Protokoll der Sitzung vom 20.11.2019

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich begrüße Sie auf das Herzlichste zur 85. Sitzung der siebenten Wahlperiode des Landtages von Sachsen-Anhalt.

(Unruhe)

- Ich würde mir wünschen, dass der Geräuschpegel gesenkt würde, damit wir den Beginn so gestalten können, dass jeder nachher zu Wort kommen kann.

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Sehr geehrte Damen und Herren! Uns hat die traurige Nachricht erreicht, dass am 7. November 2019 das ehemalige Mitglied des Landtages Herr Wolfgang Domhardt, geborener Ernst, im Alter von 68 Jahren verstorben ist.

Herr Domhardt war von der ersten bis zur dritten Wahlperiode Mitglied des Landtages. Er war somit einer der Abgeordneten, die sich in den Jahren nach der friedlichen Revolution um den Aufbau unseres Landes verdient gemacht haben. Er gehörte der Fraktion der SPD an und wirkte unter anderem als Vorsitzender im Ausschuss für Bildung und Wissenschaft.

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, sich im Gedenken an den Verstorbenen zu einer Schweigeminute von den Plätzen zu erheben. - Vielen Dank.

Sehr geehrte Damen und Herren! Der Abg. Herr Dietmar Krause hat heute Geburtstag.

(Beifall)

Im Namen des Hohen Hauses sowie auch persönlich gratuliere ich dazu recht herzlich und wünsche Ihnen alles Gute und heute eine gute Sitzung.

Entschuldigungen von Mitgliedern der Landesregierung liegen mir wie folgt vor: Herr Ministerpräsident Dr. Haseloff und Herr Minister Stahlknecht sind am dritten Sitzungstag ganztägig aufgrund der Teilnahme am 32. Parteitag der CDU Deutschlands in Leipzig entschuldigt. Herr Minister Prof. Dr. Willingmann ist an allen drei Tagen aufgrund der Teilnahme an einer Dienstreise mit Spitzenvertretern aus Wirtschaft und Wissenschaft nach Vietnam verhindert. Frau Ministerin Keding ist an allen drei Sitzungstagen krankheitsbedingt abwesend.

(Unruhe)

Zur Tagesordnung. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn die Unruhe wieder beginnt, dann kommt es hier vorn zu Irritationen. Deshalb bitte ich Sie - ich weiß, Sie haben sich jetzt eine ganze Weile, vielleicht einige Tage, nicht gesehen und haben viel Redebedarf -, sich in der Lautstärke etwas zu mäßigen. Wenn Sie tatsächlich etwas ganz Wichtiges zu besprechen haben, gehen Sie bitte vor den Plenarsaal.

Zur Tagesordnung. Sehr geehrte Damen und Herren, die Tagesordnung für die 41. Sitzungsperiode des Landtages liegt Ihnen vor. Gibt es Bemerkungen zur Tagesordnung? - Das ist nicht der Fall.

Ich kann Ihnen aber an dieser Stelle noch mitteilen, dass mir zu Tagesordnungspunkt 1 signalisiert wurde, von der AfD-Fraktion werde ein anderer Besetzungsantrag erarbeitet. Er liegt Ihnen leider noch nicht vor. Er wird gerade gedruckt und dann verteilt. Darin geht es darum: Sie haben einen Antrag mit einer Besetzung mit drei Mitgliedern ausgereicht. Der neue wird zwei Mitglieder vorsehen, so wie es auch vereinbart wurde. Deshalb bitte ich um Verständnis, dass es noch einige Minuten dauert, bis Ihnen dieser Antrag vorliegt.

Ich schaue noch einmal in die Runde. - Zur Tagesordnung sehe ich keine Anträge. Damit stelle ich die Tagesordnung fest und wir können danach verfahren.

Die morgige 86. Sitzung und die darauffolgende 87. Sitzung des Landtages beginnen jeweils um 9 Uhr.

