Protokoll der Sitzung vom 22.11.2018

brauchen Lösungen, die nicht abstrafen, sondern Chancen geben, Lösungen, die Kindern und Jugendlichen in Problemlagen helfen, damit sie Schieflagen in ihrem Leben bewältigen können und nicht an diesen scheitern.

Meine Damen und Herren! Wir brauchen Lösungen, die unsere Kinder und Jugendlichen stark machen und ihnen helfen, verantwortlich mit sich selbst und ihrem Leben umzugehen. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Aldag. Ich sehe keine Fragen. - Die nächste Debattenrednerin ist für die CDUFraktion die Abg. Frau Gorr. Wir warten noch.

Frau Präsidentin!

Bitte, Sie haben das Wort. Ich wollte Ihnen nur die Chance geben, Frau Gorr, das Rednerpult herunterzufahren

Ich weiß. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! - Ich war irritiert wegen der Zeitangabe. - Insbesondere aber: Sehr geehrte Frau Kollegin von Angern, wegen der Einbringung des Gesetzentwurfs der Fraktion DIE LINKE durch Sie als Rechtspolitikerin muss ich zu Beginn meines Redebeitrags darauf hinweisen, dass wir bildungspolitischen Sprecher und Sprecherinnen im Ausschuss für Bildung und Kultur sehr lange und sehr intensiv über das Thema diskutiert haben und uns insbesondere mit den dem Arrest vorgeschalteten Maßnahmen befasst haben.

Kollege Aldag wies auch darauf hin. In der Tat ist Ihre Sichtweise eine etwas andere als unsere. Ich spreche aber in meinem Redebeitrag ausdrücklich als Bildungspolitikerin.

Werte Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE wird wieder einmal deutlich, worin der fundamentale Unterschied in der Gestaltung von Politik durch Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der LINKEN, und uns besteht. Wie in diesem Fall betreiben Sie Politik häufig auf der Grundlage von Einzelfällen, die Sie dann verallgemeinern.

Worum geht es Ihnen? - Sie wollen mit dem Gesetzentwurf in der Drs. 7/3586 zum einen eine

Regelung aus dem Schulgesetz streichen, die in § 84 Abs. 1 Nr. 1 den Verstoß gegen die Schulpflicht als Ordnungswidrigkeit ahndet. Ergänzend dazu wollen Sie einen neuen § 86a in das Schulgesetz aufgenommen wissen, mit dem jegliche Verstöße, die bis zum möglichen Inkrafttreten des Gesetzes erfolgt sind, quasi als nicht begangen angesehen bzw. als nicht mehr ahndungswürdig qualifiziert werden.

Ich will an dieser Stelle keine neuerliche Grundsatzdebatte entfachen. Um auf meine Eingangsbemerkung zurückzukommen: Sie verallgemeinern Ihre Argumente vor dem Hintergrund eines traurigen und aus meiner Sicht tragischen Einzelfalls der jüngsten Vergangenheit aus Halle.

Als CDU-Fraktion lehnen wir beide Änderungswünsche der Fraktion DIE LINKE grundsätzlich ab. Denn Schülerinnen und Schüler müssen frühzeitig lernen, dass alle Handlungen wie auch Unterlassungen im Leben Konsequenzen nach sich ziehen, eben auch Ordnungswidrigkeiten.

Im Übrigen besteht dieses „Lernziel“ nicht nur für die Schülerinnen und Schüler, sondern auch für deren Eltern und Erziehungs- bzw. Sorgeberechtigte. Wer meint, er oder sie könne Gesetze dieses Landes ignorieren, der oder sie muss dessen gewärtig sein, auch die Folgen der Missachtung von Gesetzen hinnehmen zu müssen.

Ich sage aber ganz ausdrücklich, dass eine solche Folge niemals der Tod eines Menschen sein darf. Das, verehrte Kolleginnen und Kollegen, versteht sich von selbst. Auch die CDU-Fraktion spricht ihr Beileid aus.

(Zustimmung von Siegfried Borgwardt, CDU)

Es muss deshalb zunächst die Frage gestellt werden, weshalb es den verantwortlichen Behörden in Halle über ein Jahr lang nicht gelungen ist, das Problem einer Lösung zuzuführen. Die Frage, Frau von Angern, stellt sich mir auch. Wir haben im Ausschuss intensiv über die dem endgültigen Arrest vorgeschalteten Maßnahmen gesprochen. Herr Minister Tullner führte sehr eindrücklich alle einzelnen Schritte an.

