Protokoll der Sitzung vom 23.10.2019

Zweitens. Wir brauchen ein nachhaltiges Schutzkonzept für Synagogen und Moscheen in Sachsen-Anhalt. Ich begrüße die Verabredung von Innenminister Stahlknecht mit den jüdischen Gemeinden vom letzten Donnerstag. Das ist ein wichtiger erster Schritt.

Ebenso wichtig war die Entscheidung, in die Sofortmaßnahmen nach dem Anschlag auch den Schutz von Moscheen einzubeziehen. Wir haben erneut gesehen, dass in einem rechtsextremistischen Weltbild Antisemitismus und Islamfeindlichkeit Hand in Hand gehen. Jetzt ist es wichtig, auf dauerhaften baulichen und technischen Schutz der Gotteshäuser zu setzen. Aber ich sage: nicht nur. Ich denke, wir alle wollen nie wieder erleben, dass es über Sachsen-Anhalt heißt, unsere Polizei habe an einem hohen jüdischen Feiertag wie Jom Kippur eine Synagoge nicht geschützt.

Drittens. Wir müssen die Anstrengungen im Rahmen des Landesprogramms für Demokratie, Vielfalt und Weltoffenheit verstärken und auf veränderte Herausforderungen ausrichten. Das gilt sowohl inhaltlich im Sinne einer stärkeren Auseinandersetzung mit wachsendem Antisemitismus wie auch methodisch und strukturell, weil die Arbeit gegen Radikalisierung im Netz für die Prävention immer wichtiger wird. Das ist uns gerade in erschreckender Weise vor Augen geführt worden.

Deshalb begrüße ich es sehr, dass Ministerin Frau Grimm-Benne bereits die Weichen entsprechend gestellt hat. Noch in diesem Jahr wird es einen Fachtag gegen Radikalisierung im Netz geben und die Landesregierung wird im Beirat des Landesprogramms mit zahlreichen zivilgesellschaftlichen Organisationen über gemeinsame Strategien dazu beraten. Diese inhaltliche und methodische Fortentwicklung des bestehenden Landesprogramms ist aus meiner Sicht der richtige Weg, und nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, der Aufbau einer Doppelstruktur in einem zweiten Landesprogramm. Das brauchen wir nicht, aber noch weniger braucht das die Zivilgesellschaft, die sich schließlich nicht zerteilen kann.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Se- bastian Striegel, GRÜNE)

Zu den Aufgaben im Rahmen des Landesprogramms gehört weiterhin die Zusammenarbeit mit den islamischen Gemeinden in der Radikalisierungsprävention, weil die Auseinandersetzung mit Antisemitismus unter Migranten und die Bekämpfung islamistischer Tendenzen genauso bedeutsam ist.

Ich möchte an dieser Stelle hervorheben, dass die Bundesregierung das Programm „Demokratie leben“ nicht nur ausfinanziert, sondern auch entfristet hat.

(Zustimmung)

Ich begrüße ausdrücklich den Vorstoß von Bundesministerin Franziska Giffey für ein Demokratiefördergesetz. Bei ihrem gestrigen Besuch in Halle hat sie unter dem Eindruck ihrer Gespräche in der Synagoge und am Kiez-Döner unterstrichen, wie wichtig eine dauerhafte und verlässliche Unterstützung der zivilgesellschaftlichen Akteure ist.

(Beifall bei der SPD)

Viertens. Jüdisches Leben ist ein Teil der lebendigen Kultur Sachsen-Anhalts, den wir stärken wollen. Beispielhaft dafür stehen Investitionen in der Arbeit der Moses-Mendelssohn-Akademie in Halberstadt und die Beteiligung des Landes am Neubau der Synagoge in Magdeburg. Mit der Unterstützung für diesen Synagogenbau stärken wir zugleich denen den Rücken, die sich in der Zivilgesellschaft für ein aktives jüdisches Leben, für christlich-jüdische Zusammenarbeit, für Toleranz und Verständnis einsetzen. Darunter sind auch ehemalige und aktive Mitglieder dieses Hauses, wie Dieter Steinecke, Gerhard Miesterfeldt und Tobias Krull. Ganz herzlichen Dank für Ihr Engagement.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Fünftens. Die Landesregierung muss die Aufgabe des Opferschutzes verstärkt ressortübergreifend wahrnehmen. Deshalb plädieren wir für die schnellstmögliche Einrichtung eines Landesopferbeauftragten. Wir sprechen uns dafür aus, dass sich Sachsen-Anhalt in der Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus in vergleichbarer Weise wie andere Länder aufstellt. Deshalb plädieren wir für die personelle und politische Aufwertung des bisherigen Ansprechpartners in der Staatskanzlei zu einem Landesbeauftragten gegen Antisemitismus.

