Protokoll der Sitzung vom 27.09.2019

Inzwischen haben sich bereits 41 öffentliche Sekundarschulen freiwillig in Gemeinschaftsschulen umgewandelt. Es kamen sogar noch sechs Gemeinschaftsschulen in freier Trägerschaft hinzu. Das ist mehr als jede vierte Schule im Bereich der Sekundarstufe I.

Genau dieser Erfolg ist dem Minister ein Dorn im Auge. Gemeinschaftsschulen passen mit ihrem sehr erfolgreichen längeren gemeinsamen Lernen nicht in sein konservatives Weltbild eines allein auf Selektion setzenden, schön sauber gegliederten Schulsystems. Das ist übrigens nicht anders als bei seinem gestörten Verhältnis zur Inklusion und zum Erhalt von Förderschulen.

Doch das ist es wohl nicht allein. Man könnte kalauern: Ein Gespenst geht um im Bildungsministerium und in der CDU. Denn mit mit den Gemeinschaftsschulen entsteht eine weitere Konkurrenz für die Alleinstellung der Gymnasien bei der Abiturbildung. Konnte man auf der konservativen Seite schon die Entstehung integrierter Gesamtschulen nicht völlig verhindern, sollen nun nicht auch noch die Gemeinschaftsschulen im Revier der Gymnasien wildern.

Auf der CDU-Seite wurde über viele Jahre viel politische Kraft aufgewendet, um die Ausbreitung der Gesamtschulen einzudämmen. Bei den Gemeinschaftsschulen will man dem gleich von Beginn an einen Riegel vorschieben. Gemeinschaftsschulen mit erfolgreichen Abiturienten sind das Letzte, was ein CDU-geführtes Bildungsministerium haben möchte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Konkurrenz vertragen Gymnasien gar nicht. Sie leben davon, dass ihnen die leistungsstarken Schülerinnen und Schüler möglichst frühzeitig zugewiesen werden und dass sie dann im Laufe der acht Jahre bis zum Abitur all die Schüler wieder zurückschicken können, die ihrer Meinung nach gar nicht erst auf das Gymnasium gehört hätten. Das wird aber schwierig, wenn es irgendwann keine Sekundarschulen mehr gibt, an die man die Schüler zurückschicken kann, oder wenn diese Schüler an eine Gemeinschaftsschule mit eigener Oberstufe

wechseln und dort ein gutes Abitur schaffen.

Wenn immer mehr Eltern schon in der 4. Klasse entscheiden, ihre Kinder nicht auf ein Gymnasium zu schicken, sondern den Weg des längeren gemeinsamen Lernens wählen, dann könnte es tatsächlich sein, dass an der einen oder anderen Stelle Gymnasien den Gemeinschaftsschulen

weichen müssen. Das will man in der CDU nicht. Das bringt die ganze schöne Ordnung durcheinander.

Genauso argumentiert der Minister auch. Zunächst spekuliert er darüber, dass die Schulen die geforderte Angebotsbreite in der gymnasialen Oberstufe mit weniger als den geforderten 50 Schülerinnen und Schülern je Jahrgang nicht darstellen können. Vor allem aber geht es ihm darum, kein weiteres Angebot an Plätzen in neuen gymnasialen Oberstufen zu schaffen, weil aus seiner Sicht bereits die landesweit bestehenden Oberstufen nicht ausreichend ausgelastet sind und somit vor einer weiteren Bedrohung durch Gemeinschaftsschulen geschützt werden müssen.

Er interpretiert unser Schulgesetz so, als ob es eine Bestandsgarantie für Oberstufen an Gymnasien gegenüber der Errichtung neuer Oberstufen an Gemeinschaftsschulen geben würde. Er behauptet, dass neue Oberstufen an aufwachsenden Gemeinschaftsschulen nicht eingerichtet werden dürften, wenn sie Oberstufen an Gymnasien gefährden könnten. Ein solcher Vorbehalt findet sich aber weder im Schulgesetz noch in der Verordnung zur Schulentwicklungsplanung 2014.

