Protokoll der Sitzung vom 23.10.2019

(Zustimmung bei der LINKEN)

Wird die notwendige Rückschau verweigert und so die Vergangenheit und die eigene Verantwortung immer wieder ausgeblendet, kann es keine Klarheit darüber geben, welche Konsequenzen aus dem Geschehenen tatsächlich gezogen werden müssen. Wenn wir die Fehler der Vergangenheit nicht analysieren und aufarbeiten, werden sie fortgeschrieben und eben nicht überwunden. Vor dem Hintergrund dieses menschenverachtenden Terroraktes können wir der Landesregierung kein „Weiter so“ gestatten, bei dem im Kern am Ende alles beim Alten bleibt.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Im Gespräch mit der jüdischen Gemeinde am Tag danach war die Rede davon, dass man den Blick nicht länger vor der Realität verschließen dürfe. Der Bundesinnenminister hatte dabei bestätigt, dass es längst eine deutlich verschärfte Gefährdungslage durch Rechtsextremisten und Rechtsterroristen gibt - nicht seit Wochen oder Monaten, sondern seit Jahren.

So überfällig neue Gefährdungsanalysen des BKA oder des LKA auch sind, man brauchte sie nicht, um zu wissen, dass Synagogen und Moscheen in unserer heutigen Zeit einen personellen Schutz brauchen, zumindest an Feiertagen, wenn sich dort bekanntermaßen eine größere Zahl von Menschen befindet. Es wird ein nicht zu tilgender Makel für die Landesregierung und den Innenminister bleiben, dies nicht erkannt und umgesetzt zu haben, bevor ein so apokalyptisches Ereignis alle aufgeweckt hat.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Es wird ein schweres Versagen bleiben, die Gefahr von rechts eklatant unterschätzt zu haben, weil sie viel zu oft relativiert wurde.

Wer bisher meinte, über Rechtsextremismus und rechten Terror dürfe nur gesprochen werden,

wenn gleichzeitig auch der Blick nach links gerichtet wird, sieht sich jetzt mit den Folgen dieser Gleichsetzungsversuche konfrontiert.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Es muss endlich klar werden, dass man für den Aufstieg der Rechten und die Spaltung der Gesellschaft mitverantwortlich ist, wenn man den Verbalattacken der Rechten Beifall zollt und ihnen durch die Übernahme ihrer Argumente Wind in die Segel bläst.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Zur Realität gehört, dass mit dem Auflaufen der neuen Rechten auf Straßen und Plätzen, ihrem Einzug in die Parlamente und der radikalen Nutzung der sozialen Medien eine Verschiebung des öffentlichen Diskurses stattgefunden hat. Hier wird ganz gezielt an die Ideologie und die Sprache des Dritten Reiches angeknüpft und der Nationalsozialismus relativiert.

(Zustimmung bei der LINKEN)

„Vogelschiss der Weltgeschichte“, „Schuldkult“ und „Mahnmal der Schande“ oder - wie bei uns hier im Hohen Hause - die „Wucherungen am deutschen Volkskörper“ und „der gesunde Geist im gesunden Körper“ sind nur einige Belege dafür. Die AfD trägt eine klare Mitverantwortung für das, was hier passiert.

(Lebhafter Beifall bei der LINKEN)

Es sind klägliche und verlogene Versuche, sich von dieser Schuld reinwaschen zu wollen. Und es ist pure Heuchelei und es verhöhnt die Opfer, wenn die AfD jetzt hier Krokodilstränen vergießt.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Es bestätigt das Bild von der AfD, dass hier vorn vor einigen Minuten sogar bestritten wurde, dass es sich bei der Tat in Halle um einen rechten Terrorakt handelte.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Zur Realität gehört auch, dass Anschläge wie jetzt in Halle aber letztlich als Erfolge und Meilensteine für die Propagandastrategien der Rechten gelten. Deshalb werden sie auch nicht aufhören, weiter Hass und Zwietracht zu schüren und durch Lügen und Hetze für möglichst viel Verunsicherung zu sorgen; denn das ist der Humus, auf dem ihre braune Saat gedeiht.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Ja, die AfD und ihre Gesinnungskumpane sind die geistigen Brandstifter für solche Taten. Mit ihrer verbalen Aggression gegen alles, was nicht ins rechte Weltbild passt, gegen Moslems und Juden, gegen Gewerkschaften und die demokratische Zivilgesellschaft, gegen Homosexuelle und Gender

aktivistinnen, gegen Grüne und Linke wird das Aufkommen physischer Gewalt vorbereitet.

Der Rechtsterrorist Stephan B. hatte das alles im Visier, wie dem Manifest und dem Tätervideo zu entnehmen ist. Statt der Synagoge hätte es auch eine Moschee oder ein linkes Zentrum treffen können, und neben den Juden sind auch Feministinnen schuld an der angeblich bevorstehenden Umvolkung. - Alles Gedankengut, das von der AfD gezielt und systematisch in die Parlamente und in die Öffentlichkeit getragen wird.

