Protokoll der Sitzung vom 19.04.2018

Das Beispiel Neue Neustadt in Magdeburg ist ein Thema, das im Moment sicher besonders in der Diskussion ist. Wenn Wohnungsmissstände auftreten, brauchen Gemeinden - anders als heute - bessere Eingriffsmöglichkeiten, wie es sie in anderen Bundesländern ebenfalls gibt. Als Beispiel sei Nordrhein-Westfalen genannt. Deshalb begrüßt meine Fraktion die Initiative der Landesregierung, ein Gesetz zur Beseitigung von Wohnungsmissständen auf den Weg zu bringen.

Mit dem Gesetzentwurf wird für die Gemeinden die rechtliche Grundlage geschaffen, gegen bestehenden und drohenden Missstand bei Wohnungen, gegen die Verwahrlosung von Wohnraum sowie gegen Überbelegung vorzugehen. Das ist wichtig sowohl für den Schutz von Menschen, die in den Wohnungen leben bzw. leben müssen, als auch für den Schutz der Nachbarn. Dies kann ein Baustein für den Erhalt der Attraktivität von Wohnstandorten und Quartieren sein, nämlich dort, wo das Problem insbesondere und hoch dosiert auftritt.

Der vorliegende Gesetzentwurf - der Minister hat es bereits ausgeführt - legt eine Mindestausstattung für Wohnraum fest. Licht, Schutz vor Regen und Feuchtigkeit, Energie- und Wasserversorgung, Heizung, Kochmöglichkeit und Sanitäreinrichtungen - all das sind Elemente, die verfüg- und benutzbar sein müssen. Die Gemeinde kann verlangen, etwaigen schweren Mängeln abzuhelfen - es gibt eine Kaskade von Folgen, wenn ein sol

cher Missstand auftritt -, und im Extremfall kann sie die Wohnung für unbewohnbar klären.

Ein weiterer Regelungsinhalt des Gesetzentwurfes betrifft die Möglichkeit, gegen Überbelegung vorzugehen, also jenseits der Wohnstandards zu prüfen, wie viele Menschen auf wie vielen Quadratmetern wohnen. Die im Gesetzentwurf vorgesehene Regelung der Mindestfläche des Wohnraums von 9 m² je Bewohnerin oder Bewohner und von 6 m² für Kinder bis zu sechs Jahren soll es Gemeinden zukünftig ermöglichen, so lange gegen Überbelegung vorzugehen, bis der Zustand der ordnungsgemäßen Belegung erreicht ist.

Was dies dann - diese Frage ist gestellt worden - für das Innenverhältnis zwischen Vermieter und Mieter zu bedeuten hat, wenn Mietverträge entstehen, die möglicherweise gegen das Gesetz verstoßen, was die Wirksamkeit der Verträge betrifft, wird man sicher noch in den Ausschussberatungen klären müssen. Aber ich denke, das wird sich juristisch relativ eindeutig ergeben. Sicherlich wird die Regelung nur in Ausnahmefällen erforderlich sein; sie ist aber dennoch nicht zu unterschätzen, da sie im Einzelfall durchaus eine erhebliche Bedeutung haben kann.

Was wir als SPD-Fraktion noch für diskussionswürdig für die weiteren Ausschussberatungen halten, ist, dass das Gesetz keine Anwendung auf Wohnraum haben soll, der von dem Verfügungsberechtigten eigengenutzt wird. Auch bei Eigennutzung sind Wohnungsmissstände nicht auszuschließen. Auch solche Missstände können die Nachbarschaft betreffen. Insbesondere die Verwahrlosung von Grundstücken kann auch bei eigengenutztem Wohnraum eine erhebliche Beeinträchtigung des gesamten Wohnquartiers mit sich bringen. Insofern wäre zu überlegen, ob man diese Einschränkung im Gesetz bestehen lassen sollte.

Ein vorletzter Punkt. Der Gesetzentwurf sieht in § 1 eine Kannregelung vor. Er konstruiert also ein Eingriffsrecht, keine Eingriffspflicht der Kommunen. Es liegt hier unserer Auffassung nach also kein Fall vor, der Konnexität auslöst. Es kann sein, dass wir das in der weiteren Gesetzesberatung noch einmal schärfen müssen. Aber auch das werden die Beratungen zeigen.