Eine Prognose, inwieweit die Einrichtung einer Oberstufe an einer aufwachsenden Gemeinschaftsschule den Bestand anderer gymnasialer Oberstufen benachbarter Schulen negativ beeinflussen kann, ist schon dem Grunde nach gar nicht möglich. Es kann nicht prognostiziert werden, ob Schülerinnen und Schüler, die an einer Gemeinschaftsschule mit eigener Oberstufe ein Abitur erreichen, diesen Bildungsweg auch an einem Gymnasium erfolgreich hätten beschreiten können oder hätten beschreiten wollen; im Gegenteil: Es gibt Hinweise darauf, dass Schülerinnen und Schüler von Gymnasien an die Gemeinschaftsschulen wechseln, weil sie nur dort unter den Bedingungen anderer Lernformen und eines erweiterten Zeitrahmens zu einem erfolgreichen Schulabschluss kommen können.

Eine Prognose dazu, ob es den Gemeinschaftsschulen mit eigener Oberstufe gelingen wird, auch mit weniger als 50 Schülerinnen und Schülern in den Schuljahrgängen ab der Klasse 11 ein ausreichendes Unterrichtsangebot vorzuhalten, kann nicht vorab getroffen werden. Dagegen spricht, dass es vielfältige Beispiele für ein erfolgreiches Arbeiten in gymnasialen Oberstufen von Gymnasien gibt, in denen die Mindestjahrgangsstärke mehrfach oder auch dauerhaft unterschritten wird. Das kann sich nur in der schulischen Praxis zeigen.

Deutlich gravierender als die Unterschreitung der Mindestjahrgangsstärke in der gymnasialen Ober

stufe ist die Unterschreitung des ermittelten Gesamtbedarfs im Rahmen der Versorgung mit Lehrkräften. Diese ist gerade an Gemeinschaftsschulen besonders schlecht und stellt die Schulen natürlich vor erhebliche Probleme. Das darf aber nicht dazu führen, die Wahlfreiheit der Schülerinnen und Schüler einzuschränken und sie entgegen ihrem Wunsch der gymnasialen Oberstufe eines Gymnasiums zuzuweisen, nur damit diese besser ausgelastet ist.

Ganz unabhängig von diesen rechtlichen und pädagogischen Bewertungen ist das, was der Minister mit der angedrohten Schließung der gerade erst eröffneten Oberstufen in Wolmirstedt und Aschersleben vorhat, vor allem auch als Verwaltungshandeln völlig inakzeptabel. Im Schulbereich sind solche sprunghaften Entscheidungen auf keinen Fall akzeptabel. Für die notwendige Verlässlichkeit, die Schüler, Eltern und Lehrkräfte in den Schulen zwingend für die Lernarbeit brauchen, verbietet es sich, wenige Wochen nach dem Unterrichtsbeginn zu verfügen, dass bereits zum Schulhalbjahr alles wieder auf null gestellt wird. Ein so rücksichtsloses Vorgehen gegen Eltern, Schüler und Lehrkräfte disqualifiziert Herrn Tullner als unseren Schulminister.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Wir erwarten, dass die jetzt eingerichteten Oberstufen über einen vernünftigen Entwicklungszeitraum von mindestens fünf Jahren die nach der Verordnung zur Schulentwicklungsplanung mögliche Ausnahmegenehmigung bei einer Unterschreitung der Mindestschülerzahl erhalten. Wir erwarten auch, dass dieses Signal jetzt gegeben wird und das Damoklesschwert wieder abgenommen wird.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Natürlich schadet schon die Art der Debatte diesen Schulen dadurch, dass Schüler, Eltern und Lehrkräfte auf diese Weise noch länger verunsichert werden. Für die Stärkung unseres Schulsystems sind erfolgreiche Gemeinschaftsschulen, die auch ein gutes Abitur vergeben können, eine der entscheidenden Triebkräfte.

Herr Tullner, springen Sie über Ihren Schatten und geben Sie unseren Gemeinschaftsschulen eine faire Chance. Sie haben es mehr als verdient. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sehe keine Fragen. Deswegen treten wir jetzt in die Dreiminutendebatte ein. Für die Landesregierung spricht der Abg. Herr Tullner - der Minister Herr Tullner, Entschuldigung.

Beides Herr Präsident, beides. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Lippmann, ich weiß nicht, ob Sie irgendwie im Wiederwahlmodus oder -kampf stehen oder sonst irgendwie unter Druck stehen. Ich muss mich schon ein bisschen wundern. Gestern haben Sie mich zum Rücktritt aufgefordert. Das habe ich mit Demut und Respekt zur Kenntnis genommen. Heute holen Sie bildungspolitische Debatten aus der Mottenkiste der 70er-Jahre oder aus der Hochzeit der ideologischen Kämpfe heraus. Ich fühle mich darin beschrieben als finsterer Fürst des Rollbacks, der irgendwie CDU-Ideologie pur durchsetzt und ansonsten unsere Kinder nur Schlechtem überantwortet. So fasse ich es jetzt einmal zusammen. Ich hoffe, das war aus Ihrer Sicht betrachtet richtig.

