Protokoll der Sitzung vom 20.11.2020

Beratung

Soforthilfeprogramm für Sachsen-Anhalts

Apotheken

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 7/6835

Einbringerin ist die Abg. Frau Zoschke. Sie können gleich nach vorn kommen. Sie haben das Wort. Bitte, Frau Zoschke.

Danke, Frau Präsidentin. - Werte Kolleginnen und Kollegen! Zu Risiken und Nebenwirkung lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker. - Wer kennt sie nicht, diese Worte. Wir alle verlassen uns darauf, in der Apotheke unseres Vertrauens nicht nur gut beraten und betreut, sondern auch kontinuierlich mit den notwendigen Medikamenten und Hilfsmitteln versorgt zu werden, und dies quasi rund um die Uhr.

Damit ist die Apotheke Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge und die Sicherung ihrer Existenz sollte uns allen am Herzen liegen. Auch und besonders in der im Frühjahr erlebten und gegenwärtig erneut auftretenden Pandemieentwicklung haben sich die Apotheken unseres Landes als wichtige und verlässliche Säulen des Gesundheitswesens gezeigt und haben zahlreiche Herausforderungen mit Bravour gemeistert.

(Zustimmung)

Alle Apotheken standen dafür ein, dass eine reibungslose Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten und Hilfsmitteln garantiert bleibt. Darüber hinaus sind auch gerade in den Anfangszeiten des Lockdowns die Apotheken sehr einfallsreich in die Versorgung mit Desinfektionsmitteln und anderen Schutzmaterialien eingestiegen.

Dabei ist ihre Lage insgesamt nicht gerade als rosig zu bezeichnen. Seit Jahren müssen sie sich mit der Konkurrenz, der Versandapotheke, herumschlagen, die scheinbar kostengünstiger für den Endverbraucher arbeitet. Sie haben, wie viele andere Berufsgruppen auch, Probleme bei der Nachwuchsgewinnung.

Wer eine Apotheke übernehmen möchte, der muss zwingend Pharmazie studiert haben. Und selbstverständlich müssen sich Apotheken etwas einfallen lassen, um tatsächlich in der Fläche auch weiterhin in hoher Qualität und Quantität versorgen zu können, insbesondere dort, wo Apotheken in der Zwischenzeit geschlossen wurden, im ländlichen Raum - aus welchen Gründen auch immer.

Hinzu kommt aktuell die Einführung des e-Rezepts, von uns allen gewollt. Dafür müssen Apotheken technisch ausgestattet, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geschult, die Verbindungen zu den niedergelassenen Ärzten stabilisiert und der technische Anschluss garantiert sein. Wir alle wissen um die weißen Flecken im Breitbandausbau und können erahnen, welche Herausforderungen vor den Apothekerinnen und Apothekern unseres Landes liegen.

Nun kam zum Ausgang des Sommers die Meldung, dass ein Apothekenrechenzentrum, nämlich die AvP Deutschland GmbH, Insolvenz angemeldet hat. Die Abrechnungsmodalitäten sind äußerst komplex und kompliziert. Keine Apotheke kann dies selbst und allein leisten. § 300 des SGB V ermöglicht es ihnen, sich für diese Aufgabe eines Rechenzentrums zu bedienen. Jede Apotheke geht einen Vertrag mit dem Rechenzentrum ihrer Wahl zur Abrechnung der Rezepte gegenüber den jeweiligen Krankenkassen der Versicherten ein.

Aufgrund dieser Verfahrensweise sind die Rechenzentren der finanzielle Vermittler zwischen Apotheke und Krankenkasse. Beide Partner müssen sich auf den ordnungsgemäßen Vollzug des Verfahrens verlassen können. Der Finanzfluss muss gesichert sein. Aktuell existieren in der Bundesrepublik noch 18 Rechenzentren, von denen 14 im Frühjahr des Jahres 2018 den Bundesverband Deutscher Apothekerrechenzentren gegründet haben.

Auch für 121 Apotheken in unserem Land sind die fälligen Abschlagszahlungen des Finanzdienstleisters Anfang September 2020 ausgeblieben. Am 15. September 2020 stellte die AvP Deutschland GmbH einen Insolvenzantrag, einen Tag später wurde das vorläufige Insolvenzverfahren, Anfang November 2020 das endgültige Insolvenzverfahren eröffnet.

Der Finanzdienstleister bedient gut 3 200 Apotheken; etwa 2 900 davon sind öffentlich, die anderen sind Krankenhausapotheken und Sanitätshäuser. Die Dienstleistungen für die Krankenhausapotheken und die Sanitätshäuser werden durch den Insolvenzverwalter weitergeführt; dieser Teil ist privatisiert worden. Die Leistungen für die Apotheken sind eingestellt worden. Diese unterliegen nun dem Insolvenzverfahren, und es ist offen, ob am Ende des Verfahrens noch genug Geld auf den Konten vorhanden ist, um alle betroffenen Apotheken in ihrer jeweiligen Schadenshöhe zu bedienen.

Von den 121 betroffenen Apotheken in unserem Land haben in der Zwischenzeit wohl 72 ihre Forderungen gegenüber dem Insolvenzverwalter beziffern können. Ich will hier noch einmal ausdrücklich betonen: Alle 121 Apotheken in unserem

Land sind unverschuldet in diese existenzbedrohende Lage geraten.

(Beifall)

Die sich daraus ergebene prekäre Situation für die betroffenen Apotheken muss durch uns, das Land, insbesondere die Landesregierung, anerkannt werden. Die einzige Schlussfolgerung daraus ist das Erfordernis des unverzüglichen Handelns der Landesregierung.

Doch was mussten die Apotheken und auch wir erleben? - Zunächst wurde erst einmal die Frage aufgeworfen: Sind wir überhaupt zuständig? Und wenn ja, wer? Wir halten diese Frage für eine rein akademische Frage; denn es muss uns allen um die Realisierung des Verfassungsgrundsatzes der gleichwertigen Lebensverhältnisse in unserem Land gehen. Dies bedeutet, auch dafür Sorge zu tragen, dass eine flächendeckende Beratung, Betreuung und Versorgung mit Medikamenten und Hilfsmitteln professionell garantiert bleibt.

Zum anderen haben sich die Apotheken bisher als wichtige tätige Säule des Gesundheitswesens bewährt. Ich erinnere uns alle noch einmal an das Stichwort Pandemie. Sie müssen - davon sind wir überzeugt - genau dann, wenn sie einmal Hilfe und Unterstützung benötigen, selbige auch von der Politik erhalten.

Wer sich dann vor Augen führt, wie teuer ein Medikament sein kann, zum Beispiel bei seltenen Erkrankungen oder in der Krebstherapie, der wird erahnen, dass es sich bei dem angemeldeten Finanzbedarf der bisher 72 Apotheken nicht nur um kleine Summen handelt.

Aus einer Kleinen Anfrage zu diesem Thema geht hervor, dass die vorläufige Gesamtschadenssumme für Sachsen-Anhalt aktuell bei 8 Millionen € liegt. Die gemeldeten Einzelschäden liegen zwischen 1 500 € und mehr als 1 Million €. Allerdings gibt es auch Apotheken, die ihren Liquiditätsbedarf noch nicht vollständig erfasst haben und bei denen noch nicht geklärt ist, ob sie die Lücke selbst schließen können. Genau aus diesen Gründen ist es dringend geboten, ein Soforthilfeprogramm, quasi einen Rettungsschirm, einzurichten, um durch das unbürokratische Bereitstellen von zinslosen Krediten oder anderen Formen diesen Apotheken den Fortbestand zu ermöglichen.

(Beifall)

Letztendlich müssen die Apotheken auch Rechnungen mit Großhändlern begleichen, Mieten, Löhne und Sozialversicherungskosten für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bezahlen. Dieser kleine Schritt ist eine kurzfristige Lösung des bestehenden Problems. Dass dies durchaus als eine der Möglichkeiten gesehen wird, zeigt unter ande

rem die Diskussion auf der Bundesebene. Bevor dort allerdings Entscheidungen getroffen werden, kann es für die Apotheken in unserem Land schon zu spät sein.

Aus dem bisher Gesagten ergibt sich selbstverständlich auch die Aufforderung, politisch dafür zu sorgen, dass ein Insolvenzverfahren eines Finanzdienstleisters, das für die Wirtschaftsexperten unter Ihnen selbstverständlich auch zur Marktwirtschaft dazugehört, im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge genau aus diesen Gründen von diesen Mechanismen ausgeschlossen wird.

Aus diesem Grund fordern wir die Landesregierung auf, eine Bundesratsinitiative zu forcieren, die im § 300 des Sozialgesetzbuchs V die insolvenzfeste Verwaltung der Fremdgelder durch das Rechenzentrum festschreibt. Schließlich geht es hierbei auch und insbesondere um die Mitgliedsbeiträge von Versicherten - um den Lieblingssatz der Krankenkassen zu zitieren.

Nicht zuletzt möchten wir, dass der Ausschuss für Arbeit, Soziales und Integration sowie der Ausschuss für Finanzen regelmäßig über das zeitnahe und unbürokratische Aufspannen des Rettungsschirms für die Apotheken des Landes informiert werden, nicht zuletzt deshalb, weil wir unter anderem mit dem Hebammenfonds - hierbei hat das Erarbeiten der Richtlinie beinahe länger gedauert als die Existenz des Fonds überhaupt - schlechte Erfahrungen gemacht haben. - Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall)

Vielen Dank, Frau Zoschke. Ich sehe keine Wortmeldungen. - Bevor wir in die Dreiminutendebatte einsteigen, wird Frau Ministerin Grimm-Benne für die Landesregierung sprechen. Frau Ministerin, Sie können nach vorn kommen. Sie haben das Wort, bitte schön.