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir müssen die Augen endlich richtig öffnen, um zu verstehen, was hier wirklich geschieht. Wir müssen uns mit dem völkischen Nationalismus der Rechten und der AfD als menschenverachtender Ideologie in ihrer ganzen Breite und Tragweite auseinandersetzen. Ansonsten ist es nur eine Frage der Zeit, bis ähnliche Reden gehalten werden müssen, wenn ein nächster Anschlag eine Moschee oder ein Frauenzentrum trifft, wenn Homosexuelle angegriffen oder farbige Menschen gejagt werden, wenn wieder eine Flüchtlingsunterkunft brennt oder missliebige Politiker bedroht und ermordet werden.

(Zurufe von der AfD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben aber auch erfahren, dass sich die demokratischen Kräfte als stark und widerstandsfähig zeigen. Kundgebungen und Blockaden, Lichterketten und Mahnwachen, Gedenkveranstaltungen und Gottesdienste sind wichtige Zeichen der Zivilgesellschaft. Izzet Cagac, der Besitzer des angegriffen Kiez-Bistros in Halle, setzt ein ganz besonders Zeichen der Solidarität. Er, der Moslem, der Ziel des rechten Angriffes war, sammelt Spenden für die deutschen Opfer und sucht den Kontakt zur jüdischen Gemeinde. - Was für ein souveränes Signal gegen Intoleranz und Fremdenhass und für Mitmenschlichkeit.

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Dennoch werden diese Zeichen nicht ausreichen, um den braunen Ungeist wieder aus unserer Gesellschaft zu verbannen. Denn der Nährboden, auf dem er gedeiht, auf dem auch die AfD gewachsen ist, ist noch viel zu fruchtbar.

Natürlich kommt es jetzt erst einmal darauf an, diejenigen, die besonders bedroht sind, unmittelbar zu schützen. Natürlich müssen die Sicherheitsstrukturen endlich so ausgerichtet werden, dass Attentäter keine Chance mehr für weitere Angriffe haben. Gewaltbereite Neonazis müssen konsequenter überwacht und schon an der Vorbereitung von Straftaten gehindert werden.

Rechte Straftaten und Gewalttaten müssen konsequenter geahndet werden. Es darf nicht vorkommen, dass Verhandlungen platzen, weil die Staatsanwaltschaft nicht kommt, und es darf nicht sein, dass immer wieder rassistische Tatmotive nicht ausreichend gewürdigt werden.

Es kann auch nicht sein, dass Betroffene rechter Gewalt um ihre Anerkennung als solche kämpfen müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Es muss unbedingt mehr geschehen, um die Waffenarsenale der Rechtsextremisten auszuheben. Wir müssen dafür sorgen, dass die Zahl der Waffen in privaten Händen reduziert wird.

(Zurufe von der AfD)

Wir dürfen die Augen nicht weiter davor verschließen, dass ständig Waffen bei Bundeswehr und Polizei gestohlen werden, die scheinbar nicht wieder auftauchen.

(André Poggenburg, fraktionslos: Die waren selbstgebaut!)

Und wie einfach ist es eigentlich heute, sich selbst funktionsfähige Waffen herzustellen und sich Munition und Sprengstoff zu besorgen? Uns beunruhigt auch die wachsende Anzahl kleiner Waffenscheine.

(Zuruf von der AfD: Warum wohl?)

Das alles muss Anlass sein, die Regelungen im Waffenrecht zu überprüfen.

(Beifall bei der LINKEN)

Es muss endlich effektiv gegen Internetplattformen vorgegangen werden, in denen die Radikalisierung von Menschen geschieht und die für die Vernetzung rechter Gruppen, die Waffenakquise und die Verbreitung von Hass, Denunziation und Gewalt genutzt werden. Es muss endlich verstanden werden, dass rechter Terrorismus international ist und dass durch die Vernetzung und Zusammenarbeit im Zeitalter des Internets auch Anschläge wie in Pittsburgh und Christchurch unmittelbare Auswirkungen auf die Situation in Deutschland und sogar in Sachsen-Anhalt haben.

Wie kann es sein, dass die Sicherheitsbehörden den Betreiber der Plattform, auf der der Täter von Halle seine Tat streamte und sich vernetzte, eine Woche nach dem Anschlag noch nicht einmal kontaktiert haben? - Wir dürfen das Schicksal unserer Demokratie und unseres friedlichen Zusammenlebens nicht der radikalen Nutzung von Facebook, Twitter und Instagram durch rechte Kräfte überlassen. Social-Media-Foren, in denen ein NSU 2.0 gefeiert wird und Feindes- und To

deslisten kursieren, müssen konsequent abgeschaltet werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Doch so richtig und notwendig das alles ist, es ist nur das Reagieren auf die Folgen einer Entwicklung, die unsere Gesellschaft ins Straucheln bringt. Es ist aber nicht die Lösung für die Probleme, die dahinterstehen. Wir brauchen eine breite, vertiefte und ehrliche Debatte darüber, was seit Jahren bei uns schiefläuft. Denn diese Entwicklungen sind nicht einfach so über uns gekommen; sie waren zu erwarten.

Diese Debatten müssen breit in der Gesellschaft geführt werden, aber wir hier im Parlament tragen dafür eine besondere Verantwortung. Wir müssen in der Lage sein, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen und Lösungen anzubieten. Appelle zur Achtung von Solidarität und Menschlichkeit, unserer demokratischen Grundwerte und des gesellschaftlichen Zusammenhalts reichen dafür nicht aus. Wir werden an unseren Taten gemessen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN)