Protokoll der Sitzung vom 29.09.2017

Eine Fortführung der Arbeit mit den derzeit zur Verfügung stehenden Mitteln, die Vielfalt der Leistungen und Erfordernisse oder gar die notwen

digen Unterstützungsleistungen in unserem Flächenland nur über ehrenamtliche Arbeit sind unmöglich.

In einem Nebensatz hat die Vertreterin des Landeskompetenzzentrums unter anderem auch erwähnt, dass die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen nicht nur viel Zeit investiert haben, sondern sie haben obendrein oft auch finanziell privat zugesetzt. Das können und dürfen wir auf keinen Fall weiter zulassen.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Der Allgemeine Behindertenverband Sachsen-Anhalts wird ebenso deutlich in seiner Einschätzung: Es bestehen in unserem Land noch überdeutliche Reserven in fast allen Bereichen der Versorgung und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Gerade in der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention oder jetzt des Bundesteilhabegesetzes ist eine zentral organisierte, unabhängige Fachstelle mit einer konkreten Aufgabenstellung sowie einem finanziellen und personellen Budget dringend notwendig.

Durch die bestehende Gesetzeslage wird den Kommunen im Land sehr viel abverlangt. Diese Fachstelle mit dem gebündelten Expertenwissen, mit einem gut koordinierten Netzwerk und einem gewissen Handlungsspielraum wäre in der Lage, hier die notwendigen Hilfe- und Unterstützungsleistungen vorzuhalten.

An vielen Stellen hat sich erwiesen: Die rechtzeitige Einbeziehung von Betroffenen, ihren Vereinen und Verbänden ist ein enormer Vorteil für alle Akteure in allen Bereichen und spart Geld und Zeit.

Für uns alle bleibt auch in den nächsten Jahren eine wichtige Aufgabe die Sensibilisierung des öffentlichen Raumes für die Belange von Menschen mit Behinderungen. Es ist doch nun wirklich nicht mehr von der Hand zu weisen, dass Barrierefreiheit zuallererst durch die Köpfe muss und allen Bevölkerungsgruppen gleichermaßen nutzt.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Schulung der Mitarbeiterinnen der kommunalen Bauämter darf nicht nur auf die technischen Anforderungen von Barrierefreiheit beschränkt bleiben, sondern muss auch die Chancen vermitteln, die bestehen, wenn das Fachwissen von Menschen mit Behinderungen als Experten in eigener Sache bereits in der Planungsphase von Bauvorhaben genutzt wird.

Das Baugesetzbuch sowie die entsprechenden Normen und deren Machbarkeit müssen hinterfragt und weiterentwickelt werden. Einige von Ihnen werden sich sicher noch daran erinnern, dass wir mit der letzten Novellierung des Bau

gesetzes in unserem Land weniger zufrieden waren. Es gibt also genügend Aufgaben für eine Landesfachstelle und auch für die Politik.

(Beifall bei der LINKEN)

Selbstverständlich sind wir uns im Klaren darüber, dass die konkrete Aufgabenstellung für die Landesfachstelle definiert werden muss, dass sowohl Personal- als auch Finanzbudget erstritten werden müssen. Dazu können wir uns intensiv im Ausschuss verständigen, und dies ohne den Druck von Haushaltsberatungen, wenn wir jetzt damit beginnen.

Auch einen Blick in Richtung Bund sollten wir wagen. Hier arbeitet die eingerichtete Bundesfachstelle bereits intensiv. Auch der Landesbehindertenbeirat votierte in seinem Beschluss 5/2017 für die Einrichtung einer Fachstelle für Barrierefreiheit in Sachsen-Anhalt ab 2019. Dabei sollen auf die Erfahrungen, Netzwerke und Strukturen des Landeskompetenzzentrums zurückgegriffen und die notwendigen Ressourcen bereitgestellt werden. In diesem Beschluss finden wir auch einen Vorschlag für die Aufgabengebiete dieser Landesstelle. Es gibt also genügend Gründe, die Einrichtung einer Landesfachstelle für ein barrierefreies Sachsen-Anhalt voranzutreiben.

Unser zweiter Antrag zielt auf die Wiederbelebung des Wettbewerbes „Auf dem Weg zur barrierefreien Kommune“ ab. Ich habe in der Zwischenzeit sehr unterschiedliche Bewertungen dieses Wettbewerbes erhalten. Besonders kritisch ist der zu erbringende Aufwand, um überhaupt teilnehmen zu können, benannt worden, und dies eben ohne die Aussicht, Preisträger zu werden.

Eine grundlegende, umfassende Konzeption der Kommune zur Herstellung von Barrierefreiheit war Voraussetzung für die Teilnahme am Wettbewerb. Diese Konzeption und zum Beispiel ein daraus entwickeltes und geplantes Teilprojekt kleineren oder größeren Ausmaßes wurden dann zum Wettbewerb eingereicht. Das Landeskompetenzzentrum übernahm die Prüfung der Barrierefreiheit und eine Jury hat entschieden.

