Das ist noch mal eine ganz andere Stufe als die Sachen, die Herr Ulrich Siegmund hier gesagt hat. Das möchte ich hier mal zur Kenntnis geben. Dann muss man hier auch alle gleich behandeln. Dann hätte hier nämlich schon vor Monaten und Jahren ein Ordnungsruf erfolgen müssen, wenn man uns „Nazis“, „Faschisten“ oder „Rassisten“ nennt. Das ist ausgeblieben. Deshalb bitte ich darum, dass ein Ordnungsruf auch in diesem Fall ausbleibt. - Vielen Dank.
Wir können in der Debatte fortfahren. Für die Landesregierung hat Herr Staatsminister Robra das Wort, sobald das Rednerpult desinfiziert worden ist.
Ich glaube, die Erörterung zwischen Herrn Siegmund und Herrn Kirchner haben wir jetzt vergessen. - Nein, nicht vergessen; das war nur im Lauf der Dinge etwas zu schnell.
- Ja, den Begriff finde ich jetzt auch nicht gut, Herr Striegel; das muss ich ganz ehrlich sagen. - Herr Robra, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, dass sich nach diesem Nachhutgefecht von AfD und LINKE der „Pulverdampf“ verziehen wird und wir etwas klarer sehen, wie die Lage ist.
Das Bundesverfassungsgericht arbeitet bereits. Das hat sich mittlerweile herumgesprochen. Für das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sind für die Landtage und die Landesregierungen Fristen zum 16. Dezember 2020, also auf morgen, in der Hauptsache dann zum 31. Januar 2021 gesetzt worden. Es besteht also offenbar die Bereitschaft, sich jetzt sehr zügig mit den Angelegenheiten zu befassen.
Es ist übrigens keine Klage gegen das Land Sachsen-Anhalt, sondern es sind mehrere Verfassungsbeschwerden, die jetzt erhoben worden sind. Ich denke, das Verfassungsgericht wird seinerseits sehr zur Versachlichung beitragen.
Wir haben in dieser Pandemie eine Lage wie nie zuvor. Das ist schon bei der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten deutlich geworden. Es ist deshalb gut, dass wir Verfassungsorgane im Land Sachsen-Anhalt haben, die alle handlungsfähig, die alle entscheidungsfähig sind und die diese Krise gemeinsam durchgestanden haben; das will ich gleich am Anfang hervorheben.
Auch die öffentlich-rechtlichen Anstalten erfüllen ihre Informationsaufgabe gerade jetzt in der Pandemielage in herausragender Weise. Da habe ich den Worten von Herrn Gebhardt nichts hinzuzufügen und habe nichts davon wegzunehmen. Die privaten Medien, der Partner im dualen System, verlassen sich ein bisschen darauf, dass die öffentlich-rechtlichen Anstalten das so abdecken. Sie können das auch tun, weil die öffentlichrechtlichen Anstalten verlässlich sind.
Ich will an dieser Stelle nicht in das große Loblied auf die öffentlich-rechtlichen Anstalten einstimmen. Es hat im Plenum und in den Ausschüssen nie einen Zweifel daran gegeben, dass wir die Öffentlich-Rechtlichen für notwendig halten, dass wir sie für herausragend wichtig halten, gerade in der Zeit der ergänzenden digitalen Medien, wie es das Bundesverfassungsgericht in seiner wegweisenden Entscheidung 2018 ja noch einmal hervorgehoben hat, als Lotse und Navigator in diesen kaum noch überschaubaren Mediennetzwerken agieren zu können. Das machen sie vorzüglich; das ist eine ihrer Aufgaben. Da gibt es auch nicht die geringsten Zweifel hier im Hause - mit Ausnahme der AfD, deren Standpunkt wir kennen und soeben noch mal sehr prägnant vorgetragen bekommen haben.
Wir alle wissen: Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind gleichwohl reformbedürftig. Bei allem Lob auf sie dürfen wir den Handlungsbedarf nicht übersehen. Auftrag und Struktur stehen auf der Agenda.
Der Zufall will es, dass gerade parallel zu dieser Landtagssitzung mein Kollege aus Sachsen und die Kollegin aus Rheinland-Pfalz, unsere beiden Vorsitzländer, gemeinsam zum Ausdruck gebracht haben, dass wir uns dieser Aufgabe in der Rundfunkkommission jetzt schwerpunktmäßig stellen wollen.
Ich persönlich bedauere es sehr, dass der Kompromiss zur Neuorganisation der Beitragsfestsetzung und zu Auftrag und Struktur, den wir Ende letzten Jahres in der Rundfunkkommission nach langen, langen Sitzungen und Abwägung unter
schiedlichster Positionen und Perspektiven darauf schon fast erzielt hatten, gescheitert ist - das gehört zur Wahrheit dazu - an einer Fraktion in mehreren Landtagen, die in diesem Landtag nicht vertreten ist und dann plötzlich die Reißleine zog, als wir fast schon einig waren. Deswegen musste dieses Modell ad acta gelegt werden.
Es hätte dazu geführt, dass wir jetzt gar nicht über eine Beitragsfestsetzung von 86 Cent hätten diskutieren müssen, sondern um eine deutlich geringere, denn es wäre vielleicht nur um zwei Jahre gegangen. Dann wäre vielleicht der Index gekommen und dann vielleicht wieder die KEF. Das gehört bedauerlicherweise der Vergangenheit an. Aber wir werden an dieser Stelle weiterarbeiten müssen.
Der Prozess, den wir jetzt hinter uns und mit Blick auf das Bundesverfassungsgericht in seinen verfassungsrechtlichen Auswirkungen noch vor uns haben, hat gezeigt, dass wir ein paar dysfunktionale Aspekte im System haben.
Es ist ja richtig, dass der Beitrag staatsfern festgesetzt wird. Aber an diese staatsferne Festsetzung knüpft sich ein politisch-parlamentarischer Prozess an, in dem der Landtag nur Ja sagen darf. Deswegen ist einer der Anträge - ich kenne bisher nur den Antrag des ZDF -, der jetzt im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gestellt wird, das Verfassungsgericht möge dem Landtag von Sachsen-Anhalt aufgeben, mit Ja zu stimmen. - Geht das so ohne Weiteres?
Alle haben an dieser Stelle ein Störgefühl. In diesem Fall ist es halt mal zum Schwur gekommen. Dies hätte früher schon passieren können. Ich erinnere mich lebhaft an die Debatten bis 2010 im Sächsischen Landtag. Danach hatten wir eine Phase, in der die Landtage nicht so gefordert waren. Das ist eine Frage, der man sich wird widmen müssen.
Wir haben einen weiteren Wertungswiderspruch. Wir beschließen in der Ministerpräsidentenkonferenz über den Beitrag im Prinzip mehrheitlich mit 13 gegen drei Stimmen, wie es die Geschäftsordnung der Ministerpräsidentenkonferenz erlaubt. Bei der Ratifikation oder bei der Unterzeichnung des Staatsvertrages brauchen wir dann wieder alle 16 Stimmen. Wie kommen wir also von der qualifizierten Mehrheit im Beschluss zur Einstimmigkeit im weiteren Verfahren?
Das ist eine Frage, mit der sich das Verfassungsgericht schon wiederholt beschäftigt hat und in Bezug darauf schon signalisiert hat, das müsse nicht so sein. Angesichts dessen, dass man im parlamentarischen Prozess mit qualifizierten Mehrheiten sogar die Verfassung ändern kann, frage es sich - so das Bundesverfassungsgericht vor vielen Jahren schon -, ob es ratsam sei, diese
Frage nun ausgerechnet einstimmig unter allen Ländern entscheiden zu müssen. Konsequenzen sind nicht gezogen worden, weder von uns noch vom Bundesverfassungsgericht. Aber der Prozess, wie er hier verlaufen ist, wirft die Frage auf.
Es steht auch die Frage im Raum, und zwar auch auf der Ebene des Verfassungsrechts: Ist es wirklich klug, dass das Abweichungsverfahren nur in jenem Moment geprüft und entschieden werden kann, in dem die Ministerpräsidenten die Frage entscheiden? - Der liegt in diesem Fall Monate zurück. Das war nämlich, wenn ich mich richtig erinnere, am 12. März dieses Jahres, als noch nicht mal die erste Welle so wirklich begonnen hatte.
Wie geht man damit um, wenn sich im Zuge der parlamentarischen Beratung die Lage so drastisch verändert, wie es hier der Fall gewesen ist? - Wir haben vorhin in der Regierungserklärung mit den Koalitionsfraktionen auch bei dem Beschluss über die neunte Eindämmungsverordnung gesehen, mit welcher Lage wir es zu tun haben. Die Wirtschaft beklagt sich. Die privaten Haushalte beklagen sich. Einkommensausfälle sind auf allen Ebenen zu erwarten. Wie geht man damit um?
