Protokoll der Sitzung vom 27.09.2017

Ich weiß, aber die Technik hat ein Problem. - Dann fahren wir fort in der Debatte. Frau Keding spricht für die Landesregierung. Bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich meinen Redebeitrag zunächst mit folgender Aussage beginnen: Ich halte frei gewählte Parlamente für die Stätte der Diskussion, der Debatte und einer Debattenkultur. Das Wort „Verachtung“ sollte man weder im Zusammenhang mit irgendeinem frei gewählten Parlament noch mit Vertretern dieses Parlaments gebrauchen.

(Zustimmung bei der CDU, bei der SPD, bei den GRÜNEN und von Swen Knöchel, DIE LINKE)

Die AfD beantragt, dass sich die heutige Aktuelle Debatte unter anderem mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz, dem Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz, der Abgabenordnung und dem Vorschlag für ein digitales Antidiskriminierungsgesetz beschäftigen soll, mithin Gesetze, die im Bundestag beschlossen worden sind bzw. beschlossen werden sollen.

Die allgegenwärtige Digitalisierung, meine Damen und Herren, stellt das Recht vor die Aufgabe, ihre Entwicklung regulatorisch zu begleiten. Aus der Sicht der Rechtspolitik stehen dabei nicht nur soziale Netzwerke, Fragen nach Verwertungsrechten, nach dem Eigentumsrecht an Daten und dem Datenschutz zur Debatte, sondern unter anderem auch das Recht der digitalen Verträge.

Sachsen-Anhalt leistete im Rahmen des BundLänder-Projektes „Digitaler Neustart“ in den letzten zwei Jahren dazu erhebliche Vorarbeiten. Aber auch diese Rechtsmaterien unterliegen in

aller Regel der Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Lassen Sie mich deshalb hier im Landtag nur in Auszügen den Sach- und Diskussionsstand hinsichtlich einiger der erwähnten Gesetze skizzieren.

Transparenz von Algorithmen. Es wird darüber diskutiert, ob sich die Anbieter von Plattformen auf das Grundrecht der Medienfreiheit berufen könnten, ob ein digitales Antidiskriminierungsgesetz erforderlich sei, um den Einsatz von Algorithmen im Internet transparent zu gestalten, und ob dafür eine neue Digitalagentur eingerichtet werden sollte.

Die kürzlich vom Bundesjustizminister vorgeschlagenen Änderungen für mehr Transparenz umfassen ein digitales Antidiskriminierungsgesetz, das verhindern soll, dass Teile der Bevölkerung durch Softwareentscheidungen benachteiligt werden, eine Digitalagentur, die Funktionsweise, Grundlagen und Folgen von Algorithmen behördlich kontrolliert ,und ein Transparenzgebot für Algorithmen, also Erklärungen der Anbieter oder Betreiber über ihre Personalisierungsmechanismen, damit Nutzer selbst entscheiden können, welche Filter sie akzeptieren und welche nicht.

Konkrete Vorschläge, wie diese Regulierungen umgesetzt werden sollen, wurden bislang nicht unterbreitet. Insbesondere die Frage, wie komplexe Algorithmen kontrolliert werden sollen und ob eine staatliche Behörde dazu überhaupt in der Lage ist, wurde nicht beantwortet. Hier wird der Bundesgesetzgeber gefragt sein und Vorschläge und Verhaltensweisen intensiv zu hinterfragen haben.

Zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Die sozialen Netzwerke sind schon nach bisheriger Rechtslage dazu verpflichtet, strafbare Inhalte nach Kenntnis von ihren Plattformen zu nehmen. Dies geschieht bislang zu langsam, zu selten und nicht schnell genug. Auf dieses Defizit bei der Umsetzung geltenden Rechts - und nur hierauf - reagiert das Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Es tritt am 1. Oktober in Kraft.

Im Mittelpunkt stehen Compliance-Pflichten, also Mitwirkungspflichten für große soziale Netzwerke. Diese müssen zukünftig effektivere und benutzerfreundliche Verfahren für Beschwerden über strafbare Inhalte vorhalten. Dazu gehört, dass offensichtlich strafbare Inhalte binnen 24 Stunden nach einer Beschwerde gelöscht werden, sonstiges strafbares Material nach sieben Tagen.

Ich halte es für eine echte Verbesserung, dass mit dem neuen Gesetz Anbieter sozialer Netzwerke im Inland einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen haben und auf ihrer Plattform in leicht erkennbar und unmittelbar erreichbarer Weise auf ihn aufmerksam zu machen haben. An diese Person können auch Zustellungen in Gerichtsverfah

ren vor deutschen Gerichten wegen der Verbreitung rechtswidriger Inhalte bewirkt werden.