(Zustimmung von Chris Schulenburg, CDU)

Letzter Punkt. Aus unserer Sicht ist es sinnvoll, wenn das Gesetz beschlossen und in Kraft getreten sein wird, den Gemeinden einen Leitfaden an die Hand zu geben, weil die Fragen „Eingriff in die Wohnungen“, „Unverletzlichkeit der Wohnung“, „verfassungsmäßig geschützte Unverletzlichkeit der Wohnung“ und „Agieren kommunaler Verwaltungsbehörden“ in der Ausführung mit einem klaren Regelwerk unterlegt werden sollte. Wir wür

den uns wünschen, dass die Beratung und Verabschiedung des Gesetzes in den Landtagsausschüssen sowie die Erarbeitung eines solchen Leitfadens parallel erfolgen, sind aber sehr optimistisch, dass die Landesregierung dies tut und möglicherweise bereits daran sitzt. Der Minister kann nicht nicken, weil er nicht da ist. Wir werden ihm das auch im Ausschuss noch einmal ans Herz legen. Insofern bin ich sehr optimistisch, dass, sobald das Gesetz das Licht der Welt erblickt hat, auch ein solcher Leitfaden vorliegen wird. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter. - Es gibt keine Nachfragen, somit kommen wir zum nächsten Debattenredner. Für die Fraktion DIE LINKE spricht Herr Abg. Henke. Sie haben das Wort, bitte.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Gesetzentwurf enthält Legaldefinitionen für Mindestanforderungen an Wohnraum, qualitativ und quantitativ, zu Missstand und Verwahrlosung. Das kann zu einer Verbesserung der individuellen Mietsituation und zur Verbesserung des Wohnumfeldes beitragen. Und hier endet unsere Zustimmung.

Der Gesetzentwurf wird nicht die von Minister Webel beschriebene Lebensqualität vor allem in größeren Städten verbessern. Das Gesetz wird Erwartungen schüren und letztlich enttäuschen; denn der Gesetzentwurf ist isoliert und wird nicht die vom Magdeburger Oberbürgermeister Trümper als Anlass der Gesetzesinitiative benannten Überbelegungen und Matratzenlager beseitigen. Selbst wenn all diese öffentlichen Behauptungen zutreffen, beseitigt der Gesetzentwurf weder Ursachen noch Begleitumstände.

Er ist inhaltlich der genaue Gegenentwurf zu der vom BBSR geförderten Plattform Integration Wohnungswirtschaft; denn es gibt keine Einbindung in Quartiersentwicklungskonzepte und bei der Ausweisung von Fördergebieten, keinen Hinweis zu Quartiermanagern, keine Kooperation mit Integrationsberatern, Sprachmittlern oder anderen. Es werden keine Hilfen für betroffene Mieter angesprochen. Mit der Gestaltung von Mietverhältnissen allein werden wir die oben genannten Probleme nicht lösen können,

(Zustimmung bei der LINKEN)

schon gar nicht den Schutz von ausgebeuteten und missbrauchten Menschen. Der Gesetzentwurf richtet sich systematisch und formal zuvörderst an die Vermieter, wenn wir uns die §§ 3 bis 7 sowie

§ 9 mit den Bußgeldbewehrungen anschauen. Aber die in § 8 Abs. 2 normierte Mitwirkungsbefugnis gemeindlicher Beauftragter - wer ist das? - und andere Mitwirkungs- und Duldungspflichten sind nicht geeignet, dem selbstgesetzten Ziel dieses Gesetzes gerecht zu werden. Aber hier soll in ein verfassungsrechtliches Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung eingegriffen werden. Das ist unklar.

(Zustimmung bei der LINKEN - Matthias Büttner, AfD: Richtig! Genau!)

Auch der Frage von untergebrachten Werkvertragsarbeitnehmern wird zum Beispiel so nicht abgeholfen, wenn Vermieterpflichten eingefordert sind. Wohnheime bleiben unbeachtet, aber diese können auch in Wohngebieten liegen.

Offen bleibt auch, wie sich gesetzliche Mindestanforderungen auf die Mietpreisentwicklung oder KdU-Sätze bei der Vermietung unsanierter Wohnungen auswirken werden.

Bedenklich ist auch, was den Gemeinden zugemutet wird - hier bin ich bei meinem Vorredner -; denn sie können tätig werden, wenn es konkrete Anhaltspunkte gibt. Ja, und welche und von wem, und wer entscheidet dann über das Handlungserfordernis vor dem Eingriff in ein Grundrecht?

Sehr geehrte Damen und Herren! Die Gefahrenabwehr regelt bereits § 57 Abs. 4 der Landesbauordnung einschließlich der Einschränkung des Grundrechtes der Unverletzlichkeit der Wohnung. Diese Norm wird kaum angewendet.

(Oliver Kirchner, AfD: Genau!)

Die Beseitigung eines Missstandes durch Modernisierungs- oder Instandsetzungsgebote gemäß § 177 des Baugesetzbuches wird ebenfalls kaum angewendet. Wer also in der Kommune soll entscheiden einschließlich bezüglich gegebenenfalls notwendiger Amtshilfe? - So ganz ohne Mehrkosten, wie behauptet, wird es nicht gehen; denn diese neuen Eingriffsbefugnisse sind zusätzliche Aufgaben, und deren Erledigung braucht mehr Personal.

Hilft der Gesetzentwurf den Gemeinden, hierzu rechtzeitig geeignete, notwendige und verhältnismäßige Entscheidungen zu treffen? - Hier wird dann vieles unbestimmt: Wie wird die Überbelegung dokumentiert? Wer stellt gegebenenfalls Personalien vor Ort fest, die dann zum Abgleich bei Meldebehörden verglichen werden,

(Oliver Kirchner, AfD: Richtig!)

Meldebehörden, die bis dahin was getan haben? Wie soll den Gemeinden geholfen werden?

In Bremen gibt es bereits Erfahrungen mit einem ähnlichen Gesetz, und man hat festgestellt: Es wird so gut wie nicht angewendet, weil es kein

Personal gibt. Alle Verfahren, die dort eingeleitet wurden, erfolgten nur auf der Grundlage der Landesbauordnung, und es wurden keine Bußgelder nach dem Wohnungsaufsichtsgesetz verhängt.

Sehr geehrte Damen und Herren! Eine wichtige Frage ist auch die folgende: Soll die Gemeinde bei Überbelegung Ersatzwohnraum stellen müssen, also den Mietern helfen, oder soll sie bei dringenden Reparaturen an Treppen, Fluchtwegen oder E-Anlagen in finanzielle Vorleistung gehen, um übelste Missstände kostengünstig sowie schnell und verhältnismäßig zu beseitigen?

Hier gibt es also einen dringenden Beratungsbedarf bis hin zu der Ergänzung im Begründungstext - wer es gelesen hat, weiß, was ich meine - auf dem Weg vom Referentenentwurf zum Kabinettsentwurf; denn wenn man sich die Begründung zu § 2 Nr. 1 anschaut, kann man durchaus lesen, dass dieses Gesetz auch bei Hausbesetzungen Anwendung finden kann.

(Zustimmung von Frank Scheurell, CDU)

Hier besteht also noch sehr viel Beratungsbedarf. Darum schlägt meine Fraktion vor, dieses Gesetz nicht nur im Ausschuss für Landesentwicklung und Verkehr zu beraten, sondern auch im Innenausschuss - Stichwort Kommunen -, im Rechtsausschuss - Stichwort Grundrechte - und auch im Finanzausschuss wegen der Mittelzuweisung an die Kommunen.

(Frank Scheurell, CDU, lacht)

Hier ist sehr viel zu erarbeiten, Kollege Scheurell. Ich sehe, Sie sind gut darauf eingestimmt. Bitte lassen Sie uns das sehr gründlich und äußerst sorgfältig machen: Grundrechte anzufassen, den höchstpersönlichen Rückzugsort eines Menschen zu beeinträchtigen, erfordert eine sehr sorgfältige Vorbereitung.

Zudem nenne ich das Stichwort Stadtentwicklung.

Herr Henke, kommen Sie jetzt bitte zum Schluss.

Guido Henke, DIE LINKE:

Das Gesetz alleine bringt nichts. - Vielen Dank, Frau Präsidentin.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei der AfD)

Prima. Vielen Dank. Es gibt keine Anfragen. - Wir kommen damit zur nächsten Debattenrednerin. Für die Fraktion BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN spricht Frau Abg. Lüddemann. Sie haben das Wort, Frau Lüddemann.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Der vorliegende Gesetzentwurf richtet für die handlungswilligen Kommunen durchaus noch einmal den Fokus darauf, dass wir hiermit eine Möglichkeit für die Kommunen eröffnen wollen.

(Zustimmung von Frank Scheurell, CDU)

Wir geben ihnen damit ein meiner Meinung nach gutes Instrument in die Hand, bei Problemimmobilien in ihren Städten gegen unzumutbare Wohnbedingungen vorzugehen; dafür sind ja einige sehr plakative Beispiele genannt worden. Das ist keine leichte Aufgabe. Ihre Lösung erfordert in den Kommunen ein koordiniertes und abgestimmtes Vorgehen, bei dem mindestens die Ressorts Bau, Soziales und Ordnung eingebunden werden müssen.

Das Gesetz kann helfen, akzeptable Standards und Normen beim Wohnen durchzusetzen, und richtet sich an die Eigentümer bzw. Vermieter solcher Problemimmobilien.

Es ist jedoch auch wichtig und mir persönlich wichtig, darauf hinzuweisen, dass das Gesetz nicht als Instrument zur Verdrängung unliebsamer Mieter oder gar Bevölkerungsgruppen dienen soll. Das Gesetz zeigt insoweit eine gewisse Unausgewogenheit, so will ich einmal sagen, wobei man natürlich auch grundsätzlich die Frage stellen kann, ob das Gesetz tatsächlich die Hauptproblemlage hier in diesem Land trifft, wenn wir über den Bereich Wohnen reden, oder ob es eher der Nerv des OB hier in Magdeburg ist, der erreicht wird.

Die Rahmensetzung im Quartier wird in der Tat mit diesem Gesetz nicht in den Blick genommen; das haben wir aber an anderen Stellen im Koalitionsvertrag vereinbart und werden es an den anderen Stellen auch aufrufen.

Grundsätzlich kann man sich einmal angucken: Wo kommt denn diese Gesetzeslage her, die wir jetzt auch hier in Sachsen-Anhalt nachvollziehen wollen? - Da möchte ich die SPD aus NRW zitieren, die zu ihrem dortigen Gesetz sagt - ich zitiere -: