Dem kann auch meine Fraktion nicht zustimmen. Deshalb beantrage ich hier noch einmal, den Gesetzentwurf der PDS abzulehnen. Danke für die Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn ich in der Arithmetik des wissenschaftspoli
tischen Sprechers der CDU bleiben darf, der uns vorhin diese fünf Drittel vorgerechnet hat, dann muss ich sagen, fünf Drittel der Bevölkerung möchten wohl, dass das Institut für Sicherungsverwahrung ausgebaut wird.
Moment, Moment. Diesem Bedürfnis ist wohl die Politik auf allen Ebenen umfassend nachgekommen. Denn wir haben jetzt das Institut der Sicherungsverwahrung nach § 66 Strafgesetzbuch, wir haben nunmehr das Institut der vorbehaltlichen Sicherungsverwahrung und wir komplettieren jetzt dieses Feld durch die nachträgliche Sicherungsverwahrung, also Sicherungsverwahrung wohl in einem ausreichenden Maße. Keiner an den Stammtischen kann sich jetzt noch über die Politik beschweren.
Die Bundesregierung hat jetzt das von allen nach dem Verfassungsgerichtsurteil erwartete Gesetz in Gang gebracht. Es ist im Bundestag eingebracht worden. Es unterscheidet sich von dem Thüringer Gesetz durch drei Sachen. Ich will das der Aufklärung wegen sagen:
Erstens werden die Ersttäter anders behandelt als in dem Thüringer Gesetz. Im Thüringer Gesetz wird nicht unterschieden zwischen Ersttäter und Wiederholungstäter. In dem Bundesgesetz ist für den Ersttäter nur dann die nachträgliche Sicherungsverwahrung anzuordnen, wenn er eine Strafe über vier Jahre abgesessen hat. Des Weiteren gilt dieses Bundesgesetz auch für Heranwachsende, die nach dem Erwachsenenstrafrecht verurteilt worden sind, und es gilt letztlich auch für als gesund aus den psychiatrischen Anstalten Entlassene.
Wir hatten uns mit dem Gesetz alle getäuscht in der Kompetenz. Wir waren alle davon ausgegangen oder die Regierung war davon ausgegangen in Thüringen und in den Ländern, dass eine Länderkompetenz vorliege. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses nun korrigiert. Mithin muss nun dieses Bundesgesetz her, wenn man diese Sicherungsverwahrung auf alle mögliche Art und Weise beschließen möchte. Dies scheint nun der politische Wille auch in der Bundesregierung zu sein. Deshalb wird dieses Gesetz noch vor dem vom Verfassungsgericht gesetzten Termin Ende September in Kraft treten. Dessen bin ich sicher. Mithin ist der Gesetzentwurf der PDS hier an dieser Stelle obsolet. Wir brauchen uns in der Materie nicht mehr mit diesem Gesetz auseinander zu setzen. Es ist eben obsolet, das sage ich gleich noch einmal für die, die es nicht wissen: überflüssig.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, in der ersten Beratung unseres Gesetzentwurfs zur Aufhebung des Thüringer Gesetzes über die Unterbringung besonders rückfallgefährdeter Straftäter zog nach meiner Erinnerung nicht der Staatssekretär, sondern Minister Gasser zum Beleg für die Notwendigkeit, dass das Thüringer Straftäterunterbringungsgesetz vorübergehend fortgilt, ein Argument aus der Tasche, das scheinbar unwiderlegbar ist. Anders als wir vermuteten, gibt es den konkreten Anwendungsfall - ein Gefangener mit dem Entlassungsdatum 9. März 2004. Für ihn sei die Unterbringung nach dem Thüringer Straftäterunterbringungsgesetz beim Landgericht Gera bereits beantragt. Minister Gasser stellte die Frage, ob ich oder ob die PDS-Fraktion es verantworten könnten, dass jemand, der nach den Prognosen nach wie vor hochgefährlich sei, auf freien Fuß käme und vielleicht schon am nächsten Tag ein Kind missbrauche oder einen Mord begehe. Die Frage konnte ich natürlich nicht beantworten und ich kann es heute auch noch nicht, weil ich weder den Gefangenen kenne noch die Prognosen bezüglich seiner Gefährlichkeit. Geschweige denn kann ich irgendetwas über die Höhe der Wahrscheinlichkeit aussagen, mit der das Gericht dem Antrag der Justizvollzugsanstalt entsprechen wird. Die Frage des Ministers war im Übrigen eine hypothetische und theoretische. Ich behaupte, eine so gestellte Frage, die auf tatsächliche oder konstruierte Einzelfälle verweist, um eine vermeintliche Sicherheitslücke zu offenbaren, ist eine Suggestivfrage, die von den eigentlichen rechtlichen und kriminalpolitischen Problemen der nachträglichen nicht vorbehaltenen Sicherungsverwahrung ablenkt.