Das Gesetz beugt zugleich der Befürchtung vor, soziale Netzwerke könnten in Zukunft im Zweifel eher zu viel als zu wenig löschen. Um unerwünschtes Overblocking zu verhindern, ist die Siebentagefrist bei den Regelungen zum Umgang mit Beschwerden über rechtswidrige, das heißt strafbare Inhalte flexibel handhabbar, um so den sozialen Netzwerken mehr Spielraum zu geben. Außerdem stellt das Gesetz klar, dass nicht schon die Fehlentscheidung im Einzelfall zu einem Bußgeld führen kann, sondern nur ein systematisches Versagen der sozialen Netzwerke.

Zum Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz. Dieses Gesetz tritt am 1. März 2018 in Kraft und ist das Ergebnis eines langen Diskussionsprozesses. Es soll Kosten sparen und Nerven schonen, ohne die Rechte von Autoren unzulässig zu verkürzen. In den vergangenen Jahren herrschte an deutschen Universitäten und Hochschulen die große Sorge, dass die Lehrenden Auszüge aus Werken nicht mehr in die elektronischen Semesterapparate einstellen können. Im Zeitalter der Digitalisierung hätte das einen echten Rückschritt bedeutet.

Durch die Novellierung des Urheberrechts ist ein neuer Rechtsrahmen geschaffen worden, der sich an das digitale Zeitalter anpasst. Es geht nicht um Bildung zum Nulltarif. Im Gesetz wurde klargestellt, dass die Nutzungen nach den gesetzlichen Schranken angemessen vergütet werden. Den Verlagen muss auch genügend Spielraum für neue Möglichkeiten gelassen werden.

Wir müssen in Deutschland aufpassen, dass wir international leistungsstark bleiben. Dazu gehört auch, dass der Zugriff auf Texte und die Art und Weise des Umgangs miteinander, also zwischen Autoren, Verlagen und Rezipienten, so geregelt werden, dass wir uns im internationalen Wettbewerb nicht selbst ein Bein stellen. Das Gesetz ist also durchaus eine angemessene Antwort auf die digitalen Herausforderungen der Wissensgesellschaft.

Diskutiert werden muss in diesem Zusammenhang auch die Idee des sogenannten Open Access. Insbesondere für die Wissenschaft ist der freie Zugang zu Daten und Informationen von großer Bedeutung. Durch schnellen und unkomplizierten Informationsaustausch müssen gute Ideen und Erkenntnisse zusammengebracht werden können.

Ein wissenschaftliches Dokument unter OpenAccess-Bedingungen zu publizieren, gäbe jedermann die Erlaubnis, dieses Dokument zu lesen, herunterzuladen, zu speichern, zu verlinken, zu drucken und damit entgeltfrei zu nutzen. Grenzen etwa des Patentschutzes und des Datenschutzes

sowie die Interessen aller Beteiligten müssen aber intensiv diskutiert und ausgelotet werden.

Zur Abgabenordnung. Durch das Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz wurde § 30a der Abgabenordnung, das steuerliche Bankgeheimnis, aufgehoben. Mit der Aufhebung des § 30a der Abgabenordnung wurde ausweislich der amtlichen Begründung nicht nur den Veränderungen in der rechtspolitischen Ausgangslage, sondern auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes Rechnung getragen.

Bereits zuvor waren verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der Regelung geäußert und die Regelung als strukturelles Vollzugshindernis bezeichnet worden. Es geht nicht um das Bankgeheimnis, sondern um das steuerliche Bankgeheimnis.

Meine Damen und Herren, sicherlich haben nicht alle bisher im Bundestag vertretenen Fraktionen den genannten Gesetzen ohne Weiteres zugestimmt. Sie haben auch abweichende Positionen vertreten. Die beschlossenen Gesetze sind letztlich das Ergebnis einer intensiven Debatte. In solchen intensiven Debatten geht es auch immer wieder um die Ausgestaltung von individuellen Freiheits- und Selbstbestimmungsrechten, die jedermann zustehen.

