Vielen Dank, Frau Buchheim. - Wir treten nunmehr in das Abstimmungsverfahren zur Drs. 7/3606 ein. Wer diesem Antrag seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind alle Fraktionen, wie ich sehe. Gibt es Gegenstimmen? - Gibt es Stimmenthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Somit haben alle Fraktionen und ein fraktionsloses Mitglied dem Antrag zugestimmt. Der Tagesordnungspunkt 10 ist damit erledigt.
Die Lebenssituation von Frauen und Mädchen in Sachsen-Anhalt: Gleichstellung - ein noch unvollendetes Projekt?!
Für die Aussprache zur Großen Anfrage wurde die Debattenstruktur „D“, eine 45-Minuten-Debatte, vereinbart.
Die Fraktionen sprechen in der folgenden Reihenfolge und haben die folgenden Redezeiten: SPD vier Minuten, AfD zehn Minuten, GRÜNE zwei Minuten, CDU zwölf Minuten und DIE LINKE sechs Minuten.
Gemäß § 43 Abs. 6 der Geschäftsordnung des Landtages erteile ich zuerst der Fragestellerin das Wort. Für die Fraktion DIE LINKE spricht die Abg. Frau von Angern. Sie haben das Wort, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren Abgeordneten! Die heutige Debatte ist eingebettet zwischen zwei für die Frauenbewegung sehr bedeutenden Gedenktagen: Zum einen begingen wir in der vergangenen Woche das Jubiläum „100 Jahre Frauenwahlrecht“, zu dem sich viele Politikerinnen sowie die Kanzlerin höchstselbst zu Wort meldeten, zum anderen findet am kommenden Sonntag der Gedenktag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen und Kinder statt.
Diese Ereignisse werden meinen heutigen Debattenbeitrag prägen. Ich möchte zu Beginn meiner Rede aus dem Grundgesetz zitieren. In Artikel 3 Abs. 2 heißt es:
„Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen
Selbstverständlich sind auch wir als Landtag von Sachsen-Anhalt, als Abgeordnete an dieses Grundrecht in all unserem Handeln gebunden. Umso wichtiger war und ist es für uns als Parlamentarierinnen zu prüfen, ob dieses Grundrecht im Land Sachsen-Anhalt auch tatsächlich mit Leben erfüllt und Realität ist.
Meine Damen und Herren Abgeordneten! Zum Stichtag 31. Dezember 2017 lebten in SachsenAnhalt 1 128 205 Frauen und 1 094 876 Männer. Somit sind rund 51 % unserer Bevölkerung weiblich. Allein dieser Fakt zeigt, welch wesentliche Bedeutung der Gleichstellungspolitik in unserem Parlament zukommt, sodass sie auch zukünftig unser parlamentarisches Handeln bestimmen wird.
Allerdings sage ich ausdrücklich, dass die Quantität allein nicht das entscheidende Kriterium ist. Wir sind vom Volk gewählt und sollen seine Interessen vertreten. Dabei geht und muss es eben auch um die Gleichstellung von Mann und Frau gehen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Dass das noch nicht immer selbstverständlich war, zeigt das Jubiläum, das ich anfangs bereits erwähnt habe und welches uns schon über das gesamte Jahr begleitet und sicherlich noch weiter begleiten wird: der 100. Geburtstag des Frauenwahlrechts.
Gestatten Sie mir einen kurzen historischen Exkurs. Am 9. November 1918 rief Philipp Scheidemann die Republik aus. Am 12. November 1918 stellte der Rat der Volksbeauftragten in seinem Aufruf „An das deutsche Volk“ sein Regierungsprogramm vor. Ein wichtiger Teil davon war die Proklamation einer großen Wahlrechtsreform, die auch das Frauenwahlrecht enthielt. Wahlberechtigt waren alle Frauen und Männer ab 20 Jahren. Wenige Wochen später, am 30. November 1918, verankerte der Rat der Volksbeauftragten das aktive und das passive Wahlrecht für alle Bürgerinnen und Bürger in der Verordnung über die Wahl zur verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung.
In Artikel 109 Abs. 2 der Weimarer Verfassung findet sich schließlich ein - wenn nicht der entscheidende - Satz: Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.
Sehr geehrte Kolleginnen! Es ist tatsächlich erst 100 Jahr her, dass dank des unermüdlichen Engagements von Frauen - ja, es waren überwiegend Frauen - das Recht eingeführt wurde, dass Frauen wählen und gewählt werden.
Doch wie sieht es heute, konkret im Land Sachsen-Anhalt, aus? - Ja, Frauen dürfen natürlich wählen. Frauen können auch nach wie vor gewählt werden. Aber wie schaut es denn nun in der Praxis aus? - Der Frauenanteil im Landtag von Sachsen-Anhalt liegt derzeit bei knapp 20 %, wobei es, was den Landtag betrifft, deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Fraktionen gibt, wie wir wissen. Lediglich in meiner Fraktion gibt es tatsächlich mehr Frauen als Männer.
Die Auswirkungen liegen auf der Hand: Das politische Klima bzw. die politische Debattenkultur im Landtag ist eine andere geworden, und mit „anders“ meine ich wahrlich nicht, dass es besser geworden ist.
Eine Sensibilisierung für geschlechtergerechte Themen gestaltet sich dadurch weitaus schwieriger. Dies wiederum fördert einseitige Sichtweisen auf themenübergreifende Politikfelder.
Frau von Angern, ich muss Sie kurz unterbrechen. - Frau Frederking, Sie wissen, dass das Fotografieren im Plenum verboten ist.
- Das hat damit nichts zu tun. Ich wollte es nur gesagt haben. - Entschuldigen Sie die Unterbrechung, Frau von Angern. Sie dürfen fortfahren.
Danke, Frau Präsidentin. - 100 Jahre sind vergangen, und die Gefahr besteht, dass wir uns in einer Rückwärtsspirale befinden. Dieser Entwicklung müssen wir nach Kräften entgegenwirken. Wenn man bedenkt, dass es in unserem Land ein zähes Ringen um die Demokratie und damit die Möglichkeit des Mitentscheidens gab, gibt dies umso mehr Anlass, diese mit aller Kraft zu stärken und zu schützen.
Ich hoffe, dass die tatsächliche Gleichstellung von Mann und Frau nicht ebenso lange Zeit der Menschengeschichte in Anspruch nehmen wird; denn dann erleben wir alle diesen Moment nicht mehr.
Meine Damen und Herren! Die erste Politikerin, die im Jahr 1919 in der Weimarer Nationalversammlung eine Rede hielt, war die Sozialdemo
kratin Marie Juchasz. Sie bedankte sich ausdrücklich nicht dafür, dass ihr dieses Recht eingeräumt worden ist. Sie sagte vielmehr - ich zitiere -:
„Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: Sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist.“
Sie sagte darüber hinaus, dass die gewählten Frauen selbstverständlich dieses Recht auch mit Leben erfüllen und nicht still dabeisitzen werden. Ich denke, dass wir selbstbewusst sagen können, dass wir dieser Ansage auch 100 Jahre später gerecht geworden sind und auch künftig gerecht werden.
Rückblickend lässt sich feststellen, dass viele Errungenschaften allein der Tatsache zu verdanken sind, dass Frauen ab diesem Zeitpunkt politisch mitbestimmen konnten, sei es im Bereich der Sozialpolitik, des Mutterschutzes oder der Kinder- und Jugendpolitik. Es ist gut und wichtig, dass das außerparlamentarische Engagement der Frauenbewegung parallel dazu nicht nachgelassen hat. Politik ohne Gesellschaft, ohne gesellschaftliches Engagement ist zwar möglich, aber arm an Ideen und sicherlich auch eine Gefahr für die Demokratie. Insofern danke an all die Frauen und auch Männer, die sich gleichstellungspolitisch engagieren.
Die Gleichstellung von Mann und Frau bedeutet daher für meine Fraktion ganz klar auch die paritätische Besetzung von Parlamenten und kommunalen Gebietskörperschaften.
In der Koalitionsvereinbarung der die Regierung tragenden Parteien findet sich hierzu folgende Formulierung:
„Um eine paritätische Besetzung von Kandidierenden-Listen zu erreichen, wollen wir prüfen, ob ein verfassungskonformes Paritégesetz auf den Weg gebracht werden kann, das Regelungen sowohl für die kommunale Ebene als auch die Landesebene enthält.“
Prüfen! Ich kann Ihnen an dieser Stelle sagen, dass uns eine Prüfung allein weder im Jahr 2018 noch im Jahr 2019 noch im Jahr 2020 ausreichen wird. Wir werden parlamentarisch entsprechend
initiativ. Ich denke, es ist das Mindeste, dass wir es im Landtag von Sachsen-Anhalt schaffen, eine öffentliche Debatte zum Thema Paritégesetz anzustoßen.
Ich freue mich, dass wir mit der Forderung nach einem Paritégesetz in guter Gesellschaft sind. Jüngst forderte die Bundesjustizministerin Frau Barley ein solches Gesetz. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind bereits in einigen Landesparlamenten entsprechend initiativ geworden. Und selbst die Kanzlerin äußerte in ihrer Rede anlässlich des Jubiläums „100 Jahre Frauenwahlrecht“, dass sie eine Geschlechtergerechtigkeit nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wirtschaft fordere.
Nun will ich heute meine Rede zum Paritégesetz nicht vorwegnehmen, sondern es bei dem Hinweis auf die Unterstützerinnen belassen.