Katrin Budde

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Danke schön. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir fällt es jetzt etwas schwer, nicht genauso leidenschaftlich zu antworten, obwohl ich mir eigentlich vorgenommen hatte, heute, ohne es abzusprechen, der nachdenkliche Teil dieser Debatte zu sein.
In meiner Rede steht etwas weiter hinten, dass ich das Gefühl habe, dass wir in einer Zeit leben, in der sich Zusammenhänge und Gewissheiten auflösen. Herr Farle, Sie sind einer, der mich dazu gebracht hat, dies so zu sehen. Wenn mir im Jahr 2017, dem Jubiläumsjahr der Oktoberrevolution, die im Jahr 1917 stattfand, ein Kommunist sagt, dass er den LINKEN antinationale Haltung vorwerfe, obwohl er doch selbst einmal die Weltgemeinschaft wollte, dann ist das etwas, womit ich mit meiner Sozialisation, mit meinem Lernen und mit meinen eigenen Erkenntnissen Schwierigkeiten habe.
Dies würde dem alten Vizepräsidenten dieses Landtages Dr. Rüdiger Fikentscher recht geben, der gesagt hat, die Ränder träfen sich bei bestimmten Dingen immer wieder.
Wir hatten ursprünglich auch eine Aktuelle Debatte zu Europa vorgesehen und haben sie damit begründet, dass wir ein wettbewerbsfähiges, starkes und soziales Europa für Sachsen-Anhalt brauchen. Es ist ganz sicher, dass das für uns von elementarer Bedeutung ist und dass wir in hohem Maße von den Förderprogrammen profitieren, aber auch von den internationalen Kooperationen in ganz vielen Bereichen.
Aber Europa, das haben wir ganz deutlich gesagt, ist eben mehr als die Summe der jeweiligen Wirtschaftskraft seiner Mitglieder. Europa ist vor allem eine Wertegemeinschaft, und angesichts fortschreitender - an dieser Stelle treffen wir uns wieder, Herr Gallert - Renationalisierungstendenzen und mangelnder Solidarität brauchen wir ganz sicher eine Debatte über die drei von Jean-Claude Juncker genannten Grundsatzprinzipien, die ich außerordentlich gut finde, nämlich Freiheit,
Gleichberechtigung und Rechtsstaatlichkeit.
Ich bin deshalb auch froh darüber, dass wir heute etwas leidenschaftlicher über das Thema Europa diskutieren können.
Ich bin 27 Jahre und 13 Tage in diesem Landtag. Als wir 1990 über die Europäische Union diskutiert haben, war es eine ganz andere Stimmung. Daran sieht man, was in 27 Jahren so passieren kann. Wir waren in Aufbruchstimmung. An eine
Finanzkrise war nicht zu denken. Wir hatten die EU-Osterweiterung noch vor uns. Ein Brexit war eigentlich undenkbar. In 27 Jahren ist in der Tat viel, auch viel Gutes, in Europa passiert.
Wer hätte vor 27 Jahren gedacht, dass heute die Sozialisten in Frankreich marginalisiert sind und keine europäische Kraft mehr in dem Sinne sind und dass ein junger Präsident, ein quasi unabhängiger junger Präsident, die Wahlen gewinnt, und zwar mit dem Thema Europa, indem er sich ganz deutlich zu Europa bekennt. Er hat ganz klar und deutlich gesagt, dass Europa zwar in keinem guten Zustand sei, dass die Europäische Union zu langsam, zu schwach und zu ineffizient sei und dass uns der Brexit und die Flüchtlingskrise vor große Herausforderungen stellten. Er sagte weiter, dass er den Eindruck habe, dass die Fliehkräfte sehr groß, viel zu groß seien und dass die Feinde Europas frohlockten. Er sagte aber auch, es sei falsch, Furcht zu schüren, und denen, die diese Furcht schüren, erteilte er eine deutliche Absage, indem er klare Alternativen benannte.
Er wirbt in seiner Rede für ein souveränes, gemeinsames Europa, für ein gemeinsames Europa, das stark genug ist, mit den anderen Global Players mitzuhalten, und das ist neben den ganzen anderen inneren politischen Themen auch wichtig.
Mir ist das Europa, das Macron sich vorstellt und skizziert, sehr sympathisch. Ja, wir brauchen eine Reform der europäischen Institutionen. Wir brauchen ein europäisches Verteidigungsbudget, eine gemeinsame Eingreiftruppe. Wir brauchen die Einführung der Finanztransaktionssteuer. Wir brauchen Förderprogramme für saubere Energie und gegen den Klimawandel. Wir brauchen ein eigenes Budget für die Eurozone und wir brauchen vor allen Dingen die schrittweise Annäherung der Sozialmodelle in Europa. Das sind wichtige, das sind richtige Denkanstöße, das sind gute Ideen, das sind richtige Ideen, das sind notwendige Ideen. Furcht zu schüren ist der falsche Weg,
und zwar auch deshalb, weil kein Problem unserer Zeit an Grenzen haltmacht. Nationalismus und die Rückkehr in nationalstaatliches Denken sind aus meiner Sicht ein Irrweg. Ohne die Europäische Union würde es einzelnen Staaten schlechter gehen. Es müsste eigentlich inzwischen auch dem letzten Populisten klar sein, dass die Probleme, die wir zu lösen haben, nur gemeinsam und nicht allein bewältigt werden können.
Wir brauchen eine stärkere und keine schwächere Europäische Union, aber wir brauchen auch ein Europa, das seine Stärken aus den Regionen zieht.
Ich war anderthalb Jahre Mitglied im Ausschuss der Regionen in Europa und habe dieses Gremium sehr schätzen gelernt, weil genau dort die regionalen Unterschiede in einer großen Gemeinsamkeit, mit einer gemeinsamen Zielsetzung, mit einem gemeinsamen Bekenntnis zu europäischen Werten und Grundsätzen diskutiert werden. Ich bin deshalb auch dem neuen Präsidenten des europäischen Ausschusses der Regionen KarlHeinz Lambertz sehr dankbar dafür, dass er diese regionale Komponente der europäischen Regionen wieder heraushebt. Er sagt: Wir müssen die EU reformieren, aber wir müssen sie von unten reformieren.
Wir müssen die Regionen und dann natürlich auch die Nationen mitnehmen. Er hat deutlich gemacht, dass die lokale und regionale Ebene ein ganz wesentlicher Akteur der europäischen Demokratie ist; denn auf dieser Ebene spielt sich das Leben von mehr als 500 Millionen EU-Bürgern ab, meine Damen und Herren, und werden die Beschlüsse, die im Rat gefällt werden, umgesetzt - in den Regionen. Deshalb ist es ganz wichtig, diese in den Reformprozess einzubeziehen.
Wir müssen aber auch mitmachen. Deshalb noch einmal Danke für die leidenschaftliche Debatte; denn ohne Leidenschaft, ohne Auseinandersetzung, ohne Streit über unterschiedliche Vorstellungen geht es nicht, wenn man etwas nach vorn entwickeln will.
