Vielen Dank. - Der nächste Debattenredner ist Herr Gallert von der Fraktion DIE LINKE. Sie haben das Wort, bitte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben bei dieser Frage natürlich eines der sehr spannenden und sehr vielschichtig diskutierten Themen auf dem Tisch, die uns zurzeit berühren und die ein bisschen den Eindruck vermitteln, dass sich diese Welt in eine Komplexität auflöst oder hineinbegibt - egal wie man es sieht -, die für uns schwer zu fassen ist. Denn das, was sich hinter den Wirtschaftssanktionen der Europäischen Union gegenüber Russland verbirgt, ist eine sehr komplexe und differenzierte Schwierigkeit oder - man kann es auch so sagen - Konfliktlage, die sich vielfach überlagert.
Wir haben zum einen - das habe ich heute früh gesagt - sehr wohl, und zwar auf beiden Seiten, eine gewisse Kontinuität einer Blockkonfrontation. Wir haben ein Stück weit die fehlende Überwindung der Positionen des Kalten Krieges, die sich manchmal fast eins zu eins in den jeweiligen Stereotypen gegenüber dem anderen widerspiegeln. Das ist eine Situation, in der die Wirtschaftspolitik, in der die internationale Politik selten dazu in der Lage und bereit sind, einen echten Beitrag zur Entspannung einer ganz schwierigen Situation zu leisten.
Natürlich muss man auch darauf hinweisen, dass die Wirtschaftssanktionen etwas mit der Annexion der Krim zu tun haben. Ich muss es noch einmal ganz klar sagen: Natürlich war es eine militärische Annexion, was dort stattgefunden hat.
Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Mehrheit der Menschen, die auf der Krim leben, diese Position ausdrücklich teilt. Stellen Sie sich nur einmal vor, nicht nur in Europa, sondern weltweit würde es jeweils eine ethnische Minderheit oder eine bestimmte Bevölkerungsgruppe immer freigestellt bekommen, ob sie nun in dem Land, in dem sie ist, verweilen möchte, oder ob sie möglicherweise zu einem anderen gehen möchte.
Dann brauchten wir über einen Weltfriedenstag oder über einen Antikriegstag überhaupt nicht mehr zu reden, weil fast in all diesen Situationen ein solcher Wechsel über Landesgrenzen dazu führen würde, dass wir in eine unendliche Zahl von militärischen Konflikten hineinkommen.
Das heißt, einfach die Situation, die Bevölkerung auf der Krim selbst hat sich eher zu Russland definiert als zur Ukraine, ist völkerrechtlich noch lange nicht der ausreichende Beitrag, um zu sagen, dass das vernünftig und in Ordnung war. Das ist es nicht.
Unser Problem besteht jedoch darin, dass auch dieser Konflikt in einen größeren Maßstab eingeht. Das ist tatsächlich die Konfrontation zwischen der NATO auf der einen Seite und Russland auf der anderen Seite. Aber auch dieser Konflikt ist sehr vielschichtig. Zum einen ist es natürlich die alte Hegemonialposition, die zwischen Washington, Brüssel und auch Moskau ausgetauscht wird. Zum anderen ist es natürlich auch so, dass die Länder, die in dieser Pufferzone sind, sehr unterschiedliche und differenzierte Interessen haben.
Nehmen wir zum Beispiel die polnische Situation. In Polen und auch in den baltischen Ländern überwiegt eindeutig die Angst davor, möglicher
In Russland wiederum haben wir die Situation, dass eine gewisse Aggressivität und Großmachtposition vor allen Dingen dadurch motiviert worden ist, dass man sie tatsächlich mit globalpolitischen Interessen in die Ecke getrieben hat und natürlich die Grenzen der militärischen Präsenz der NATO permanent weiter in Richtung Osten getrieben hat.
Das heißt, beide Seiten agieren in einer Eskalationsspirale, beide Seiten haben mit Wirtschaftssanktionen, die es übrigens nicht nur seitens der Europäischen Union gegenüber Russland, sondern als Antwort auch seitens Russlands gegenüber der Europäischen Union gibt, einen Beitrag dazu geleistet, weiter an dieser Eskalationsspirale zu drehen.