Das weise ich natürlich strikt von mir. Liebe Leute, vielleicht können wir einfach - wie es der Präsident neulich zu Herrn Striegel gesagt hat - den Ball ein bisschen flacher halten und nicht ganz so dick auftragen.

Worum geht es denn? - Wir haben uns in den letzten Jahren, von der Kultusministerkonferenz angefangen bis hin in unser Hohes Haus, mit Vergleichbarkeit und vielleicht auch mit mehr Gerechtigkeit beim Abitur beschäftigt. Das war ein großer Erfolg. Ich habe an der Stelle auch weitestgehend den großen Konsens wahrgenommen, dass wir von Bremen bis Bayern, vom Saarland bis Brandenburg und auch in Sachsen-Anhalt gleiche Chancen für das Abitur haben wollen. Jetzt fordern Sie mich auf, dass ich diese Maßstäbe an der Stelle wieder einschränke, weil jetzt eine Schulform um die Ecke kommt, die Sie als schlechtergestellt betrachten.

Was wollen Sie im Endeffekt? - Sie fordern in Ihrem Antrag, dass ich die Mindestschülerzahl für diese Oberstufe auf 40 Kinder heruntersetze. Das würde bedeuten, wir können nicht mehr so viele Angebote machen. Die Kurse würden eingeschränkt. Wir hätten plötzlich ein Abitur, das nicht mehr vergleichbar ist. Das finde ich einfach einen völlig falschen Ansatz.

(Zustimmung bei der CDU)

Ich denke, wenn wir diese Maßstäbe haben, dann sollten sie für alle Schulen gelten.

Dann haben Sie sich selbst widersprochen. Auf der einen Seite sagen Sie, ich wolle für alle Gemeinschaftsschulen einen Rollback. Auf der anderen Seite haben Sie selbst gesagt, dass über 40 Gemeinschaftsschulen im Kooperationsmodell im Netz sind. Ich habe auch das Gefühl, sie sind gut im Netz. Jetzt haben wir in zwei Fällen Schulen, die erkennbar die Mindestschülerzahlen nicht er

reichen. - Ich habe nur drei Minuten und muss mich jetzt kurz halten. Den Rest muss ich im Ausschuss vorbringen.

Was habe ich denn gemacht? - Ich habe einen Brief an die geschätzte Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten geschrieben, die sich Sorgen gemacht hat. Ich habe ihr erklärt, dass wir ein Beratungsgespräch führen werden und gemeinsam mit den Schulen, dem Schulamt und dem Ministerium überlegen und eine Abwägung treffen, ob es eine punktuelle Unterschreitung ist oder ob es eine flächendeckende Unterschreitung ist. Dazu muss ich sagen: Mein Credo ist, ich will keine Schulform bevorzugen und ich will auch keine benachteiligen, aber es müssen dieselben qualitativen und fachlichen Kriterien gelten.

(Zustimmung von Guido Heuer, CDU)

Deswegen wird für alle Schulformen, die in diesem Land das Abitur anbieten, nach denselben Maßstäben entschieden. Es gibt keine Sonderbehandlung und es gibt auch keine Schlechterbehandlung.

(Zustimmung von Frank Bommersbach, CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Lippmann, Sie haben auch gesagt, die Debatte schadet den Gemeinschaftsschulen. Wir verstehen uns so gut in Kenia, dass ich Folgendes sagen kann: Liebe Sozialdemokraten, was hat euch geritten, auf einen Brief, den ich euch schreibe, eine Pressemitteilung in die Welt zu setzen und die Gemeinschaftsschulen zu verunsichern?

Ich bekomme jetzt Briefe von Eltern, die sich Sorgen machen. Man hätte, wie sonst bei einer normalen Kommunikation, anrufen können. Man hätte einen Brief schreiben können. Wir hätten Gespräche führen können. Wir hätten alle Fragen miteinander bereden und auch Lösungen herbeiführen können.

Sie verunsichern die Eltern, die Kinder und die Gemeinschaftsschulen, und das, meine Damen und Herren, haben die Gemeinschaftsschulen nicht verdient. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der CDU)

Herr Lippmann, Sie haben das Wort.