Wir steigen nunmehr in die Tagesordnung ein.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 1

Beratung

a) Einsetzung eines parlamentarischen Unter

suchungsausschusses

Antrag mehrerer Abgeordneter - Drs. 7/5236

Änderungsantrag Fraktionen CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 7/5274

b) Besetzung des 19. Parlamentarischen Un

tersuchungsausschusses

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 7/5272

Antrag Fraktionen CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 7/5273

Antrag Fraktion AfD - Drs. 7/5277

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dem Hohen Hause liegt ein Antrag zur Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschus

ses vor. Gemäß Artikel 54 Abs. 1 der Landesverfassung hat der Landtag das Recht und auf Antrag von mindestens einem Viertel seiner Mitglieder die Pflicht zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses.

Den Antrag in Drs. 7/5236 haben 22 Mitglieder des Landtages unterzeichnet. Damit hat der Landtag die Pflicht, den Untersuchungsausschuss einzusetzen. Einbringer zu a) wird der Abg. Herr Farle sein. Herr Abg. Farle, Sie haben das Wort. Bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Am 9. Oktober 2019, am höchsten jüdischen Feiertag, Jom Kippur, versuchte der Arbeitslose Stephan B., sich Zugang zur Synagoge in Halle zu verschaffen, um dort ein Blutbad unter den Gläubigen anzurichten. Als das misslang, erschoss er eine 40 Jahre alte Passantin vor der Synagoge sowie einen 20-Jährigen in einem nahen Döner-Imbiss.

Diese entsetzliche Tat schockiert uns und macht uns alle betroffen. Was wir tun können, ist, den Opfern und Hinterbliebenen unsere aufrichtige Anteilnahme und unser Beileid auszusprechen und alles in unserer Macht Stehende dafür zu tun, dass sich so etwas in unserem Land nie wieder wiederholt.

Dies beginnt mit einer schonungslosen Aufarbeitung der Tatumstände. Ja, der Täter ist gefasst. Die antisemitische Motivlage ist bekannt und der Tatablauf ist weitestgehend dokumentiert.

Die AfD-Fraktion ist der Auffassung, dass mit der Aufarbeitung dieser schrecklichen Tat an dieser Stelle aber noch nicht genügend geschieht. Warum? - Der Amoklauf liegt nun sechs Wochen zurück, doch wichtige Aspekte sind bis zum heutigen Tage ungeklärt. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Unklarheiten und Widersprüche bezüglich der Arbeit der Sicherheitsbehörden im Vorfeld und beim Ablauf des Polizeieinsatzes.

Dies beginnt bei der Beurteilung der Gefährdungslage. Diese erwies sich offensichtlich als fatale Fehleinschätzung. Mittlerweile wurde bekannt, dass die letzte Gefährdungslagebeurteilung für die jüdische Gemeinde in Halle vor rund 20 Jahren erstellt wurde. Seitdem sei diese nur noch fortgeschrieben worden, das letzte Mal am 5. Juni 2018. Das heißt, trotz des drastischen Anstiegs der Zahl antisemitischer Gewalttaten in Deutschland sowie international erfolgte keine Anpassung der Gefährdungslagebeurteilung. Zu erwähnen ist hier die Anti-Israel-Demo am 16. Dezember 2017 in Halle. Dort wurde klar zum Kampf gegen Israel und damit gegen die Juden aufgerufen.

Wenn die Polizei solch eine Propagandaveranstaltung nicht verhindern kann, hätte man aber wenigstens die Gefährdungslage für die Synagoge neu und höher bewerten müssen. Das geschah aber nicht. Genauso wenig reagierte das Innenministerium auf den Anschlag auf die Synagoge in Pittsburgh am 29. Oktober 2018 mit elf Toten, ebenso wenig auf den Anschlag auf die Chabad-Synagoge in Kalifornien vom April dieses Jahres.

