Protokoll der Sitzung vom 25.01.2024

- Herr Roi, das entscheide ich.

Rechtsstaatliche Rahmensetzungen, auch hier in Deutschland, z. B. für die Ausreiseverpflichtung und Abschiebung von abgewiesenen Asylbewerbern, sind auch sozialdemokratische Forderung.

Was Sie dort besprochen haben, nicht Sie in Person, sondern die Vertreter in Potsdam unter Anwesenheit Ihres Fraktionsvorsitzenden, ist kein rechtsstaatliches Verfahren. Es ist der bewusste Plan der Deportation von Menschen,

die ein Recht haben, hier zu bleiben. Das ist der Unterschied.

(Beifall bei der SPD, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN - Zustimmung von Sandra Hie- tel-Heuer, CDU)

Herr Tillschneider, Sie haben das Wort.

Frau Pähle, Sie wissen ja sehr genau, was auf diesem Treffen besprochen wurde. Sie wissen es genauer, als „Correctiv“ es mittlerweile zu behaupten wagt.

(Oliver Kirchner, AfD, lacht)

Deshalb frage ich Sie: Haben Sie eigene Quellen oder waren Sie selbst dabei?

(Beifall bei der AfD)

Herr Tillschneider, Ihre süffisante Art nach dem Motto, ob ich da selbst dabei war, habe ich wohl wahrgenommen. Ganz ehrlich: Nennen Sie mir ein Zitat aus meiner Rede, von dem Sie meinen, ich weiß mehr, als „Correctiv“ veröffentlicht hat.

(Zuruf von Ulrich Siegmund, AfD)

Wenn Sie mir das nachweisen können, dann können wir weiter diskutieren. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Damit kommen wir zum nächsten Debattenbeitrag und den hält der Ministerpräsident Herr Haseloff. - Bitte sehr.

(Zuruf von Ministerpräsident Dr. Reiner Ha- seloff)

- Das ist Ihr gutes Recht, Herr Haseloff. Das Recht der anderen ist es, dass sie dann noch länger reden. - Bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Seit Jahren beobachten wir und inzwischen auch der Verfassungsschutz den Weg der AfD von einer ursprünglich euroskeptischen zu einer offen rechtsextremen Partei. Viele Gründungsmitglieder haben die Partei wegen dieser verhängnisvollen Entwicklung inzwischen verlassen und warnen davor, die Gefahren, die von der AfD mittlerweile ausgehen, zu bagatellisieren. Die Positionen, die von herausgehobenen Funktionsträgern der Partei vertreten werden, werden immer radikaler.

Deutschland im Jahr 2023, nicht 1933 - in Potsdam diskutieren Rechtsextreme unverhohlen rassistische Fantasien. Menschen aus unserer Mitte werden stigmatisiert, ausgegrenzt und ihre organisierte Vertreibung aus Deutschland wird erörtert. In Potsdam wurde in geschlossener Gesellschaft Klartext gesprochen. Gut, dass Journalisten es in die Öffentlichkeit getragen haben.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Treffens haben sich endgültig demaskiert und ihr wahres Gesicht gezeigt. Ich frage mich: Wie geschichtsvergessen kann man eigentlich sein? Was dort verhandelt worden ist, erinnert an die finstersten Zeiten deutscher Geschichte.

(Zustimmung bei der CDU und von Andreas Silbersack, FDP - Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Auch das bleibt festzuhalten: Die AfD distanziert sich von diesem Treffen und den dort propagierten Thesen allenfalls halbherzig.

(Zustimmung bei der LINKEN, bei der SPD, bei den GRÜNEN, von Anne-Marie Keding, CDU, von Andreas Silbersack, FDP, und von Guido Kosmehl, FDP)

Die Partei sieht sich in klassischer Täter-OpferUmkehr vielmehr als Opfer einer von Politik und Medien inszenierten Kampagne.

(Zurufe von der AfD: Ja, das ist ja auch so! - Gut festgestellt!)

Das zeigt, wes Geistes Kind die AfD ist.

(Tobias Rausch, AfD: Ja, genau!)

- Wer so reagiert, hat nichts verstanden.

Die Thesen von Potsdam sind nicht klein zu reden. Das Treffen zeigt uns drastisch die vom Rechtsextremismus zunehmend ausgehenden Gefahren für unser Land auf.

(Zustimmung bei der LINKEN, bei der SPD, bei den GRÜNEN, von Andreas Silbersack, FDP, und von Guido Kosmehl, FDP)

Reden auch wir Klartext. Unsere freiheitliche Gesellschaft und unsere Demokratie sind herausgefordert. Klare Reaktionen zeigen - das ist das Gebot der Stunde. Seit vielen Tagen gehen in ganz Deutschland Hunderttausende Menschen auf die Straßen, Tausende auch in Halle und in Magdeburg. Frau Pähle hat die Orte, an denen entsprechende Veranstaltungen in der Planung sind, genannt. Und das ist sicherlich noch nicht vollständig gewesen. Die Menschen wenden sich gegen Rassismus und Rechtsextremismus. Dafür bin ich sehr dankbar. Das sind ermutigende Signale.

Für unsere Überzeugungen und demokratischen Institutionen müssen wir entschlossen eintreten. Wir haben Verantwortung vor der Geschichte und für die Gestaltung der Zukunft. „Wehret den Anfängen!“ ist keine Floskel, sondern in der wehrhaften Demokratie unseres Grundgesetzes ein moralischer Imperativ.

(Zustimmung bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD, bei der FDP und bei den GRÜ- NEN)

In ihr trägt jeder Einzelne Verantwortung für sich selbst und für die Allgemeinheit. Das gilt heute mehr denn je. Auch für den Staat, der handeln muss und auch weiter handeln wird.

Der Nationalsozialismus lässt sich nicht aus der Kontinuität der deutschen Geschichte lösen. Kann sich Ähnliches wiederholen? - Man sollte diese Frage nicht allzu leichtfertig mit Nein beantworten. Die liberale Demokratie stabilisiert sich nicht automatisch, sondern nur durch bürgerschaftliches Handeln.

Wir beobachten seit Längerem einen schwindenden Respekt gegenüber demokratischen Normen und Institutionen. Die Grenzen des Sagbaren verschieben sich immer mehr. Radikale, ja menschenverachtende Parolen werden

hoffähig. Rassisten und Rechtsextreme vertreten unverhohlen anachronistische Geschichts- und Weltbilder. Für sie scheint es das 20. Jahrhundert nie gegeben zu haben. Dahinter verbirgt sich auch eine Sehnsucht nach einfachen Lösungen für komplexe Modernisierungsprozesse.

Jacob Burckhardt warnte schon im 19. Jahr- hundert hellsichtig vor den „schrecklichen Vereinfachern“. Gegen sie, ihre Politik und ihre Weltbilder muss man mit aller Entschiedenheit vorgehen. Patentrezepte gibt es zwar nicht, aber gerade auch die Auseinandersetzung mit der Geschichte kann uns sensibilisieren und wachsamer machen gegenüber diesen evidenten Bedrohungen.

Wir können aus der Geschichte lernen. Sie ist kein Strom ohne Lenkung und kein bloßes SichEreignen. Geschichte ist das Ergebnis menschlicher Handlungen. Aufklärung ist wichtig und sie muss in die Breite wirken. Die Lehre aus dem Nationalsozialismus kann nur lauten, unsere Gegenwart nach anderen, menschlicheren Maßstäben zu gestalten. Unser demokratischer Verfassungsstaat ist die Antithese zum politischen Extremismus.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP - Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Der erste Artikel unserer Verfassung beginnt mit dem Satz: „Die Würde des Menschen“ - und das meint alle Menschen - „ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ - Das war die bewusste Antwort der Verfassungsväter und -mütter auf die menschenverachtenden nationalsozialistischen Verbrechen.

Ganz bewusst stehen die individuellen Grundrechte am Anfang des Grundgesetzes. An

diesen Werten hat sich unsere Gesellschaft auszurichten und sie muss sie wehrhaft verteidigen. Sie sind nicht verhandelbar. Die Grundrechte gelten für alle in Deutschland lebenden Menschen ohne Ausnahme.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP - Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Potsdamer Treffens wollen eine andere Gesellschaft. Denn ihre Thesen sind mit dem Leitbild des Grundgesetzes schlechthin unvereinbar. Sie haben ein ganz anderes Menschenbild, in dem nicht jedem Geschöpf Gottes dieselbe Würde innewohnt.

Ihre Bewegung geht allein von der Vorstellung eines geeinten und homogenen Volkes aus, in dem alle anderen Menschen Fremdkörper sind. Sie distanzieren sich radikal von allem, was ihnen fremd ist. Ihre von Ressentiments geleitete Politik bietet keine Lösungen, sondern verschärft die Probleme. Ihr Vokabular ist unmenschlich, zynisch und abscheulich. - Wir gegen die anderen.

Demokratie ist aber immer auch Schutz von Minderheiten und sie fußt auf Mitmenschlichkeit und Solidarität.

(Beifall bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der FDP)

Treffen und Thesen wie in Potsdam gefährden unsere Demokratie. Der Schaden ist immens. Das Ausland registriert solche Vorfälle sehr genau. Erst kürzlich hat sich der renommierte US-Ökonom Adam Posen verstört gezeigt über die Wahlerfolge der AfD. Qualifizierte Fachkräfte werden abgeschreckt, nach Deutschland

zu kommen. Nationale Abschottung ist Gift für jede Volkswirtschaft.

(Oliver Kirchner, AfD: Die kommen ja schon seit 2015!)