Protokoll der Sitzung vom 28.10.2016

Ich will auf ein, zwei Dinge kurz eingehen. Das erste Problem: Wir brauchen für diese Debatte nicht den Eindruck, wie ihn der Kollege Richter vom Deutschlandfunk reflektiert hat:

(Frank Scheurell, CDU: Das stimmt!)

Elite, Schnittchen, Empfänge, man fühlt sich wohl, und der Ministerpräsident geht mit gekrönten Häuptern im Wochenrhythmus durch die Stadt Wittenberg und freut sich.

(Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Das ist auch sehr kurz gegriffen!)

Dieser Eindruck darf nicht bestehen bleiben.

(Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Das ist auch falsch!)

Wir müssen darüber diskutieren, was uns dieses Reformationsjubiläum heute bedeutet. Dazu will ich nur eines sagen. Wir brauchen eine kritische Reflexion dessen, was dort kommt. Wir brauchen auch eine Debatte, wie sie zum Beispiel innerhalb der Kirchen geführt worden ist: Religion und Toleranz nach der Reformation. Diese Debatte ist innerhalb der Kirchen geführt worden, aber eben nicht in der Gesellschaft.

Ich will noch einmal klar sagen: Natürlich haben wir Herrn Luther und den Reformatoren viel zu verdanken, Toleranz war es aber nicht - um das klar zu sagen.

(Beifall bei der LINKEN)

Toleranz war es nicht. Das war die Leistung der Aufklärung.

Wenn wir sagen, mit dem entsprechenden Friedensvertrag im Jahr 1555 darf nun jeder seine Religion haben, ob katholisch oder lutheranisch, aber er hat gefälligst in dem Gebiet zu wohnen, in dem der Fürst seine Religion hat, dann ist das

nicht nur eine historische Debatte. Diese Debatte kennen wir 500 Jahre später auch.

(Beifall bei der LINKEN)

Zum Beispiel sagt der Innenminister dieses Landes: Der Islam gehört nicht zu Deutschland.

(Beifall bei der AfD - André Poggenburg, AfD: Jawohl!)

Sind wir heute nicht weiter als im Jahr 1555? - Doch. Wir müssen weiter sein und deswegen brauchen wir eine kritische Reflexion der Reformation, liebe Kolleginnen und Kollegen, und diese ist bisher ausgeblieben.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben ein zweites Problem. Luther ist das eine, aber auch die Lutherreflexion hat eine 500-jährige Geschichte. Luther ist im Zeitwandel durchaus unterschiedlich reflektiert worden.

Die dominanteste Lutherreflexion, die sich bis heute leider relativ stabil hält, ist die preußischwilhelminische Reflexion des 18./19. Jahrhunderts. Dies war keine Reflexion, sondern eine lutheranische Heldenverehrung. Deswegen kann ich Schorlemmer nur zustimmen, wenn er bei der Restaurierung der Schlosskirche ausdrücklich die Reproduktion des wilhelminischen Glanzes gegenüber Luther kritisiert. Das ist die fehlende Auseinandersetzung und sie wird dann auch ganz konkret.

Innerhalb der Kirchen hat man sich mit dem Antisemitismus von Luther auseinandergesetzt. Die Synode der EKD hat dazu eindeutige Position bezogen. In der öffentlichen Debatte über das Reformationsjubiläum spielte der Antisemitismus von Luther aber keine Rolle. Das ist uns jetzt auf die Füße gefallen bei der Diskussion über die sogenannte Judensau an der Lutherkirche, die es an 30 verschiedenen anderen Orten auch gibt. Aber eine öffentliche Auseinandersetzung, die uns glaubwürdig in Distanz zu seinem Antisemitismus bringt, hat es nicht gegeben.

Bei der Einweihung der Schlosskirche hat nicht ein einziger Vertreter auch nur ein Wort über den Antisemitismus von Luther verloren. Das sind die Versäumnisse, die jetzt repariert werden müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN - Siegfried Borg- wardt, CDU: Aber das haben die Kommu- nisten in den 80ern auch nicht gemacht!)

Ich will abschließend sagen, eine zweite kritische Debatte ist vollständig ausgefallen, und zwar, dass Luther zwar sehr viel für die Befreiung aus den ideologischen Zwängen der Papstkirche getan hat, aber zu einer anderen Befreiung, nämlich zur sozialen Befreiungsbewegung der Bauern

gegenüber den Fürsten, und zwar egal ob katholisch oder protestantisch, hat er eine große Distanz gehabt. Diese hat er sogar verurteilt. Er hat Reden geschwungen, die man nur mit schlimmsten Mord- und Gewaltfantasien bezeichnen kann. Dazu findet keine kritische Debatte statt, und eigenartigerweise verschwindet in der öffentlichen Wahrnehmung deswegen auch ein anderer Reformator, den es in Sachsen-Anhalt gegeben hat,

(Robert Farle, AfD: Thomas Müntzer!)

- genau -, nämlich Thomas Müntzer. Er verschwindet vollständig.

(Beifall bei der LINKEN)

Warum? - Für ihn stand die soziale Frage im Mittelpunkt der Reformation.

Werter Herr Gallert, kommen Sie bitte zum Ende.

Damit wir uns nicht missverstehen. Das war kein Held. Er hatte genau dieselben Fehler wie Luther.

Sehr geehrter Herr Gallert, kommen Sie bitte zum Schluss!

Aber ihn zu verstecken und verschwinden zu lassen, das ist nicht in Ordnung. - Das tue ich natürlich, Frau Präsidentin, aber Sie merken, das Thema regt an.

(Heiterkeit bei der LINKEN)

Insofern will ich am Ende des Tages sagen: Natürlich gibt es auch positive Ansätze. Gerade in Mansfeld-Südharz versucht man mit wenig Geld, die Dinge von unten zu diskutieren. Ich hoffe, dass wir in einem Jahr hier stehen und eine positive Bilanz ziehen werden. Diese darf sich nicht in Übernachtungszahlen und netten Häppchen erschöpfen. - Danke, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Starker Beifall bei der LINKEN)

Es gibt zwei Nachfragen.

(Dr. Hans-Thomas Tillschneider, AfD: Drei! - Siegfried Borgwardt, CDU: Ich wollte eine Zwischenintervention machen!)

- Eine Zwischenintervention von Herrn Borgwardt und dann die beiden Fragen. Bitte.

Da er auf meinen Zwischenruf nicht reagiert hat.

Ich habe ihn nicht gehört.

Ich weiß nicht, ob Sie damals schon so affin waren. Wir hatten auch einmal eine Lutherehrung zu DDR-Zeiten.

Sie hat sich übrigens im Wesentlichen nicht von der unterschieden, die wir jetzt haben.

(Heiterkeit bei der LINKEN)

Das muss ich einmal ganz deutlich sagen, Kollegen, ganz ruhig. Es wurden die Fassaden vorne angepinselt.

Jetzt komme ich zu dem Problem, das Sie genannt haben. Sicherlich, es gibt den Widerspruch. Er ist auch sehr gut deutlich gemacht worden in einer Ausstellung in der Lutherhalle zum Antisemitismus. Daran kann ich mich sehr gut erinnern, Das war allerdings in den 90er-Jahren.

(Andreas Schumann, CDU: War in Magde- burg auch!)

Jetzt komme ich zu dem Problem. Man kann der DDR alles Mögliche nachsagen, aber dass sie sich für Antifaschismus eingesetzt hat, ist, glaube ich, unstrittig.

Trotzdem haben im Jahr 1983 genau diese Dinge, die Sie eben angesprochen haben, auch die Kommunisten ausgeblendet. Es gab keine Auseinandersetzung mit der Judensau.

(Unruhe - Sebastian Striegel, GRÜNE: Das macht es nicht besser!)