Protokoll der Sitzung vom 05.04.2017

Sehr geehrte Damen und Herren! Hiermit eröffne ich die 23. Sitzung des Landtages von SachsenAnhalt der siebenten Wahlperiode. Dazu möchte ich Sie, verehrte Anwesende, auf das Herzlichste begrüßen.

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Ich komme zu den Entschuldigungen von Mitgliedern der Landesregierung. Mit Schreiben vom 29. März 2017 bat die Landesregierung, für die 12. Sitzungsperiode folgende Mitglieder zu entschuldigen:

Ministerpräsident Herr Dr. Haseloff sowie Staats- und Kulturminister Herr Robra entschuldigen sich am Donnerstag ganztägig wegen ihrer Teilnahme an der 44. Regionalkonferenz der Regierungschefs der ostdeutschen Länder in Bad Muskau.

Minister Herr Prof. Dr. Willingmann entschuldigt sich am Donnerstag ab 15 Uhr und am Freitag ganztägig wegen der Teilnahme an der Vorbesprechung der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz in Berlin.

Minister Herr Webel entschuldigt sich am Freitag von 13 Uhr bis 16 Uhr wegen der Teilnahme an einer Beerdigung.

Mit Schreiben vom 4. April 2017 teilte Staats- und Kulturminister Herr Robra nachträglich seine Abwesenheit für die heutige Sitzung wegen der Vorbesprechung der 44. Regionalkonferenz der Regierungschefs der ostdeutschen Länder in Bad Muskau mit.

Zur Tagesordnung. Sehr geehrte Damen und Herren! Die Tagesordnung für die 12. Sitzungsperiode des Landtages liegt Ihnen vor. Mir ist signalisiert worden, dass die parlamentarischen Geschäftsführer sich darauf geeinigt hätten, den Tagesordnungspunkt 21 - Bahnhof Köthen sichern - am heutigen Tage nach Tagesordnungspunkt 13 vor der Fragestunde zu behandeln. Gibt es hierzu Bemerkungen oder Änderungsanträge? - Herr Gebhardt, bitte. Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Die parlamentarischen Geschäftsführer aller Fraktionen sind auch darin übereingekommen, die Reihenfolge der Behandlung der Tagesordnungspunkte 18 und 19 am morgigen Tag zu tauschen, also erst der Tagesordnungspunkt 19 - Weiterentwicklung der Eliteschulen des Sports in Magdeburg und

Halle (Saale) - und dann Tagesordnungspunkt 18 - Kapitalerträge gerecht besteuern.

(Minister Marco Tullner: Und warum? - Ste- fan Gebhardt, DIE LINKE: Begründung er- folgt schriftlich!)

Vielen Dank, Herr Gebhardt. - Gibt es hierzu Widerspruch? - Das sehe ich nicht. Dann können wir so verfahren.

Wir steigen somit ein in den

Tagesordnungspunkt 1

Beratung

a) Einsetzung eines Parlamentarischen Unter

suchungsausschusses

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 7/1138

Änderungsantrag Fraktionen CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 7/1203

b) Besetzung des 16. Parlamentarischen Un

tersuchungsausschusses

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 7/1179

Antrag Fraktionen CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 7/1213

Antrag Fraktion AfD - Drs. 7/1207

Einbringer zu a) wird der Abg. Herr Knöchel sein. Sie haben das Wort, Herr Abgeordneter.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen, meine Herren! Alle, die in diesem Plenarsaal sitzen, wurden durch freie, gleiche und geheime Wahlen legitimiert; zum einen die Mitglieder des Landtages, die direkt gewählt wurden, zum anderen der Ministerpräsident, der seine Legitimation indirekt aus der Wahl durch das Parlament bezieht und mit diesem Recht wiederum Minister ernennt.

„Alle Staatsgewalt geht vom Volk aus“, so steht es im Grundgesetz. So steht es auch in unserer Landesverfassung. Mehr noch, das Grundgesetz verlangt, dass auch in den Kreisen und Gemeinden das Volk eine Vertretung haben muss, die aus allgemeinen, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgeht. Dieser Grundsatz der Volkssouveränität ist unabdingbarer Bestandteil des Demokratieprinzips, das unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung trägt.

Und ja, jeder in diesem Raum dürfte hin und wieder mit dem einen oder anderen Wahlergebnis

unzufrieden gewesen sein. Aber es muss einen Grundkonsens hierbei geben: Was am Wahltag entschieden wurde, ist zu akzeptieren. Diese Entscheidung ist Grundlage für die Tätigkeit dieses Hohen Hauses oder eben für unsere Kommunalvertretungen. Es gibt keine Alternativen zu allgemeinen, freien, gleichen und geheimen Wahlen.