Meine Damen und Herren! In den kommenden Wochen und Monaten werden wir über die jetzt notwendigen Maßnahmen weiter beraten müssen. Wir müssen uns auch darum kümmern, dass Haushaltsmittel dafür zur Verfügung gestellt wer

den. Aber bei allem Diskussionsbedarf sollten wir uns als Landtag heute eindeutig positionieren.

Wir als Koalitionsfraktionen haben Ihnen einen Antrag vorgelegt, um gegen rechten Terrorismus und Antisemitismus unmissverständlich Stellung zu beziehen und erste Schlussfolgerungen folgen zu lassen. Wir bekräftigen mit diesem Antrag auch noch einmal die Forderung, die der Landtag im Gedenken an Walter Lübcke im August 2019 bereits beschlossen hat. Ich würde mich freuen, wenn dieser Antrag heute Zustimmung findet.

Meine Damen und Herren! Morgen wird in Gardelegen an der Gedenkstätte Feldscheune Isenschnibbe das neue Dokumentationszentrum übergeben. Die Gedenkstätte erinnert an ein Verbrechen, das in besonderer Weise Schande über Menschen in unserem Land gebracht hat. Ich meine Menschen, die weggesehen haben, ja, sogar Menschen, die zu Mittätern, zu Mördern wurden. Sorgen wir dafür, dass künftige Generationen keine neuen Gedenkstätten errichten müssen für Verbrechen, die heute begangen werden könnten oder vorbereitet werden. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der SPD, bei der LINKEN, bei den GRÜNEN und von der Regierungs- bank)

Vielen Dank. Frau Dr. Pähle, ich habe eine Wortmeldung. - Herr Abg. Farle, Sie haben jetzt das Wort. Bitte.

Das ist eine Kurzintervention, Frau Präsidentin. - Ich möchte feststellen, dass eine Unwahrheit auch dann, wenn man sie ständig wiederholt, trotzdem nicht zur Wahrheit wird. Gerade habe ich vernommen, dass die AfD das Umfeld für die Leugnung des Holocaust bildet.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Nicht nur das Umfeld, Sie sind eindeutig sogar beteiligt!)

Das ist eine bodenlose Verkehrung der Wahrheit. Das ist eine Täuschung der Öffentlichkeit. Und vor allen Dingen täuschen Sie darüber hinweg, dass die Bundesregierung, in der ja die SPD und die CDU sitzen, mehrheitlich bei internationalen Abstimmungen gegen Israel stimmt. Ich habe die genaue Bilanz hier.

Als im Bundestag diese Fragen aufgeworfen wurden, proisraelisch in der internationalen Völkergemeinschaft zu stimmen, waren die AfD und die FDP die Einzigen, die diesem Antrag komplett zugestimmt haben. Es waren Ihre Parteien, die nicht proisraelisch abgestimmt haben. Darüber täuschen Sie ganz einfach hinweg.

Dass wir den Holocaust leugnen, ist so absurd. Das ist eine solche Unverschämtheit. Ich persönlich war fünf oder sechs Mal in Buchenwald und habe mir das alles angesehen.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Und warum hat es nichts gebracht?)

Ich habe in meinem ganzen Leben immer - - Sie, Herr Striegel, haben davon gesprochen, dass man in Deutschland Migration bis zum Volkstod braucht. Das ist Ihre wörtliche Formulierung.

(Oliver Kirchner, AfD: Genau!)

Und Sie maßen es sich jetzt an, hier Urteile zu fällen. Ich sage dazu nur eines: Pfui Deiwel.

(Beifall bei der AfD)

Frau Dr. Pähle, Sie können selbstverständlich auch auf eine Kurzintervention antworten. Bitte.

Der Vorsitzende der AfD-Fraktion Herr Kirchner hat hier am Pult gesagt, dass antisemitische Tendenzen in seiner Partei und in seiner Fraktion nicht zu finden seien. Wer die beiden Videos sehen möchte, die ich in meiner Rede erwähnt habe, kann gern zu uns in die Geschäftsstelle kommen. Wir haben beide Videos gesichert. Ich habe die Zitate genannt. Wer daran Zweifel hat, wer hier die Tatsachen verkehrt, wer „Haltet den Dieb!“ schreit,

(Robert Farle, AfD: Da komme ich vorbei!)

der kann sich die Videos gern anschauen. Wir stellen sie gern bereit. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der SPD, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN - Robert Farle, AfD: Da komme ich vorbei, das will ich sehen!)