Sie hilft uns daher auch nicht bei der Einschätzung, ob das Gesetz sofort oder später aufzuheben ist. Ich will diese Frage also auch generell beantworten.
Die Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Strafgesetzbuch, im Jahre 1933 als Maßregel der Sicherung und Besserung in das deutsche Strafrecht eingeführt, gilt...
Die Sicherungsverwahrung gilt als die letzte, allerletzte Notmaßnahme der Kriminalpolitik und als die fragwürdigste aller strafrechtlichen Sanktionen. Genau genommen handelt es sich bei ihr
um den schärfsten Eingriff sicherheitsstaatlicher Kontrollinstanzen in die Freiheitsrechte von Bürgerinnen und Bürgern. Weil sie den Verurteilten über seine Tatschuld hinaus doppelt sanktioniert, ist sie seit langem erheblichen verfassungsrechtlichen und rechtsstaatlichen Bedenken ausgesetzt.
In der Vergangenheit wurde immer wieder ihre Abschaffung gefordert, nachdem der Gesetzgeber der Bundesrepublik zunächst die materiellen Tatbestandsvoraussetzungen der Sicherheitsverwahrung verschärfte, so dass sie zuletzt nur noch sehr selten angeordnet wurde, kam dann 1998 eine Trendwende. In einer medial aufgeheizten Vorwahlkampfphase weitete eine große sicherheitspolitische Koalition den Anwendungsbereich des § 66 erheblich aus und verschärfte die Auswirkungen der Sicherheitsverwahrung extrem. Seitdem kann gegen einen Beschuldigten bereits aus Anlass zwei schwerer Straftaten neben einer langjährigen Freiheitsstrafe zusätzlich die unbefristete Sicherheitsverwahrung angeordnet werden. Unter der Devise des Bundeskanzlers Schröder "wegschließen, und zwar für immer" kam es dann in der Vorwahlkampfphase 2001/2002 erneut zu einer großen sicherheitspolitischen Koalition, die uns die nachträgliche vorbehaltene Sicherungsverwahrung bescherte. Eine weitere Stufe dieser Eskalation stellten dann die Straftäterunterbringungsgesetze der Länder Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen dar, die die nachträgliche nicht vorbehaltene Sicherungsverwahrung mit Rückwirkung hinsichtlich bereits verurteilter Täter vorsehen. Jetzt steht uns die nächste Windung der Spirale ins Haus, die nachträgliche nicht vorbehaltene Sicherungsverwahrung im Strafrecht des Bundes sowohl bei Erwachsenen als auch bei Heranwachsenden und mit Rückwirkung gegenüber bereits zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des Gesetzes Verurteilten. Was spricht dafür, die wegen fehlender Kompetenz des Landesgesetzgebers verfassungswidrige Thüringer Regelung sofort aufzuheben und nicht erst nach In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Einführung der nachträglichen Sicherheitsverwahrung? Vor allem wegen der Ausführungen von Minister Gasser in der ersten Beratung möchte ich hierauf noch einmal prinzipiell eingehen.
Die Landesregelung ist, weil kompetenzwidrig, mit einem grundlegenden Mangel versehen. Für die Freiheitsentziehung auf der Grundlage dieses Gesetzes fehlt es dem Gesetz an der demokratischen Legitimation. Schon das spricht für die sofortige Aufhebung.
Das Thüringer Straftäterunterbringunsgesetz verstößt ebenso wie die Gesetze der anderen Bundesländer gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Rückwirkungsverbots und des Verbots der Mehrfachbestrafung. Minister
Gasser hat nach unserer Auffassung nicht Recht, wenn er meint, aufgrund des ersten der beiden im Februar diesen Jahres ergangenen Urteile des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherungsverwahrung müsse von der Verfassungsmäßigkeit der Thüringer Regelung ausgegangen werden. In der ersten der beiden Entscheidungen, dem Urteil vom 5. Januar 2004, handelt es sich um eine so genannte unechte Rückwirkung ohne den generellen Vorrang des Vertrauensschutzes. Es ging hier um die Frage nach der Aufhebung der Höchstdauer. Ganz anders ist der Sachverhalt bei der nachträglichen Unterbringung nach Landesrecht. Hier wird die Sicherungsverwahrung nicht auf eine Entscheidung vor der Verkündung des Gesetzes gestützt. Es handelt sich um eine echte Rückwirkung, weil sie nachträglich ändernd in bereits abgewickelte Tatbestände eingreift, indem sie die an die Anlasstat anknüpfende Rechtsfolge nachträglich ändert. Aufgrund der im Zeitpunkt seiner Verurteilung bestehenden Rechtslage und der nicht vorbehaltenen Anordnung der Sicherungsverwahrung kann der Verurteilte darauf vertrauen, dass nach Verbüßung seiner Strafe wieder die Freiheit erlangt werden kann. Dieses Vertrauen ist nach rechtsstaatlichen Prinzipien grundsätzlich geschützt.