Ich habe auch den Eindruck, dass eine neue Generation nachwächst, wenn wir jetzt in dem Streit und in der Debatte über Europa sehen, wie junge Menschen auf die Straße gehen, auch bei uns in Deutschland, aber eben überall in der Europäischen Union. Daraus lernen sie hoffentlich - anders als die Jungen in England, die nicht zur Wahl gegangen sind und jetzt mit dem Brexit leben müssen, was ihnen gar nicht gefällt -, dass man vorher Partei ergreifen muss, dass man vorher auf die Straße gehen muss.
Ich glaube, meine Damen und Herren, das ist heute sogar in gewissem Maße etwas schwieriger als 1989/1990. Damals waren wir alle kollektiv gegen etwas. Dann versammelt man sich schnell. Das kriegt man ganz gut hin, gegen etwas zu sein. Klar, wir hatten es schwerer. Es war 1989 ein Staat, bei dem man nicht wusste, ob man im Gefängnis landet oder ob man weiter für seine Ideen auf die Straße gehen kann. So war es auch in den anderen osteuropäischen Ländern.
Trotzdem sage ich mit der Sicht von heute, 27 Jahre, 28 Jahre später: Vielleicht ist es sogar heute viel schwerer, für etwas Partei zu ergreifen. Deshalb bin ich froh, dass es solche Aktionen wie Pulse of Europe und viele andere gibt, die eine gute Politisierung der Jugend, für mich jedenfalls,
darstellen, die gegen den Brexit und gegen Nationalismus sind und die gegen den Populismus und für ein friedliches Europa und für offene Grenzen auf die Straßen gehen.
Ich habe hier in einer anderen Debatte über 60 Jahre Europäische Union und die Unterzeichnung der Römischen Verträge deutlich gemacht, dass ich die Europäische Union für ein einzigartiges Modell von Frieden, Demokratie, Freiheit, Gleichheit, Wohlstand und Solidarität halte.
Wir müssen uns immer vergegenwärtigen, wir sind fast die Hälfte der Zeit dabei. 27 ist nicht 30, aber fast, wenn man ein bisschen überschlägig rechnet. Also fast die Hälfte der Zeit sind wir dabei und gestalten das. Deshalb sage ich, es lohnt sich, dafür zu kämpfen, ohne Angst, wie es Präsident Macron formuliert, aber mit vollem Einsatz. Den erbitte ich einfach auch von unserem Parlament hier.
Meine Damen und Herren! Der Präsident hat mir dankenswerterweise - -
Am Ende dann.
Ja.
Vielen Dank. - Der Präsident hat mir netterweise erlaubt, dass ich meine persönlichen Abschiedsworte sozusagen in diese Debatte mit einbinde und daran anfüge. Ansonsten wäre ich noch einmal extra aufgestanden. Es passt aber auch sehr gut bei dem Thema europäische Regionen.
Ich bin jetzt 27 Jahre und 13 Tage Mitglied dieses Parlaments. Am 14. Oktober 1990 hat sich in Dessau der erste wieder frei gewählte Landtag konstituiert. Damals war ich jüngst Abgeordnete, Schriftführerin. Das war ein beeindruckender Moment,
muss ich sagen. Das war so etwas, was man erhebend nennt. Wenn man so jung ist, dann kriegt man das vielleicht gar nicht mit, aber in der Rückschau merkt man eben vieles, vor allen Dingen nach dem Herbst 1989, der noch sehr ungewiss war, und den großen Veränderungen, die sich Bahn gebrochen haben.
Diejenigen, die mich länger kennen, wissen, dass mein Herzblut über 27 Jahre immer der Wirtschaftspolitik gehört hat. Das wird auch immer so bleiben. Es war - das kann ich Ihnen sagen - am Anfang auch in der eigenen Fraktion nicht so einfach, dass eine junge Frau mit 25 Jahren gesagt hat, ich will für wirtschaftliche Entwicklung Politik machen. Man wurde, zumindest damals, schon eher gebeten, in den Sozialbereich zu gehen. Heute hat sich einiges verändert. Ich hoffe, dass es auch so bleibt, auch wenn weniger Frauen in den Parlamenten sind.
Ich habe das Thema damals deshalb gewählt, weil ich glaube, dass ein gutes Einkommen, eine gute, faire und gut bezahlte Arbeit die Grundlage für ganz vieles ist: für ein selbstbestimmtes Leben, für die Gründung einer Familie, für das Hierbleiben. Ich weiß, dass wir dabei heute, wenn überhaupt, auf halbem Wege sind und dass es noch ganz viel zu tun gibt, damit es in unserer Region hier so wird, dass die Menschen wieder hierher ziehen, anstatt wegzugehen und der Arbeit nachzuziehen. Daran müssen Sie hier arbeiten und ich will das gern auf anderer Ebene tun.
Es waren 27 Jahre ausgefüllt mit ganz vielen anspruchsvollen Themen in vielen Funktionen: als wirtschaftspolitische Sprecherin, als Ausschussvorsitzende, als Ministerin, als stellvertretende Fraktionsvorsitzende, als Fraktionsvorsitzende die letzten zehn Jahre, mit Erfolgen und Niederlagen, in Opposition und Regierungsverantwortung, auf der Parlamentsbank, auf der Regierungsbank.
Meine Kinder sind im Juli 1996 geboren. Im September des gleichen Jahres saß ich wieder hier im Landtag.
Familie und Beruf miteinander zu verbinden, auch anspruchsvolle, zeitfüllende Berufe, das ist ein Anspruch, den wir hier im Parlament, glaube ich, alle gemeinsam haben und worum wir in den nächsten Monaten wieder ringen werden. Ich wünsche dafür ein gutes Händchen.
Ich konnte das immer, weil es bei uns gute staatliche Rahmenbedingungen gab, noch aus dem Osten übernommen und weiterentwickelt, aber weil ich auch eine Familie und Freunde hatte, die das immer getragen haben. Das wünsche ich jedem, der hier in jungen Jahren im Parlament sitzt und diese Phase sozusagen hier mit erlebt. Dafür will ich auch Danke sagen, aber auch an die vielen Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter: die
verlässlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Landtag, in der Landtagsverwaltung, in meiner Fraktion - mit vielen von ihnen habe ich angefangen -, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ministerien.
Und was wären die Abgeordneten ohne ihre Mitarbeiter im Wahlkreisbüro. Ich will das an dieser Stelle einmal deutlich sagen: Sie sind unser verlängerter Arm - in Anführungsstrichen - in den Regionen vor Ort.
Ich hatte das Glück, 23 Jahre lang - das ist eine lange Zeit - eine Mitarbeiterin an meiner Seite zu haben, der ich vorbehaltlos vertrauen konnte und die meine Leidenschaft für sozialdemokratische Politik geteilt hat. Das ist eine lange Zeit und zeugt von einer tiefen Verbundenheit. Auch dafür will ich einfach einmal Danke sagen - weil denen selten von hier aus gedankt wird.
