Protokoll der Sitzung vom 22.11.2018

(Das Saalmikrofon funktioniert nicht - Minis- ter Marco Tullner: Du kriegst das doch eh nicht an!)

- Herr Tullner!

(Angela Gorr, CDU: Der Minister versagt mir das Wort! Ich muss das dann aufge- ben! - Minister Marco Tullner: Nein!)

Dann fragen Sie mich individuell.

(Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Nein, also, das gibt es ja wohl gar nicht!)

Sehr geehrte Frau Gorr, Sie haben das Wort und dabei bleibt es auch.

(Heiterkeit bei der CDU)

Sie müssen jetzt fragen.

Sehr geehrte Frau von Angern, sind Ihnen die vielen einzelnen Schritte bekannt, die eine ganze Reihe von Landkreisen und kreisfreien Städte im Land Sachsen-Anhalt gehen, um genau diese Punkte, die Sie so detailliert eben aufgeführt haben, umzusetzen, um sowohl an die Eltern als auch an die Kinder heranzugehen?

Frau Gorr, die sind mir tatsächlich bekannt. Wie Sie vielleicht wissen, bin ich seit 2002 Abgeordnete und durfte in meinen ersten Wahlperioden das Thema Kinder- und Jugendpolitik hier bearbeiten. Schon da haben wir uns sehr intensiv mit dieser Thematik auseinandergesetzt. Und schon da waren wir sehr intensiv in der Diskussion mit den Kommunen. Deswegen weiß ich, dass wir auch teilweise sehr vorbildliche Kommunen haben.

Aber ich bleibe trotzdem bei dem Beispiel Dormagen in Nordrhein-Westfalen; denn ein so positives Beispiel kenne ich aus Sachsen-Anhalt tatsächlich nicht. Ich weiß, dass die Landeshauptstadt Magdeburg, insbesondere mit der Kinderbeauftragten, wirklich sehr engagiert ist, und auch der Stadtrat selbst - da weiß ich es in besonderem Maße, weil ich aus Magdeburg komme -, und dass wir auch einen sehr engagierten Ausschuss haben. Aber auch hier sind die überwiegenden Kosten im Bereich der Interventionsmaßnahmen, im Bereich der stationären Maßnahmen. Dort muss etwas passieren. Das passiert nicht von jetzt auf gleich, Frau Gorr.

Wenn man sich das in Dormagen beispielsweise anschaut: Das war eine hoch verschuldete Kommune, die auch tatsächlich dieses neue Verfahren, diese neuen Wege parallel eingeführt hat. Das hat erst einmal mehr Geld gekostet. Das muss dann ein Oberhaupt einer Stadt auch einmal zulassen bzw. auch offensiv vorantreiben. Ich weiß nicht, ob der Oberbürgermeister von Magdeburg der Richtige dafür ist. Aber das ist jetzt vielleicht auch die falsche Stelle, um daran Kritik zu üben.

Also: Ja, das ist mir bekannt, Frau Gorr.

(Angela Gorr, CDU: Sehr gut!)

Vielen Dank, Frau von Angern. Ich sehe keine weiteren Fragen. - Bevor wir in die Debatte mit fünf Minuten Redezeit pro Fraktion einsteigen, hat

für die Landesregierung der Minister Tullner das Wort. Jetzt dürfen Sie reden, Herr Minister Tullner.

Frau Präsidentin, vielen Dank für diese Gelegenheit. - Frau von Angern, auch ich vertraue auf die Rationalität des Parlamentes, und ich werbe ein bisschen für Ihr Verständnis, dass Bildungspolitik Argumente haben kann, die auch Justizpolitiker als durchaus bereichernd empfinden können. Deswegen fand ich diese leichte Schelte der Bildungspolitiker an dieser Stelle, für mich zumindest, nicht nachvollziehbar.

Ein letzter Punkt, bevor ich in meine eigentliche Rede einsteige: Ich werbe natürlich nachdrücklich dafür, dass wir hier keine Änderungen vornehmen, aus guten Gründen, wie ich Ihnen gleich darlegen werde.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE verwundert sehr, hat sich der Ausschuss für Bildung und Kultur doch seit einem Jahr sehr intensiv mit dem Thema Schulverweigerung befasst.

