Protokoll der Sitzung vom 27.09.2018

Aus dieser Perspektive will ich Ihnen beschreiben, was Haushaltsberatungen im richtigen Leben bedeuten. Da habe ich wieder ein Beispiel: Klaus K., Lokomotivführer bei der Harzer Schmalspurbahn. Er hat noch knapp 20 Jahre bis zur Rente vor sich. Die will er gerne bei der HSB verbringen; denn die Welt der Dampfloks begeistert ihn. Wer hat schon einen Arbeitsplatz mit solchen Ausblicken vom Brocken und auf das Selketal? - Seine Frau Michaela ist Krankenschwester an der Universitätsklinik für Dermatologie der Otto-vonGuericke-Universität. Die Wissenden wissen, warum ich sie jetzt in mein Beispiel aufgenommen habe.

Sie möchte ihre Arbeitsjahre auch gerne mit ihren Kolleginnen und Kollegen verbringen, die sie noch bis zur Rente hat, aber nicht in dem Gebäude, in dem sie jetzt arbeitet. Die beiden wohnen mit den Kindern in Halberstadt. Sie wollen da auch nicht weg. Michaela findet aber schon, dass die B 81 nach Magdeburg vollständig vierspurig ausgebaut sein könnte. Denn der Weg kann im Berufsverkehr ganz schön stressig sein. Wäre er 20 Minuten kürzer, wäre ihr Leben 40 Minuten einfacher.

(Dorothea Frederking, GRÜNE: Wieso fährt Michaela nicht mit der Bahn?)

- Das ist eine gute Frage, Frau Frederking. Das werden wir in den Haushaltsberatungen sicher angemessen erörtern.

Klaus‘ Arbeitgeber ist ein nach dem ÖPNVGesetz gefördertes Verkehrsunternehmen im Besitz der öffentlichen Hand. Sein Einkommen folgt aber keinem öffentlichen Tarif. Nicht nur seine Kollegen bei der Deutschen Bahn verdienen besser als er, auch bei einem privaten Schienenverkehrsunternehmen in der Region würde er Tariflohn bekommen und ungefähr 30 % mehr verdienen als bei der Harzer Schmalspurbahn. An der

hängt er. Er möchte aber auch einmal eine anständige Rente haben, also schaut er mit gemischten Gefühlen auf die Stellenanzeigen von Abellio, wo er sofort anfangen könnte.

Dass er es nicht gerecht findet, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Rathäusern der Betreibergemeinden der HSB ganz selbstverständlich an Tariferhöhungen teilnehmen, von denen er ganz selbstverständlich ausgeschlossen ist, muss uns nicht verwundern.

Michaela wiederum kann es nicht verstehen, wie das Land Jahr um Jahr zulassen kann, dass im Klinikgebäude der Dermatologie in Magdeburg Menschen unter den räumlichen Bedingungen des 19. Jahrhunderts versorgt werden müssen, wenn doch Universitätskliniken immer damit werben, die Spitzenmedizin im Land abzubilden.

Der Sohn der beiden, Lukas, der Lokomotivführersohn, lernt in Halberstadt den Beruf seiner Wahl. Anders als viele Jugendliche der 90er-Jahre muss er nicht nach Bayern gehen, um überhaupt einen Ausbildungsplatz zu bekommen, aber seine Berufsschule befindet sich in Stendal. Die Abo-Karte der Deutschen Bahn kostet ihn knapp 270 €, das ist ungefähr ein Viertel seiner Auszubildendenvergütung. Da ist der Traum von der eigenen Wohnung in Halberstadt in weite Ferne gerückt.

(Dorothea Frederking, GRÜNE: Der kann in Stendal wohnen!)

Sie ahnen es, sehr geehrte Damen und Herren, ich könnte diese kleine Geschichte noch viel weiter fortsetzen: angefangen bei den noch sehr günstigen Preisen des Freizeit- und Sportzentrums in Halberstadt über die Frage, wie viel Geld die Stadt für Ankäufe ihrer Stadtbibliothek im Jahr übrig hat, die Kosten für das Harzer Städtebundtheater, die auch nur in eine Richtung gingen, bis ganz allgemein zu den Kommunalfinanzen der Stadt, die gerade jetzt im Haushaltsaufstellungsverfahren dort für ziemliche Diskussionen sorgen, weil man mit dem spitzen Bleistift drangehen muss und deren Probleme stellvertretend für viele Gemeinden stehen.