Damit dieser Grundkonsens stabil bleibt, müssen Wahlergebnisse über jeden Zweifel erhaben sein. Sie müssen das abbilden, was die Bürgerinnen und Bürger, jeder einzeln für sich in der Wahlkabine, entschieden haben. Um das sicherzustellen, finden die geheimen Wahlen öffentlich statt. Das ist kein Widerspruch. Der Publizitätsgrundsatz sichert, dass alle Handlungen zur Vorbereitung, Durchführung und Auszählung von Wahlen und zur Feststellung des Wahlergebnisses vor den Augen der Öffentlichkeit geschehen; geheim ist nur der Wahlakt.

Dieses Verfahren ist der Grund, dass ich feststellen kann: Wahlen in Deutschland bilden den Willen der Wählerinnen und Wähler ab. Parlamente und Institutionen können darauf vertrauen, für ihr Tun legitimiert zu sein.

Das heißt nicht, dass Wahlen in Deutschland fehlerfrei ablaufen. Überall dort, wo Menschen tätig sind, passieren Fehler. Das Gesamtsystem ist aber so angelegt, dass Fehler erkannt und bereinigt werden können. Selbst Manipulationsversuchen hält dieses System grundsätzlich stand. So auch bei der Europawahl in Halle, wo es in gleich zwei Wahllokalen zu Unregelmäßigkeiten kam. In dem einen wurden die Wahlergebnisse vom Wahlleiter nach Gutdünken in das Protokoll eingetragen. In dem wurden anderen die Stimmen der LINKEN einer anderen Partei zugeschlagen. Beide Vorgänge wurden wegen des Publizitätsgrundsatzes erkannt und noch vor der Feststellung des endgültigen Wahlergebnisses korrigiert.

Zu Korrekturen in größerem Umfang kam es auch nach der Landtagswahl 2016, bei der Zähl- und Übermittlungsfehler auch Auswirkungen hatten - Auswirkungen, die meiner Fraktion sicher nicht gefallen haben, aber auch hierbei war klar: Ein Wahlergebnis, auf das alle Bürgerinnen und Bürger vertrauen können, geht der eigenen Zufriedenheit vor.

Zu dem von mir genannten Publizitätsgrundsatz gehört nicht nur, dass die Wahlhandlungen öffentlich erfolgen, sondern dass sie auch eine breitere Öffentlichkeit durch eine funktionierende freie Presse, die berichtet und hinterfragt, erfahren. Im Falle des heute zur Rede stehenden Wahlskandals in Stendal war es eben jene gut funktionierende freie Presse, die es uns ermöglicht hat, heute hier über diesen ungeheuerlichen Vorgang zu verhandeln.

Es ist der Beharrlichkeit des Journalisten Rath zu verdanken, der sich mit seinen Fragen nicht abwimmeln ließ, Fragen, die sich aufdrängten, Fragen, die sich auch die Wahlbehörden hätten stellen müssen.

Man könnte es als Beleg für eine funktionierende Demokratie nehmen, dass die Fälschung aufgedeckt wurde. Man kann es aber auch als Armutszeugnis für die am Wahlfeststellungsverfahren Beteiligten nehmen, wie schleppend mit dieser Erkenntnis umgegangen wurde. Dabei stand nicht die Aufklärung drängender Fragen im Mittelpunkt, sondern die Vermeidung eben jener Aufklärung. Das ist der Umstand, der die Wahlfälschung zu einem politischen Skandal macht.

Eine Ausnahme, die den Publizitätsgrundsatz durchbricht, ist die Briefwahl. Hierbei sind die Ausgabe des Wahlscheines, die geheime Wahl und die Übersendung der Unterlagen an die Wahlbehörde eben nicht öffentlich. Sie sollte deshalb eine Ausnahme darstellen, eine Ausnahme für diejenigen, die aufgrund von Krankheit oder eines Gebrechens nicht in der Lage sind, das Wahllokal aufzusuchen, oder für diejenigen, die beruflich oder anderweitig gehindert sind, ihre Stimme am Wahltag abzugeben.

Genau deshalb macht die Briefwahl aus der Sicht meiner Fraktion Sinn. Sie bietet Menschen, die sonst nicht an der Wahl teilnehmen können, die Möglichkeit, ihr demokratisches Recht wahrzunehmen.

Aber die Briefwahl ist auch in Verruf geraten. Der hier zur Rede stehende Fall in Stendal und auch der jüngste Fall von Wahlmanipulationen in Quakenbrück haben zum schlechten Ruf der Briefwahl beigetragen. Mit fehlendem Demokratiebewusstsein und viel krimineller Energie haben politische Akteure dazu beigetragen, Zweifel an der Legitimation von Volksvertretungen zu säen.

Das, meine Damen und Herren, ist ein Grund für unseren Antrag, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Es gilt, das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler wiederherzustellen, indem wir aufklären, wie es zu den Wahlfälschungen in Stendal kam, und indem wir daraus die richtigen Schlussfolgerungen ziehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die zur Rede stehende Wahlfälschung in Stendal ist nach allem, was bisher bekannt wurde, komplex. Sie hat eine strafrechtliche Dimension und eben eine politische. Die strafrechtliche Dimension wird von der Justiz aufgeklärt - die politischen Fragen hingegen müssen von den Kommunalparlamenten und eben hier im Parlament aufgeklärt werden. Etwaige Versuche mittels Kleiner Anfragen, der Befragung der Landesregierung, mit einer Aktuellen Debatte oder durch Selbst

befassungsanträge in der sechsten und siebenten Wahlperiode brachten jedoch mehr Fragen als Aufklärung.

Die bisherigen Aussagen und Erklärungen der Landesregierung und ihr nachgeordneter Behörden, einschließlich der getroffenen Bewertungen, konnten das berechtigte Interesse der Öffentlichkeit nach Aufklärung nicht vollumfänglich befriedigen. Nicht zur Sprache kam bisher das Tun und Handeln von Organisationen und ihnen nahestehenden Personen. Das verschließt sich bis heute der normalen Ausschussarbeit, und da, wo es versucht wurde, kam der Innenausschuss schnell an seine Grenzen.

In Summe dessen blieb für meine Fraktion nur die Beantragung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Er ist das geeignete Mittel zur Aufklärung der politischen Dimension dieser Wahlfälschung. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss ist mit konsequenten Aufklärungsmitteln, die mehr Erfolg versprechen, ausgestattet. Er kann Zeugen laden, Zeugen vereidigen, die Beweiserhebung erfolgt öffentlich und der Zugang zu Auskünften und Akten wird deutlich erleichtert. Wir gehen davon aus, dass der Wunsch auf umfassende Aufklärung von allen Fraktionen hier im Hause geteilt wird.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Insbesondere im Zusammenhang mit dem Strafprozess gegen den Beschuldigten Gebhardt kam es zu zahlreichen Aussagen und Beweisen, dass die Wahlfälschung eben nicht die Tat eines Einzelnen war. Nicht zuletzt dieser Umstand macht aus unserer Sicht den Untersuchungsausschuss unumgänglich.

Unser Wunsch ist Aufklärung - politische Aufklärung -, ob es bei den Kommunalwahlen 2009, 2012 und 2014 zu Manipulationen und zur Verfälschung des Wählerwillens kam. Für diese von mir genannten Wahlen gibt es Anhaltspunkte für Manipulationen des Briefwahlverfahrens und Aussagen des Beschuldigten Gebhardt, dass manipuliert wurde. Die Koalition will die Wahl 2009 ausnehmen. Sie macht Verjährung und die Situation fehlender Unterlagen geltend. Meine Fraktion denkt jedoch, dass, solange und soweit hier ein System von Briefwahlfälschungen im Raum steht, dieses mit den gegebenen Mitteln aufzuklären und zu bewerten ist.

Behaupten wir einmal, 2009 war der Anfang; dann ist es wichtig, zu verfolgen und zu bewerten, wie das Wahlfälschungssystem überhaupt entstanden ist. Und politisch ist das Wort „Verjährung“ ein problematisches. Auch 2015 wollen Sie nicht untersuchen. Warum eigentlich nicht?

(Zuruf von Siegfried Borgwardt, CDU)

Wir haben die Wiederholungswahl benannt, weil sich der Untersuchungsausschuss eben auch der Frage widmen sollte, ob die Wahlbehörden aus den Fehlern der Vergangenheit die richtigen Schlussfolgerungen gezogen haben. Warum wollen Sie das nicht wissen? - Zwei Jahre haben Sie gestrichen. Ich denke, wir werden im Ausschuss sehr schnell auch auf diese Jahre zu sprechen kommen. Dem diesbezüglichen Änderungsantrag verschließen wir uns.