Protokoll der Sitzung vom 30.01.2020

Es ist ganz klar: Dieses Erpressungspotenzial ist permanent wiederholbar. Die Libyen-Krise ist ein Kampf um Rohstoffe im Mittelmeer. Glaubt hier irgendjemand, dass Erdoğan dieses Erpressungspotenzial nicht irgendwann wieder einsetzt?

Ich frage mich allerdings ganz ehrlich: Kollegen von der AfD, was würden Sie denn machen, wenn Erdoğan jetzt sagen würde, er würde Flüchtlinge in Richtung Europa durchlassen? Sie wären doch die Ersten, die sich dagegen wehren würden. Gerade die Stimmungslage, die Sie in der Bevölkerung schaffen, schafft doch Erdoğan erst dieses Erpressungspotenzial gegenüber Europa.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist der Unterschied, werte Kollegen von der AfD. Deswegen unser Änderungsantrag, über den wir hier abzustimmen bitten.

Herr Gallert, es gibt Fragen von Herrn

Dr. Tillschneider, Herrn Farle und Herrn Poggenburg. - Herr Dr. Tillschneider, Sie haben das Wort.

Herr Gallert, Sie haben eben die Ankündigung von Erdoğan, massenweise Flüchtlinge hierher zu schicken, als Bedrohungspotenzial bezeichnet. Aber meines Wissens fühlen Sie sich doch gar nicht davon bedroht. Sie können doch gar nicht genug Flüchtlinge aufnehmen, wenn es nach Ihnen geht. Sie stehen doch am Bahnhof und rufen „Inschallah!“ bzw. Ihr Pendant in Thüringen. Also die Frage: Fühlen Sie sich auch persönlich davon bedroht, oder war es nur eine objektive Rede, in der Sie sich in die anderen hineinversetzt haben?

Ich fühle mich ausdrücklich von Flüchtlingen nicht bedroht. Ich fühle mich manchmal bedroht - das sage ich ganz deutlich -, aber diejenigen, von denen ich mich am meisten bedroht fühle, fühlen sich selbst als Biodeutsche und drohen zum Beispiel in Haldensleben damit, eine SPD-Stadträtin zu steinigen. Davon fühle ich mich bedroht, Herr Tillschneider,

(Beifall bei der LINKEN und von Cornelia Lüddemann, GRÜNE)

von Flüchtlingen im Normalfall nicht, nein.

Die Bedrohungssituation, die hier geschildert wird und deretwegen man sich erpressen lässt, wirkt explizit gegenüber den Regierungen der Europäischen Union. Auf diese wirkt das Bedrohungspotenzial.

Sie haben recht, das ist nicht die Bedrohungssituation, die ich empfinde. Aber genau weil man dieses Potenzial inzwischen selbst so sieht, weil man sich nämlich innerhalb der Europäischen Union nicht auf eine vernünftige Flüchtlingspolitik verständigt, wird man zum Spielball eines Erdoğan und im Grunde genommen dessen Großmachtstrategie ausgeliefert, weil man nicht in der Lage ist, mit der Flüchtlingssituation vernünftig und abgestimmt umzugehen. Jawohl, Sie haben recht, das ist eben nicht meine Meinung.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Farle hat sich noch zu Wort gemeldet. Dann haben Sie jetzt das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich glaube, dass Sie eine etwas getrübte Wahrnehmung haben, vielleicht gar nicht böse gemeint, wenn Sie denken, dass die Bedrohungslage durch Flüchtlinge von der AfD herbeigeführt wird, über diesen Erpressungshebel. In

Wahrheit ist es doch die Bundeskanzlerin Frau Merkel,

(Siegfried Borgwardt, CDU: Oh!)

die mit Zustimmung und Unterstützung der LINKEN und der GRÜNEN und aller anderen Willkommensklatscher dafür gesorgt hat, dass Flüchtlinge massenhaft hierher kommen wollen, zur Mama Merkel nach Deutschland,

(Thomas Lippmann, DIE LINKE: Schwach- sinn!)

wodurch der Erdoğan natürlich die Möglichkeit bekommen hat, die Schleuse einmal aufzumachen und einmal zuzumachen. So schafft man Erpressungspotenzial.

Wenn man mit einem solchen Potentaten dort, der Erdoğan ist und der dann auch noch zur NATO gehört, Verträge schließt und glaubt, dass diese Verträge mehr wert sind als das Stück Papier, auf dem sie stehen, um sich davor zu schützen, überrannt zu werden von diesen Goldstücken,

(Ulrich Siegmund, AfD, lacht)

die als illegale Zuwanderer massenhaft zu uns gekommen sind, dann haben doch Sie das alles herbeigeführt, aber nicht die AfD. Sie stellen die Wahrheit auf den Kopf. - Vielen Dank.

Herr Gallert, Sie haben das Wort.

Also, ich habe nicht die Illusion, Ihre Wahrnehmung von einer trüben in eine klare zu verwandeln.

(Robert Farle, AfD: Meine ist ganz glasklar!)

Wir sind ja hier im öffentlichen Raum. Deswegen will ich noch einmal ganz klar sagen, was ich gemeint habe. Das ist Folgendes: Es ist doch genau die nationalistisch-populistische Stimmung in den europäischen Ländern gewesen, die es für verschiedene Regierungen fast unmöglich gemacht hat, mit der Flüchtlingsfrage vernünftig und konstruktiv umzugehen.

Das ist doch genau das Problem: Weil wir in Europa nicht in der Lage dazu sind, eine humane und vernünftige Art und Weise des Umgangs mit der Flüchtlingssituation zu entwickeln,

(Robert Farle, AfD: Aber das können Sie uns nicht anlasten!)

hat Erdoğan dieses Erpressungspotenzial;

(Beifall bei der LINKEN)

denn er weiß natürlich ganz genau, dass in dem Augenblick, in dem sich auch hier AfD-Abgeord

nete hinstellen und sagen, dort kommen die nächsten Kriegsflüchtlinge, sozusagen eine hysterische Debatte in unserer Gesellschaft beginnt, eine zum großen Teil nicht nachvollziehbare Debatte.

Dadurch schaffen Sie ein Klima, dass Erdoğan nur zu schnipsen braucht und sagen kann: Entweder ihr hört auf mich, ihr macht das, was ich will, oder ich mache die Grenzen auf. Das ist doch genau das Klima, um das es hierbei geht. Deswegen habe ich gesagt, Sie haben genau bezüglich dieser Position eine Mitverantwortung, indem Sie im Grunde genommen sagen, eine Gesellschaft ist nicht in der Lage, in dieser Art und Weise mit Flüchtlingen umzugehen.

Allerdings - das muss man auch noch einmal ganz klar sagen - sind diese Länder Europas natürlich auch maßgeblich an der Entstehung dieser Flüchtlingskrise mit daran schuld. Allein hier reden wir übrigens von 300 000 Kurden, die Erdoğan ganz bewusst aus diesem Territorium verjagt hat, die die nächsten Flüchtlinge sein werden, und zwar mit stillschweigender Zustimmung der Europäischen Union. Das ist das Problem. - Danke.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Herr Gallert, Herr Poggenburg hat sich zu Wort gemeldet, wenn Sie noch zur Verfügung stehen. - Herr Poggenburg, Sie haben das Wort.

Bitte eine Kurzintervention. Aber Herr Gallert kann logischerweise trotzdem darauf eingehen.

Herr Gallert, worin wir uns, denke ich, fast einig sind, ist die Mitverantwortung an dem Problem dort unten in den Ländern, aus denen diese Flüchtlinge kommen. Diesbezüglich hat die westliche Welt, hat Europa eine große Verantwortung. Inwieweit das bloß oder auch Deutschland ist, mag dahingestellt sein. Darin sind wir uns aber, glaube ich, einig.

Aber Ihre Ansicht, dass beispielsweise die AfD oder nationale Kräfte uns erpressbar machen, ist falsch.

(Eva von Angern, DIE LINKE, lacht)

Die Politik der total offenen Grenzen macht uns erpressbar. Wenn wir eine Politik wie Ungarn hätten oder wenn wir wie England sagen, wir verschwinden aus der EU, weil uns das zu viel wird - - Auch das ist ein Grund für den Brexit gewesen. Wir machen uns erpressbar dadurch, dass wir eine Politik der total offenen Grenzen fahren. Wäre das nicht so, hätte ein Herr Erdoğan überhaupt kein Erpressungspotenzial gegen Deutsch

land. Das ist das Problem. Das muss man langsam einmal begreifen. - Danke.

Herr Gallert, Sie haben das Wort.

Natürlich prallen hier ganz unterschiedliche

Grundwerte aufeinander. Denn die Frage ist ja: Was würden Sie denn tun, wenn sich jetzt in etwa dreieinhalb Millionen syrische Flüchtlinge auf den Weg nach Europa machen würden? - Ich habe Sie so verstanden: Sie würden sie an der Grenze praktisch verhungern lassen oder wie auch immer.

(Thomas Lippmann, DIE LINKE: Ja, klar, das sagt ihr natürlich! - Weitere Zurufe von der LINKEN)

Klar, wenn das sozusagen Ihre Position ist, dann ist das der Unterschied. Das würden wir nicht tun. Selbst diese Option, so unmenschlich sie sein würde, ist nicht umsetzbar. Einer der größten Befürworter des Deals mit Erdoğan ist der Kollege Orban, weil er nämlich weiß: Selbst seine brutalsten Mittel wären nicht in der Lage, die Menschen aufzuhalten.

Deswegen ist das eben keine Lösung. Wer keine vernünftige Option für die Behandlung von Flüchtlingen, abgestimmt in der Europäischen Union, entwickelt, der wird immer erpressbar bleiben. Deswegen dieser Änderungsantrag. - Ich danke.

(Beifall bei der LINKEN)