Protokoll der Sitzung vom 15.10.2020

zwischen Köln und Bonn meinte: „So sehen die Straßen der Zukunft aus.“ Vor 90 Jahren mag dieser Satz visionär geklungen haben. Aber heute, im Jahr 2020, weiter daran festzuhalten ist eine Farce und klimapolitisch total verantwortungslos.

(Zustimmung - Zuruf: Wo fährt denn das E-Auto?)

Damals folgte aus dieser Vorstellung etwa der programmatische Satz des ehemaligen Ministers Leber, niemand werde mehr als 20 km von der nächsten Autobahnausfahrt entfernt wohnen. - Ganz so weit kam es nicht. Aber als ein Resultat dieser Prioritätensetzung haben wir heute ein Bundesfernstraßennetz mit 13 000 km Autobahn sowie 38 000 km Bundesstraßen und damit eines der dichtesten in ganz Europa. Das autozentrierte Denken der 70er-Jahre hält bis heute an.

Im letzten Jahr wurden 61 km Autobahn neu gebaut und 38 km ausgebaut. Bei Bundesstraßen kamen 122 km Neubau und 12 km Ausbau hinzu. Bei der klimafreundlichen Bahn hingegen waren es im gesamten Bundesgebiet sage und schreibe 6 km.

(Zuruf)

Genau das soll nach dem Willen der jetzigen Bundesregierung und leider auch nach dem Willen unseres jetzigen Verkehrsministers im Land so bleiben. Ich sehe es ganz deutlich vor mir: Deutschlands Zukunft - ein einziger großer Parkplatz.

(Zurufe: Oh!)

Die Planungen des Bundesverkehrsministeriums bis 2030 sehen weitere 80 Neubauprojekte und mehr als 200 Ausbauprojekte allein bei Autobahnen vor. Hier von Straßenbauwahnsinn zu sprechen, wie es meine Parteivorsitzenden auf Bundesebene tun, liegt durchaus nahe.

(Beifall)

Denn ja, es trägt gewisse manische Züge, stupide weiter Straßen zu bauen. Dieses überkommene Mantra zu bringen, es brauche mehr Straßen und Verkehrsentlastung, ist total überholt. Das kann man in jedem Videospiel nacherleben: Mehr Straßen schaffen mehr Verkehr. Oder man kann es auch anders sagen: Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten.

(Beifall)

Da ist es doch nur naheliegend, all diese geplanten Projekte einmal einer Generalrevision zu unterziehen, sie unter den heutigen Bedingungen noch einmal zu prüfen. Gerade die Klimakrise macht ein Moratorium, also quasi Bedenkzeit, bitter nötig.

(Zurufe)

Wann, wenn nicht jetzt, wollen wir endlich innehalten und einen neuen Kurs setzen? - Gerade in dieser Woche hat das Wuppertal Institut eine neue Studie vorgelegt, wie die Pariser Klimaziele vielleicht doch noch eingehalten werden können. Die Antwort im Verkehrsbereich fällt sehr eindeutig aus. Es braucht massive Verkehrsvermeidung und Verkehrsverlagerung in Größenordnungen.

(Beifall)

Dieses eine Mal, Kollege Scheurell, gibt es tatsächlich nur schwarz oder weiß. Wollen wir die Landschaft mit Straßen betonieren, wie wir es seit Jahrzehnten im Land machen? Wollen wir blind auf Kosten aller nachkommenden Generationen und auf Kosten der heutigen Anwohnerinnen und Anwohner an überlasteten Straßen so weitermachen?

Oder wollen wir endlich umsteuern und auf Bundesebene mit der Stärkung der Bahn endlich ernst machen? Wollen wir - das kann man so sagen; wir sind bald im Wahlkampf - Scheuer oder wollen wir Baerbock?

(Zurufe)

Wenn man wie die Bundesregierung und der Bundesverkehrsminister, wie der CDU-Generalsekretär oder auch die Herren Scheurell und Thomas stur auf den motorisierten Individualverkehr setzt, ist das nur Ausdruck einer blinden Autogläubigkeit. Für mich, für meine Fraktion, für meine Partei und zunehmende Teile der Bevölkerung auch in Sachsen-Anhalt ist das ein Irrglaube, eine irrgeleitete Fantasie.

Ich habe auch ein Privatauto. Aber ehrlich gesagt, für mich ist das wirklich nur ein Klotz am Bein. Es ist teuer, es ist höchst ineffizient und belastet die Umwelt und die Mitmenschen.

(Zuruf)

Es ist letztendlich ein Zeichen dafür, dass Politik es nicht geschafft hat, alles, was die Kollegen vor mir gesagt haben, umzusetzen. Was Sie für den ländlichen Raum beschrieben haben, Kollege Scheurell, trifft ja zu. Aber es ist doch ein Armutszeugnis, dass man im ländlichen Raum ein Auto haben muss. Und das muss sich eben ändern.

(Beifall)

Ich will es einmal so zuspitzen: Die steigenden Pkw-Zahlen in diesem Land trotz sinkender Bevölkerung sind Ausdruck eines Politikversagens.

(Beifall)

Wenn den Menschen nichts anderes übrig bleibt, als ihre Mobilität über einen privaten Pkw zu sichern, wenn Haushalte sich genötigt sehen, zwei oder drei Pkw in ihrer Einfahrt stehen zu haben, dann läuft in der Mobilitätspolitik etwas gründlich falsch.

Denn es kann persönlich, volkswirtschaftlich und gesellschaftlich nicht der Weisheit letzter Schluss sein, dass wir knapp eine Tonne Elektronik, Metall und Kunststoff in Bewegung setzen, um in der Regel einen Menschen von A nach B zu bringen. Weiter sind wir offensichtlich - jedenfalls die Mehrheit - seit den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts nicht gekommen.

Wir GRÜNEN wollen nicht mehr und nicht weniger als eine komplette Mobilitätswende, und dazu stehen wir. Statt mit dem privaten Auto wollen wir Mobilität durch eine bestmögliche Kombination des Umweltverbundes garantieren, also Fußverkehr, Radverkehr, ÖPNV und Bahn.

Die Klimakrise macht dieses grundsätzliche Umsteuern nötiger als je zuvor. Die Digitalisierung macht es uns leichter, es umzusetzen.

Der Wunsch vieler nach lebenswerten Innenstädten, nach ländlicher Ruhe und einer Wiederaneignung des öffentlichen Raumes untersetzt dieses Vorhaben mit positiven Zukunftsbildern. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy, fordert entsprechend: Unsere Städte sind keine Parkplätze. Städte sind Orte zum Leben. Es sind Städte für Menschen und nicht Städte für Autos.

Aktuell hat sich Halle an der Saale daran gemacht, ein solch positives Zukunftsbild umzusetzen, und Pläne für eine autofreie, zumindest verkehrsberuhigte Innenstadt vorgelegt. Ich habe mir das angeschaut. Auch die „MZ“ hat großflächig darüber berichtet. Ich glaube, das ist der Weg in die Zukunft, und so muss unsere kommunale Verkehrspolitik aussehen.

(Beifall)

Die Mobilitätswende ist also verknüpft mit dem Anspruch einer Mobilitätsgarantie für alle und dem Verständnis, Mobilität als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge zu organisieren. Das heißt, Zielstellung ist es, trotz aller Unwuchten aufgrund der Coronakrise - mir ist auch bewusst, dass das jetzt noch eine größere Herausforderung ist - die Fahrgastzahlen im ÖPNV signifikant zu steigern.

Dafür braucht es eine klare Angebotsverbesserung. Denn Angebot schafft auch in diesem Politikfeld Nachfrage.

Wir wollen einen Sachsen-Anhalt-Takt, also einen mindestens stündlichen Takt von 5 Uhr morgens bis 22 Uhr abends in allen größeren Orten. Mir ist klar, dass das nicht in dieser Legislaturperiode und auch nicht in der nächsten Legislaturperiode umzusetzen ist.

Aber man braucht doch eine Vision, eine Zielrichtung, in die man das Land entwickeln will, damit man die Ressourcen, die man hat, dann auch in diesen Bereich investiert. Dass es bis dahin auch private Autos gibt - ich meine, ich bin ja nicht bekloppt. Ich will auch noch in die Altmark fahren und nachts zurückkommen. Aber wir müssen alles daran setzen, dass das nicht so bleibt.

(Beifall und Zurufe)

Des Weiteren geht es uns um den Ausbau von Mobilitätsstationen, um genau diesen Umstieg vom Auto in den Umweltverbund zu erleichtern, angefangen bei der Ausstattung der ÖPNV-Haltestellen mit Radabstellanlagen bis hin zu umfassenden Mobilitätsschnittstellen an Bahnhöfen und zentralen Haltepunkten.

Dort soll die gesamte Palette des Umweltverbundes zusammenlaufen, Buslinien getaktet mit dem Schienenverkehr, Bike-and-Ride-Angebote, Ladestationen für E-Autos und E-Fahrräder, Verleihsysteme für Fahrräder und Carsharing-Autos und im besten Fall eine angeschlossene Fahrradwerkstatt - das alles aus einer Hand.

Flexibel, selbstbestimmt und nachhaltig mobil ist man, wenn man je nach Bedarf das passende Verkehrsmittel wählen kann und am besten noch mit einem landesweit einheitlichen E-Ticket.

Das Verramschen des öffentlichen Raumes - jetzt will ich darauf noch einmal zurückkommen, weil wir vorhin über Parkgebühren und Kosten für Anwohnerparktickets geredet haben - muss ein Ende haben. Wir haben bei dem erwähnten VDV-Forum darüber gesprochen.

Ich kann mich sehr gut daran erinnern, dass sich selbst der Kollege Scheurell - ich war überrascht und wir waren, glaube ich, alle, die dort waren, ein wenig traurig, dass das jetzt so spät und so nebenbei kam - dafür ausgesprochen hat, dass wir genau dieses in die Hoheit der Kommunen geben, nach oben offen. Es soll also jede Kommune selbst entscheiden, wie hoch die Parkgebühr, wie hoch die Gebühr für Anwohnerparken ist. Daran kann ich mich erinnern. Ich war sehr positiv überrascht.

(Beifall)

Es muss sich aber auch ändern, dass dieses Mantra, fließender Verkehr mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h muss überall an allen Orten mindestens gewährleistet werden, aufhört. Ich glaube, um überhaupt noch fließenden Verkehr in Innenstädten zu haben und Verkehrssicherheit und Umweltgerechtigkeit gewährleisten zu können, müssen wir es umdrehen. Wir müssen in den Innenstädten Tempo 30 haben und als Ausnahme alles das, was darüber hinausgeht.

Zudem - das ist mein letzter Satz - müssen wir über eine Lkw-Maut für Landesstraßen und kommunale Straßen nachdenken. Ansonsten werden wir all das nicht finanzieren können. Wir müssen kommunale Mobilitätskonzepte aus den Einnahmen heraus, aus Parkraumbewirtschaftung, aus Lkw-Maut heraus finanzieren.

Und stopp, Frau Lüddemann. Sie haben jetzt schon 40 Sekunden von mir bekommen. Sie haben den letzten Satz angekündigt, und zwar vor drei Sätzen. Deshalb müssen wir jetzt leider stoppen. - Nun sind wir durch.

Aber, Frau Lüddemann, es ist nicht so schlimm, wie es sich anhört. Es gibt sage und schreibe bisher vier Fragestellungen. Ich rufe jeweils den Fragenden auf. Sie können sagen, ob Sie die Frage beantworten wollen. Dann können wir so weiter fortfahren. Der erste Fragesteller ist Herr Harms. Wollen Sie die Frage beantworten, Frau Lüddemann?

Darf ich sie erst hören?

Nein.

(Heiterkeit)

Die Katze müssen Sie im Sack kaufen.