Es drängt sich der Eindruck auf, dass sich das Innenministerium und die Polizeibehörden nicht sonderlich für die Sicherheit der jüdischen Gemeinde in Sachsen-Anhalt interessierten und die Gefährdungsanalysen lediglich als Feigenblatt für eigene Untätigkeit herhalten mussten. Es hieß, der höchste jüdische Feiertag sei von beiden Seiten nie als besonders gefährdungsrelevant eingestuft worden. Diese Aussage verwundert vor dem Hintergrund, dass in Israel an diesem Feiertag die höchste Alarmbereitschaft galt.

In seinem Schwarzer-Peter-Spiel schreibt Holger Stahlknecht daher die Schuld für die Fehleinschätzung der Gefährdungslage dem BKA zu. Das BKA teilte aber auf Anfrage mit, es sei bei der spezifischen Lagebeurteilung für die Synagoge in Halle überhaupt nicht beteiligt gewesen; das sei Sache der Landesbehörden und der Polizei vor Ort.

Diese Schutzbehauptung des Innenministers ist schon allein deshalb infrage zu stellen, weil die Beurteilung der Gefährdungslage durch das BKA die Grundlage für die Sicherheitskonzepte der anderen Bundesländer ist, diese auf derselben Grundlage aber entschieden haben, dass es Sinn ergibt, am höchsten jüdischen Feiertag zumindest einen Streifenwagen vor den Synagogen zu postieren.

Dazu sagte der Präsident des Zentralrates Josef Schuster - ich zitiere -:

„Eine Funkstreife kann nicht alles verhindern. Aber sie hätte den Täter vielleicht abschrecken können und ich bin davon überzeugt, dass es nicht zu dem zweiten Toten im Döner-Laden gekommen wäre.“

Es heißt, das Innenministerium habe die Polizeibehörden wiederholt auf die Gefährdung von jüdischen Einrichtungen und Personen hingewiesen, um das Problembewusstsein zu schärfen und nach eigener Lagebeurteilung präventive Maßnahmen sowie erforderliche Schutzmaßnahmen durchzuführen.

Für die Hallenser Synagoge war die Schutzmaßnahme 6 angeordnet. Das klingt wichtig, bedeutet aber nur, dass alle acht Stunden ein Streifenwagen an der Synagoge vorbeifährt. Diese Streife

fuhr morgens um 5:45 Uhr, wenn alle noch im Bett liegen, an der Synagoge vorbei. Wer entscheidet eigentlich über eine solche Schutzstufe?

Dennoch behauptet der Innenminister wider besseres Wissen, dass die Synagoge immer im besonderen Fokus der örtlichen Polizei gestanden habe.

Das alles passt hinten und vorn nicht zusammen und muss in den Ohren vieler Gemeindemitglieder und auch der Angehörigen der beiden ermordeten Passanten wie Hohn und Spott klingen.

Ich komme zum entscheidenden Punkt. Nach Aussagen von Gemeindemitgliedern habe bis vor einem Jahr am wenige Meter entfernten Wasserturm, direkt vor der jüdischen Gemeinde, ein Polizeiauto gestanden. Doch vor einem Jahr habe die Polizei die Gefährdungslage heruntergestuft. Diese Aussage steht bis heute im Raum. Darauf wurde bis heute mit keinem Wort eingegangen. Falls das tatsächlich so ist, wäre dies ein unentschuldbarer Fehler.

Möglicherweise hatte der unzureichende Polizeischutz weniger mit einem ausgeklügelten Sicherheitskonzept zu tun, sondern hatte vielmehr praktische Gründe. Mittlerweile wissen wir, dass der in Halle befindliche Zug der vierten Hundertschaft exakt an diesem Tag dienstfrei hatte. Ging es dabei darum, Überstunden abzubauen? Hat es also einen ganz profanen Grund, warum die in der Zahl ständig weiter reduzierte Polizei schlichtweg keine freien Kräfte hatte? Wer genau traf die Entscheidung, den Polizisten exakt an diesem Tag frei zu geben?