.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Mitglieder des Hohen Hauses! Gleich zu Anfang möchte ich für die CDU-Landtagsfraktion deutlich machen: Für uns war, ist und bleibt auch in Zukunft jüdisches Leben ein gewollter und
wichtiger Bestandteil unserer Gesellschaft. Dessen Schutz ist eine Verpflichtung des Staates - ohne Wenn und Aber.
Wir werden uns weiterhin aktiv gegen jede Form von Antisemitismus, Rassismus und Menschenfeindlichkeit einsetzen. Wir alle wissen noch sehr genau, wo wir waren, als wir von den Ereignissen in Halle (Saale) und später in LandsbergWiedersdorf gehört haben. Es gab unfassbare Bilder, große Unsicherheit und dann das Gefühl einer gewissen Erleichterung, als deutlich wurde, dass der Attentäter Stephan B. festgenommen worden war.
Die vermeintliche Sicherheit, dass ein solcher Terrorakt nicht in Sachsen-Anhalt stattfinden würde, war von einem Moment auf den anderen verschwunden. Es wurde wieder einmal deutlich: Terror kann uns überall und zu jeder Zeit erreichen. Er ist eine Bedrohung für unsere ganze Gesellschaft; gleichzeitig sind wir aufgefordert, ihn aktiv zu bekämpfen, gerade wenn es darum geht, den geistigen Nährboden einer solchen Ideologie auszutrocknen.
Aus meiner Sicht hat der Herr Ministerpräsident bei einer Gedenkveranstaltung am vergangenen Freitag aus Anlass des ersten Jahrestages sehr passende Worte gefunden, als es um die derzeitige Situation ging. Er sprach davon, dass die Grundlage unserer Zivilisation brüchig sei und man die schrecklichen Taten des 9. Oktober 2019 weder verharmlosen noch relativieren könne. Es ist nicht hoch genug einzuschätzen, dass es am Freitag nicht nur die offiziellen Gedenkveranstaltungen gab, sondern dass auch viele Bürgerinnen und Bürger mit unterschiedlichen Aktionen und nicht nur in Halle (Saale) ein Zeichen gegen Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit setzten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zwei Menschen wurden ermordet, viele weitere wurden an Körper und/oder Seele verletzt, weil ein Mensch auf der Grundlage einer menschenverachtenden Ideologie pure Mordlust entwickelte. Sein eigentliches Ziel, die Hallenser Synagoge bzw. ihre Besucher, ist am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur, dem Versöhnungstag, durch Glück, durch Gottes Wille, aufgrund der guten Arbeit eines Tischlermeisters oder der Mischung aus all diesen Faktoren einer noch größeren Katastrophe entgangen.
An dieser Stelle auch im Namen meiner Fraktion den Hinterbliebenen unser tiefstes Mitgefühl und Beileid und den an Körper und/oder Seele Verletzten die besten Wünsche für eine baldige und vor allem vollständige Genesung!
Die Aufarbeitung der Ereignisse, nicht nur im polizeilichen und juristischen Sinne, hat praktisch unmittelbar nach diesem Tag begonnen. Derzeit wird hier in Magdeburg dem vermutlichen Täter der Prozess gemacht. Bereits mit dem Beschluss „Halle mahnt“ als erste politische Reaktion des Landtages haben wir mit der politischen Aufarbeitung begonnen. Sie wird auch im Rahmen der Arbeit des 19. Parlamentarischen Untersuchungsausschusses fortgeführt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Aber was versteht man eigentlich unter Antisemitismus? - Ich zitiere eine Definition der International Holocaust Remembrance Alliance:
„Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen. Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein.“
Dabei sind die Erscheinungsformen des Antisemitismus vor allem in drei Hauptkategorien einzuordnen: der historische Antisemitismus, in dem sich vor allem das rechtsextremistische Lager bedient, die Formulierung „Nichts gegen Juden, aber gegen Israel“, die wir vor allem in linksextremistischen Kreisen finden, und natürlich auch die antijüdischen Einstellungen in muslimischen Ländern. Nach unterschiedlichen Studien ist davon auszugehen, dass bei rund einem Viertel der Gesamtbevölkerung Deutschlands antisemitische
Einstellungen unterschiedlicher Ausprägung vorhanden sind. Das, meine Damen und Herren, macht deutlich, dass Antisemitismus kein Problem einzelner Berufs- oder Gesellschaftsgruppen ist, sondern eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung.
Leider muss ich einige Aussagen zitieren, die man so immer wieder finden kann, die aber aus meiner Sicht deutlich machen, vor welchen Herausforderungen wir bei der Bekämpfung des Antisemitismus stehen: „Ein Palästina vom Fluss bis ans Meer“, „Ich habe nichts gegen Juden, aber …“, „Sogar die UNO verurteilt Israel“, „Die Israelis sind die Nazis von heute“ oder „Heuschrecken und Rothschilds beherrschen die Welt“.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vertreter einer auch hier im Landtag vertretenen Partei sprechen davon, dass wir eine 180-Grad-Wende in der Erinnerungskultur brauchen, oder davon,
dass die Zeit der NS-Diktatur „ein Fliegenschiss in der deutschen Geschichte“ sei. - Ich sage dazu klar Nein. Was wir brauchen, ist auch weiterhin eine lebendige Erinnerungskultur, die einerseits an die unvorstellbare Dimension des industriellen Mordapparates der NS-Diktatur erinnert, dem nicht nur Menschen jüdischen Glaubens, sondern auch viele andere Menschen zum Opfer fielen, und andererseits deutlich macht, dass jeder heute hier selbst seinen Beitrag dazu leisten muss und kann, damit so etwas nie wieder passiert.
Wir brauchen zum Beispiel Lesungen mit der Autorin Andrea von Treuenfeld, die ihr neuestes Buch „Leben mit Auschwitz: Momente der Geschichte und Erfahrungen der Dritten Generation“ in der vergangenen Woche hier in Magdeburg vorgestellt hat, eine Kooperationsveranstaltung der Auslandsgesellschaft Sachsen-Anhalt, der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Arbeitsgemeinschaft Magdeburg der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, oder die Aktivitäten der Aktion Sühnezeichen, die von Lothar Kreyssig gegründet worden ist, der lange in Magdeburg gelebt hat und nach dem nicht nur eine Straße in der Nähe des Domplatzes benannt ist, sondern der auch Namenspatron für den Lothar-Kreyssig-Friedenspreis ist, der hier alle zwei Jahre von der gleichnamigen Stiftung verliehen wird.
Erinnern möchte ich auch an die StolpersteinAktion, die in Sachsen-Anhalt und europaweit an die Menschen erinnert, die während der NSDiktatur verfolgt und umgebracht worden sind.
Wir brauchen aber vor allem auch Initiativen für ein lebendiges jüdisches Leben und die Präsentation dessen in der Öffentlichkeit. Beispielhaft genannt seien hier nur die am 25. Oktober beginnenden Tage der jüdischen Kultur und Geschichte in Magdeburg oder die Aktivitäten des Vereins für christlich-jüdische Zusammenarbeit oder des Fördervereins „Neue Synagoge Magdeburg“ unter Führung der Superintendentin a. D. Waltraut Zachhuber und des ehemaligen Landtagspräsidenten Dieter Steinecke. Es sei daran erinnert, dass das Land den Neubau der Magdeburger Synagoge finanziell maßgeblich unterstützt.
Das Land hat reagiert und das Landeskabinett hat das Landesprogramm für jüdisches Leben in Sachsen-Anhalt und gegen Antisemitismus beschlossen. Auf den 59 Seiten des Programms finden sich nicht nur Istanalysen, sondern auch Vorschläge dafür, was unternommen werden kann. Dabei hat der Ansprechpartner für jüdisches Leben in Sachsen-Anhalt und gegen Antisemitismus, Dr. Schneiß, bei der Erstellung auch Dritte einbezogen, zum Beispiel den Landesverband der jüdischen Gemeinden Sachsen-Anhalts oder den
Beirat des Landesprogramms für Demokratie und Vielfalt. Jetzt gilt es, dieses Papier mit Leben zu erfüllen.
Unmittelbar nach dem Anschlag wurden die Schutzmaßnahmen für jüdische Einrichtungen durch die Landespolizei verstärkt. Basis waren entsprechende Gefährdungsanalysen. Die Maßnahmen wurden vor Ort mit den jüdischen Gemeinden abgestimmt. Im Doppelhaushalt 2020/ 2021 haben wir als Haushaltsgesetzgeber für entsprechende Maßnahmen im Jahr 2020
890 000 € und für 2021 rund 1,5 Millionen € bereitgestellt. Zusätzlich wurden kurzfristig notwendige Sicherungsmaßnahmen aus dem laufenden Haushalt des Ministeriums für Inneres und Sport finanziert.
Ebenso wurde zwischen den jüdischen Gemeinden und dem Land Sachsen-Anhalt eine Zusatzvereinbarung zu baulichen und technischen Sicherungsmaßnahmen, zum Thema Wachpersonal abgeschlossen. Als Landtag sind wir gefordert, eine Ergänzung zum Staatsvertrag zu beraten mit dem Ziel, dass die entsprechenden finanziellen Beziehungen auch für die Jahre 2022 bis 2026 gesichert werden.
Neben der Polizei kommt auch dem Verfassungsschutz eine besondere Bedeutung bei der Aufdeckung und Bekämpfung extremistischer und antisemitischer Tendenzen zu. Eine entsprechende personelle Aufstockung ist auf den Weg gebracht. Hier bedarf es natürlich einer offensiven Öffentlichkeitsarbeit, damit dieses Wissen auch zu einer entsprechenden Öffentlichkeitswirksamkeit führt.
Wir unterstützen im Übrigen als Fraktion ausdrücklich Bestrebungen, Straftaten, die aus antisemitischen und rassistischen Gründen erfolgen, noch konsequenter als bisher verfolgen zu können. Der Kampf gegen Hasskommentare im Netz ist dabei ein wichtiger Punkt. Auch die Staatsanwaltschaften spielen hier eine große Rolle.
Die Landeszentrale für politische Bildung hat in der vergangenen Woche ihre Landesdemokratiekonferenz unter dem Titel „Ein Jahr nach dem Attentat in Halle - Gemeinsam gegen Antisemitismus und Rassismus“ durchgeführt. Nicht nur, aber auch mit der Finanzierung von Gedenkstättenfahrten leistet sie einen wichtigen Beitrag zur Erinnerungskultur.
Natürlich machen die aktuellen Meldungen dieser Woche Sorgen. Antisemitisches Gedankengut hat in staatlichen Institutionen, insbesondere in Sicherheitsbehörden, absolut nichts zu suchen. Es bedarf einer nachhaltigen Aufklärung und gleichzeitig dürfen wir die Angehörigen der Polizei nicht unter einen Generalverdacht stellen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir alle, also der Landtag, die Landesregierung sowie die unterschiedlichsten Akteure, sind gefragt, um deutlich zu machen, dass wir gemeinsam gegen Antisemitismus, Rassismus und Menschenfeindlichkeit agieren. Wir feiern im nächsten Jahr 1 700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland. Sorgen wir dafür, dass wir dieses Jubiläum als Ausdruck dessen feiern können, dass Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glaubens ein selbstverständlicher Teil unserer Gesellschaft sind und sie sich hier sicher fühlen können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Aus Erinnerung erwächst Verantwortung. Lassen Sie uns diese Verantwortung gemeinsam wahrnehmen und entsprechend handeln. - Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Krull. Es gibt eine Wortmeldung. Ich muss übrigens sagen: Sie haben mit genau zehn Minuten eine Punktlandung hingelegt. - Herr Abg. Gallert, Sie haben jetzt das Wort.