- Ich bitte, den Geräuschpegel etwas zu senken, damit jeder weiß, mit welchem Tagesordnungspunkt wir gleich beginnen wollen. - Vielen Dank.
Folgende Entschuldigungen von Mitgliedern der Landesregierung liegen mir vor: Frau Ministerin Dalbert ist am heutigen Sitzungstag krankheitsbedingt ganztägig abwesend.
- Liebe Kollegen, ich weiß, es ist etwa vier Wochen her, dass wir uns zum letzten Mal in einer Landtagssitzung gesehen haben. Aber ich denke, Sie werden draußen die Möglichkeit haben, sich auszutauschen. Auch mein Kollege Herr Daldrup wird sich jetzt auf seinen Platz begeben. - Danke.
Zur Tagesordnung. Sehr geehrte Damen und Herren! Die Tagesordnung für die Sitzung des Landtages liegt Ihnen allen vor. Auf ein Verlangen von mehr als einem Viertel der Mitglieder des Landtages, die sämtlich den Fraktionen der CDU, der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angehören, habe ich gemäß § 45 Abs. 2 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt in Verbindung mit § 55 Abs. 4 unserer Geschäftsordnung den Landtag außerhalb des durch den Ältestenrat beschlossenen Terminplanes einberufen, um in der heutigen Sitzung des Landtages die erste Beratung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Kommunalverfassungsgesetzes durchzuführen. Wie in der Sitzung des Ältestenrates vereinbart, widmen wir uns danach der Behandlung weiterer Tagesordnungspunkte.
- Das Oberhaupt der Landesregierung ist eingetroffen. Daher habe ich die gute Hoffnung, dass alle anderen Regierungsmitglieder jetzt auch eintreffen werden.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, dass ich ein etwas längeres Zitat an den Beginn meiner Ausführungen stelle, weil es schlicht und eindrucksvoll sagt, worum es heute geht. Es stammt aus der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen, die von Deutschland heute vor zehn Jahren und einer Woche, am 26. März 2009, ratifiziert wurde. In Artikel 29 - Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben - heißt es:
„Die Vertragsstaaten garantieren Menschen mit Behinderungen die politischen Rechte sowie die Möglichkeit, diese gleichberechtigt mit anderen zu genießen, und verpflichten sich, […] sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen wirksam und umfassend am politischen und öffentlichen Leben teilhaben können, […] was auch das Recht und die Möglichkeit einschließt, zu wählen und gewählt zu werden [...]“
„[…] unter anderem […] stellen sie sicher, dass die Wahlverfahren, -einrichtungen und -materialien geeignet, zugänglich und leicht zu verstehen und zu handhaben sind […]“
Ich denke, zehn Jahre nach der verbindlichen Annahme dieses internationalen Übereinkommens steht es uns gut an, bei der Umsetzung voranzuschreiten. Eigentlich ist es schon viel zu spät.
Meine Damen und Herren! Am 29. Januar dieses Jahres hat das Bundesverfassungsgericht ein historisches Urteil gesprochen. Das Gericht hat aufgrund einer Verfassungsbeschwerde mehrerer Betroffener geurteilt, dass zwei Gruppen von Menschen bislang zu Unrecht vom Wahlrecht ausgeschlossen waren. Das sind zum einen Bürgerinnen und Bürger, für die ein Betreuer in allen Angelegenheiten bestellt wurde; zum anderen sind es Personen, die infolge von Schuldunfähigkeit in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind.
Der Richterspruch betrifft auch uns als Land Sachsen-Anhalt, weil die erste Gruppe, die sogenannten Vollbetreuten, auch durch unser Wahlgesetz und unser Kommunalverfassungsgesetz vom Wahlrecht zum Landtag und zu den kommunalen Vertretungen ausgeschlossen ist. Damit verstoßen auch wir in diesem Punkt gegen das Benachteiligungsverbot des Grundgesetzes und müssen gesetzgeberisch tätig werden. Für die zweite Gruppe gibt es in Sachsen-Anhalt hingegen keinen Handlungsbedarf, weil sie nach Landungsrecht schon bislang nicht vom Wahlrecht ausgeschlossen sind.
Wir machen Ihnen als Koalitionsfraktionen, meine Damen und Herren, heute einen Vorschlag, mit dem wir schon zur Kommunalwahl am 26. Mai 2019 einen verfassungskonformen Zustand herstellen können und damit geschätzt 2 500 Menschen in Sachsen-Anhalt das ermöglichen, was ihnen zusteht.
Sie alle tragen mit Ihrer Teilnahme an dieser zusätzlichen Sitzung des Landtages dazu bei, dass wir dieses zeitlich sehr ehrgeizige Vorhaben stemmen können und das Gesetz so verabschieden, dass eine rechtzeitige und rechtssichere Ergänzung der Wählerverzeichnisse möglich ist. Dafür mein herzlicher Dank.
Damit gelingt uns eine Lösung, die im Deutschen Bundestag für die Wahl des Europäischen Parlamentes leider nicht rechtzeitig zustande gekommen ist. Dass wir das in Sachsen-Anhalt hinbekommen, ist eine wirklich gute Sache.
Wir wollen aber als Koalitionsfraktionen noch einen deutlichen Schritt weiter gehen, was die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen angeht. Deshalb legen wir Ihnen ergänzend einen Entschließungsantrag vor, der sich mit weitergehenden Maßnahmen befasst. Der erste Punkt des Antrages behandelt eine pure Selbstverständlichkeit, nämlich die Bitte an die Landesregierung, auch das Wahlgesetz entsprechend anzupassen, damit auch zur Landtagswahl ein verfassungskonformes Wahlrecht vorliegt.
Danach wird es spannend; denn dann geht es darum, was wir tun können, um das vorhin zitierte Vorhaben der UN-Behindertenrechtskonvention Wirklichkeit werden zu lassen, dass die Wahlverfahren, -einrichtungen und -materialien geeignet, zugänglich und leicht zu verstehen und zu handhaben sind. Es geht nämlich nicht nur um Wahlrecht, sondern auch um die tatsächliche Möglichkeit zu wählen. Dafür ist noch viel zu tun, aber dafür können wir auch eine Menge tun.
Das betrifft zum einen den barrierefreien Zugang zum Wahllokal für Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Dabei geht es nicht nur um Menschen, die im Rollstuhl sitzen, sondern auch um viele unserer älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger, die im Alltag eine Gehhilfe brauchen und für die schon die Treppe zu einem alten Schulgebäude, in dem gewählt wird, eine unüberwindliche Hürde darstellt.
Mir ist klar, dass sich barrierefreie Wahllokale in jedem Ort und an jeder Stelle nicht einfach verordnen lassen. Aber die Zahl barrierefrei ausgestalteter Räumlichkeiten nimmt zu, nicht allein auch dank staatlicher Förderungen. Ich denke, wir können von den Verantwortlichen in den Kommunen erwarten, dass sie alle Möglichkeiten ausschöpfen, die sich bieten, und die Zugänglichkeit zu den Wahllokalen immer weiter verbessern.
Unser Antrag schlägt weiterhin vor zu prüfen, wie man Informationen zur Wahl in einfacher Sprache und in Gebärdensprache zur Verfügung stellen kann.
Meine Damen und Herren! Man muss gar keine Behinderung im klassischen Sinne haben, um an amtlichen Erläuterungen zu verzweifeln.
Für viele Menschen ist der Text einer Wahlbenachrichtigung eine ebenso hohe Hürde wie die Treppe zum Wahllokal für die Rentnerinnen mit dem Rollator.
Das muss aber nicht so sein. Mit dem Einsatz von einfacher Sprache sammeln immer mehr Behörden gute Erfahrungen. Auch im Kontext von Wahlen ist sie schon angewandt worden. Wir wollen uns anschauen, wie in anderen Ländern damit umgegangen wurde, und nach guten Lösungen für Sachsen-Anhalt suchen. Das gilt auch für den Einsatz von Gebärdensprache dort, wo es möglich und sinnvoll ist. Barrierefreie Webseiten von Wahlbehörden sollten ohnehin eine Selbstverständlichkeit sein.
Schließlich sollen auch die Möglichkeiten genutzt werden, Stimmzettel übersichtlicher zu gestalten. Ein ganz wesentliches Element ist der Abdruck
der Parteilogos auf dem Stimmzettel. Das klingt erst einmal ungewohnt, ist aber in vielen Ländern der Welt gängige Praxis. Auch in Bremen und Schleswig-Holstein ist es bereits eingeführt worden.
In einer Welt, in der Kommunikation über Symbole, Icons und zunehmend über Smileys selbstverständlich geworden ist und in der die Erkennbarkeit einer Marke einen millionenschweren Wert darstellt, ist ein Logo neben dem Namen der Partei auf einem Stimmzettel kein Systembruch, sondern einfach nur eine weitere kleine Hilfe. Darüber sollten wir jedenfalls ernsthaft diskutieren.
Meine Damen und Herren! Wer in seiner Mobilität beeinträchtigt ist, wer blind ist, wer eine Leseschwäche hat oder auch nur Schwierigkeiten hat, Verwaltungssprache zu verstehen, der hat trotzdem alle Pflichten als Bürger und Steuerzahler. Dann sollten wir aber auch dafür sorgen, dass diese Bürgerinnen und Bürger alle Möglichkeiten haben, durch ihr Wahlrecht in unserem Staat mit zu entscheiden.
Heute ist ein guter Tag für die Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen und für die Demokratie. Ich bin zuversichtlich, dass der Urteilsspruch aus Karlsruhe und die Entscheidung, die wir jetzt in den Parlamenten treffen, Menschen zum eigenen Engagement ermutigen wird.