Auf drei Schwerpunkte, die alle auf das Leben von Familie K. und auf das von vielen anderen in unserem Land wirken, wird die SPD-Fraktion in den Haushaltsberatungen besonders schauen.

Erstens. Wir haben an vielen Stellen durchgesetzt, dass dort, wo das Land institutionell oder auf gesetzlicher Grundlage fördert, auch Tariflöhne mit entsprechenden Steigerungen gezahlt werden. Die Zuwendungsempfänger im Bereich des Sozialministeriums und die Beschäftigten an den Unikliniken sind Beispiele dafür. An vielen Stellen ist das aber nicht so, weil nämlich unsere Fördersätze von vornherein damit rechnen, dass es auf

dem Rücken der Einkommen der Beschäftigten auch ein bisschen billiger geht. Das trifft auf die Beschäftigten der Harzer Schmalspurbahn zu, aber auch auf die Angestellten des Landessportbundes in der Sportschule Osterburg.

Das wollen wir ändern, weil es ungerecht ist und weil die betreffenden Leistungserbringer in den kommenden Jahren unter diesen Bedingungen ganz einfach keine Leute mehr finden werden.

(Zustimmung bei der SPD)

Zweitens. Die Finanzausstattung der Kommunen im Land hat sich seit 2016 verbessert - der Minister hat es ausgeführt -, ein Aufwuchs der Finanzausgleichmasse um mehr als 10 % als Festbetrag plus steigende Steuereinnahmen plus Entlastungstatbestände des Bundes haben dafür gesorgt. Aber die nach Art und Umfang wachsenden Aufgaben der Kommunen haben eben auch wachsende Ausgaben zur Folge. Die allgemeinen Preissteigerungen, die vor allem als Tariferhöhungen in die kommunalen Haushalte eingehen - Sie wissen, welch gute Lohnabschlüsse die Beschäftigten berechtigterweise in den letzten Jahren einfahren konnten -, zehren die Erhöhung der Ausgleichsmasse allmählich auf.

Die Steuereinnahmen im Land wachsen, aber das tun sie sehr ungleichmäßig. Ein Anteil von 70 % der wachsenden Steuereinnahmen entfällt genau auf die Bereiche, in denen sie gar nicht so dringend benötigt werden, nämlich auf die im Verhältnis eher reichen Gemeinden, und gerade nicht auf die Gemeinden, in denen die Armut und die Not groß sind. Der Durchschnitt des Einnahmenwachstums gleicht eben nicht den einzelnen Gemeindehaushalt aus.

Hinzu kommt - das muss man immer wieder sagen - - Herr Farle, wir haben übrigens schon vorher, bevor es Sie gab, gewusst, dass es einen Investitionsstau im Land gibt. Ich kann Sie nur dazu beglückwünschen, dass Sie jetzt darauf gekommen sind; aber das wussten wir auch schon vorher.

(Robert Farle, AfD: Das ist schön! - André Poggenburg, AfD: Aber gemacht haben Sie nichts!)

Es kommt hinzu, dass die Finanzausstattung der Kommunen strukturell nicht ausreicht, um diesen Investitionsstau aufzulösen. Wir schlagen den Koalitionspartnern daher einen deutlichen Schritt bei den Investitionszuschüssen an die Kommunen und einen ebenso deutlichen Schritt für eine Erhöhung der Landesmittel zur Erfüllung der gemeindlichen und kreislichen Aufgaben allgemein vor. Wir wollen erreichen, dass es zusätzliche Investitionsmittel in Höhe von 25 Millionen € im Rahmen des FAG und eine Erhöhung der Schlüsselzuweisungen um weitere 50 Millionen € gibt.

Drittens. Die Investitionen des Landes in die eigene Infrastruktur und Investitionszuschüsse an Dritte sind auf einem Niveau geplant, das sich sehen lassen kann. Aber wir erleben, dass es immer schwieriger wird, diese Pläne auch umzusetzen. Wir erleben übrigens nicht, dass es immer schlechter wird. Das Verhältnis von Investitionsquote im Plan und im Vollzug ist nicht dramatisch schlechter geworden, aber es wird immer schwieriger, überhaupt zu erreichen, dass die Lücke nicht wächst.