In 27 Jahren passiert viel, auch politische Gewichte verschieben sich und gesellschaftliche Stimmungen ändern sich. Wir leben nach meiner Einschätzung in einer schwierigen Zeit.
Ich glaube, es sind große Verunsicherungen gewachsen. Zugehörigkeiten sind verloren gegangen, Zusammenhänge lösen sich auf, Gewissheiten verlieren sich. Ganz vieles verändert sich. Die Tonlage in der gesellschaftlichen Debatte hat sich verschärft.
Bundestagspräsident Schäuble hat das so beschrieben, dass die gesellschaftliche Situation zunehmend als ungemütlich empfunden wird. Das empfinde ich auch oft so, muss ich sagen.
Meine Damen und Herren! Demokratie ist die Kunst des Kompromisses. Sie ist anstrengend, verdammt anstrengend. Man bekommt selten, eigentlich nie, zu 100 % recht. Man muss die eigene Meinung mit der anderer messen und Mehrheiten respektieren lernen. Diese Mehrheiten sind dann aber eben auch legitim. Auch das muss man akzeptieren lernen.
Inhalte infrage zu stellen, nach vorn zu denken, etwas anderes zu wollen, ohne demokratische Entscheidungen in Gänze verächtlich zu machen, demokratisch zu streiten, aber dabei Regeln und Umgangsformen einzuhalten, das war vor 27 Jahren meinem Gefühl nach irgendwie selbstverständlicher. Es ist leider, meinem Empfinden nach, heute nicht mehr immer so.
Ich habe auch in diesem Hohen Haus in den letzten Jahren zunehmend das Gefühl bekommen, dass das Maß zumindest für mich an zu vielen Stellen überschritten ist.
Bundestagspräsident Schäuble hat das beschrieben, indem er mahnte: Niemand vertritt das Volk allein. Niemand hat den Volkswillen gepachtet. Volkswille entsteht in einer Demokratie im Parlament. Demokratie und Parlamentarismus, das ist ein hohes Gut. - Ja, das ist es.
Ich war heute Morgen in der Andacht, was ich nicht immer geschafft habe, aber heute habe ich es wieder geschafft. Mit einem Blick auf mich hat Herr Steinhäuser gesagt: Und jetzt das letzte Lied: Vertraut den neuen Wegen, auf die der Herr uns weist. - Das werde ich tun. Weiter hinten heißt es dann: im gelobten Land. - Das ist der Bundestag ganz sicher nicht.
Ich verabschiede mich also heute aus diesem Parlament und werde künftig die Ehre haben, unser Land im Bundestag zu vertreten. Ich freue mich auf diese Aufgabe und sage schlichtweg einfach Danke für 27 spannende politische Jahre.
Vielen Dank, Herr Präsident.
Ich würde sagen, für mich war das ein gutes Schlusswort. Ich werde mich mit Ihren Kollegen sicherlich in Berlin über das eine oder andere Thema auseinandersetzen, aber das ist auch Inhalt einer demokratischen Debatte.
Gestatten Sie mir, dass ich heute an diesem Punkt einfach Schluss mache und keine Fragen mehr beantworte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer brüllt, der verliert seine Argumente, meine Damen und Herren von der AfD.
Mit dem Vortrag, den Sie hier gehalten haben, mit dem Slang, mit der Wortwahl, mit der Art und Weise, wie Sie das Parlament missbrauchen, das führt zu einer starken Schädigung des deutschen Kulturguts und der deutschen Sprache.
Ich habe gelesen, Herr Gauland und Frau Weidel wollen das deutsche Recht auf Asyl abschaffen
und sie wollen diplomatischen Druck aufmachen und sie wollen die Abschaffung der Entwicklungshilfe. Die Mittel sollen nur noch dann gezahlt werden, wenn die afrikanischen oder nordafrikanischen Länder einsehen, dass es sehr sinnhaft und notwendig ist, auf ihrem Gebiet, in Afrika, sogenannte Asyl- oder Flüchtlingszentren einzurichten
und diese dann natürlich auch zu betreiben, oder wenn sie einsehen, dass sie die Flüchtlinge, die aus ihren Ländern kommen, zurücknehmen.
Sprache ist verräterisch. Das ist so, als ob man Menschen wie ein Amazon-Paket behandelt und dann ankreuzen darf - ja, meine Damen und Herren von der AfD -: zu groß, zu klein, zu dunkel, zu hell, gefällt mir nicht, hält nicht, was es versprochen hat,
hat nicht den Inhalt, den ich wollte, Qualitätsmängel, hatte ich mir anders vorgestellt. Das ist das, was Sie sich unter Entwicklungspolitik vorstellen.
Über Asylzentren in den Ländern, wo die Menschen herkommen, hat sicherlich jeder schon einmal nachgedacht, wir auch. Die Idee ist an sich auch nicht dumm, wenn dahinter die Idee steht, dass man Menschen vor dem Ertrinken retten will.
Bei Ihnen unterstelle ich andere Gründe. Sie wollen, dass die Menschen überhaupt keinen Zugang zu anderen Ländern bekommen, sondern dass sie
dort auf Dauer festgehalten werden und keine Rechte haben.
Herr Gauland sagt dann: Na ja, wenn das eben nicht geht - es geht nach deutschem Asylrecht nicht, dass man dort den Asylantrag stellen kann -, dann ändern wir eben das Recht.
- Ja, ja, klasse.
Wissen Sie, welches Recht die Menschen dann hätten, die dort den Antrag stellen? - Wenn wir das so machen würden, dann hätten Millionen von Afrikanerinnen und Afrikanern zukünftig ungleich leichteren Zugang zum Asylverfahren mit allen Rechten, was Klage angeht und all das, was zum deutschen Recht dazugehört.
Dann sagen Sie weiterhin: Na ja, die Überforderung der Verwaltungsgerichte ist ja schon schrecklich; das müssen wir abschaffen. - Meinen Sie tatsächlich, dass Sie es mit dieser Art von Öffnung des Asylrechtes hinbekommen, dass die Verwaltungsgerichte weniger zu tun haben? - Ihre ganzen Vorschläge sind so etwas von unausgegoren und dienen nur einem Zweck, menschenverachtende Maßnahmen zu ergreifen.
Da nun dem Herrn Gauland offensichtlich klar geworden ist, dass das nicht funktioniert, hat er dann auch gleich beschlossen, das deutsche Asylrecht ganz abschaffen zu wollen. Und er sagt, es muss doch nach deutschen Interessen gehen. Es muss ja nicht immer ein „America first“ sein, es kann ja auch einmal „Deutschland zuerst“ heißen.
Das, meine Damen und Herren von der AfD, ist der Stoff, aus dem Kriege gemacht werden.