Dabei wurde eben auch deutlich, dass die Eltern in vielen Fällen eine nicht unwesentliche Rolle spielen. Ich möchte an dieser Stelle darauf aufmerksam machen, dass die Hintergründe dieses tragischen Todes in Halle überhaupt noch nicht aufgeklärt worden sind. Ich erwarte, dass uns die Hintergründe in den entsprechenden Ausschüssen erläutert werden.

Als Mitglied einer Koalitionsfraktion möchte ich darauf hinweisen, dass insbesondere auf Initiative der SPD-Fraktion mit § 44a im kürzlich novellierten Schulgesetz eine Vorschaltung bei der Ahndung von Ordnungswidrigkeiten in Form von

Zwangsgeld festgelegt wurde. Es wird zu prüfen sein, ob damit auch tatsächlich eine Veränderung im Umgang mit der Verletzung der Schulpflicht einhergeht.

Herr Kollege Aldag, genau darüber werden wir uns dann austauschen. Wir werden das auch wirklich sehr tiefgehend prüfen; so würde ich das jetzt einmal formulieren.

(Wolfgang Aldag, GRÜNE: Ich nehme Sie beim Wort!)

Die Formulierung, werte Fraktion DIE LINKE, des § 86a Ihres Gesetzentwurfs ist in diesem Zusammenhang natürlich abzulehnen.

Um der Komplexität dieses Themas gerecht zu werden, bitte ich dennoch um eine Überweisung des Gesetzentwurfs in den Ausschuss für Bildung und Kultur zur federführenden Beratung sowie in den Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung und in den Ausschuss für Inneres und Sport.

(Zuruf von der CDU)

- Ich habe jetzt auch einen Vorschlag bezüglich des Ausschusses für Arbeit, Soziales und Integration vernommen. Ich bitte um eine Überweisung. Ich kann aus der Sicht der CDU-Fraktion sagen, dass wir mit diesem Thema weiter sehr verantwortungsvoll umgehen werden. - Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung von Minister Marco Tullner)

Vielen Dank, Frau Gorr. - Wir kommen zum letzten Debattenredner. Für die Fraktion DIE LINKE spricht der Abg. Herr Lippmann. Sie haben das Wort, Herr Lippmann.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als bildungspolitischer Sprecher und Mitglied des Bildungsausschusses sowie nach zwölf Jahren als Schulleiter an einer Sekundarschule bin ich mit diesen Dingen vertraut.

Erstens. Es handelt sich nicht um die Instrumentalisierung dieses tragischen Falles. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser tragische Fall, den sich in den jahrelangen Debatten vorher gar niemand getraut hat, auch nur als ein Gespenst an die Wand zu malen, hat sich doch ereignet. Das ist doch ein Weckruf. Wir können doch angesichts so eines Falles nicht zur Tagesordnung übergehen.

(Angela Gorr, CDU: Wir wissen doch aber gar nicht, warum!)

Ja, wir haben im Rahmen der letzten Novelle auch über dieses Thema gesprochen, Frau Gorr; dies doch aber nur, weil wir es beantragt haben. Aber ehrlicherweise haben wir das weder lange noch intensiv getan. Vielmehr ist es genauso abgearbeitet worden wie die anderen Änderungsanträge auch.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Natürlich ist jetzt die Situation - - Nein, ich sage jetzt nichts. Ich will mit einigen Mythen aufräumen. Wir sollten nicht weiterhin so tun, als ob wir ein sanktionsfreies Schulgesetz hätten, nur weil wir e i n e Formulierung in den Ordnungswidrigkeiten gestrichen haben. Wir haben jede Menge Sanktionen, und zwar vor allem für die Schüler, die in der Schule sind und dort Probleme machen, sowie auch für die Schüler, die der Schule fernbleiben, und insbesondere für die Eltern. Es geht hierbei nur um die Frage der Ordnungswidrigkeit gegen die Schülerinnen und Schüler selbst, also in aller Regel gegen Minderjährige und Schutzbefohlene.

Es kommt überhaupt nicht zur Sprache, dass mit dem § 44a nicht nur das Zwangsgeld eingeführt wurde, sondern auch die zwangsweise Zuführung der Schülerinnen und Schüler durch Maßnahmen der Landkreise - also schlichtweg durch die Polizei oder durch Ordnungsbehörden oder durch wen auch immer - dort geregelt ist.

(Zustimmung von Angela Gorr, CDU)

Also bitte tun Sie nicht so, als würden wir den Spieß jetzt herumdrehen und sagen: Wir legitimieren die Schulpflichtverletzung. Kein Mensch macht das. Vielmehr schauen wir endlich hin, welche Behauptungen hier aufgestellt werden.

Drei Sachen will ich schnell ansprechen. Zum einen wird behauptet, die Schulschwänzer selber müsse das treffen, sie müssten das am Ende spüren. - Dabei geht es aber wirklich nur darum, dass sie sich dem Willen der Staatsmacht beugen und nicht dem Schulbesuch.

(Angela Gorr, CDU: Na, also!)

Vielmehr sollen sie spüren: Wir lassen es uns nicht gefallen, wenn wir uns bemühen, du aber nicht reagierst; dann musst du eben eingesperrt werden. Wir wissen selbst, dass das zu einem Zeitpunkt stattfindet, zu dem die Schulpflicht manchmal schon vorbei ist. Das hat mit der Schulpflichtrealisierung überhaupt nichts mehr zu tun.

Das Zweite ist die Abschreckung. Wir reden überwiegend über Heranwachsende, über Jugendliche, die in die Pubertät kommen und der Schule fernbleiben. Dazu sage ich Ihnen: So jemand überlegt nicht, wenn er eine Schulpflichtverletzung begeht: Wenn es eine Owi gibt, dann mache ich

es nicht; wenn es keine Owi gibt, dann mache ich es. - Das ist Quatsch.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Jeder Jugendliche hat in dem Augenblick, in dem er die Schulpflichtverletzung begeht, seine ganz individuellen Gründe. Die haben mit einer Abschreckung durch die Owi überhaupt gar nichts zu tun.

Der letzte Punkt: Die Schulen brauchen das. Die Schulen haben mit der Schulpflichtverletzung, so wie es der Minister auch ausgeführt hat, vor allem in dem Augenblick zu tun, in dem sie bemerken, dass jemand nicht kommt, und sie zunächst aus eigenen Kräften versuchen, Kontakt zu den Eltern aufzunehmen, mit ihnen zu sprechen und sie zu erreichen.

Wenn es dann aber hartnäckig wird, dann sind die Schulen doch sowieso bloß noch mittelbar Beteiligte, weil sie den Fall an die Ordnungsbehörden oder insbesondere an die Jugendämter abgeben, da sie dann doch gar keinen Zugang zu dem ganzen Sachverhalt mehr haben.

Die Schulen sind vor allem mit den Kindern konfrontiert, die in der Schule sind. Für die Kinder, die in der Schule sind, haben wir Ordnungsmaßnahmen. Diesbezüglich, liebe Kolleginnen und Kollegen, die nicht aus dem schulischen Umfeld stammen, will ich darauf hinweisen, welche Absurdität wir uns leisten. Wir haben für Schülerinnen und Schüler, die in der Schule sind und ihrer Schulpflicht nachkommen und sich dort wie auch immer nicht ordentlich benehmen, die Möglichkeit der Ordnungsmaßnahmen, sie bis zu fünf Tage von der Schule auszuschließen. Wenn sie nicht in die Schule kommen, dann sperren wir sie ein. Das ergibt doch keinen Sinn.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Wir müssen doch akzeptieren, dass Lernprozesse zutiefst von Motivation geprägt sind und nicht von Zwang. Wenn ich mir jemanden in die Schule hole, der soll doch dort seine Zeit nicht absitzen, sondern die Zeit für seine Bildung nutzen. Ich hole mir jemanden gegen seinen Willen herein, weil ich mit ihm nicht anders zurechtkomme. Notfalls wird er von der Polizei zugeführt. Dann macht er so viel Ärger, dass ich ihn anschließend mit einer Ordnungsmaßnahme wieder für eine Woche von der Schule ausschließe.

Jetzt schütteln Sie nicht mit dem Kopf; natürlich ist das so.

(Zuruf von Florian Philipp, CDU)