Unzutreffend ist nach unserer Auffassung auch die Ansicht Minister Gassers, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 05.02. spreche gegen die Annahme eines Verstoßes gegen das Doppelbestrafungsverbot. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seiner Entscheidung aber mit dem Doppelbestrafungsverbot gar nicht befasst, sondern ausschließlich mit der Frage eines Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot.
Nach allgemeiner Meinung bewirkt das Doppelbestrafungsverbot, dass nach der rechtskräftigen Verurteilung eintretende neue Umstände nicht dazu führen dürfen, dass nicht mehr dieselbe Tat angenommen wird. Da sich die bei der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung anzustellenden Prognosen im Wesentlichen aber auf die Anlasstat stützen, handelt es sich hier bei natürlicher Betrachtung nicht um zwei verschiedene Vorgänge, somit nicht um zwei verschiedene Taten, die dem Urteil und der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung zugrunde liegen. Hier liegt vielmehr ein einheitlicher Lebenssachverhalt vor, somit eine Tat, die zweimal sanktioniert werden soll.
Schließlich ist auch die Auffassung von Minister Gasser nicht zu teilen, die nachträgliche Sicherungsverwahrung entfalte keine kontraproduktive Wirkung. Sowohl die vorbehaltene als auch die nicht vorbehaltene nachträgliche Sicherungsverwahrung führen zwangsläufig zu scheinangepasstem Verhalten und zu erzwungener Inanspruchnahme ohnehin knapper Therapieangebote durch Gefangene, die in Wirklichkeit therapieunwillig sind und ihre Therapiewilligkeit lediglich zur Vermeidung der Sanktion einer Sicherungsverwahrung vortäuschen. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung birgt also die Gefahr, aufgrund dieser Wirkung gar nicht zu mehr Sicherheit,
sondern im Gegenteil zu mehr Unsicherheit zu führen, weil sie das Risiko erhöht, dass die Gefährlichkeit von wirklich gefährlichen Gefangenen durch scheinangepasstes Verhalten überdeckt wird.
Das Argument der Sicherheitslücke, die geschlossen werden müsse, ist letztlich ein Scheinargument. Bei den in Betracht kommenden Gefangenen müsste es sich um solche handeln, die nach voller Verbüßung einer längeren Freiheitsstrafe der Führungsaufsicht unterliegen, während dieser Zeit aber bereits kurz nach der Entlassung erneut schwer wiegende Delikte begehen und es müsste sich um solche Gefangene handeln, bei denen eine Unterbringung nach dem Psychischkrankengesetz nicht in Betracht kommt, da sie weder krank noch therapiefähig wären.
Empirische Studien zu dem danach in Betracht kommenden Personenkreis und ihrer Rückfallgefährdung gibt es nicht. Dennoch meint die große sicherheitspolitische Koalition aus CDU und SPD/Grüne, die Sicherungsverwahrung, die fragwürdigste und schärfste aller strafrechtlichen Sanktionen, weiter verschärfen zu müssen ohne Rücksicht auf elementare Prinzipien eines rechtsstaatlichen Strafrechts.
Natürlich, meine Damen und Herren, wird es immer Einzelfälle geben. Absolute Sicherheit aber ist auch in einem Rechtsstaat nicht möglich. Gewiss, das ist ein platter Satz. Ich stelle ihn aber einem Satz entgegen, der viel schlimmer ist und einer Presseerklärung vom vergangenen Dienstag entstammt und der Autor der Äußerung ist Herr Dr. Pietzsch. Er sagt, es sei ihm lieber
ein Schwerverbrecher werde wegen einer Fehleinschätzung seiner Therapierbarkeit zu Unrecht auf Dauer weggeschlossen, als dass auch nur ein Kind sexuell missbraucht werde und möglicherweise ermordet.
Dieser Satz, Herr Dr. Pietzsch, zerschneidet in der Konsequenz dessen, was er bedeutet, ebenso das Band, das unsere zivilisierte Gesellschaft zusammenhält, das Band der Menschenwürde, wie jene unselige Bemerkung Dr. Birkmanns
von den "tickenden Zeitbomben". Meine Damen und Herren, alles spricht für die sofortige Aufhebung des Gesetzes. Es ist eine uralte Erfahrung, dass Gesetze, die lediglich wegen eines Einzelfalls verabschiedet werden, selten gute Gesetze sind.
das im Übrigen zwingend aufgehoben werden müsste, lediglich wegen eines Einzelfalles jedoch nicht aufgehoben wird, ist nur selten eine kluge Entscheidung des Gesetzgebers. Hier kann hingegen treffend behauptet werden, die Nichtaufhebung des Thüringer Sicherheitsunterbringungsgesetzes, für dessen Verabschiedung der Thüringer Landtag nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes nicht demokratisch legitimiert war, ist in jedem Falle ein schlechtes Beispiel für den Rechtsstaat.