Eines - das dürften wir inzwischen auch alle wissen - war im Grunde genommen vorher klar: Die Annexion der Krim wird man mit Wirtschaftssanktionen nicht zurückdrehen. Das, was wir jetzt brauchen, ist tatsächlich eine - im besten Sinne des Wortes - Entspannung auf beiden Seiten. Entspannung auf beiden Seiten heißt Vertrauen aufzubauen. Vertrauen aufbauen könnte man natürlich zuallererst, indem man diese Wirtschaftssanktionen wieder zurücknimmt. Dann müssen wir einmal sehen, wie die Dinge weitergehen.
Die gegenseitigen Klischees, die existieren, funktionieren definitiv nicht. Ich weiß auch, dass es in der AfD eine große Begeisterung für das politische Herrschaftssystem des Kollegen Putin gibt. Das ist schon bekannt. Aber ich sage Ihnen: So einfach ist es auch nicht.
Der Kollege Putin, wenn man ihn einmal so nennen will, ist zum Beispiel jemand, der ausdrücklich sagt: Der Islam gehört zu Russland! Er freut sich über die Einweihung von Moscheen. Er freut sich über islamische Bildungsinstitutionen, die in Russland einen Beitrag zur dortigen multireligiösen und multikulturellen Gesellschaft leisten. Putin! Also freuen Sie sich nicht zu früh, liebe Kollegen von der AfD.
Insofern sage ich noch einmal ausdrücklich: Die Aufhebung der Wirtschaftssanktionen im eigenen Interesse und im Interesse der Entspannung und auch im Interesse der wirtschaftlichen Entwicklung Russlands ist dringend geboten. Sie einzuführen war ein Fehler; wir müssen sie zurückbringen. Aber die Dinge sind komplexer. Und sie sind auf beiden Seiten komplexer. Wenn Sie in einem solchen Konflikt immer nur einer Seite die Schuld geben, dann liegen Sie garantiert falsch. Wir müssen auf beiden Seiten abrüsten, ökonomisch, militärisch und ideologisch. - Danke.
Vielen Dank, Herr Kollege Gallert. Herr Kollege Gallert, haben Sie noch einen Moment Zeit? Der Kollege Poggenburg möchte eine Frage stellen. - Bitte, Herr Poggenburg.
Herr Gallert, erst einmal finde ich es prima, dass Sie den Kollegen Putin als Kollegen und nicht als Genossen bezeichnet haben. Das fanden wir schon einmal ganz toll.
Zu meiner Frage. Sie haben selbst gerade gesagt: Die Mehrheit der Bevölkerung auf der Krim hat das wohl im Grunde gewollt, dieses - wie wollen wir es nennen? - Hinrücken zu Russland und Abkehren von der Ukraine. Die Krim war ja schon immer teilautonom. Jetzt aber die Frage: Wenn es so ist, wie Sie sagen, und es dort auch ein Referendum gab: Ist es dann nicht eine Sezession? Erfüllt es nicht den Tatbestand einer Sezession? Warum bleiben Sie bei Annexion? - Diese Frage habe ich, danke.
Das ist relativ einfach zu beantworten. Es war eine militärische Annexion. Es ist durch ein militärisches Eingreifen zu Russland sozusagen zugeschlagen worden. Russland hat Truppen eingesetzt, um dieses Gebiet zu erobern, und hat damit eine Sachlage geschaffen.
Ich sage noch einmal ausdrücklich, auch vor dem Hintergrund dessen, was ich heute früh gesagt habe: Sie können immer solche Begründungen schaffen, dass eine bestimmte Bevölkerungsgruppe möglicherweise den Wechsel über die Landesgrenze will.
Wenn das allerdings dann dazu führen kann, dass die militärische Intervention des Nachbarstaates dadurch legitimiert wird, dann landen Sie irgendwann in einem unüberschaubaren Kriegszustand. Allein in Europa gibt es zehn, 15, 20 Stellen, wo das sofort losbrechen würde.
