Bedauerlicherweise haben Sie auch kein Wort zu der viel beachteten Rede von Macron am 26. September 2017 gesagt, als er das ganze Panorama der europäischen Diskussion, der europäischen Themen in der Sorbonne entfaltet hat. Das wäre eine angemessene Grundlage für eine große Europadebatte im Landtag, wie ich sie gern ermöglichen will, indem ich eine Regierungserklärung mache. In diesen Redezeitpaketen von
fünf oder zehn Minuten, in denen wir die Themen im Plenum behandeln, kann man nur an der Oberfläche kratzen. Insofern kann meine Rede jetzt auch nur einige wenige Punkte berühren.
Die beiden Reden von Macron und Juncker haben einen inzwischen unüberschaubaren Diskussionsprozess angestoßen, den man danach sortieren muss, was ist daran wichtig, was ist relevant, was brauchen wir. Ich denke, das sollte der Gegenstand, der Mittelpunkt dieser Debatte zum Zustand und zu den Perspektiven der Europäischen Union sein.
Ich glaube im Übrigen nicht, dass es hilfreich ist, zu den Mitgliedstaaten in Konfrontationskurs zu gehen. Wir werden mehr Europa nur dann herbeiführen können, wenn wir den Konsens finden, und zwar über alle unterschiedlichen nationalen Politiken hinaus.
Es dient niemandem, wenn wir uns allzu sehr mit den innerstaatlichen Problemen der anderen Länder befassen. Vielmehr müssen wir - das ist ein Grundgesetz der Politik - die Mitgliedstaaten so nehmen, wie sie jeweils sind. Alle haben ihren demokratischen Prozess, alle wählen sie das, was sie für richtig halten, und das sind dann jeweils unsere Gesprächspartner und mit denen müssen wir vorankommen. Man muss dabei sensibel sein und rücksichtsvoll im Umgang miteinander, auch wenn einem manches nicht passt.
In diesem Sinne kann ich an dieser Stelle nur sagen: Ja, wir müssen die Diskussion weiterführen. Ja, wir sollten sie neu aufgreifen, wenn die Perspektiven der deutschen Europapolitik durch den Koalitionsvertrag geklärt und gefestigt sind. Sachsen-Anhalt steht gut da. Sachsen-Anhalt bemüht sich wirklich redlich und erfolgreich. Wir legen das in unserer Europäisierungs- und Internationalisierungsstrategie sowie den alljährlichen Berichten, die wir Ihnen erstatten, immer wieder dar.
Das, was möglich ist in einem Land wie SachsenAnhalt, das tun wir. Wir beteiligen uns auch in den Gremien, die es dafür gibt, an der Perspektivdiskussion. In diesem Sinne biete ich meine Bereitschaft an, auch durch eine Regierungserklärung - ich sagte es schon -, etwas mehr Zeit für Europa im Parlament freizuschaufeln. Aber die heutige Aktuelle Debatte ist leider zu sehr in das Kleinklein des Orbán-Besuchs in Wittenberg geraten und das tut mir leid - Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Erstens, Herr Robra, als wir die Aktuelle Debatte beantragt haben, wussten wir noch nichts von dem Besuch von Herrn Orbán. Wir wussten aber von dem Besuch von Herrn Haseloff dort. Das war der eigentliche Anlass.
Zweitens. Wenn Sie sagen, dass der Bundesrat sich jetzt erst in der Perspektive mit der sozialen Säule beschäftigen wird, dann haben Sie aber eines unterschlagen:
Ja, die Europaministerkonferenz. - Der Bundesrat hat es längst getan. Der Bundesrat hat im Gegensatz zu Bundestagsausschüssen sofort im ersten Halbjahr eine relativ eindeutig ablehnende Position dazu artikuliert. Da Sie Europaminister sind, wissen Sie das auch. Das müssen wir jetzt nicht ausarbeiten, aber das ist zweifellos so.
Drittens. Sie sagen, die Rede von Juncker ist bei uns allen mit Begeisterung und Freude entgegengenommen worden. Haben Sie die politischen Reaktionen aus Berlin nicht verfolgt? Haben Sie nicht gehört, was dazu gesagt worden ist? - Ich muss ganz ehrlich sagen, der Begriff Freude ist bei Ihnen weit gediehen, nämlich bis kurz vor die Grenze der Depression. - Danke.
Das nehme ich zur Kenntnis. Ich kann Sie nur noch einmal auf die Beschlusslage der Europaministerkonferenz aufmerksam machen. Diese ist nach der des Bundesrates herbeigeführt worden. Dann werden Sie sehen, dass das Thema soziale Säule an Schwung gewonnen hat. Wenn Sie dazu beitragen wollen, dass diese Diskussion weiterläuft, dann wäre ich Ihnen dafür dankbar.
Bevor wir in der Debatte fortfahren, begrüße ich Schülerinnen und Schüler des Kurfürst-FriedrichGymnasiums in Wolmirstedt in unserem Hohen Hause. Seien Sie herzlich willkommen!