Nationales Interesse zuerst hat es Jahrhunderte lang in Europa gegeben. Das waren die Zeiten, in denen es unzählige Kriege in Europa gegeben
hat, unzählige Kriege mit unzähligen Opfern und keiner wirtschaftlichen Entwicklung.
Der Letzte, Herr Poggenburg, der „Deutschland zuerst“ zu seiner Maxime gemacht hat, war Adolf Hitler.
Das schreckliche Ergebnis kennen Sie. Also, in welcher Tradition stehen Sie? - Fragezeichen!
Und wie so oft im Leben und in der Geschichte, ist es eben nicht ganz so einfach, und einfache Lösungen funktionieren nie. Kriege, Umweltverwüstung, Wassernot, Hunger, fehlende Bildung, fehlende Perspektiven, Diktaturen - das sind die Ursachen, die Menschen zur Flucht aus ihren Geburtsländern veranlassen.
Das sind nicht die Auswanderer, die wir bei SAT 1 oder RTL in den Doku-Soaps sehen.
Das sind Menschen mit existenziellen Nöten,
mit Angst vor Tod, vor Hunger, vor Perspektivlosigkeit.
Die Jahrtausende der Menschheitsgeschichte und die Völkerwanderungen haben gezeigt, dass weder Meere noch Gewehre es schaffen, Menschen mit existenziellen Nöten aufzuhalten.
Die einzige Möglichkeit ist, ihre Geburtsländer lebenswert zu halten oder lebenswert zu machen.
Also fangen wir doch an mit der Entwicklungshilfe, die sie ja abschaffen oder einschränken wollen.
Afrika ist ein reicher Kontinent, nur dass der Reichtum nicht bei den Menschen dort ankommt. Solange deutsche Entwicklungshilfe noch Kühltürme für Fertigpizza an den Küsten fördert und die Pizza, die über das Meer gebracht wird, statt dass bäuerliche Integration, bäuerliche Initiativen
und eigene Verarbeitung in Afrika stattfinden, so lange werden die Menschen sich auf den Weg nach Europa machen.
Aber das ist ein eigenes Thema.
Zum Aspekt Europa.
Ja, leider war auch in Europa zu lange der Gedanke - -
Vielen Dank, Herr Präsident. - Leider war auch in Europa zu lange der Gedanke, Hauptsache die Probleme bleiben aus meinem Land draußen, mit dabei bei den Überlegungen zu Lösungen, die wir geschaffen haben.
Auch Dublin ist so eine Lösung, die funktioniert hat, als wenige Menschen kamen. Natürlich reisen die allermeisten Flüchtlinge nicht über eine Fluglinie in das Herz Europas ein, sondern sie landen irgendwo an den Grenzen Europas, an den europäischen Außengrenzen. Italien, Griechenland, Osteuropa haben große Schwierigkeiten gehabt und sie haben sie bis heute auch noch, das zu bewältigen.
Dublin ist in einer Situation von Massenfluchten aus vielen Teilen der Welt schwierig. Das Abkommen kann nicht angewendet werden; es ist gescheitert in dieser Art von Anwendung.
Dazu kommt in vielen Ländern der Europäischen Union die Angst aus den Jahren 2015 und 2016, überfordert zu werden. Das gilt auch für die Menschen, die dort leben. Das muss man schlichtweg auch sagen. Umso schwerer ist es jetzt, in Europa Verteillösungen zu finden, die akzeptiert werden. Trotzdem müssen wir es schaffen. Ich spreche nicht gern von Alternativlosigkeit, aber das Ob ist für mich alternativlos; das Wie ist es nicht.
Die Menschen, die vor Krieg und Gewalt fliehen, müssen in Europa auch zukünftig einen Zufluchtsort finden können.
Das Recht auf Asyl darf nicht ausgehöhlt werden. Gleichzeitig brauchen wir aber auch eine bessere Kontrolle der Migration durch einen effektiven Schutz der Außengrenzen und durch die Partnerschaft mit wichtigen Herkunfts- und Transitländern und eine deutlich verbesserte Bekämpfung der Ursachen von Flucht und Migration. Das wird überhaupt nur die Lösung sein.
Wir brauchen in Europa dringend eine Verständigung auf ein gemeinsames Vorgehen in der Flüchtlingsfrage, und dazu gehören auch Mechanismen, die es schaffen, die Infrastrukturen vor Ort vor Überlastung zu retten.
Das kann nur in einem neuen Verteilsystem funktionieren und es kann nur funktionieren mit finanzieller Unterstützung aus europäischen Mitteln für Gemeinden und Städte, die die Flüchtlinge aufnehmen. Finanzielle Unterstützung und Manpower brauchen auch die Länder, die die Hauptlast des Aufnehmens an den Außengrenzen der Europäischen Union tragen.
Wir waren mit dem Ausschuss auf Malta und Sizilien und haben gesehen, wie internationale und europäische Teams dort arbeiten und wie sie gut mit den NGO zusammenarbeiten. Sie haben es weit von sich gewiesen - und das zu Recht -, dass NGO Schlepperbanden seien.
Dem will ich hier aus tiefster Überzeugung widersprechen.
Die Antworten, die wir dort bekommen haben sind, die NGO helfen uns, damit nicht noch mehr Menschen ertrinken. Es ist gut, dass wir sie haben, weil wir gar nicht genug eigene Potenziale haben, um die Menschen aus dem Meer zu retten. Sie können einmal Ihre Kollegen fragen, die mit dabei waren. Selbst nach dreimal nachfragen haben sie nicht die Antwort bekommen, die sie gern gehabt hätten.
Wir brauchen gemeinsame europäische Regeln dafür. Deshalb ist es gut, dass Martin Schulz das Sofortprogramm in den Raum gestellt und vorgeschlagen hat, mit dem kurzfristigen
Aspekt, von dem er zu Recht sagt, den Druck vom Kessel nehmen, nämlich den Druck von den
Außengrenzen Italiens nehmen, Griechenland entlasten und mit dem mittelfristigen Aspekt, dass eine faire Verteilung in Europa womöglich nur möglich ist, wenn wir die Finanzmittel in der Europäischen Union auch daran binden, dass Flüchtlinge aufgenommen werden, und mit dem langfristigen Aspekt, dass Afrika eine andere Perspektive braucht, eine effektive Entwicklungshilfe, fairen Handel und keine Waffenexporte in diese Region.
Ein Wort zur Integration. Wer heute die „MZ“ gelesen hat, weiß, dass in der neuesten Studie der Bertelsmann-Stiftung für ganz Europa untersucht worden ist, wie die Integration von Muslimen verläuft. Die Studie der Bertelsmann-Stiftung - die werden Sie ja wohl nicht auch noch als Schlepperbande bezeichnen wollen -, besagt, natürlich gibt es auch Parallelgesellschaften, aber zwei Drittel haben sich integriert.
Die zweite und dritte Generation ist so gut wie komplett mitten in der Gesellschaft Deutschlands angekommen, 60 % arbeiten in Vollzeit, 20 % arbeiten in Teilzeit. Das entspricht dem bundesdeutschen Durchschnitt. Wo wir einen Nachholbedarf haben, ist das Bildungsthema. Das liegt an den Strukturen.
Man kann innerhalb von Europa ganz deutlich sehen, dass zum Beispiel die französischen Strukturen, was das Thema Bildung angeht, eine bessere Arbeit leisten. Wir wissen selber, dass wir auch ohne Flüchtlinge und ohne Menschen mit Migrationshintergrund im Bildungssystem noch eine ganze Menge zu tun haben.
Was Ihren Antrag angeht, finde ich es ziemlich unerträglich, dass Sie eine Verbindung aufmachen
Ich würde nur die Empfehlung noch abgeben, wie wir uns zum Antrag verhalten.
zwischen Gefährdern und dem Thema ausreisepflichtiger Ausländer. Wir haben Ihnen einen Alternativantrag der Koalition vorgelegt, wo es um das Thema ausreisepflichtige Ausländer geht. Demzufolge werden wir Ihren ablehnen und den
der Koalition annehmen. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Diese Staaten haben über viele Jahrzehnte Zuwanderungsgesetze und ein solches Zuwanderungsgesetz gibt es in Deutschland nicht. Das ist ein schweres Versäumnis.
Die Sozialdemokratie fordert seit Jahrzehnten ein Einwanderungsgesetz. Wir waren uns dabei politisch nicht einig.
Ich glaube, dass es unter dem Druck der Zuwanderung, so wie es jetzt passiert, eine große politische Einigkeit gibt, ein Zuwanderungsgesetz zu gestalten.
- Sie braucht eigentlich niemand, Herr Poggenburg, Sie und die AfD!
Aber ich nehme an, Sie haben nicht wirklich Interesse daran, dass ich Ihnen das jetzt hier erläutere. Wir haben in diesem Hohen Hause die Positionen gegenseitig schon oft genug ausgetauscht. Ich glaube, wir kommen da so etwas von 0 % überein, dass ich mich für die Aufmerksamkeit bedanke
und davon absehen werde, weitere Fragen zu beantworten.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren! Ich habe Schulessen gehasst,
und zwar vom ersten Tag in der Schule im Jahr 1971 bis zum letzten Tag im Jahr 1983 mit dem Abitur. Zu DDR-Zeiten war Schulessen nur eines: billig. Es war weder ausgewogen noch gab es Obst oder Gemüse. Das hat sich in einem Apfel oder einer sauren Gurke erschöpft.
Insofern bin ich über jede Initiative froh, die es den Kindern erlaubt, heute anderes Schulessen zu sich zu nehmen und eine gesunde, ausgewogene Ernährung in der Kita und in der Schule zu haben. Da ist in der Tat jede Initiative eine gute Idee und gut angelegtes Geld.
Hinsichtlich der Frage, ob es mit Ihrer Idee, das Schulobst- und -milchprogramm mit den Landesmitteln zusammenzuführen, gelingen kann, eine breit angelegte Initiative für Eigenversorgung zu organisieren und ob das Erfolg haben wird, bin ich allerdings etwas skeptisch.
Erstens wird das Geld dafür nicht reichen. Es ist auf zwei Jahre angelegt.
Wenn man ein solches Ziel verfolgt, dann ist das Ganze nur sinnvoll, wenn man so etwas nicht nur zwei Jahre lang an Schulen macht, sondern wenn es richtig institutionalisiert wird. Das heißt, wenn wir alle der Auffassung sind, dass das sinnvoll ist, dann muss man sich bei den nächsten Haushaltsberatungen überlegen, ob man Geld zur Ver
fügung stellt, um ein Anreizsystem zu schaffen, dass Schulen solche Eigenversorgung einrichten.
Ich halte viel von regionaler Versorgung. Und ich halte auch viel davon, die Wertschöpfung dadurch zu erhöhen, dass man das Essen selber kocht. Aber ich glaube, dass das ein Ideal bleiben wird, das man nicht an allen Schulen umsetzen kann. Das ist zumindest mein jetziger Eindruck. Ich befürchte, dass ich damit nicht weit weg von der Realität bin. Aus meiner Sicht müsste man zwei Dinge machen.
Erstens müsste man die Regelversorgung anders anlegen; denn auch zugeliefertes Essen kann gut sein. Es muss ja nicht über eine Entfernung von 100 km geliefert werden; es kann aus dem Umkreis von 20 km kommen und gut organisiert sein.
Zweitens gibt es gutes und schlechtes Essen. Selbst die Zulieferer haben in dem einen Bereich gutes Essen, in dem anderen Bereich schlechtes Essen, was offensichtlich daran liegt, dass unterschiedliche Köchinnen und Köche tätig sind. Es liegt nicht nur an der Technik.
All das wird sicherlich nicht helfen, überall sofort schmackhaftes und regionales Essen auf den Tisch zu bringen. Aber die Idee, so etwas anzureizen und zu entwickeln, ist gut. Letztendlich sind es aber die Schulträger, die den Betrieb bezahlen müssen und die darüber entscheiden müssen, ob sie das wollen, und die auch die Menschen anstellen, die die Arbeit machen. Insofern ist das - ich meine es wirklich nicht böse - einfach noch ein Stück zu kurz gedacht.
Ich glaube, dass diese Zusammenführung der beiden Programme, die nicht mehr notwendige Kofinanzierung und das Vorhaben, die nicht verwendeten Restmittel für das Programm zu nutzen und begleitende Maßnahmen anzustoßen, erst einmal eine gute Idee ist. Das ist besser, als einmal einen Schulmilchtag oder einen Obsttag an der Schule durchzuführen. Auch dann, wenn es jetzt nicht für alle reichen wird, halte ich das für eine sehr vernünftige Lösung.
Außerdem glaube ich, dass man dabei beachten muss, dass alles, was sozusagen regelhaft auf den Tisch kommt, das wird ganz oft zur Normalität. Dann würden wir im Zweifel hinterher wieder darüber diskutieren, ob man nicht begleitende Maßnahmen machen kann, um das Essen oder die Herstellung und die Verarbeitung von Essen attraktiver zu machen.
Wir überweisen den Antrag gern in den Ausschuss und versuchen, mit Ihnen gemeinsam dem Ideal etwas näher zu kommen. Ich hoffe, dass wir im Laufe der Zeit gute Lösungen und Ideen finden, um unseren Kindern besseres Essen anzubieten.
Keine Frage, Frau Feußner, sondern eine Kurzintervention. - Die SPD ist ja eine Partei, die kurz nach 1945 bis 1989 verboten war. Trotzdem ha
ben viele hier bei uns im Plenum, die etwas älter sind, eine persönliche Geschichte in der DDR.
Selbst eine Partei, die erst 1989 neu gegründet worden ist, hat eine Geschichte, die von dem Thema Staatssicherheit nicht ganz zu trennen ist, wenn ich an Ibrahim Böhme denke, der als einer der ersten Vorsitzenden Stasi-Mitglied war und die SPD mit gegründet hat.
Insofern meine Bitte an alle hier Vertretenen sowohl als Individuen als auch als Parteien, vernünftig und sachlich mit dem Thema umzugehen. Denn auch die Blockparteien haben eine Geschichte in der DDR. Man sieht, auch die SPD, die hinterher neu gegründet worden ist, war davon nicht ganz frei.
Ich möchte aber auch mit der Mär aufräumen, die der Redner der AfD hier vorgetragen hat, dass man sich nicht wehren konnte, weil man ansonsten mit Konsequenzen zu rechnen hätte.
Es ist im Leben immer so, dass man sich entscheiden muss und dass das Konsequenzen hat.
In einer Diktatur ist es so, dass die Konsequenzen manchmal dramatischer sind. Meine Eltern haben sich anders entschieden, sie haben deshalb auf Karriere verzichtet, und manch einer hier im Saal auch.
Der eine oder die andere ist so weit gegangen, dass sie in eine Blockpartei gegangen sind. Andere haben auch darauf verzichtet. Es gibt ganz unterschiedliche Geschichten.
Aber das MfS, also diese Art von innerer Bespitzelung, ist ein Instrument, das in den Kasten einer Diktatur gehört. Das ist so. Und dann ist es immer schlimmer. Das wissen wir. Trotzdem gibt es immer eine freie Entscheidung. Ich wehre mich dagegen, dass hier auf die Tränendrüse gedrückt wird so nach dem Motto, man musste das tun. Das musste man nicht, auch in der DDR nicht.
Darf ich noch eine Bitte an die Kollegen der LINKEN äußern? - Ich weiß, dass das immer eine große Keule ist, die bei dem Thema hier rausgeholt wird. Ich verstehe auch wirklich nicht, warum Sie Ihre Meinung dazu nicht ändern. Ich verstehe das einfach nicht. Aber wir sind weit davon entfernt, die große Keule herauszuholen.
Ich würde mich trotzdem freuen, wenn an dieser Stelle die einzelnen Abgeordneten vielleicht doch noch einmal überlegen, ob es nicht ein Mittel mit ist, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen und einem solchen Ausschuss zuzustimmen, weil ich glaube,
- das ist meine persönliche Auffassung, Herr Höhn -
dass es gut wäre, wenn es hier einen großen Konsens gäbe.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren! Wenn ich mich hier so umschaue, geht das der Debatte um die Europäische Union heute genauso wie oft in letzter Zeit. Sie ist das Opfer einer populistischen Vorgängerdebatte, sage ich einmal, vom Tagesordnungspunkt vorher, aber doch auch wieder des Populismus. Obwohl es um ganz existenzielle Themen geht, bin ich dankbar, dass der Ministerpräsident und der Europaminister hier sind. Wenn es nachher um die Verwendung des Geldes aus der Europäischen Union geht, werden die Fachminister wieder anwesend sein. Es ist bedauerlich, dass sie es jetzt nicht sind.
Wenn man sich Deutschland mit 16 Bundesländern, 82 Millionen Einwohnern und einer gemeinsamen Währung einmal anschaut, wissen wir schon, wie schwierig es ist, die Einigung zwischen der Nordsee und den Alpen zu finden. Wenn man dem die EU gegenüberstellt mit noch 28 Mitgliedstaaten, mit 24 Amtssprachen, mit 510 Millionen Einwohnern, mit einem Rat, einer Kommission, einem Parlament, einer Zentralbank, einem Gerichtshof, einem Rechnungshof, dem Euro plus zehn nationalen Währungen, dann ist das nahezu schon ein kleines Wunder. Es muss eine ganz starke Kraft sein, die diese Europäische Union verbindet, dass es sie so lange gibt, dass sie eine so positive Entwicklung genommen hat und dass es so viele Menschen gibt, die dafür kämpfen.
Martin Schulz hat in seinem Buch „Der gefesselte Riese“, das ich jedem empfehlen kann, der die EU verstehen will, sehr einfach und anschaulich beschrieben, dass er die Europäische Union
- man muss lesen können dafür, das ist richtig - mit dem Scheinriesen TurTur vergleicht.
Der Scheinriese TurTur ist, wenn man ganz nah dran ist, zerschlissen, klein, hässlich, dreckig. Wenn man aber ganz weit weggeht, wird er immer größer in der Geschichte von Lukas Knopf.
Und so, sagt er, ist das auch mit der Europäischen Union. Aus der Ferne betrachtet wird sie immer größer, glanzvoller und auch erstrebenswerter. Frieden, Freiheit, Wohlstand, soziale Gerechtigkeit, Krankenversicherung, Rentenver
sicherung, freie Presse, unabhängige Gerichte - das ist es, was man von außerhalb der Europäischen Union sieht, und das ist es, warum Europa so oft als Ort der Sehnsucht betrachtet wird. Wir können uns glücklich schätzen, dass wir auf diesem Kontinent und in dieser Vereinigung leben.
Herr Gallert, Sie haben gesagt, ja, das ist kritischer geworden. Ich gebe Ihnen zu 100 % Recht. Ein Scheitern der Europäischen Union ist zumindest erstmals in der Nachkriegsgeschichte ein Szenario, das man nicht mehr wegweisen kann, was nicht ganz unrealistisch ist, das man jedenfalls so nicht abtun darf. Es wird viel häufiger an den Stammtischen diskutiert. Es gibt den Brexit, und das Scheitern hat, glaube ich, auch für manche und manchen den Schrecken verloren.
Deshalb - das will hier noch einmal ganz deutlich sagen - müssen wir alle darauf hinweisen und dafür arbeiten und sagen, ja, es wäre eine Katastrophe, wenn die EU scheitert. Sie darf auf keinen Fall scheitern.
Ein Scheitern ist abwendbar. Es gibt zunehmend überall in Europa Menschen, die für Europa auf die Straße gehen. Dieses Pulse of Europe ist nur eine der Bewegungen. Es gibt unzählige Bewegungen, aber die wächst auch. Es sind vor allem junge Menschen, die auf die Straße gehen. Die wissen auch, warum sie auf die Straße gehen, Kinder und junge Menschen. Meine Damen und Herren aus allen Fraktionen, Sie werden nicht müde, zu behaupten und zu argumentieren, dass die unsere Zukunft sind. Also dürfte es doch für uns im Parlament nur eine Schlussfolgerung geben: Wir müssen glühende Verfechterinnen und Verfechter für ein neues Europa sein, und wir müssen für sie Politik machen, das heißt, eine Weiterentwicklung der Europäischen Union.
Deshalb kann es aus meiner Sicht nur eine Antwort geben. Wir machen ein Remake und drücken nicht auf Reset. Für alle, die das nicht verstehen: Wir erneuern, und wir löschen nicht. Also glühende Verteidiger der Idee. Ich will deshalb ein Plädoyer für den Angeklagten halten, nämlich die EU, die zum Teil zu Recht auf der Anklagebank sitzt, zum Teil aber auch zu Unrecht, ein Angeklagter, den man vielleicht in eine Besserungsanstalt schicken muss, der es aber ganz sicher nicht verdient hat, zum Tode verurteilt zu werden.
