Protokoll der Sitzung vom 02.04.2019

Herr Gallert, ich habe eine Frage an Sie. Sie sprachen das Lohndumping an, das Deutschland betreibt und wodurch es sich extreme Wettbewerbsvorteile im Handel mit den anderen europäischen Ländern erkauft hat. Ich habe mir gerade einmal eine Statistik angeschaut; denn ich wollte es selbst nicht glauben, aber ich hatte es etwa so im Kopf: Spanien zum Beispiel hat im Jahr 2019 einen Mindestlohn von etwa 5 €, Griechenland hat einen noch geringeren, von etwa 3 €, in Portugal liegt er auch bei etwa 3 €. Die Mindestlöhne in diesen Staaten liegen also deutlich unter denen in Deutschland. Die Sozialleistungen, die die Regierungen oder im Prinzip die Volkswirtschaften für ihre Bürger erwirtschaften, liegen auch weit unter denen Deutschlands.

Normalerweise müsste es doch eigentlich so sein, rein nach kapitalistischem Konzept, dass dort, wo die Löhne niedrig sind, gewaltige Investitionen ausgelöst werden und ein starkes Wirtschaftswachstum die Folge ist.

Erklären Sie uns bitte einmal, warum das in diesen Staaten nicht geschieht. Und wenn das nicht geschieht, wieso sollen dann diese Staaten noch deutlich stärker profitieren, wenn Deutschland eine nationale Verteilung zu deren Gunsten in Schwung bringt und bei uns nicht mehr ausreichend investieren kann?

Ich will noch eine Gedankenstütze geben.

Herr Raue, bitte fassen Sie sich kurz.

Ja, es geht ganz schnell. - Diese Staaten haben nicht nur im Vergleich zu Deutschland ihre Wettbewerbsfähigkeit verloren. Es ist wichtig zu wissen, dass sie im internationalen Vergleich, also mit Asien und Amerika, ihre Wettbewerbsfähigkeit verloren haben. Das können wir in Deutschland nicht ausgleichen, Herr Gallert.

Herr Abg. Gallert, bitte.

Wir alle wissen, dass sich die Warenströme im internationalen Bereich zu 60 %, 70 % innerhalb der Nationalstaaten der Europäischen Union bewegen. Das hat einfach damit etwas zu tun, dass Importe aus Amerika und China sehr viel schwieriger sind, zum Teil mit Zöllen belegt sind, zum Teil mit DIN-Normen usw. usf.

Das Problem, um das es hierbei geht, ist eigentlich ganz einfach, und zwar deswegen: Sie müssen solche Dinge wie den Mindestlohn an der Produktivität in diesen Bereichen orientieren. Die Produktivität in der Europäischen Union ist extrem unterschiedlich. Die Unterschiede zwischen den Durchschnittslöhnen in Portugal und in Deutschland stellen sich übrigens nicht so dar, wie Sie es jetzt sagen. Die Lohnspreizung in Deutschland ist sehr viel größer als in den meisten anderen Ländern. Das heißt, Sie können die Durchschnittslöhne von Portugal nicht an dem hiesigen Mindestlohn orientieren.

Das, was eigentlich passiert ist, ist, dass wir zwischen 2002 und 2010 in Deutschland durchschnittlich eine Produktivitätsentwicklung zwischen 1,5 % und 2 % zu verzeichnen hatten. Es gab aber gleichzeitig eine Lohndegression. Bis 2012 war durchschnittlich eine abnehmende Nettolohnsumme festzustellen. Das bedeutet, die gesamte Produktivität ist in die Gewinne der Unternehmen und in einen möglichen Exportüberschuss gegangen. Das ist der Grund dafür, dass wir heute diese Unwuchten haben, diesen extremen Exportüberschuss.

Es geht um die Produktivität. Zudem geht es um einen weiteren Aspekt; das betrifft vor allen die kleinere Industrie: Sie brauchen neben guten Produktionsbedingungen natürlich auch Absatzmärkte. Das, was sie exportieren können, können sie in Rumänien - das wird inzwischen auch häufig gemacht -, in Polen oder in Tschechien herstellen. Aber sie brauchen auch Absatzmärkte. Diese Absatzmärkte sind zumindest für einen Teil der In

dustrie notwendigerweise vor Ort zu suchen und nicht dort, wo die Leute kein Geld haben.

Deswegen ist das System, das wir zurzeit in der Europäischen Union haben, an seine Wachstumsgrenzen gelangt. Das betrifft übrigens auch das Exportsystem der Bundesrepublik Deutschland. Wenn du niemanden mehr hast, der es bezahlen kann, der deine Exportüberschüsse importieren soll, dann funktioniert es nicht. Ganz einfach.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Gallert. - Wir kommen zur nächsten Debattenrednerin. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht die Abg. Frau Frederking. Sie haben das Wort. Bitte.

Danke schön. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Europawahl am 26. Mai ist eine Klimawahl. Das ist ganz klar. Es geht um die Frage, welche europäische Klimapolitik wir bekommen. Es ist die Wahl zwischen denen, die den Klimawandel mildern und seine Folgen bewältigen wollen, und denen, die den Klimawandel weitgehend ignorieren, verharmlosen oder gleich ganz leugnen. Es geht bei dieser Wahl aber auch um das politische Klima. Lebt die große Idee Europas der Zusammenarbeit und der Unterstützung weiter oder wird sie durch Nationalistinnen und Populistinnen verraten?

Die Herausforderungen durch den Klimawandel sind immens. Unsere Lebensgrundlagen und unsere zivilisatorischen Errungenschaften sind bedroht. Die Politik hat diesbezüglich bisher zu zaghaft agiert. Für große Würfe im Klimaschutz fehlte der Mut, und einige, die behaupten, für den Klimaschutz Verantwortung zu übernehmen, versagen bei ihrem eigenen und auch bei dem konkreten Handeln. Die jungen Leute in ganz Europa von Fridays for Future haben das erkannt.

(Zuruf von Bernhard Daldrup, CDU)

Sie fordern das Recht auf eine Zukunft ein und sie erwarten energisches und konsequentes Handeln von denen, die jetzt an den politischen Hebeln der Macht sitzen, und sie haben recht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Europa muss in der Gemeinsamkeit besonders da stark sein, wo wichtige Ziele nur durch Zusammenarbeit des gesamten Kontinents erreicht werden können, zum Beispiel beim Klimaschutz. Europäische Regelungen gehen oft weiter als nationale Bestrebungen. Das kann man gerade auch in Deutschland gut sehen, wo sich die Bundes

regierung der Automobillobby mehr verbunden fühlt als dem Gemeinwohl. Immerhin konnte die EU niedrigere CO2-Grenzwerte bei Neuzulassungen von Kfz durchsetzen, als es die Bundesregierung und die Automobilindustrie wollten. Wie segensreich wäre es doch, wenn auch die Fahrgeschwindigkeiten auf Autobahnen dem EURecht unterliegen würden.

(Zuruf von Ulrich Siegmund, AfD)

Es war das europäische Naturschutzrecht, das die Sägen im Hambacher Forst gestoppt hat. Die europäische Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie hat die rechtswidrige Abholzung des polnischen Bialowieza-Urwaldes aufgehalten.

(Minister Marco Tullner: Wie heißt der?)

Ein anderes Beispiel dafür, wie ein entschlossenes Europa auch handeln kann, ist die neue Richtlinie gegen Einwegplastik.

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜ- NE)

Das sind nur einige wenige Beispiele, in denen Europa in Sachen Klima-, Arten- und Umweltschutz bereits Gutes bewirkt hat. Es gilt aber, noch viel mehr zu tun.

Eine wesentliche Richtungsentscheidung ist die anstehende Neugestaltung der Gemeinsamen Agrarpolitik. Wir GRÜNEN wollen, dass die Subventionen an gesellschaftliche Leistungen gebunden werden. Es muss Anreize für Artenvielfalt, Tierwohl, Klimaschutz und Umweltschutz geben.