Vielen Dank, Frau Dr. Pähle. - Der nächste Redner wird für die Fraktion DIE LINKE der Abg. Herr Lippmann sein. Sie haben jetzt das Wort. Bitte.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es wurde heute schon angesprochen, dass es uns trotz des Abstandes von inzwischen zwei Wochen noch immer nicht leicht fällt, das, was passiert ist, in angemessene Worte zu fassen: Zwei Menschen wurden heimtückisch ermordet und weitere wurden verletzt, völlig wahllos, völlig willkürlich, völlig sinnlos. Sie hatten nichts getan, nichts falsch gemacht. Sie waren auch nicht zur falschen Zeit am falschen

Ort. Sie waren in ihrem ganz normalen Leben an einem Ort, an welchem sie nichts Schlimmes erwarten mussten.

Mitglieder und Gäste der jüdischen Gemeinde in Halle sind nur mit dem Leben davongekommen, weil sie sich in ihrer Synagoge verbarrikadieren konnten. Eine Tür hat sie geschützt, eine Tür, die jetzt zum Mahnmal wird, weil Menschen versagt haben. Und das alles am höchsten jüdischen Feiertag, am Jom Kippur, im Täterland der Schoah, das sich einmal mit tiefer Überzeugung ein „Nie wieder“ vorgenommen hatte. Niemand von uns kann sich in unsere jüdischen Mitmenschen hineinversetzen und den Schrecken dieser langen Stunden nachempfinden.

Kaum vorstellbar ist auch der Horror, den die Menschen im Döner-Imbiss erleiden mussten. Sie mussten fliehen, sich verstecken, um nicht erschossen zu werden. Und sie mussten den Tod eines völlig wehrlosen jungen Mannes miterleben. Es wird lange dauern, das Erlebte zu verarbeiten, und es wird Narben hinterlassen. Für die Angehörigen der Todesopfer wird es eine Zeitrechnung mit einem Davor und einem Danach geben.

Man steht fassungslos vor diesem Scherbenhaufen, der von einem rechten Terroristen in einer Stadt hinterlassen wurde, die sich schon so oft als bunt, offen und solidarisch gezeigt hat und die mit starken Strukturen und großem Engagement der Stadtgesellschaft rechten Umtrieben immer wieder die Stirn geboten hat.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Man steht fassungslos vor der Tat und dem Täter, der Menschen wie in einem Computerspiel abknallt, um einer international vernetzten rechtsextremen Community im Internet ein Spektakel zu bieten. Es war ein junger Mensch, der ohne innere Regung eiskalt Menschenleben vernichtet und dabei sein eigenes Leben wegwirft.

Man steht aber auch fassungslos vor dem politischen Versagen und der Unfähigkeit, selbstkritisch die Zusammenhänge und Umstände in ihrer gesamten Breite zu hinterfragen, die die Abläufe an diesem Tag erst möglich gemacht haben. Wie kann man sich nach einem solchen Desaster am Tag danach hinstellen und forsch behaupten, dass niemand etwas falsch gemacht hat?

(Zustimmung bei der LINKEN)

Wie kann man sich dann auch noch den Fauxpas eines öffentlichen Streits mit der jüdischen Gemeinschaft leisten? - Als wäre es die Aufgabe der jüdischen Gemeinden im Land, ihren Schutzbedarf zu analysieren und anzumelden. Wie kann die Zurückweisung von Verantwortung und das Zeigen auf andere die erste Reaktion eines Innenministers sein? - Denn dass die Sicherheit der

Synagoge in Halle ganz offensichtlich und mit dramatischen Folgen falsch eingeschätzt wurde, liegt doch nun wirklich auf der Hand.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Man ist betroffen vom Krisenmanagement der Landesregierung, und man schämt sich dafür.

In den letzten 14 Tagen wurde von Regierungsseite viel geredet und oft wenig gesagt. Geradezu auffällig oft und fast beschwörend hörte man in den letzten Tagen dann die Formel: Lasst uns jetzt nach vorn schauen.

Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, diesem Wunsch des Ministerpräsidenten und des Innenministers nach einem besänftigenden Vergessen werden wir nicht folgen.