Protokoll der Sitzung vom 22.11.2018

(Minister Marco Tullner: Das zielt auf den Richter!)

nicht das ist, was - - Nein, das ist die Schelte gegenüber dem Pressesprecher des Amtsgerichts, also ausdrücklich keine Richterschelte.

(Zurufe von der CDU und von der AfD)

- Nein, da hat auch jemand nicht verstanden, dass es in einem Urteil eben nicht darum geht, was das Volk will, sondern um das, was das Gesetz oder wir als gesetzgebendes Organ wollen.

Meine Damen und Herren! Noch ein paar weitere Beiträge aus der Anhörung. Die Jugendgerichtshilfe Magdeburg sagte damals: „Die Unterbringung von Schulverweigerern […] ohne delinquenten Hintergrund gemeinsam mit Jugendlichen und Heranwachsenden,“ bei denen teilweise schon sogenannte schädliche Neigungen festgestellt wurden, „ist aus Sicht unserer pädagogischen Arbeit völlig indiskutabel.“

Auch die Vertreterin der Jugendarrestanstalt Halle bekräftigte diesen Ansatz und sagte noch einmal deutlich, dass sie ausdrücklich keine Jugendlichen in der Jugendarrestanstalt will, die wegen Schulbummelei im Arrest sitzen müssen.

Noch absurder wird das - daran möchte ich Sie auch erinnern -, wenn der Beugearrest zu einem Zeitpunkt vollzogen wird, zu dem eine Schulpflicht schon gar nicht mehr besteht. Diese Maßnahme führt nicht zum eigentlichen Anliegen, der Wahrnehmung der Schulpflicht, und sie entfaltet auch keinerlei erzieherische Wirkung mehr.

Für die, die damals noch nicht im Parlament waren, möchte ich auch noch die mediale Reflexion kurz darstellen. Am 11. September 2012 titelte die „Volksstimme“: „Jugendarrest für Schulschwänzer wird abgeschafft.“ Justizministerin Frau Prof. Kolb sagte damals: „Schulschwänzer gehören nicht in den Arrest! Einsperren ist die falsche Lösung.“

Der damalige Kulturminister Stephan Dorgerloh verfolgte dieselbe Strategie, er sagte:

„Ich halte einen Arrest - noch dazu, wenn er so viel später erfolgt - für pädagogisch fragwürdig und erzieherisch wenig zielführend.“

Herr Dorgerloh sagte weiter:

„Ich sehe bei der Verletzung der Schulpflicht stärker pädagogische Mittel wie das produktive Lernen oder Reintegrationsklassen im Mittelpunkt. Vielfach liegen die Probleme der Schulschwänzer im häuslichen oder persönlichen Umfeld.“

Deshalb müsse frühzeitig - das ist ein ganz wesentliches Wort - mit Elternhäusern und Jugendhilfe gemeinsam eine Lösung gefunden werden.

Die Regierungsfraktion von CDU und SPD sind sich damals mit der Opposition von LINKEN und

GRÜNEN einig gewesen, und auch Herr Borgwardt, damals der rechtspolitische Sprecher, sagte: Es gibt Handlungsbedarf.

Ich zitiere noch weiter aus dem Jahr 2015:

„Aus diesem Grund hatten sich auch die Rechtspolitiker aller Fraktionen dafür ausgesprochen, den Arrest für Schulschwänzer abzuschaffen, da er als pädagogisch sinnlose Maßnahme angesehen wird. Eine nötige Änderung des Schulgesetzes scheiterte aber am Widerstand der Bildungspolitiker.“

Bedauerlicherweise haben damals trotz Einladung und Beteiligung des Bildungsausschusses mit Ausnahme von Frau Hohmann keine Mitglieder an der Anhörung teilgenommen. Man muss auch glauben, dass sie das Protokoll damals nie gelesen haben.

Meine Damen und Herren! Mir ist natürlich bekannt, dass es Lehrerinnen gibt, die bei Schulabstinenz gern als letztes Mittel mit dem Gefängnis drohen. Ich kann zuweilen auch das Gefühl der Ohnmacht in Erziehungsfragen durchaus verstehen. Doch staatliche Gewalt und Kriminalisierung führen niemals dazu, dass Schülerinnen überhaupt und vielleicht auch noch gern in die Schule gehen und sich aus eigenem Antrieb und Interesse neues Wissen aneignen wollen.

Ich erwarte vom Staat, ich erwarte auch von uns als Gesellschaft, dass andere Lösungen gefunden werden, um jungen Menschen in einer schwierigen Phase tatsächlich zu helfen, und dass sie nicht weiter abgeschreckt werden.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE)

Junge Menschen sollen nicht das Bild des - in Anführungszeichen - starken Staates verinnerlichen. Junge Menschen sollen lernen, dass sie selbst mehr und mehr Verantwortung für sich tragen und dass es dann, wenn Sie sich in Problemsituationen befinden, Hilfsangebote gibt und dass sie diese auch wahrnehmen können.

Um das bisher Gesagte zu unterstützen, zitiere ich an dieser Stelle den Sozialwissenschaftler und Sonderpädagogen Christoph Müller mit seinem Buch „Haftschaden“: Jugendarreste seien Ausdruck einer Harte-Linie-Politik. Dahinter stecke weniger ein pädagogischer Ansatz als eine gesellschaftliche Funktion. Jugendliche, die man in den Arrest schicke, reagierten auf diese Härte, indem sie sich zunehmend selber als hart begriffen. Es gebe eine hohe Rückfallquote. Wer im Arrest lande, sei stigmatisiert. Er gelte als jemand, der in der Gesellschaft gescheitert sei. Jugendliche fügten sich auch tatsächlich in diese Rolle ein. Sie empfänden einen Aufenthalt im Arrest als

Zäsur. Man bringe sie dazu, sich selbst als gescheitert zu betrachten.

Wenn man das einmal erlebt, wenn man mit den jungen Leuten redet, die dann vielleicht noch sagen: „Das ist doch total cool, ich habe es mal hinter mir“, dann kann man aber, wenn man hinter die Kulissen schaut, sehen, dass genau das, was ich gerade beschrieben habe, tatsächlich in den Jugendlichen vorgeht.

Meine Damen und Herren! Es gab in den letzten Jahren noch zwei weitere Versuche meiner Fraktion, den sich gegen Schülerinnen richtenden Ordnungswidrigkeitsparagrafen aus dem Schulgesetz zu streichen: zum einen mit der Vorlage eines eigenen Gesetzentwurfes zum Jugendarrestvollzug und einem entsprechenden Entschließungsantrag dazu und zum anderen im Zusammenhang mit der letzten Schulgesetznovelle. - Beides war erfolglos.

Aber Sie sehen daran, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, der Ihnen heute von meiner Fraktion vorgelegte Gesetzentwurf zur Änderung des Schulgesetzes ist vieles, aber kein Schnellschuss.

Ja, der tragische Todesfall der Schülerin in Halle in der vorvergangenen Woche - ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich noch einmal mein Beileid an die Hinterbliebenen und vor allem an die Eltern aussprechen - war der Auslöser für diese Initiative.

(Zustimmung von Thomas Lippmann, DIE LINKE, und von Cornelia Lüddemann, GRÜ- NE)

Doch die entscheidenden Gründe - ich denke, das ist in meiner Rede deutlich geworden - sind bereits mit der Expertise, die uns gegenüber hier im Landtag vor sechseinhalb Jahren offenbar geworden ist, zunächst im Rechtsausschuss und dann im Landtag, gelegt worden.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir wollen heute der Vernunft des Parlaments vertrauen und werben ein weiteres Mal um Ihre Zustimmung, heute zunächst um die Zustimmung zur Überweisung zur federführenden Beratung in den Bildungsausschuss - auch wenn mir das schwerfällt - -

(Zuruf von Stefan Gebhardt, DIE LINKE - Minister Marco Tullner: Also!)

- Ja, ich glaube hierbei tatsächlich ein bisschen mehr an die Weisheit der Rechtspolitiker und -politikerinnen, auch wenn der betreffende Ausschuss jetzt neu zusammengesetzt ist.

Also: Ich beantrage die Überweisung zur federführenden Beratung in den Bildungsausschuss und zur Mitberatung in die Ausschüsse für Recht, Verfassung und Gleichstellung, für Arbeit, Sozia

les und Integration sowie für Inneres und Sport, weil wir natürlich auch mit den Kommunen reden müssen.

Zum anderen werbe ich auch darum, dass wir ganz unaufgeregt und sachlich gemeinsam noch einmal die Umstände des tragischen Todesfalles in Halle aufklären. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN und von Prof. Dr. Angela Kolb-Janssen, SPD)

Vielen Dank, Frau von Angern. Es gibt eine Nachfrage von Herrn Schumann. - Bitte, Herr Schumann.

Frau von Angern, in bin auch kein Fan des Jugendarrestes, überhaupt nicht. Aber was macht man, wenn nichts mehr zieht? Sind Sie auch der Meinung, dass in erster Linie für die Erziehung nicht die Schule, sondern das Elternhaus verantwortlich ist? Sehen Sie eine Möglichkeit, dann eventuell das Elternhaus zu sanktionieren?

Herr Schumann, vielen Dank für die Frage. In die letzte Schulgesetznovelle ist schon ein neues Moment aufgenommen worden, nämlich das Zwangsgeld gegenüber den Eltern. Spannend ist übrigens, dass es in Brandenburg im Gesetz tatsächlich nur das Zwangsgeld gibt, und das wird so gut wie gar nicht angewendet.

Ich denke, die Frage hat deutlich gemacht, dass die Debatte nicht von hinten gedacht werden darf. Gerade Sie als Kommunalpolitiker wissen auch, wie wichtig es ist, frühzeitig anzusetzen, also präventiv vorzugehen.

Wir haben im Rechtsausschuss immer erst mit den Fällen zu tun, die ganz hinten, entweder in der Jugendanstalt Raßnitz oder in der Jugendarrestanstalt Halle, landen. Wenn man sich dann die Chronologie der Geschichte anschaut, stellt man immer wieder fest: Es wird zu spät eingegriffen.

Das heißt: Ich erwarte tatsächlich - deswegen auch die Mitbeteiligung des Innenausschusses -, dass wir es frühzeitig schaffen, Familien ins Boot zu holen, dass wir es frühzeitig schaffen, dass Familien die Jugendämter nicht als Interventionsstellen wahrnehmen, sondern tatsächlich als Erziehungspartnerinnen und -partner. Das Stichwort frühe Hilfen, dass man sozusagen schon auf Schwangere zugeht und sagt: Ich bin das Jugendamt, wenn du Sorgen oder Probleme hast,

komm zu mir - das ist das entscheidende Moment.

Wenn wir ehrlich sind und in die Kommunen hineinschauen, muss man sagen: Wir alle beklagen die regelmäßig steigenden Kosten der Hilfen zur Erziehung; wenn man aber schaut, welche Maßnahmen dahinter stecken, sind es vor allem die teuren Interventionsmaßnahmen, die stationären Maßnahmen, die viel, viel teurer sind als ein präventives Vorgehen.

Wenn man aber in Kommunen hineinschaut, die klug genug sind und früh ansetzen - - Mein Beispiel dafür ist nach wie vor die Kommune Dormagen, die so gut wie keine Inobhutnahmen mehr hat, die also sehr erfolgreich mit dieser Situation umgegangen ist, die viel mehr Sozialarbeiter in Familien und auf die Straßen schickt und wo Erziehungspartnerschaft gelebt und verinnerlicht wird. Ich glaube, das ist eher der Ansatz. Wir müssen da langfristiger denken.

Es ist auch nicht so, dass ich das Problem allein an die Schulen abgeben will. Da bin ich absolut bei Ihnen. Wir müssen es schaffen, das Problem der Eltern, das da ist, ernst zu nehmen, früher anzusetzen und früher zu helfen. Ich glaube, wenn man das einmal aus dem Blick eines Kämmerers oder einer Kämmerin betrachtet, spart das langfristig sogar Geld.

(Beifall bei der LINKEN - Minister Marco Tullner: Nein!)

Vielen Dank, Frau von Angern. Es gibt noch eine weitere Anfrage von Frau Gorr. - Sie haben das Wort, bitte.