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Unsere Apotheken im Land sind der Garant für den Erhalt der flächendeckenden Arzneimittelversorgung auf

dem aktuell guten Niveau. Wenn auch künftig Gemeinwohlpflichten wie Nacht- und Notdienste in dem aktuellen Umfang verfügbar sein sollen, kann dieser Grad der Versorgung nur durch Präsenzapotheken erhalten werden. Niemand außer der Apotheke vor Ort kann dies so leisten. Diese Apotheken vor Ort brauchen eine auskömmliche wirtschaftliche Basis und sichere Rahmenbedingungen.

Aus diesem Grund hat die Landesregierung umgehend Gespräche geführt, als die Insolvenz des Rezeptabrechnungszentrums AvP bekannt wurde. Bei AvP handelt es sich um ein rein privates Abrechnungszentrum. Am Markt sind aber auch genossenschaftlich organisierte Zentren etabliert.

Der Antrag der Fraktion DIE LINKE und auch die Antwort der Landesregierung auf deren Kleine Anfrage weisen die Betroffenheit richtig aus. Etwa ein Fünftel unserer knapp 600 Apotheken ist betroffen. Das nehmen wir ernst, das reden wir nicht klein und das macht uns auch Sorgen. Deshalb haben am Dienstag, dem 10. November 2020, der Ministerpräsident, meine Ministerkollegen Prof. Dr. Willingmann, mein Ministerkollege Michael Richter und ich selbst als Sozialministerin mit den Spitzen der Apotheker im Land virtuell geredet.

Erst Anfang November 2020, stellte sich dabei heraus, konnten die Apotheken im Land ihre Betroffenheit überhaupt in Gänze beziffern. Das hängt mit den Abrechnungsmodalitäten zusammen. Während Arzneimittelausgaben im laufenden Monat erstattet werden, erfolgt die Erstattung von Hilfsmitteln erst im Folgemonat. Das sehr konstruktive Gespräch zeigte: Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos für die Apotheken. Keine der Apotheken im Land musste bis heute Insolvenz anmelden.

Wir haben ausdrücklich noch einmal darum gebeten, uns die Apotheken zu benennen, die in eine wirkliche wirtschaftliche Schieflage gekommen sind. Bis heute konnten uns sowohl die Kammer als auch die Apotheker selbst das nicht benennen; sie alle waren bei der Videokonferenz dabei.

In einem Kraftakt - deswegen ist es vielleicht auch wichtig, das noch einmal deutlich zu machen - haben die Handelsbeteiligten den Ausfall auf breitere Schultern verteilt. Die Großhändler haben - anders als Sie das vorgetragen haben - die Forderungen der Apotheken beispielsweise ausgesetzt. Die Hausbanken, insbesondere die Ärzte- und Apothekerbank, haben Kredite zur Zwischenfinanzierung aufgelegt. Und - das ist ganz wichtig; das habe ich schon mehrfach gesagt - insbesondere die Kassen selbst, voran die AOK, haben ihr System umgestellt und sind zu einem anderen Abrechnungsmodus gewechselt. Die AOK hat weiter mitfinanziert, damit die Apotheken nicht monateweise vorfinanzieren mussten bzw. auf Außenständen hängen geblieben sind.

Deswegen ist es uns auch so wichtig zu sagen: Wir wollen natürlich auch auf der Bundesebene schauen, wie man das sicherer lösen kann. Denn die Apotheken sind wegen der Vielzahl der Abrechnungen im Grunde genommen auf ein solches Abrechnungszentrum angewiesen sind. Es soll geschaut werden, wie man sich vor solchen Insolvenzen bei den Abrechnungen besser schüt

zen kann. Deswegen hat das Bundesgesundheitsministerium - meine Zeit läuft davon - gesagt, sie prüfen das noch einmal und überlegen, ob sie ein entsprechendes Gesetzgebungsverfahren, wie Sie es in einem der Punkte angesprochen haben, ergreifen, damit das laufen kann.

Gestatten Sie mir noch einen Punkt. Es gibt im Augenblick nur ein Land, das ein Soforthilfeprogramm aufgelegt hat: Mecklenburg-Vorpommern. Wenn man sich dort aber das Kleingedruckte ansieht, stellt man fest: Sie steigen erst dann ein, wenn alle anderen Hilfemaßnahmen nicht greifen. Ich denke, auf diese Tippeltappeltour sollten wir uns nicht machen, wenn im Augenblick noch nicht einmal eine Apotheke gemeldet hat, dass sie von Insolvenz bedroht ist.

(Zuruf)

Ich glaube, das ist etwas, das wir nicht machen sollten. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung)

Vielen Dank, Frau Ministerin Grimm-Benne. Ich sehe keine Wortmeldungen. Ich muss aber feststellen, dass ich vorhin eine Wortmeldung übersehen habe.

(Unruhe)

- Dürfen wir hier weitermachen?

(Zuruf: Ja, bitte! - Heiterkeit)

Ich wollte gerade darauf hinweisen, dass ich vorhin eine Wortmeldung übersehen habe. Aber Frau Zoschke spricht zum Schluss noch einmal.

(Zuruf)