Die EU-Fördergelder, allen voran die europäischen Struktur- und Investitionsfonds, haben zu Innovationen und zum Gedeihen von strukturschwachen Regionen beigetragen. Es ist richtig, dass die Landesregierung mit besonderer Sorgfalt die neue Förderperiode vorbereitet. All das sollte bewahrt werden und es sollte Neues hinzukommen, wie ein Verbot von Mikroplastik in Kosmetika,

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜ- NE)

wie eine Digitalsteuer. Zudem muss die soziale Dimension ausgebaut werden um Mindestlöhne und Regeln für Gesundheit, Rente und Arbeitslosigkeit. Die Mitgliedstaaten müssen sich darauf verlassen können, dass die EU hinschaut und die Rechtsstaatlichkeit gewahrt bleibt.

Ein politisches Klima, das von Zusammenarbeit, Solidarität und Unterstützung geprägt ist, hat auch uns in Sachsen-Anhalt gut getan.

Frau Abg. Frederking, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Den letzten Satz, bitte.

Nur in einem solchen Klima können wir unsere Lebensgrundlagen schützen, eine zukunftsfähige Wirtschaft schaffen und Frieden sichern. Dafür brauchen wir die Europäische Union.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Frederking. Ich sehe keine Wortmeldungen. - Wir kommen somit zum letzten Debattenredner. Für die CDU-Fraktion spricht der Abg. Herr Kurze.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Frederking, bevor ich in meine Rede einsteige, muss ich sagen: Ich hoffe, dass diese Hatz, die Sie hier betreiben gegen die Autoindustrie und gegen die vielen Autofahrer, die tagtäglich ihr Auto nutzen,

(Siegfried Borgwardt, CDU: Müssen! - Bernhard Daldrup, CDU: Müssen!)

um zur Arbeit zu fahren, um am Ende das zu erwirtschaften, was wir alle in unserem gesamten Land und auch innerhalb der EU nutzen, draußen, außerhalb dieses Hohen Hauses ankommt bei dieser ganzen Klimahysterie und dem Wahn, den Sie versuchen, in Deutschland zu fabrizieren. Das ist unerhört. Unerhört ist das. Wirklich wahr!

(Zustimmung bei der CDU - Beifall bei der AfD - Sebastian Striegel, GRÜNE: Würden Sie bitte aufhören, meiner Kollegin psychia- trische Krankheiten zu unterstellen! - Un- ruhe)

Einen gegen den anderen auszuspielen, das ist doch unerhört. Menschenskinder, Herr Striegel. Das passt doch wirklich nicht in so eine Debatte. Das hat doch mit Europa wirklich nicht so viel zu tun, wie Sie versuchen, es hier darzustellen.

(Dorothea Frederking, GRÜNE: CO2-Grenz- werte! - Zuruf von Sebastian Striegel, GRÜ- NE)

- Ich denke, Sie können sich auch melden, Herr Striegel, und eine Kurzintervention machen.

(Dorothea Frederking, GRÜNE: Ich habe über CO2-Grenzwerte gesprochen!)

Aber diese Rede eben war wirklich unter aller Kanone, dem Thema Europa nicht würdig. Das möchte ich hier ganz deutlich festhalten.

(Zustimmung bei der CDU, bei der AfD und von André Poggenburg, fraktionslos)

Ich hoffe, die Menschen draußen bekommen davon eine Menge mit, damit diese Hysterie, die in Ihre Richtung geht und von Ihnen ausgeht,

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Hören Sie bit- te auf, meine Kollegin zu psychiatrisieren! - Unruhe)

endlich mal wieder gedämpft wird. Möge Gott uns davor bewahren, dass Sie richtig an den Drücker kommen; denn dann gute Nacht Deutschland und gute Nacht Europa. Also ehrlich!

(Zustimmung bei der CDU und bei der AfD - Ulrich Siegmund, AfD, lacht - Zuruf von Se- bastian Striegel, GRÜNE)