Ich begrüße Sie recht herzlich zu unserer heutigen 20. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt der siebenten Wahlperiode.
Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest. Sehr geehrte Damen und Herren! Wir setzen nunmehr die 10. Sitzungsperiode fort. Wir beginnen die heutige Beratung mit dem Tagesordnungspunkt 6 a), b) und c), mit der Aktuellen Debatte, zu der uns drei Themen vorliegen.
Bevor wir beginnen, möchte ich Sie nochmals bitten, den Geräuschpegel zu senken, damit nachher niemand sagt, er habe mich nicht verstanden. Die parlamentarischen Geschäftsführer haben sich darauf geeinigt, über den Tagesordnungspunkt 21 nach dem Tagesordnungspunkt 18 zu beraten. Gibt es dagegen Widerstand? - Das ist nicht der Fall, weswegen wir so verfahren werden. - Vielen Dank.
Die Redezeit beträgt je Fraktion zehn Minuten. Die Landesregierung hat ebenfalls eine Redezeit von zehn Minuten.
Zunächst hat die Antragstellerin SPD das Wort. Es spricht der Abg. Herr Erben. Sie haben das Wort, Herr Erben.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie ein Brandbeschleuniger für das Gefühl wachsender Unsicherheit und den Vorwurf des Kontrollverlustes des Staates wirkten die Terroranschläge der Jahre 2015 und 2016. Die Attentate in Frankreich, Belgien und jüngst auch in Deutschland haben deshalb das Thema Sicherheit ganz oben auf die politische Agenda rücken lassen.
Sicherheit, soziale wie öffentliche Sicherheit, ist einer der zentralen Wertebegriffe demokratischer Gesellschaften. Nur Reiche können sich einen schwachen Staat leisten. Sie können Sicherheit ebenso privat finanzieren wie die Schulen ihrer Kinder oder auch ihre medizinische Versorgung. Der Durchschnittsbürger ist in all diesen Lebensbereichen stattdessen auf einen handlungsfähigen Staat angewiesen.
Ohne Sicherheit für Leib und Leben und auch für das hart erarbeitete persönliche Eigentum ist alles andere nichts. Deshalb bedingen soziale Sicherheit und eine friedliche, freiheitliche und sichere Gesellschaft einander.
Meine Damen und Herren! Es gibt ein Bürgerrecht auf Sicherheit. Es stimmt zwar, dass unsere Verfassung formal kein spezielles Grundrecht auf persönliche Sicherheit gibt, aber die Grundrechte unserer Verfassung konstituieren trotzdem ein Bürgerrecht auf Sicherheit.
Am Anfang einer ehrlichen Diskussion muss aber auch die Erkenntnis stehen, dass die zentrale Aufgabe der Sicherheitsbehörden nur darin bestehen kann, Unsicherheiten zu reduzieren. Es kann jeden von uns treffen, und die Bedrohungen sind vielfältig. Es sind die Gefahren, die von islamistischen Terroristen ausgehen. Auch der NSU hat gezeigt, zu welchen Taten Rechtsterroristen fähig sind. Klar wurde jüngst auch, dass die Reichsbürger eben nicht nur Spinner sind, sondern auch bereit sind, Menschen umzubringen.
Doch absolute Sicherheit, einen totalen Schutz gegen Anschläge gibt es in einer offenen Gesellschaft nicht. Deswegen ist es mindestens genauso wichtig, die innere Stabilität unserer Gesellschaft zu stärken, damit sie sich auch bei einer wachsenden Bedrohungslage nicht aus dem Gleichgewicht bringen lässt. Dazu gehören gute und lebendige Städte, Beschäftigung zu sichern, Kultur zu fördern, soziale Sicherheit zu gewährleisten und in Bildung zu investieren. All das ist mindestens genauso wichtig wie die Verbesserung der Sicherheitsarchitektur.
Die Aufgabe der Prävention fehlt in der Sicherheitsdebatte der letzten Wochen leider weitgehend. Sie ist nicht nur in der klassischen Kriminalitätsbekämpfung, wie der Jugendkriminalität, von
enormer Bedeutung, sondern sie muss auch einen deutlich größeren Stellenwert im Kampf gegen den Terrorismus erhalten.
Im Kleinen gilt dabei: Jugend- und Sozialarbeit ist auch in Flüchtlingsunterkünften dringend notwendig. Programme hierfür gibt es, Geld auch. Doch wir müssen mit diesen Programmen auch die jungen Leute erreichen, bevor es andere tun und diese in der Lage sind, die jungen Leute zu radikalisieren.
Im Großen finde ich zum Beispiel den Vorschlag von Bundesaußenminister Sigmar Gabriel sehr überlegenswert. Er weist darauf hin, dass die Amerikaner im Kalten Krieg das Radio „Free Europe“ als Propagandazentrale gegen den kommunistischen Osten benutzten. Er regt an, dass es vielleicht ein großes Ziel wäre, ein finanziell und personell starkes demokratisch kontrolliertes
Netzwerk zu schaffen, um auch kulturell und intellektuell den Kampf gegen den islamistischen Terror aufzunehmen.
Ich will betonen: Wir müssen die Aktuelle Debatte über die repressiven Zuständigkeiten des Staates um die präventiven Zuständigkeiten erweitern.