Stellen Sie sich doch einmal vor - das ist wahrscheinlich gar nicht einmal unmöglich -, in unserem Land Sachsen würden die Sorben mehrheitlich gesagt haben: Der Rassismus, der uns in
zwischen entgegenschlägt, ist so schlimm, wir wollen zurück nach Polen. Jetzt stellen Sie sich einmal die Situation vor: Polen lässt die Truppen in Ostsachsen einmarschieren, und das mit der Begründung - - Das funktioniert doch nicht. Das geht so nicht. Man kann solche Grenzveränderungen mit solchen Argumenten nicht begründen.
Ich sage übrigens auch: Das ist auch eine Lehre aus der europäischen Geschichte; denn diese Dinge hat man immer schon versucht. Deutschland hat zum Beispiel auch Minderheiten in Tschechien, Polen, Österreich dazu benutzt, solche Dinge zu machen. Das führte übrigens dazu, dass Minderheiten häufig wiederum in den Ländern, in denen sie lebten, überhaupt erst einmal unter Generalverdacht gestellt worden sind,
Wenn Sie das als legitimen Grund anerkennen, dann haben wir ein Riesenproblem. Eines noch - das ist mein letzter Satz dazu -: Sie können gern als Sündenfall der Europäischen Union Jugoslawien in diesem Kontext anführen, wo man diese Argumentation, weil es einem gerade in den Kram passte, eingesetzt hat.
Dazu sage ich: Das ist der Fluch der bösen Tat. Wer das Völkerrecht einmal in dieser Art und Weise missachtet hat, der wird unglaubwürdig, wenn er einen Völkerrechtsverstoß in einem anderen Fall kritisiert.
Herr Gallert, es gibt noch zwei weitere Nachfragen von Herrn Raue und von Herrn Lehmann. - Bitte, Herr Raue.
Herr Gallert, zunächst vielen Dank für die Antwort, die Sie mir schon vorweggenommen haben bezüglich Jugoslawien. Fordern Sie von Russland jetzt die Rückgabe der Insel Krim an die Ukraine?
Es war eine widerrechtliche Annexion. Aber wissen Sie, ob Wulf Gallert oder sonst wer sich hier im Landtag von Sachsen-Anhalt hinstellt,
und von Russland die Rückgabe der Krim fordert, das ist der berühmte Sack Reis in sonstwo, der da umfällt.
Dazu sage ich noch einmal: Das Völkerrecht ist in Europa in den letzten 20, 25 Jahren an vielen, vielen Stellen gebrochen worden. Das Problem ist nur, dass man jedes Mal die Situation hat, dass man aus dem Bruch eines Völkerrechts nicht die nächste Eskalationsstufe ableiten kann.
Deswegen - das wussten im Grunde genommen übrigens alle, auch die, die die Wirtschaftssanktionen damals eingebracht haben - wird dieser Schritt faktisch nicht rückgängig zu machen sein, aber dadurch wird er im Nachhinein nicht legitim. Er wird nicht rückgängig zu machen sein, übrigens auch nicht mit den Wirtschaftssanktionen.
Natürlich haben wir die Situation, dass ausgerechnet die USA, die Vereinigten Staaten von Amerika, die ausdrücklich auf diese Konfrontation im Bereich der Wirtschaft gedrängt haben, nun - da wird es natürlich wirklich eigenartig - in die Lücke hineinstoßen, die durch die Wirtschaftssanktionen zwischen der Europäischen Union und Russland entstanden ist. Dazu sage ich: Daran merkt man auch, dass hinter diesen Sanktionen nicht nur die politische Konfrontation und die Friedenssicherung als Motivation gestanden haben.
Deswegen sagen wir es noch einmal: Die Annexion der Krim war nicht legitim, sie war eine Annexion. Sie wird auch in Zukunft nicht legitim, aber wir können sie nicht zurückdrehen, das müssen wir wissen. Deswegen müssen wir sehen, wie wir vorankommen und die Situation wirklich entspannen. Das ist ein sehr pragmatischer Ansatz, aber der ist in der Außenpolitik nun einmal notwendig.