Danke schön. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir fällt es jetzt etwas schwer, nicht genauso leidenschaftlich zu antworten, obwohl ich mir eigentlich vorgenommen hatte, heute, ohne es abzusprechen, der nachdenkliche Teil dieser Debatte zu sein.
In meiner Rede steht etwas weiter hinten, dass ich das Gefühl habe, dass wir in einer Zeit leben, in der sich Zusammenhänge und Gewissheiten auflösen. Herr Farle, Sie sind einer, der mich dazu gebracht hat, dies so zu sehen. Wenn mir im Jahr 2017, dem Jubiläumsjahr der Oktoberrevolution, die im Jahr 1917 stattfand, ein Kommunist sagt, dass er den LINKEN antinationale Haltung vorwerfe, obwohl er doch selbst einmal die Weltgemeinschaft wollte, dann ist das etwas, womit ich mit meiner Sozialisation, mit meinem Lernen und mit meinen eigenen Erkenntnissen Schwierigkeiten habe.
(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Flo- rian Philipp, CDU - Oliver Kirchner, AfD: Das hätte Ernst Thälmann genauso ge- sagt!)
Dies würde dem alten Vizepräsidenten dieses Landtages Dr. Rüdiger Fikentscher recht geben, der gesagt hat, die Ränder träfen sich bei bestimmten Dingen immer wieder.
Wir hatten ursprünglich auch eine Aktuelle Debatte zu Europa vorgesehen und haben sie damit begründet, dass wir ein wettbewerbsfähiges, starkes und soziales Europa für Sachsen-Anhalt brauchen. Es ist ganz sicher, dass das für uns von elementarer Bedeutung ist und dass wir in hohem Maße von den Förderprogrammen profitieren, aber auch von den internationalen Kooperationen in ganz vielen Bereichen.
Aber Europa, das haben wir ganz deutlich gesagt, ist eben mehr als die Summe der jeweiligen Wirtschaftskraft seiner Mitglieder. Europa ist vor allem eine Wertegemeinschaft, und angesichts fortschreitender - an dieser Stelle treffen wir uns wieder, Herr Gallert - Renationalisierungstendenzen und mangelnder Solidarität brauchen wir ganz sicher eine Debatte über die drei von Jean-Claude Juncker genannten Grundsatzprinzipien, die ich außerordentlich gut finde, nämlich Freiheit,
Ich bin deshalb auch froh darüber, dass wir heute etwas leidenschaftlicher über das Thema Europa diskutieren können.
Ich bin 27 Jahre und 13 Tage in diesem Landtag. Als wir 1990 über die Europäische Union diskutiert haben, war es eine ganz andere Stimmung. Daran sieht man, was in 27 Jahren so passieren kann. Wir waren in Aufbruchstimmung. An eine
Finanzkrise war nicht zu denken. Wir hatten die EU-Osterweiterung noch vor uns. Ein Brexit war eigentlich undenkbar. In 27 Jahren ist in der Tat viel, auch viel Gutes, in Europa passiert.
Wer hätte vor 27 Jahren gedacht, dass heute die Sozialisten in Frankreich marginalisiert sind und keine europäische Kraft mehr in dem Sinne sind und dass ein junger Präsident, ein quasi unabhängiger junger Präsident, die Wahlen gewinnt, und zwar mit dem Thema Europa, indem er sich ganz deutlich zu Europa bekennt. Er hat ganz klar und deutlich gesagt, dass Europa zwar in keinem guten Zustand sei, dass die Europäische Union zu langsam, zu schwach und zu ineffizient sei und dass uns der Brexit und die Flüchtlingskrise vor große Herausforderungen stellten. Er sagte weiter, dass er den Eindruck habe, dass die Fliehkräfte sehr groß, viel zu groß seien und dass die Feinde Europas frohlockten. Er sagte aber auch, es sei falsch, Furcht zu schüren, und denen, die diese Furcht schüren, erteilte er eine deutliche Absage, indem er klare Alternativen benannte.
Er wirbt in seiner Rede für ein souveränes, gemeinsames Europa, für ein gemeinsames Europa, das stark genug ist, mit den anderen Global Players mitzuhalten, und das ist neben den ganzen anderen inneren politischen Themen auch wichtig.
Mir ist das Europa, das Macron sich vorstellt und skizziert, sehr sympathisch. Ja, wir brauchen eine Reform der europäischen Institutionen. Wir brauchen ein europäisches Verteidigungsbudget, eine gemeinsame Eingreiftruppe. Wir brauchen die Einführung der Finanztransaktionssteuer. Wir brauchen Förderprogramme für saubere Energie und gegen den Klimawandel. Wir brauchen ein eigenes Budget für die Eurozone und wir brauchen vor allen Dingen die schrittweise Annäherung der Sozialmodelle in Europa. Das sind wichtige, das sind richtige Denkanstöße, das sind gute Ideen, das sind richtige Ideen, das sind notwendige Ideen. Furcht zu schüren ist der falsche Weg,
und zwar auch deshalb, weil kein Problem unserer Zeit an Grenzen haltmacht. Nationalismus und die Rückkehr in nationalstaatliches Denken sind aus meiner Sicht ein Irrweg. Ohne die Europäische Union würde es einzelnen Staaten schlechter gehen. Es müsste eigentlich inzwischen auch dem letzten Populisten klar sein, dass die Probleme, die wir zu lösen haben, nur gemeinsam und nicht allein bewältigt werden können.
Wir brauchen eine stärkere und keine schwächere Europäische Union, aber wir brauchen auch ein Europa, das seine Stärken aus den Regionen zieht.
Ich war anderthalb Jahre Mitglied im Ausschuss der Regionen in Europa und habe dieses Gremium sehr schätzen gelernt, weil genau dort die regionalen Unterschiede in einer großen Gemeinsamkeit, mit einer gemeinsamen Zielsetzung, mit einem gemeinsamen Bekenntnis zu europäischen Werten und Grundsätzen diskutiert werden. Ich bin deshalb auch dem neuen Präsidenten des europäischen Ausschusses der Regionen KarlHeinz Lambertz sehr dankbar dafür, dass er diese regionale Komponente der europäischen Regionen wieder heraushebt. Er sagt: Wir müssen die EU reformieren, aber wir müssen sie von unten reformieren.
Wir müssen die Regionen und dann natürlich auch die Nationen mitnehmen. Er hat deutlich gemacht, dass die lokale und regionale Ebene ein ganz wesentlicher Akteur der europäischen Demokratie ist; denn auf dieser Ebene spielt sich das Leben von mehr als 500 Millionen EU-Bürgern ab, meine Damen und Herren, und werden die Beschlüsse, die im Rat gefällt werden, umgesetzt - in den Regionen. Deshalb ist es ganz wichtig, diese in den Reformprozess einzubeziehen.
Wir müssen aber auch mitmachen. Deshalb noch einmal Danke für die leidenschaftliche Debatte; denn ohne Leidenschaft, ohne Auseinandersetzung, ohne Streit über unterschiedliche Vorstellungen geht es nicht, wenn man etwas nach vorn entwickeln will.
Ich habe auch den Eindruck, dass eine neue Generation nachwächst, wenn wir jetzt in dem Streit und in der Debatte über Europa sehen, wie junge Menschen auf die Straße gehen, auch bei uns in Deutschland, aber eben überall in der Europäischen Union. Daraus lernen sie hoffentlich - anders als die Jungen in England, die nicht zur Wahl gegangen sind und jetzt mit dem Brexit leben müssen, was ihnen gar nicht gefällt -, dass man vorher Partei ergreifen muss, dass man vorher auf die Straße gehen muss.
Ich glaube, meine Damen und Herren, das ist heute sogar in gewissem Maße etwas schwieriger als 1989/1990. Damals waren wir alle kollektiv gegen etwas. Dann versammelt man sich schnell. Das kriegt man ganz gut hin, gegen etwas zu sein. Klar, wir hatten es schwerer. Es war 1989 ein Staat, bei dem man nicht wusste, ob man im Gefängnis landet oder ob man weiter für seine Ideen auf die Straße gehen kann. So war es auch in den anderen osteuropäischen Ländern.
Trotzdem sage ich mit der Sicht von heute, 27 Jahre, 28 Jahre später: Vielleicht ist es sogar heute viel schwerer, für etwas Partei zu ergreifen. Deshalb bin ich froh, dass es solche Aktionen wie Pulse of Europe und viele andere gibt, die eine gute Politisierung der Jugend, für mich jedenfalls,
darstellen, die gegen den Brexit und gegen Nationalismus sind und die gegen den Populismus und für ein friedliches Europa und für offene Grenzen auf die Straßen gehen.
Ich habe hier in einer anderen Debatte über 60 Jahre Europäische Union und die Unterzeichnung der Römischen Verträge deutlich gemacht, dass ich die Europäische Union für ein einzigartiges Modell von Frieden, Demokratie, Freiheit, Gleichheit, Wohlstand und Solidarität halte.
Wir müssen uns immer vergegenwärtigen, wir sind fast die Hälfte der Zeit dabei. 27 ist nicht 30, aber fast, wenn man ein bisschen überschlägig rechnet. Also fast die Hälfte der Zeit sind wir dabei und gestalten das. Deshalb sage ich, es lohnt sich, dafür zu kämpfen, ohne Angst, wie es Präsident Macron formuliert, aber mit vollem Einsatz. Den erbitte ich einfach auch von unserem Parlament hier.
(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU, von Wulf Gallert, DIE LINKE, und von Cor- nelia Lüddemann, GRÜNE)