Wenn wir beides wollen, also den Kampf gegen Gewalt und Terror und die Vorbeugung sowie Stärkung des inneren Zusammenhaltes der Gesellschaft, dann müssen wir auch beides voranbringen.
Meine Damen und Herren! Es wird Sie nicht verwundern, dass ich die Handlungsfähigkeit des Staates gegen Gewaltträger und Terroristen besonders betone. Mit Blick auf die Debatte, die in den letzten Wochen in Deutschland geführt worden ist, könnte man meinen, die deutschen Sicherheitsbehörden seien in weiten Teilen Ansammlungen voller Nichtskönner und Naivlingen. Aber genau das ist nicht der Fall.
Die deutschen Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern sind gerade im Bereich der Terrorismusabwehr schlagkräftig. Hiervon zeugen zahlreiche verhinderte Attentate seit dem Jahr 2001. Erst am Mittwoch dieser Woche wurde dies mit den Maßnahmen gegen terroristische und salafistische Gruppierungen in Hessen und Berlin deutlichst unter Beweis gestellt.
Das alles gelang durch eine im Wesentlichen sehr gut funktionierende Zusammenarbeit zwischen der Polizei einerseits und den Nachrichtendiensten andererseits, und das auch zwischen den Behörden des Bundes und der Länder. Dafür wurde vor einigen Jahren extra das Gemeinsame Terrorabwehrzentrum in Berlin geschaffen.
Ja, der Terrorist Anis Amri hätte durch konsequenteres Handeln möglicherweise rechtzeitig gestoppt werden können.
Das ist jedoch kein Grund, jetzt die deutsche Sicherheitsarchitektur völlig infrage zu stellen. Erstens. Die Sicherheitsbehörden in Frankreich beispielsweise sind zentralistisch wie kaum in einem anderen europäischen Land organisiert und haben die Terrorakte trotzdem nicht verhindern können.
Deutschland arbeiten jetzt seit Jahren unter Volllast. Sie jetzt in Strukturdebatten zu stürzen, wäre einfach nur unverantwortlich. Deswegen ist jetzt Feinarbeit gefragt und nicht Totalumbau.
Nach meiner Einschätzung muss es wegen der völlig veränderten Bedrohungslage natürlich auch um die Verbesserung der Handlungsfähigkeit der Sicherheitsbehörden gehen. Ich will an dieser Stelle einige Punkte nennen. Ich nenne beispielhaft die Vereinheitlichung der Datensysteme der Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern. Ich nenne weiterhin natürlich den Grundkonflikt, den es zwischen der Arbeit der Nachrichtendienste und der der Polizei gibt, nämlich die Frage: Wie lange schaut ein Nachrichtendienst zu, bis die Polizei zugreift?
Dazu gehört auch die Frage: Wie hoch darf Quellenschutz bewertet werden und dabei der Informationsfluss für die Polizei im Bereich der Gefahrenabwehr behindert werden? Ich bin der Meinung, der Quellenschutz muss zurücktreten, wenn es um Gefahrenabwehr geht.
Wir brauchen zudem eine Form des Datenschutzes. Es dauert noch immer viel zu lange, bis beispielsweise eine Sicherheitsbehörde mit einem Lichtbild aus dem Einwohnermeldeamt einer Kommune umgehen kann. Das muss deutlich schneller und unkomplizierter passieren.
Dazu gehört auch die Debatte über die Videoüberwachung öffentlicher Plätze. Wenn man sich mit den Menschen draußen unterhält, stellt man fest, dass kaum noch einer nachvollziehen kann, warum wie selbstverständlich in privat beherrschten Bereichen, in Kaufhäusern, in Tankstellen, überall Videoüberwachung stattfindet, Polizeibehörden das aber nur unter erheblichen Schwierigkeiten tun können, wenn dasselbe im öffentlichen Raum stattfindet.
Weichenstellungen vorgenommen, damit nicht nur spezialisiert und unsichtbar gearbeitet werden kann, sondern auch öffentliche Präsenz Sicherheit, auch Sicherheitsgefühl, schafft.
Soweit es zur Verbesserung der Handlungsfähigkeit der Sicherheitsbehörden hier in Sachsen-Anhalt gesetzgeberischen Handlungsbedarf gibt, erwarte ich die Vorschläge der Landesregierung, die wir hierzu im Landtag diskutieren dürfen.
Auf zwei Punkte will ich eingehen. Einer davon ist auch ausdrücklich im Landesrecht zu regeln. Ich halte es für unbedingt erforderlich, dass die im BKA-Gesetz nunmehr vorgesehene sogenannte elektronische Fußfessel auch in unserem Polizeigesetz verankert wird. Erstens ist es so, dass die denkbaren Fälle für die Anwendung selbiger im Bereich der Gefährder nun einmal nicht in die Befugnisse des BKA fallen, sondern in den Zuständigkeitsbereich der Länderpolizeien.
Zweitens: Es wäre doch ein Witz, wenn sich Gefährder und deren Behandlung letztlich danach unterscheiden würden, in welchem Bundesland sie ihren Wohnsitz haben. Dann würden in einem Bundesland, wie in Bayern, die Regelungen gelten, in Rheinland-Pfalz auch, in Sachsen-Anhalt möglicherweise nicht. Deswegen erscheint es mir selbstverständlich zu sein, dass wir eine entsprechende Änderung auch bei uns vornehmen.