(Thomas Lippmann, DIE LINKE: Nicht nur!)

Und Sie haben dargelegt, dass man sich mit dem Thema auch in den Zeiten davor intensiv befasst hat, zuletzt im Zusammenhang mit der Novellierung des Schulgesetzes.

Es ist seit Jahren bekannt, dass DIE LINKE und einige andere auch den Jugendarrest abschaffen möchten. Allerdings muss ich sagen, dass der tragische Tod einer Schülerin in Halle ohne genaue Kenntnis der Sachzusammenhänge und er Ergebnisse der polizeilichen Ermittlungen nunmehr geradezu instrumentalisiert wurde, um die eigenen Interessen durchzusetzen. Das finde ich zumindest fragwürdig und etwas gefährlich.

(Thomas Lippmann, DIE LINKE: Das hat sie doch gar nicht gemacht! - Stefan Geb- hardt, DIE LINKE: Haben Sie überhaupt zugehört?)

- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn Ihr mir eine Chance gebt, meine Rede fortzusetzen, würde ich die Quelle nennen. - Ich verweise auf die zahlreichen Äußerungen von Kolleginnen und Kollegen und landespolitischen Akteuren bei Twitter und in den sozialen Medien. Da sollten sich alle hier einmal selbstkritisch hinterfragen. Sich ohne Kenntnis auch nur irgendeines Details hier in solcher Weise zu äußern, da sind Zurückhaltung und selbstkritische Reflexion bei vielen in diesem Hause durchaus angebracht.

Meine Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion DIE LINKE suggeriert, dass unsere Schulen nicht in der Lage sind, die Gründe für ein Fern

bleiben vom Unterricht zu ergründen und dem mit pädagogischen Maßnahmen entgegenzuwirken. Dies ist für alle am Prozess Beteiligten nicht nachzuvollziehen; denn die Realität sieht wie folgt aus:

Die Schule ist gemäß Runderlass des Bildungsministeriums zum Umgang mit Schulverweigerung gehalten, vorrangig mit pädagogischen und erzieherischen Mitteln vorbeugend und vermittelnd der Schulverweigerung zu begegnen.

So werden die Sorgeberechtigten über die Schulpflichtverletzungen und die daraus resultierende Verantwortung und rechtlichen Konsequenzen informiert. Bereits bei der ersten ungeklärten Abwesenheit sucht die Schule den Kontakt zu den Sorgeberechtigten und bietet ein Beratungsgespräch an. Kommt ein persönlicher Kontakt zu den Sorgeberechtigten nicht zustande, wird das Gesprächsangebot ein zweites Mal schriftlich unterbreitet.

Wird auch dieses Angebot ignoriert, erfolgt eine weitere pädagogische Lösungssuche in Zusammenarbeit mit den öffentlichen Trägern der Kinder- und Jugendhilfe. Es wird eine Beratungsgruppe, bestehend aus Schule, Schulpsychologie, Gesundheitsamt, Sozialamt, freiem Träger der Kinder- und Jugendhilfe gebildet.

Sind auch diese pädagogischen Maßnahmen ausgereizt, muss die Schulleitung die kreisfreie Stadt oder den Landkreis förmlich über die Verletzung der Schulpflicht informieren. Auch darüber werden die Sorgeberechtigten informiert.

Meine Damen und Herren! Auch im weiteren Prozess bleibt den Sorgeberechtigten und den Jugendlichen genügend Zeit, die Vollstreckung des Jugendarrestes zu vermeiden; denn zuvor werden folgende Maßnahmen eingeleitet:

Erstens. Es ergeht ein Bußgeldbescheid des Ordnungsamtes.

Zweitens. Wird das Bußgeld nicht beglichen, wird der Fall dem Jugendrichter übergeben.

Drittens. Die Familie wird um schriftliche Stellungnahmen gebeten.