Lieber Minister Tullner, das ist schon eine heftige Art der Bagatellisierung dessen, was in dem Brief steht. Es ist zwar ein Brief, der nicht für die Öffentlichkeit geschrieben wurde, aber er ist in die Öffentlichkeit gelangt. Die Ansagen darin sind etwas klarer als das, was Sie jetzt hier sagen.

Darin geht es nicht um Beratungsgespräche, sondern es steht darin, wie das Landesschulamt angewiesen ist zu verfahren. Wenn nämlich bis zum Halbjahr die 50 Schüler nicht erreicht werden, dann ist dort Schluss mit lustig.

Wo sollen denn innerhalb dieses Halbjahres Schüler herkommen? Es kann vielleicht doch passieren, aber die Rahmenbedingungen sind so, dass die Ansage völlig klar ist: Zum Halbjahr ist Schluss für eine Entwicklung, auf die sich Schülerinnen und Schüler eingelassen haben, die eben nicht an ein Gymnasium gehen wollten, die jetzt in einem halben Jahr abgebrochen wird.

Sie bagatellisieren den Umstand, dass es schon immer - und nicht nur ein oder zwei - Gymnasien gab - dabei rede ich noch gar nicht von denen in freier Trägerschaft, sondern nur von denen in öffentlicher Trägerschaft -, die sehr wohl nicht nur einmal, sondern mehrmals diese Mindestschülerzahl unterschritten haben.

Ich rede gar nicht von dieser Mindestschülerzahl, sondern über einen vernünftigen Übergangszeitraum. Auch wir haben eine Zahl hineingeschrieben. Natürlich gibt es immer irgendwo eine Untergrenze, trotzdem haben es diese Schulen verdient, dass ihnen die Ausnahmegenehmigung gewährt wird, die nach der Schulentwicklungsplanungsverordnung möglich ist, und zwar über einen Zeitraum, in dem sie sich entwickeln können. Dazu haben Sie nichts gesagt. Sie bagatellisieren es.

Die Frage ist: Was sagen Sie den Schülerinnen und Schülern in diesen Schulen, die jetzt übrigens bei der ganzen Geschichte zuschauen? Was ist am 1. Februar oder wenn das zweite Halbjahr beginnt? Womit können sie rechnen? Können sie in Aschersleben oder Wolmirstedt bleiben oder wird die Oberstufe abgeklemmt und sie müssen woandershin gehen? Das ist die Frage, die entschieden werden muss.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Minister Tullner.

Lieber Herr Lippmann, wenn Sie mir bescheinigen, ich würde etwas bagatellisieren, dann sage ich Ihnen, Sie dramatisieren etwas. Ich habe rein nüchtern und sachlich den Sachstand dargestellt. Das ist meine Aufgabe als Minister. Sie können sich vorstellen, dass die CDU natürlich ein paar programmatische Vorstellungen von einem guten Schulsystem hat. Dazu gehört es, dass wir dem Gymnasium eine hohe Leistungsfähigkeit bescheinigen.

Was Sie hier dargestellt haben, dass wir die Gymnasien demnächst in Gemeinschaftsschulen umwandeln, das werden wir ja sehen.

Deshalb sage ich, die Gemeinschaftsschulen verdienen eine Chance. Es gibt Fraktionen in diesem Hohen Hause, die dafür eine große Leidenschaft haben. Ich sage, sie sollen es erst einmal nachweisen. Ich möchte den Erfolg erst einmal sehen und nicht nur die Behauptung hören, dass der Erfolg der Gemeinschaftsschule schon da ist. Das möge die Praxis dann zeigen.

In einer Koalition wie der unseren werde ich doch einen Teufel tun - ich kann es im Übrigen auch gar nicht - und irgendwelche reinen Lehren parteipolitischer Programmatik verbreiten. Deshalb werden wir ganz partnerschaftlich und vernünftig miteinander umgehen. Ich weiß nicht, wie Sie den Brief erhalten haben. Ihnen habe ich ihn ja überhaupt nicht geschrieben. Deshalb wundere ich mich, dass Sie so fachkundig aus meinen Briefen zitieren. Daher sage ich, die Gespräche finden statt, aber sie finden im Interesse der Kinder und der Gemeinschaftsschule nicht auf dem Marktplatz, nicht im Plenarsaal statt, sondern sie finden mit den Betroffenen vor Ort statt, sensibel, vielleicht auch diskret, und vor allem im Sinne der Schulen.