Protokoll der Sitzung vom 01.09.2016

In Erfurt versuchen Ihre Kollegen Moscheebauten unmöglich zu machen. In Magdeburg, Dresden und Stuttgart wollen Sie muslimischen Frauen Vorschriften über Bekleidung machen. Und in ganz Deutschland wollen Sie die Islamverbände bekämpfen.

Das ist nicht unsere Politik. Dem stellen wir uns entgegen. Wir wollen den Dialog mit den Musliminnen und Muslimen im Land.

(Robert Farle, AfD, lacht)

Verstehen wir uns nicht falsch: Ich lehne die Burka und auch den Niqab ab. Aber ich verteidige das Recht jedes einzelnen Menschen, sich so zu kleiden, wie es ihm oder ihr gefällt. Unabhängig

davon, ob es dabei um freie Entfaltung der Persönlichkeit oder um theologisch im Islam durchaus umstrittene Kleidervorschriften geht, muss es diese Freiheit in einer Gesellschaft wie der unseren geben.

Empfindet jedoch die Trägerin - nur auf sie kommt es an - die Burka als verbindlich von den Regeln ihrer Religion vorgeschrieben, fällt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch das Tragen der Burka in den Schutzbereich der Religionsfreiheit.

Die Zeiten, in denen Männer - heute maßgeblich islamfeindliche Herren aus der AfD - über die Bekleidung von Frauen entscheiden wollen, sind Gott sei dank vorbei.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Die AfD will Frauen beherrschen, will Macht ausüben und Vorschriften machen.

(Lachen bei der AfD)

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN will die Befreiung aller Frauen.

(Lachen bei der AfD - Ulrich Siegmund, AfD: Das ist lächerlich!)

Wir wollen, dass jede Frau das anziehen kann, was ihr beliebt, ob Minirock oder Habit, ob Hotpants oder Kopftuch. Weder Hidschab noch Tschador, ja nicht einmal Niqab oder Burka bedrohen das friedliche Zusammenleben in unserem Land. Der Frieden wird bedroht durch diejenigen, die als fremd empfundenen Kultur- oder Religionspraktiken zuerst mit Verboten kommen, statt in den Dialog zu gehen.

(Mario Lehmann, AfD, setzt sich eine Kopf- bedeckung auf)

Herr Poggenburg, Sie sprechen in Ihrer Pressemitteilung unter Verweis auf eine Umfrage davon, dass die Sichtweise Ihrer Partei vermeintlich mit der „Volksmeinung“ übereinstimme. Mal abgesehen davon, dass 51 % Befürworter eines Verbots der Vollverschleierung nicht „das Volk“ sind, kennt der liberale Rechtsstaat keine Diktatur der Mehrheit. Der Schutz von Minderheiten ist im Grundgesetz festgeschrieben, und das ist auch gut so.

(Ulrich Siegmund, AfD: Die grüne Minder- heit!)

Die Verschleierung des Gesichts widerspricht anders als Sie, Herr Tillschneider, contra legem behaupten nicht dem Grundgesetz. Unsere Verfassung schützt insbesondere aus Artikel 1 heraus auch das Recht, sich zu verhüllen. Es ist ein Ausdruck der Freiheit und Autonomie des Menschen, bestimmen zu dürfen, wem das Gesicht oder die eigene Persönlichkeit gezeigt wird.

Der Würdeverstoß durch eine Burka liegt entsprechend nicht in einer selbstbestimmten Entscheidung zum Tragen, sondern allenfalls in der dadurch zum Ausdruck gebrachten Gesinnung, wie ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages zutreffend ausführt.

Das mit der Burka verbundene Männer- und Frauenbild ist fragwürdig und verträgt sich nicht mit dem europäischen Konsens im Umgang der Menschen miteinander. Aber nicht alles, was unerwünscht ist, kann verboten werden. Das freiwillige Tragen einer Burka ist keine Verletzung der Menschenwürde, auch nicht für denjenigen, der eine Trägerin anschaut; denn er ist ihr im öffentlichen Raum nicht ausgeliefert, sondern kann wegschauen oder weggehen.

Herr Striegel, ich darf Sie einmal kurz unterbrechen. - Ich mache das ungern, aber an dieser Stelle muss ich eingreifen. Werter Herr Lehmann, wir haben hier die parlamentarische Gepflogenheit, dass wir keine Kopfbedeckung hier im Plenarsaal aufsetzen. Deswegen bitte ich Sie, diese Kopfbedeckung vom Kopf zu nehmen.

(Swen Knöchel, DIE LINKE: Es sei denn, es ist aus religiösen Gründen, Frau Präsi- dentin! Fragen Sie ihn doch mal! - Mario Lehmann, AfD, nimmt die Kopfbedeckung ab)

Herr Striegel, Sie dürfen fortfahren.

Bekanntlich outet sich jeder so gut er kann. Die Kollegin Muhsal vollverschleierte sich heute im Thüringer Landtag. Der Kollege Lehmann kommt nicht ganz vollverschleiert. Dafür hat es dann doch nicht gereicht.

(Zuruf von der AfD: Wo bleibt Ihre Tole- ranz?)