Muss man dann sehenden Auges, weil es im März nicht möglich war, daran überhaupt zu denken, nach dem Motto „Augen zu und durch“ weiter verfahren? Oder öffnet sich da noch mal ein Fenster der Rückdelegation in die Ministerpräsidentenkonferenz? Im Moment ist es nicht so; das ist richtig. Wenn die anderen sagen „Wir verhandeln nicht“, dann verhandeln sie nicht, wobei ich sagen muss: Diese Bemerkung „Wir verhandeln jetzt nicht“ bezog sich auf den Monat Dezember.
Ab 1. Januar ist zunächst der aktuelle Vertrag gegenstandslos, liegt auf dem Tisch des Verfassungsgerichts, in das ich in jedweder Hinsicht uneingeschränktes Vertrauen habe. Parallel dazu wollen wir auf der Ebene der Rundfunkkommission über Auftrag und Struktur weiterreden. Natürlich müssen wir auch weiter darüber reden, wie in Zukunft die bedarfsgerechte Finanzierung für Auftrag und Struktur so festgesetzt werden kann, dass das, was absehbar war - es gibt ja das Motto „Alles, was möglich ist, passiert auch irgendwann“ - und jetzt eingetreten ist, in Zukunft verhindert wird.
In diesem Sinne läuft der Prozess inhaltlich weiter, aber natürlich mit viel größerer Gelassenheit. Manchmal hatte man in der Tat aufgrund der medialen Berichterstattung den Eindruck, wir würden uns mit nichts anderem mehr als dem Rundfunkbeitrag beschäftigen. All die, die das so empfunden haben, sollen wissen, wir haben uns in der Landesregierung, auch im Parlament, natürlich auch mit allen anderen Fragen intensiv weiter
beschäftigt, insbesondere mit den Fragen der Pandemielage. Nur: Bei der übergroßen Berichterstattung über das Thema „Rundfunkbeitrag“ kam das bedauerlicherweise nicht mehr ganz so zum Ausdruck.
Nun ist wieder mehr Gelegenheit, diese anderen Fragen in der Öffentlichkeit auch gemeinsam mit der Bevölkerung im Land so zu diskutieren, dass alle ein gemeinsames Verständnis für die Lage haben. - In diesem Sinne möchte ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit danken.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich habe zwei kurze Fragen. Die eine Frage ist diese: Herr Minister, Sie haben gerade noch einmal das Indexierungsverfahren geschildert. Gibt es da schon eine abgestimmte Position der Landesregierung? Wenn das in einer der nächsten Beratungen aufgerufen wird: Wie positioniert sich Sachsen-Anhalt dazu?
Als zweite Frage stand im Raum, ob man nicht die Möglichkeit nutzt - auch das wäre mit einem Entschließungsantrag möglich gewesen -, den nächsten KEF-Bericht in zwei Jahren, also nicht erst den eigentlich beitragsrelevanten in vier Jahren, sondern den Zwischenbericht in zwei Jahren beitragsrelevant zu machen, sodass man dann jetzt nur einen Beitrag nicht für vier, sondern logischerweise nur für zwei Jahre beschlossen hätte. Wir hätten in zwei Jahren dann auch die Coronapandemie mit ihren Auswirkungen einpreisen können. Wie steht die Landesregierung SachsenAnhalt zu der Forderung, diesen KEF-Bericht in zwei Jahren beitragsrelevant zu machen?
Zunächst zu der Frage der Indexierung. Ich weiß nicht, ob Sie sich noch an das Modell erinnern. Es war eine kluge Mechanik. Zwei Jahre KEF, weil es schon im laufenden Verfahren war, dann zwei Jahre Index. Wir sind nicht mehr dazu gekommen, uns auf den geeigneten Index zu verständigen. Die Verbraucherpreisentwicklung wäre nicht geeignet gewesen. Man hätte daran wieder weiterarbeiten müssen. Dann aber wieder KEF. Damit hätte man zugleich dieses Pendeln zwischen Überdeckung des Bedarfs - bekanntlich beihilferechtlich problematisch und mit dem Beihilfekompromiss der Europäischen Kommission nicht vereinbar - oder Unterdeckung des Bedarfs vermieden, der sich theoretisch beim Index auch mal
ergeben könnte, was bekanntlich verfassungsrechtlich nicht geht. Durch die alle zwei Jahre wieder stattfindende Begutachtung durch die KEF hätte man das jedes Mal wieder auspendeln können.
Das findet nach wie vor meine uneingeschränkte Unterstützung. Aber, wie gesagt, es war eine Reihe von Kollegen aus anderen Parteien, die hier nicht vertreten sind, die in der jeweiligen Landesregierung die Reißleine gezogen haben. Es steht auf der Tagesordnung und ich bin selber gespannt, ob wir das hinkriegen.
Der 23. KEF-Bericht, an dem die KEF bereits arbeitet - sie hat ja die Anstalten schon gebeten, ihre Finanzlage darzustellen -, ist so, wie das Verfahren jetzt gestaltet ist, nicht geeignet. Das ist nach dem Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag immer nur ein Zwischenbericht, der stattfindet.
Wir haben - das ist richtig - infolge dieser Zwischenberichte auch schon einmal Beitragsentscheidungen getroffen, nämlich damals bei dem Umstieg von der Gebühr auf den Beitrag.
Für das Abweichungsverfahren ist es deshalb nicht geeignet, weil die Abweichungsbefugnis in dem System, wie wir es im Moment haben und das ich nicht in jeder Hinsicht rational finde, nur bei den Ministerpräsidenten liegt.
Die KEF beschäftigt sich mit der gesamtwirtschaftlichen Lage und der Lage der öffentlichen Haushalte. Das sind die beiden Parameter, die sie in ihre Begutachtung einbeziehen kann. Ob das dann trägt, um abweichen zu können, entscheiden die Ministerpräsidenten, sicherlich auf der Grundlage der KEF, in ureigener Befugnis.
Es ist ja nicht ausgeschlossen, dass es jetzt auch in diesem 23. Bericht am Ende Abweichungsempfehlungen gibt, also ohnehin eine Neufestsetzung des Beitrags. Aber vorgreiflich ist jetzt im Moment - das sollte jedem bewusst sein - das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, das vielleicht auch noch auf kluge Ideen kommen kann.
Einerseits gibt es Entscheidungen des Verfassungsgerichtes, an denen man immer wieder merkt, dass sie so ganz glücklich mit dem, was sie haben, nicht sind. Andererseits bedeutete das bisher immer die Rückdelegation auf die Länder, bei denen dieses Einstimmigkeitsprinzip natürlich immer auch ein Inhibitor ist. Man kommt nicht weiter, wenn jemand nein sagt. Insofern bin ich sehr gespannt, wie das Verfassungsgericht bei der Auszeichnung dieser Linien weiter verfährt.
Sehr geehrter Herr Staatsminister Robra, Sie haben einige wirklich wichtige Aspekte angesprochen, die mir bislang in der Diskussion über diesen Staatsvertrag zu kurz gekommen sind.
Halten Sie es darüber hinaus - ich sage ausdrücklich „darüber hinaus“ - nicht auch für zwingend notwendig, wenn man sich so wie die CDU-Fraktion beispielsweise und andere auch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Zukunft bewahren möchte, dass Politik und Intendanzen, also die Verantwortlichen in den öffentlich-rechtlichen Sendern, die Frage der Akzeptanz und Relevanz auf den Tisch packen?
Ich frage das, weil wir jetzt schon erleben, dass unsere Kinder und Enkelkinder ganz anders groß werden und leben, als wir aufgewachsen sind und es jetzt praktizieren. Beispielsweise haben sie häufig kein Abo einer Tageszeitung, sie leben ohne den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, sondern sie haben Firesticks und andere mögliche Bezahlangebote. Wenn man zu den Kindern kommt und will die „Tagesschau“ gucken, dann müssen sie erst eine App herunterladen, weil es keine Relevanz für sie hat.
Manche Sendeformate haben in der Bevölkerungsgruppe der unter 30-Jährigen weniger als 4 % Marktanteil. Wenn man also Akzeptanz und Relevanz für die nächsten Generationen sichern will, damit sie das Instrument der ÖffentlichRechtlichen bewahren und fortentwickeln, glauben Sie dann, dass die Politik und die Verantwortlichen in den öffentlich-rechtlichen Anstalten eine Reform bzw. eine Verbesserung oder Restrukturierung so hinbekommen, dass auch die neueren, die jüngeren Generationen sagen: Jawoll, das wollen wir auf keinen Fall missen, das ist unseres? Glauben Sie, wir bekommen das hin?