Investitionsmittel der EU werden nicht ausgegeben, Baumaßnahmen des Landes verschieben sich zeitlich, müssen haushalterisch neu geplant werden und verdrängen andere Baumaßnahmen um Jahre nach hinten. Das ist das täglich‘ Brot des Finanzausschusses, wann immer das BLSA zu Besuch kommt. Allein bei der PD Nord werden im Zeitraum von 2018 bis 2020 Mittel in Höhe von 24 Millionen €, die geplant waren und sind, nicht abfließen und müssen zusammen mit den Baukostenerhöhungen, die es unvermeidlich geben wird, nach 2021 neu eingeplant werden.

Wir schlagen zum Ersten vor, nicht abfließende Mittel für die Baumaßnahmen des Landes mehr als bisher im Verlauf des Haushaltsjahres umzuschichten, und zwar vor allem in Projekte, die anschließend zu Einsparungen führen, zum Beispiel durch den Kauf langfristig genutzter Mietobjekte oder durch energetische Sanierungen.

Ich bin dem Minister ausgesprochen dankbar dafür, dass er sich der mühsamen Aufgabe unterzogen hat, dafür eine vernünftige Grundlage zu schaffen und mit einer Ermittlung zu der Frage zu beginnen, wo wir bei der Nutzung eigener Gebäude eigentlich stehen und wo wir mehr machen können, um dann sozusagen im Betrieb des Maschinenraums des Landes mehr Geld zu sparen.

Wir schlagen zum Zweiten vor, nicht abfließende Mittel, die nicht umgeschichtet werden können, zumindest teilweise in zweckgebundene Investitionsrücklagen oder in ein Sondervermögen zu überführen und damit die spätere Durchführung dieser Baumaßahmen finanziell abzusichern.

Wir finden es darüber hinaus - nicht als Ersatz, aber darüber hinaus - ganz wunderbar und vernünftig, dass der Minister die Idee aufgegriffen hat - er hat sie so schnell aufgegriffen, dass ich beinah den Verdacht habe, er hatte sie schon, als wir sie Ende letzten Jahres hatten -, die Mittel für die JVA in Halle auf diesem Weg zusammenzusparen.

Sehr geehrte Damen und Herren von der LINKEN! Ich finde es total pessimistisch, diesen richtigen Weg, der auch ein linker Weg ist - denn wenn wir das hinbekommen, dann vermeiden wir Finanzierungskosten in Höhe von 40 Millionen €,

die nur Bankanleiheninhabern zugutekommen -, nicht gut zu finden, weil wir vielleicht am Beginn dieses Weges noch nicht wissen, ob es gelingen wird, diese 20 Millionen € in der vollen Höhe zusammenzusparen. Das finde ich ein bisschen schade. In diese Idee sollte eine progressive Partei mehr Optimismus investieren.

Wir schlagen zum Dritten vor, den beiden Uniklinika des Landes die Möglichkeit einzuräumen, selbst Kredite aufzunehmen. Das ist rechtlich zulässig, auch ohne die uns gegebene Regeln zur Schuldenbremse zu verletzen. Allein damit können wir den Haushaltsplan für das Jahr 2019 um Ausgaben in Höhe von 12,3 Millionen € entlasten. In den kommenden Jahren würden sich Entlastungen in Höhe von 235 Millionen € ergeben, die dann für andere Investitionsmaßnahmen zur Verfügung stünden.

Wenn Sie sich jetzt fragen, woraus diese Kredite bezahlt werden sollen: Die Klinika wären in der Lage, zumindest die Zinsen für diese Kredite auch selbst zu erwirtschaften, sofern es uns gelänge, kostendeckende Pauschalen für die Notfallbehandlung in Halle und in Magdeburg mit den Krankenkassen zu vereinbaren. Das muss uns gelingen. Das muss uns schon deshalb gelingen, weil sich aus der Landesverfassung beim besten Willen keine Pflicht ableiten lässt, das System der gesetzlichen Krankenkassen in diesem Land auf diesem Weg durch das Land direkt zu subventionieren.

Vieles andere, sehr geehrte Damen und Herren, wird zu beraten und zu bedenken sein. Ich habe noch eine Redezeit von zwölf Minuten und 47 Sekunden, um das in aller Ausführlichkeit zu besprechen. Ich bin mir beispielsweise nicht sicher, ob es wirklich zielführend war, dass die Regierung den Verzicht auf ein Haushaltsbegleitgesetz angekündigt hat. Wir möchten gern einen gangbaren Weg dafür finden, das Blindengeld wieder zu erhöhen. Dazu bedarf es einer Änderung des Gesetzes. Wir als Koalition werden daher an dieser Stelle wohl noch etwas nachschieben müssen.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Ich komme zu einem weiteren Beispiel der vielen kleinen Dinge, die noch besprochen werden müssen. Es hat uns verwundert, dass der Bildungsminister keine zusätzlichen Mittel für die Weiterbildung einzustellender Lehrkräfte als Seiten- und Quereinsteiger angemeldet hat. Um zu erkennen, dass die bisherigen Bemühungen in diesem Bereich bei Weitem nicht ausreichen, um den Erfolg der neuen Kollegen zu sichern, muss man nicht erst einen Schulleiter oder einen Seiteneinsteiger fragen. Das hat sich im Land längst herumgesprochen.

Ebenso besteht die Notwendigkeit - damit beziehe ich mich auf die Berechnungen der Expertenkommission -, in den nächsten sieben, acht Jahren ungefähr 500 Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger pro Jahr einzustellen, wenn wir um die Kurve kommen wollen. Es ist in deren Sinne und in unserem Sinne, wenn wir es schaffen, dass sie dann auch erfolgreich den Beruf der Lehrerin bzw. des Lehrers ausüben.

Das Azubi-Ticket, sehr geehrte Damen und Herren, muss im Jahr 2019 damit beginnen, von der Welt der Pläne und Gedanken in die Welt der Realität überzugehen, und zwar so, dass es als Azubi-Ticket auch erkennbar ist, und nicht als Trostpflaster.

(Zustimmung bei der SPD)

Noch mehr als die Nichtanmeldung des Bildungsministers hat es uns gewundert, dass es zwar eine Haushaltsstelle für den Stützpunkt von Wasserwacht und DLRG in Halle in dem Haushaltsplanentwurf gibt, dass dort aber eine Null steht. Ich vermute, das ist ein Versehen und wird noch korrigiert werden.

(Zustimmung bei der SPD und von Wolf- gang Aldag, GRÜNE)

Ein letztes Beispiel - Sie merken, auch ich schöpfe meine Redezeit nicht ganz aus -: Auch die Fortsetzung der Vereinssportstättenförderung liegt uns am Herzen. Ich gehe davon aus, dass uns das zuständige Ministerium bei den Haushaltsberatungen einen Weg aufzeigen wird, wie eine Fortsetzung der bisherigen Förderung auch im Jahr 2019 erfolgen kann.

(Siegfried Borgwardt, CDU: Da hast du dei- nen Lieblingskoalitionspartner an deiner Seite! - Zustimmung bei der SPD)

- Vielen Dank. - Um diese und viele andere Fragen dann auch endlich in den Ausschüssen beraten zu können, beantrage ich eine Überweisung des vorliegenden Haushaltsplanentwurfs in alle ständigen Ausschüsse mit Ausnahme des Petitionsausschusses. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Herr Dr. Schmidt, Herr Raue hat sich zu Wort gemeldet.

Ach, Herr Raue hat sich zu Wort gemeldet.

Herr Raue, Sie haben das Wort.

(Kristin Heiß, DIE LINKE: Können Sie das nicht später machen?)

Herr Schmidt, zunächst muss ich mich bei Ihnen für das Hineinrufen entschuldigen. Ich war etwas erregt. Das tut mir leid. Ich will Ihnen aber trotzdem noch einmal die Chance geben, mir zu erklären - denn ich habe es nicht verstanden -, was denn bitte die Aussage von Herrn Farle, der Milton Friedman damit zitierte, dass eine Gesellschaft entweder offene Grenzen oder einen Sozialstaat haben kann, zu tun hat mit einer modernen Wissensgesellschaft und mit Wirtschaftswachstum, was Sie miteinander verbanden.

Ich will Ihnen eine Anregung geben. Denken Sie bitte an Japan: Zuwanderung null, großes Wirtschaftswachstum, moderne Industriegesellschaft. Denken Sie auch an Korea: Zuwanderung null, auch ein sehr großer Außenhandelsüberschuss. Das sind zwei Musterstaaten für wirtschaftliche Entwicklung und Modernität. Diese Staaten haben keinerlei Zuwanderung. Sie haben natürlich einen Wissenschaftstransfer, sie haben auch einen Austausch in Wirtschaft und Wissenschaft, keine Frage. Aber was hat das damit zu tun, dass ich offene Grenzen für Einwanderer haben muss?

Herr Dr. Schmidt, Sie haben das Wort, wenn Sie antworten möchten.