Um noch einmal das bereits erwähnte Gutachten zu zitieren:

„In einer Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt, hat der Einzelne kein Recht darauf, von fremden Glaubensbekundungen verschont zu bleiben.“

Einer Diktatur der Mehrheit erteilen BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eine Absage. Nur dort, wo kein Ausweichen vor den religiösen Symbolen möglich ist, können Verbote verhängt werden.

Lassen Sie mich zu einem letzten Punkt kommen. Einschnitte in Grundrechte müssen notwendig sein. Ein totales Verbot der Gesichtsverschleierung ist in Sachsen-Anhalt völlig überzogen. Mir

ist in den vergangenen Jahren nicht eine BurkaTrägerin in Sachsen-Anhalt begegnet. Selbst Tschador-Trägerinnen erlebe ich nur in Einzelfällen.

Schon heute ist es zudem möglich, vollverschleierte Personen zu identifizieren, zum Beispiel bei Polizei- oder Einlasskontrollen, wo durch Polizistinnen selbstverständlich eine Kontrolle der Identität durchgeführt werden kann.

Wo die Burka oder der Niqab als Unterdrückungsinstrument eines Ehemannes verwandt wird, greift bereits heute der Nötigungsparagraf. Signale von Frauen zu empfangen und zu hören, die so gezwungen werden, wäre eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe und mit Sicherheit wirksamer als jedes Verbot.

Meine Damen und Herren von der AfD, Ihr Gesetzentwurf ist populistisch und islamfeindlich. Er wird in Sachsen-Anhalt nicht umgesetzt werden. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Vielen Dank, Herr Striegel. Jetzt sehe ich die Wortmeldung von Herrn Poggenburg und von Herrn Schmidt. Zunächst Herr Poggenburg, bitte. - Herr Striegel, sind Sie bereit zu antworten?

Selbstverständlich.

Bitte.

Herr Striegel, Sie haben ausgeführt, die AfD möchte, dass muslimisches Leben in Deutschland nur noch in der Dunkelkammer stattfindet; zumindest sinngemäß haben Sie es so ausgeführt. Vielleicht haben Sie es nicht richtig verstanden. Wir sind gegen Vollverschleierung, damit die Sonne da rankommt, wo sie auch hingehört. Wir wollen nicht die Verschleierung, wir wollen keine Verhüllung. Haben Sie das richtig verstanden?

(Eva von Angern, DIE LINKE: Was ist das für ein Menschenbild?)

Herr Poggenburg, auch wenn es oft schwer fällt, den Rednerinnen und Rednern Ihrer Fraktion zuzuhören, habe ich das sehr richtig verstanden. Ich habe Ihrem Redner zugehört, der davon gesprochen hat, Minarette verbieten zu wollen, Kopf

tücher im öffentlichen Dienst verbieten zu wollen und Muslimverbände zu bekämpfen.

All das ist eine Kampfansage an diejenigen, die als Mitbürgerinnen und Mitbürger in unserem Land wohnen und die selbstverständlich zu Deutschland gehören, ob Ihnen das passt oder nicht, Herr Tillschneider. Das müssen Sie tolerieren. Da müssen Sie durch.

Ja, wir werden als Grüne dafür kämpfen, dass jeder Mensch in Sachsen-Anhalt, ob Frau oder Mann, muslimischen Glaubens, jüdischen Glaubens oder christlichen Glaubens so leben kann, wie es ihr oder ihm gefällt. Wir werden nicht mitmachen bei der Verbannung von Muslimen in die Dunkelkammer unserer Gesellschaft.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Jetzt hat Herr Schmidt das Wort. Bitte.

Danke. - Herr Striegel, Sie haben gesagt, dass eine Umfrage, nach der 51 % der Bundesbürger die Vollverschleierung ablehnen, nicht die Meinung des Volkes widerspiegele. Sind Sie der Meinung, dass eine Randpartei von 5 % die Meinung des Volkes eher widerspiegeln kann?

(Beifall bei der AfD)

Herr Striegel, wollen Sie darauf antworten?

Sehr geehrter Herr Kollege, wissen Sie, das ist der fundamentale Unterschied zwischen uns beiden. Sie glauben, dass es so etwas wie den Volkswillen gibt, der auf der Straße liegt und den man nur aufzuheben braucht. Ich hingegen glaube, dass der Wille des Volkes nicht einfach da ist, sondern dass er sich ergibt im Widerstreit der Interessen. Dazu sind 5%-Parteien genauso notwendig wie 25%-Parteien oder 30%-Parteien. Es kommt auf den Wettbewerb an.

Ich wünsche mir, dass wir diesen Wettbewerb mit fairen Methoden führen, nicht mit Verleumdungen. Ich wünsche mir, dass wir diesen Wettbewerb nicht auf dem Rücken von Minderheiten austragen, sondern in Akzeptanz von diesen. Ich wünsche mir, dass wir nicht behaupten, dass da jemand die Volksmeinung spiegelt, sondern dass wir uns alle darum bemühen, das Beste für die Bevölkerung in unserem Land herauszuholen. Das werden wir nur tun können, wenn wir tatsächlich miteinander um die besten Lösungen ringen.

Ich bin mir sicher, Verbote gehören oft nicht dazu. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)