Viertens. Wird eine Stellungnahme verweigert, wird das Bußgeld in abzuleistende Arbeitsstunden umgerechnet.

Fünftens. Wird auch dies von der Familie ignoriert, wird die Jugendgerichtshilfe informiert und die Familie zur Vorstellung aufgefordert.

Sechstens. Wird auch dieses Angebot abgelehnt, erhält die Familie einen Termin zur mündlichen Anhörung mit dem Hinweis auf die Konsequenz Jugendarrest.

Siebentens. Wenn auch dies ignoriert wird, erfolgt der Arrestbeschluss.

Achtens. Der Jugendliche erhält die Ladung zum Antritt des Arrestes.

Neuntens. Wird der Ladung nicht gefolgt, erfolgt die Abholung durch die Polizei.

Im Ergebnis der Diskussion zum Schulgesetz soll auf eine Forderung der SPD hin in § 44 des Schulgesetzes ein Zwangsgeld als Mittel zur Durchsetzung der Schulpflicht aufgenommen werden. Somit wird jetzt das Zwangsgeld dem Bußgeld noch vorgeschaltet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der gesamten Diskussion werden nachfolgende Sachverhalte gern ausgeblendet: Jugendarrest wird im Ordnungswidrigkeitsverfahren verhängt, wenn weder die Geldbuße gezahlt wird noch die ersatzweise richterlich angeordneten Sozialstunden geleistet werden. Es wird somit niemand für Schulpflichtverletzungen unmittelbar mit Arrest bestraft.

(Zustimmung von Uwe Harms, CDU)

Der Arrest ist im Übrigen auf maximal eine Woche begrenzt und wird als Freizeitarrest am Wochenende, als Kurzarrest von zwei bis sechs Tagen oder als Dauerarrest von einer Woche vollstreckt, wobei die Schulpflicht natürlich immer davon abzuziehen ist.

Durch den Arrest dürfen weder die Ausbildung noch die Arbeit des Jugendlichen beeinträchtigt werden. Es wird somit lediglich die Freizeit des Jugendlichen begrenzt. Jugendliche tragen ab der Vollendung ihres 14. Lebensjahres Verantwortung für ihr Handeln. Das wollen wir bei dem Thema Wahlrecht und in anderen Bereichen immer wieder anders definieren, bei dem Thema Autofahren, das morgen behandelt wird, so glaube ich, auch.

In diesem Alter sollten die Jugendlichen die Tragweite ihres Nichthandelns erkennen und begreifen, dass ein Fehlverhalten in einem Rechtsstaat geahndet wird. Das Prinzip, wer zu einer Geldstrafe verurteilt wird und nicht zahlt, kann sie abarbeiten oder geht in Haft, gilt nämlich grundsätzlich.

Meine Position ist eindeutig: Schulverweigerung muss auch künftig als Schulpflichtverletzung gemäß § 84 des Schulgesetzes als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Das Ordnungswidrigkeitsverfahren ist jedoch als Ultima Ratio zu verstehen. Das heißt, einer pädagogischen Lösung durch eine frühzeitige und enge Kooperation von Schule und Jugendhilfe wird vor der Einleitung eines Ordnungswidrigkeitsverfahrens auch weiterhin Vorrang eingeräumt.

Der Verzicht auf das Ordnungswidrigkeitsverfahren wird nicht die Anzahl der Schulpflichtverletzungen reduzieren. Die Fallzahlen allerdings sind rückläufig. Das stimmt mich zuversichtlich und

zeigt, dass die vielen pädagogischen Bemühungen und Kooperationen vor Ort Schritt für Schritt ihre Wirkung entfalten.

Mit der Novellierung des Schulgesetzes wurde das Zwangsgeld eingeführt. Welche Wirkung diese Maßnahme entfaltet, kann frühestens nach einem Jahr eingeschätzt werden. Ich schlage daher vor, dem Ausschuss für Bildung und Kultur und vielleicht auch dem Rechtsausschuss Ende 2019 die aktuellen Fallzahlen vorzulegen. - Vielen Dank.