Lassen Sie uns die Möglichkeit ins Auge fassen, über das bisher gewählte Verfahren nachzudenken und dabei vielleicht auch die Kreativität unserer Nachbarn zur Kenntnis zu nehmen. Einer unserer Nachbarn fördert kommunale Mikroprojekte unter dem Motto „Mein Lieblingsplatz“. Es könnte allerdings auch sein, dass wir lediglich eine andere Marketingstrategie für diesen Wettbewerb benötigen.

Wir sind jedenfalls der festen Überzeugung: Ohne die Wiederbelebung dieses Wettbewerbes wird die Gestaltung von Barrierefreiheit sehr viel schwerer und sehr viel langsamer voranschreiten, als wir es brauchen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Reflektion aus dem Ausschuss, die mich erreicht hat, ist eine wohlwollende zu beiden Anträgen. Also lassen Sie uns den Versuch unternehmen, sowohl eine zukunftsfähige, innovative Struktur zur Beratung der öffentlichen und privaten Investitionen für mehr Barrierefreiheit zu schaffen und gleichzeitig einen Anreiz zu installieren, der hilft - sicherlich in kleinen, aber stetigen Schritten -, reale Tatsachen in den Kommunen unseres Landes auf dem Weg zu mehr Barrierefreiheit für alle zu ermöglichen.

Stimmen Sie unseren Anträgen zu! - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Zoschke. Es gibt keine Anfragen. - Somit können wir in die Fünfminutendebatte einsteigen. Doch zuvor spricht Minister Webel für die Landesregierung. Bitte, Herr Webel.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich möchte kurz darstellen, warum wir den Wettbewerb in diesem Jahr eingestellt haben. Es geht um den eingestellten Wettbewerb „Auf dem Weg zur barrierefreien Kommune“.

Schon bei der erstmaligen Auslobung im Jahr 2003 war die Teilnahmebereitschaft der Kommunen verhalten. Mit der Erweiterung des Teilnehmerkreises um die im Rahmen des Programms „Städtebaulicher Denkmalschutz“ geförderten Kommunen versprachen wir uns eine regere Beteiligung am Wettbewerb. Leider nahm die Zahl der teilnehmenden Kommunen trotzdem weiter ab. Lediglich noch neun der 52 teilnahmeberechtigten Kommunen reichten Beiträge ein.

Daraufhin haben wir im Jahr 2013 den Teilnehmerkreis auf alle im Rahmen der Programme des Städtebaus geförderten Kommunen ausgedehnt und darüber hinaus neben der bevorzugten Förderung der Vorhaben der Preisträger zusätzliche Preisgelder ausgelobt. Das Ergebnis war ernüchternd, da lediglich neun der jetzt teilnahmeberechtigten 73 Kommunen Wettbewerbsbeiträge einreichten.

Diese waren mit Ausnahmen außerdem nicht von der Qualität, die wir uns mit der Auslobung des Wettbewerbs versprochen haben.

Die Ursachenforschung hat ergeben, dass viele Kommunen den personellen und finanziellen Aufwand scheuten, der mit der Erstellung der Wettbewerbsunterlagen verbunden ist. Entscheidend

aber ist die Aussage vieler Kommunen, wonach das soziale Miteinander und die individuelle Lebensqualität im besonderen Maße die Schaffung größtmöglicher Barrierefreiheit erfordert und dies Bestandteil städtebaulicher Planungen und Konzepte ist.

Insoweit planen zahlreiche Kommunen Vorhaben zur Verbesserung der Barrierefreiheit und setzen diese um, ohne sich am Wettbewerb zu beteiligen. Überdies können Vorhaben, die sowohl gebäudeseitig als auch im öffentlichen Raum zur Barrierefreiheit führen, im Rahmen der Städtebauförderung unterstützt werden.

Nun zum zweiten Antrag. Die Herstellung von Barrierefreiheit ist eine langfristig angelegte Querschnittsaufgabe in allen Politikfeldern und allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Barrierefreiheit ist ein Thema, das alle Lebensbereiche berührt. Auch die Landesregierung will ihrer Verpflichtung zum Abbau von Barrieren nachkommen. Erwähnen möchte ich in diesem Zusammenhang den Landesaktionsplan „Einfach machen“, in dem auch das Handlungsfeld Barrierefreiheit verankert ist.

Die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen verpflichtet die Vertragsstaaten, alle Barrieren abzubauen, um Menschen mit Beeinträchtigungen eine selbstbestimmte Teilhabe zu ermöglichen. Nach Artikel 4 der UN-Behindertenrechtskonvention haben die Vertragsstaaten bei der Ausarbeitung und Umsetzung von Rechtsvorschriften und politischen Konzepten zur Durchführung des Übereinkommens und bei anderen Entscheidungsprozessen zu Fragen, die Menschen mit Behinderungen betreffen, mit diesen enge Konsultationen zu führen, auch und insbesondere über die entsprechenden Organisationen und Verbände, und sie aktiv einzubeziehen.

In Umsetzung dieser Vorgabe und von § 13 des Behindertengleichstellungsgesetzes wurde im

Jahr 2016 auf der Bundesebene eine Bundesfachstelle für Barrierefreiheit eingerichtet. Durch das Gesetz zur Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungsrechts wurde nicht nur die Einrichtung einer Bundesfachstelle in das Behindertengleichstellungsgesetz des Bundes aufgenommen, zugleich wurden auch wichtige Grundlagen zur Verbesserung der Barrierefreiheit festgelegt.

Aufgabe dieser Bundesfachstelle ist es, insbesondere Behörden und Verwaltungen bei der Umsetzung zu unterstützen, Informationen bereitzuhalten und zu bündeln und auch weiterzuentwickeln. Die Arbeit der Bundesfachstelle für Barrierefreiheit wird begleitet von einem Expertenkreis, dem mehrheitlich Vertreterinnen und Vertreter der Verbände von Menschen mit Behinderungen angehören.

Mit seinem Beschluss 5/2017 fordert der Landesbehindertenbeirat des Landes Sachsen-Anhalt die Einrichtung einer Fachstelle für Barrierefreiheit auch in Sachsen-Anhalt ab dem Jahr 2019.

Barrierefreiheit ist in der Praxis oft komplex, zieht viele Fragen nach sich und ist als Aufgabe regelmäßig zu überdenken. Vor diesem Hintergrund erscheint die Forderung nach einer Landesstelle für Barrierefreiheit in Sachsen-Anhalt als kompetenter Ansprechpartner für die öffentliche Verwaltung sinnvoll und nachvollziehbar.

Es ist aber in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass im Themenfeld Barrierefreiheit das Landeskompetenzzentrum für Barrierefreiheit bereits seit langer Zeit sehr aktiv ist. Frau Zoschke, Sie haben darauf hingewiesen. Das Landeskompetenzzentrum gibt Empfehlungen zur Umsetzung des Behindertengleichstellungsgesetzes Sachsen-Anhalt, es stellt Handreichungen bereit und bietet eine wichtige Plattform für den Austausch. Darüber hinaus unterstützt es auch die Verwaltung mit fachlicher Expertise.

Dies alles wird in engagierter und ehrenamtlicher Arbeit geleistet. Für diese Arbeit möchte ich mich ausdrücklich bedanken.

(Zustimmung von Angela Gorr, CDU, von Dr. Katja Pähle, SPD, und bei der LINKEN)

Die Arbeit dieser Einrichtung wurde auch in der letzten Sitzung des Ausschusses für Arbeit, Soziales und Integration gebührend gewürdigt. Nun sollte im Ausschuss überlegt werden, wie diese wichtige Beratung zukünftig gestaltet und strukturell angebunden werden kann.

Im Ergebnis dieser Überlegungen sollten auch die Fragen der Finanzierung und einer gesetzlichen Normierung geklärt werden. - Ich danke Ihnen.

(Zustimmung bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister Webel. Es gibt eine Wortmeldung von Frau Hohmann. - Bitte, Frau Hohmann.

Monika Hohmann (DIE LINKE)

Herr Minister, ich habe nur eine ganz kurze Nachfrage, und zwar hatten Sie vorhin von der Ausschreibung des Wettbewerbs „Barrierefreie Kommune“ gesprochen und darüber, dass die Teilnahme nicht wie erwünscht vonstattenging.

Haben Sie auch in Erwägung gezogen, zu schauen, ob an dieser Ausschreibungspraxis bzw. an den erforderlichen Unterlagen etwas verändert werden kann, gegebenenfalls die Unterlagen zu vereinfachen, damit mehr Kommunen die Chance

haben, daran teilzunehmen? Ist darüber in Ihrem Haus diskutiert worden?

Das ist auch überlegt worden. Aber wir müssen eine gewisse Qualität garantieren, wenn es um die Auswertung der Unterlagen geht. Frau Zoschke hat es bereits gesagt: Die Kommunen haben ihre Stadtentwicklungskonzepte und diese Bewerbungsunterlagen waren ein Teil dieser Stadtentwicklungskonzepte. Die Arbeit, die damit verbunden ist, ist für die betreffende Kommune enorm. Wenn nur neun von 73 Kommunen an der Ausschreibung teilnehmen, dann ist das eine Entscheidung der jeweiligen Kommune, sich nicht daran zu beteiligen.

Natürlich werden auch weiterhin Mittel im Rahmen der Städtebauförderung für die Stadtentwicklungskonzepte bereitgestellt, beispielsweise wenn Plätze oder Gebäude saniert werden sollen.