Das sehen auch die vielen Zehntausenden Menschen so, die aus allen Teilen der Europäischen Union, aber auch von außerhalb Europas am 25. März dieses Jahres auf die Straßen gegangen, nach Rom gefahren sind und für ein neues, ein modernes Europa gestritten haben, für ein Europa der Bürger für Bürger, in dem Verbündeter des anderen zu sein bedeutet, auf einem solidarischen Kontinent zu leben, der eine wahre Integration der Völker garantiert.
Die Bürgerinnen und Bürger erwarten, dass es kein kritikloses Weiter so gibt. Es besteht die Er
wartung, dass wir bessere Antworten geben als bisher - auf die Flüchtlingskrise, auf wirtschaftliche und soziale Ungleichheiten. Aber, meine Damen und Herren, eines wollen sie ganz sicher nicht: introvertierten Nationalismus. Introvertierter Nationalismus oder das Übertragen des America First auf die einzelnen europäischen Mitgliedstaaten ist in jedem Fall der falsche Weg.
Das wäre ein Weg entlang des Sprichworts: Wenn jeder an sich denkt, dann ist an alle gedacht.
Das ist aber keine gute Grundlage für unser Zusammenleben auf dem Erdball und auch nicht für Europa; denn so funktioniert zumindest keine friedliche Gesellschaft.
Auf die nationale Pauke hauen ist manchem viel wichtiger als das Wohl der Menschen in Europa. Das machen zum Teil auch Regierungen so, auch die Staaten, die in Europa verbündet sind. Wenn in Europa etwas beschlossen wird, gibt es manche Staaten - kein Land ist davon frei -, die dann sagen, ja, das ist alles ganz schrecklich, was da beschlossen wurde. Das ist nicht gut. Das ist ein Fehler. Wenn man sich über etwas verständigt hat, muss man dafür auch einstehen. Dann gibt es noch die Populisten, die eine Mär vom vermeintlich sicheren Hafen eines Nationalstaates verbreiten. Beides, meine Damen und Herren, finde ich unanständig und kleingeistig.
Vieles gibt es aus meiner Sicht, auf das wir stolz sein können. Nichts ist selbstverständlich bei dieser Europäischen Union. Nichts ist perfekt. Vor 60 Jahren wurde der Grundstein für die Europäische Union gelegt - aus unserer Sicht ein einzigartiges Modell für Frieden, Demokratie, Freiheit, Gleichheit, Wohlstand und Solidarität.
Ja, unsere Welt ist heute in Unruhe. Nationalismus und Populismus sind auf dem Vormarsch. Wir müssen beides stoppen. Wir dürfen Prioritäten und Solidarität nicht aus den Augen verlieren. Demokratie, Solidarität und Grundrechte - das ist für uns Sozialdemokraten das Herzstück unserer Identität.
Es gibt auch eine große Idee, die es zu verteidigen gibt, nämlich eine Europäische Union, die es gilt, vor den Nationalisten in den vielen Ländern zu retten. Es gilt, die Gleichheit, Freiheit, Fairness, soziale Gerechtigkeit für alle Bürgerinnen und Bürger in Europa im Blick zu behalten und zu fördern. Wir brauchen eine Politik, die mehr ist als Haushaltskonsolidierung. Auch Geld ist in der Europäischen Union wichtig. Aber die Europäische Union ist mehr als Geld und mehr als Haushaltskonsolidierung.
Wir brauchen soziale und wirtschaftliche Annäherung, sowohl unter den Mitgliedstaaten, aber auch
innerhalb der Mitgliedstaaten. Möglicherweise ist dafür bei manchen Themen eine unterschiedliche Geschwindigkeit notwendig. Darüber wird gerade viel diskutiert. Aber es muss immer in die gleiche Richtung gehen. Das ist das Entscheidende dabei.
Wir müssen auch dafür kämpfen, dass die Werte unserer Gesellschaft, Toleranz, Offenheit und Menschenrechte, vor jenen geschützt werden, die das zerstören wollen, und vielleicht, meine Damen und Herren - ein wenig selbstkritisch an diesen Teil des Plenums gerichtet -, waren wir ein Stück zu selbstgefällig, haben wir vieles für zu selbstverständlich genommen und damit Trump, Le Pen, den Brexit und der AfD den Boden bereitet.
Aber die Millionen, die jetzt für Frieden, Demokratie, Solidarität und für Europa auf die Straße gehen, machen auch wieder Mut. Deshalb, glaube ich, sollten wir sie mit aller Kraft unterstützen.
Ich möchte gern mit dem Zitat eines glühenden Europäers schließen, nämlich mit einem Zitat von Willy Brandt aus dem Jahr 1973:
„Die Entwicklung zur Europäischen Union ist unerlässlich. Nur sie bietet unseren Völkern den Raum, den ihre politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen Energien brauchen. Die Vereinigung Europas ist nicht nur eine Frage der Qualität unserer Existenz. Sie ist eine Frage des Überlebens zwischen den Giganten und in der zerklüfteten Welt der jungen und der alten Nationalismen. Nur in einem Europa, das seine Persönlichkeit gefunden hat, sind unsere nationalen Identitäten zu sichern. Der Nationalstaat klassischer Prägung ist die Lebensform von gestern. Es gilt noch, begrenzte Positionen zu erfüllen, vielleicht für lange Jahre. Aber unsere Zukunft ist nicht mehr isoliert betrachtet, nur der Nationalstaat.“
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Ich glaube nicht, dass das Ansehen Deutschlands in Griechenland Schaden genommen hat. Wenn es in einem Nationalstaat schwierig wird, wenn die Menschen Geld verlieren, wenn die Renten gekürzt werden, wenn sie entlassen werden, dann ist es verständlich, dass sie in Aufruhr sind.
Dass sie dann die Schuld nicht immer bei sich selbst suchen, dafür sind Sie das beste Beispiel. Sie machen das ständig. Ich glaube aber, dass die Entwicklung und das, was die Europäische Union für Griechenland getan hat, dazu geführt hat, dass wir auf einem guten, vernünftigen gemeinsamen Weg sind, und dass auch in Griechenland die überwiegende Mehrheit der Menschen Deutschland weiterhin mag, um es einfach auszudrücken, und gerne wirtschaftlich mit
Deutschland zusammenarbeitet und die Menschen in Frieden zusammenleben können.
Es gibt immer wieder einmal schwierige Situationen, und die muss man beherrschen. Dafür muss man eine Lösung finden, und ich glaube, die haben wir gefunden.
In einem vereinigten Währungsraum, was den Euro angeht, ist es nun einmal so, dass man in bestimmtem Maße auch gegenseitig füreinander einsteht, weil ansonsten der gesamte Währungsraum zusammenbricht. Für Deutschland wäre es eine Katastrophe, wenn der Währungsraum des Euro zusammenbrechen würde.
- Ich würde an Ihrer Stelle mit Wikipedia-Volkswirtschaft anfangen. Wenn Sie noch mehr wissen wollen, dann gehen Sie an die Universität oder an die Fachhochschule und belegen ein paar Kurse und Seminare. Dann verstehen Sie das danach auch. Es macht wirklich keinen Sinn, Ihnen das zu erklären. Wenn ich sagen sollte, was ich davon halte, dann würde ich einen Ordnungsruf der Präsidentin riskieren. Das ist es mir nicht wert.
Machen Sie sich also schlau. Wenn dieser Währungsraum und der Euro zusammenbrechen,
dann wäre Deutschland eines der Länder, das den größten Schaden davontragen würde.
Deshalb ist es richtig, dass wir den Währungsraum weiterentwickeln, und deshalb ist es gut, dass wir in Europa keine Zölle haben. Wir profitieren als Erste davon, wenn die anderen ihre Währung nicht abwerten können; denn dann würden nämlich, um es ganz einfach zu erklären, die deutschen Güter so teuer werden, dass sie keiner mehr kauft, und am Ende würde die Arbeitslosigkeit hier steigen. Wir sind diejenigen, die davon profitieren, dass das gegenwärtig nicht passiert. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Tillschneider, der Islam ist Staat und Religion und hat nie gelernt, dies zu trennen.
Das Christentum war in seiner Existenz auch länger Staat und Religion und hat auch nicht gelernt, dies zu trennen. Das haben sie nämlich nicht freiwillig gemacht.
Wenn wir uns heute einmal auf den Magdeburger Rathausplatz begeben, dann sehen wir unsere eigene Geschichte dort ziemlich deutlich.
Der tolle Magdeburger Reiter, der dort steht, ist das Symbol der Verbindung von Religion und Macht, nämlich von Kaiser und Kirche, der dort hingestellt wurde, damit er die Bürger beaufsichtigt. Freiwillig hat das niemand getan. Wenn Sie über Eroberungen und Missionierung reden, dann werde ich als Katholikin ganz demütig, was die Welt angeht.
Denn die starken christlichen Kirchen in Südamerika, in Amerika und in Afrika sind nicht freiwillig
entstanden, weil sie auf das Facebook geschaut haben, was es noch gar nicht gab, oder über die See gefahren sind und geschaut haben, was es an tollen Religionen gibt, die sie vielleicht auch einführen können. Sondern das war knallharte Missionierung, die nicht besonders freundlich war.
Wir als Christinnen und Christen haben ziemlich lange gebraucht, um das in eine friedliche Situation zu bringen.
Formal ist die Trennung von Staat und Kirche bei uns zwar schon geregelt, aber wir haben auch zwei demokratische Parteien, die das C noch in ihrem Namen tragen und das auch miteinander hinbekommen. Ich wäre ganz vorsichtig, andere in dieser Art und Weise zu beschimpfen.
Islamverbände sind heutzutage auch sehr unterschiedlich. Diejenigen, die Sie beschrieben haben, gibt es. Aber es gibt auch andere. Was das Thema Ditib angeht, habe ich persönlich auch ziemliche Bauchschmerzen.
Meine Kollegen aus der SPD in Nordrhein-Westfalen und in anderen Ländern, wo die Ditib sehr stark ist, anders als bei uns Gott sei Dank, haben sich damit viel intensiver als ich beschäftigt. Das Frauenbild, das von der Ditib propagiert wird, und die Verbindung zwischen dem türkischen Staat und dem, was hier ausgeübt wird, halte auch ich für schwierig und für nicht akzeptabel.
Ich finde auch Erdoğans Politik-, Demokratie- und Pressefreiheitsverständnis nicht nur unterirdisch, sondern völlig indiskutabel.
Der Unterschied ist aber, wir ziehen daraus unterschiedliche Schlussfolgerungen.
Deshalb ist unser Alternativantrag eben auch ein anderer. Denn ich finde, wir müssen dem etwas entgegensetzen. Genauso wie sich das Christentum emanzipiert hat und die Menschen im Christentum sich emanzipiert haben, müssen wir diejenigen Muslime unterstützen, die sich auch emanzipieren wollen, die die andere Seite vertreten und einen friedlichen Glauben leben wollen; die überwiegende Mehrheit.
Deshalb steht in unserem Antrag zum Beispiel, dass wir einmal prüfen sollten, ob es nicht durchaus sinnvoll ist, an den Schulen muslimischen Religionsunterricht zu erteilen, der nach den Re
geln und mit den ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern stattfindet
- das ist der Unterschied -, die wir festlegen. Wir wollen diejenigen unterstützen, die friedliche Muslime sind und auch nur ihren Glauben leben wollen. Es liegt an uns, was wir machen und wie wir das gestalten.
Im Übrigen, Herr Tillschneider, es war ganz dünnes Eis, als Sie behaupteten, dass alle diejenigen, die von Religionsfreiheit faseln, gegen den Staat sind und das Grundgesetz verlassen. Indem Sie das so gesagt haben, haben Sie den Boden des Grundgesetzes verlassen.
Denn Sie sind viel zu klug, um den Artikel des Grundgesetzes nicht zu kennen, den ich nachher noch vorlesen werde, nach dem es eine Religionsfreiheit gibt und nicht darüber gefaselt wird. Die süffisante Art und Weise Ihres Vortrages gegenüber den Grünen und den anderen demokratischen Parteien zeigt mir ganz deutlich, wes Geistes Kind Sie sind
und dass Sie sicherlich keine ehrliche, sondern eine unehrliche Diskussion hier führen.
Wir missbilligen jede Form der Radikalisierung durch religiöse Vereine und Gemeinschaften, aber auch jede andere Form des Extremismus. Das gehört einfach dazu.
Ja, man muss den Anfängen wehren. Ich muss nicht das wiederholen, was der Minister vorgetragen hat. Wir haben in den Alternativantrag geschrieben, dass in den Ausschüssen darüber berichtet wird, damit wir alle den gleichen Kenntnisstand haben.
Nun lese ich Ihnen Artikel 4 des Grundgesetzes vor:
„Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“
Wer sich davon verabschiedet, verlässt den Boden des Grundgesetzes.
Wenn Sie das tun, Herr Tillschneider, dann verlassen Sie den Boden des Grundgesetzes.
Ja, man muss auch mit Verboten arbeiten, selbstverständlich. Sie haben gesehen, dass das auch in Nordrhein-Westfalen getan wird.
Wir würden das hier auch tun, wenn die Notwendigkeit besteht; das ist richtig. Das Grundgesetz eröffnet Möglichkeiten, aber eben auch Grenzen. Das muss man wissen. Ich sage in meinen Jugendweihereden immer: Deine Freiheit endet an meiner Nasenspitze.
Das gilt genauso für das Thema Religion, nüber wie rüber.