Am 24. September haben die Wählerinnen und Wähler gesprochen. Damit ist nun auch die Partei der Antragstellerin dieser Aktuellen Debatte im Bundestag vertreten. Im Bundestag wurden und werden diese Gesetze ausführlich diskutiert. Ich gehe davon aus, dass dies auch in Zukunft so sein wird. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Danke Frau Ministerin. Ich sehe keine Wortmeldungen zu Fragen. - Wir können in die Debatte der Fraktionen einsteigen. Mir ist signalisiert worden, dass es vonseiten der SPD-Fraktion einen Redeverzicht gibt. - Das scheint wirklich so zu sein. Für die Fraktion DIE LINKE spricht die Abg. Frau von Angern.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Die AfD, ausgerechnet die AfD, will also heute hier im Plenum über die Freiheitsrechte des deutschen Bürgers bzw. deren systematisch betriebene Einschränkung durch die Bundesregierung debattieren. Das erscheint einfach nur absurd. Es ist absurd angesichts dessen, was wir in den letzten Monaten, Wochen und Tagen aus dieser Richtung erleben oder, besser gesagt, erleiden mussten.

Die Worte von Bertolt Brecht aus dem Jahr 1952 haben leider ihre Aktualität nicht verloren.

„Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde! Lasst uns die Warnungen erneuern, und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind!“

Es ist und bleibt notwendig, immer wieder klarzumachen, mit wes Geistes Kind wir es hier zu tun haben.

(Zuruf von André Poggenburg, AfD)

Die AfD ist eben nicht der Gralshüter der Grund- und Freiheitsrechte der Bürgerinnen. Sie kommt wohl eher als Wolf im Schafspelz daher.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Schon der Titel der Aktuellen Debatte ist höchst aussagekräftig. Es geht selbstredend um den deutschen Bürger - weiß, deutsch, männlich. Das sagt schon alles!

(Lachen bei der AfD - André Poggenburg, AfD: Patriotischer Geist! - Matthias Büttner, AfD: Das haben Sie gesagt!)

Es hat sich bis zur AfD noch nicht herumgesprochen, dass Freiheitsrechte und auch Menschenrechte unteilbar sind. Ansonsten sind sie keine mehr.

(Beifall bei der LINKEN)

Schon damit disqualifizieren Sie sich hier für eine solche Debatte.

(Oh! bei der AfD)

Allein das, was wir in den letzten Stunden und Tagen ertragen und erdulden mussten, verdeutlicht in aller Schärfe, dass es Ihrerseits genau so gemeint ist, wie es gesagt wird. Da wird das Versprechen abgegeben, eine demokratisch gewählte Regierung jagen oder Menschen in Anatolien entsorgen zu wollen. Da werden Schutz suchende Menschen als Glücksritter diffamiert. Da maßt sich eine Partei an, sich Deutschland und das deutsche Volk zurückholen zu wollen, als ob es sich hierbei um ein verlorenes Eigentum handelt.

Und Sie wollen mit uns über Freiheitsrechte debattieren? Ich denke, da können alle Demokratinnen und Demokraten hier im Haus nur sehr bestimmt sagen: Nein danke, nicht mit Ihnen, und das zu keiner Zeit.

(Zustimmung bei der LINKEN - André Pog- genburg, AfD: Da bleibt Ihnen aber nichts anderes übrig! - Weitere Zurufe von der AfD)

Aber, meine Damen und Herren, werfen wir doch einfach einen kurzen erhellenden bzw. entlarvenden Blick in das Grundsatzprogramm der AfD. Im Grundsatzprogramm kann man sozusagen als

Motto lesen: Die AfD fordert einen sicherheitspolitischen Befreiungsschlag, um den Schutz der Bürger an die erste Stelle zu stellen. Andere Belange haben sich dem unterzuordnen.

(André Poggenburg, AfD: Richtig!)

„Andere Belange“, welche sind das? Die werden dann im Folgenden ausgeführt: Das Strafmündigkeitsalter auf zwölf Jahre senken, um das Anordnen der Untersuchungshaft schon dann möglich zu machen, wenn der dringende Tatverdacht eines Verbrechens im Sinne des § 12 Abs. 1 StGB besteht. Da werden dunkelste Erinnerungen wach. Das Rechtsmittel soll so gestaltet werden, dass zügigere Entscheidungen möglich werden, indem insbesondere Urteilsaufhebungen und

Zurückweisungen zur Neuverhandlung abgeschafft werden. - Freiheitsrechte à la AfD?

Die AfD widersetzt sich jeder Einschränkung von Bürgerrechten durch ein Verschärfen des Waffenrechts:

„Die Kriminalisierung von Waffenbesitz schreckt Täter nicht ab, sondern macht Opfer wehrloser.“

Das heißt zu guter Letzt das Ende vom Rechtsstaat. Ein Hoch auf die Selbstjustiz. Auch hier: Freiheitsrechte à la AfD?