b) Gegen die Benachteiligung sozialer Schichten ist dieses gemeinsame Lernen keine Lösung. Sie können den Ländervergleich in den Studien ansehen. Wir favorisieren den Weg über den weiteren Ausbau der Regelschule, welche im Zusammenspiel mit anderen beruflichen Schularten zu gestuften Bildungsabschlüssen und eben auch bis hin zur Hochschulreife führt. Der Weg zum Studium ist nach einer Schullaufbahnentscheidung in Klasse 4 zum Gymnasium oder nicht zum Gymnasium überhaupt nicht verbaut, sondern gerade Kinder aus nicht so gut verdienendem Elternhaus wählen gern einen Weg über berufliche, teilberufliche und praktische Vorbildung. Dies ist ein guter Weg. Auch die Schüler, die diesen Weg beschreiten, müssen in Ihrer Statistik mit betrachtet werden.
Der Weg, den wir beschreiten müssen, und die Aufgabe, die wir haben, ist, diesen Kindern mittels Durchlässigkeit der Bildungsgänge und aufeinander abgestimmter Angebote diesen Weg zu ebnen.
Ein kleiner Ausblick: Zu Beginn möchte ich, damit wir auch die Koordinaten ein bisschen feststellen können, ein Zitat von Martin Luther aus dem Jahr 1524 an die Ratsherren aller Städte deutschen Landes vortragen - also 500 Jahre her: "Es ist freilich eine Sünde und Schande, dass es mit uns so weit gekommen ist, dass wir erst anspornen und uns anspornen lassen müssen, um unsere Kinder und unser junges Volk zu erziehen und ihr bestes zu bedenken, während doch die Natur selbst uns dazu treiben und auch das Beispiel der Heiden es uns vielfältig zeigen sollte. Ich meine," sagt er, "dass die Welt von keiner der äußerlichen Sünden so schwer belastet ist und so gräuliche Strafen dafür verdient wie eben von dieser, die wir an den Kindern begehen, indem wir sie nicht erziehen." Es ist kein neues Problem, es ist ein Problem, das sich immer wieder neu stellt und das wir aber vielleicht in diesen Tagen ganz besonders haben und deswegen müssen wir es angehen.
Ich denke, es geht darum, dass wir Schule inhaltlich in den nächsten Jahren weiterentwickeln. Dazu, denke ich, brauchen wir in Thüringen keine neuen Gesetze, sondern was wir brauchen, ist Ruhe in den Schulen, in der Aus
gestaltung und bei der Beibehaltung günstiger Rahmenbedingungen. Damit dies geschehen kann, brauchen wir gegenseitiges Verständnis aller am Erziehungs- und Bildungsprozess beteiligten Partner, wir brauchen eine bessere Kommunikation und wir brauchen mehr Erfahrungsaustausch und damit gegenseitiges Profitieren von Fachwissen und Ressourcen. Auch das Akzeptieren und Mitdenken anderer Positionen und der Situation, in der sich andere Partner befinden, halte ich für ganz wichtig. Als Landespolitiker können wir diesen Kommunikationsprozess in Gang halten, indem wir zum Beispiel das Bildungssymposium fortführen und es vielleicht hin zu einer landesweiten jährlichen Bildungskonferenz entwickeln. Außerdem sollten die regionalen Konferenzen, die schon seit zwei Jahren existieren, inhaltlich weiterentwickelt und breiter werden. Zu den unbedingten Partnern gehören hierbei die Wirtschafts- und die Arbeitswelt, die Eltern, die anderen Schulen und die Bildungseinrichtungen, die Hochschulen und Lehrerbildungsinstitutionen, die Kinder- und Jugendhilfe, soziale Dienste sowie Vereine und die Kommunen. Andere sind dabei natürlich nicht außen vor und es muss ständige Aufgabe sein, alle Partner mit ins Boot zu nehmen, auch wenn das manchmal schwer fällt. Vor all diesem kommt jedoch, auch wenn eine gute Bildungslandschaft ein wichtiger Standortfaktor ist, eine Politik, die für Arbeit und Perspektive junger Menschen in Thüringen sorgt, denn ohne Arbeitsplätze und Sicherheit für Familien mit Kindern wird es immer weniger Kinder geben. Die Frage, wie wir unsere Kinder erziehen und bilden und wie man Schule am besten macht, stellt sich dann erst gar nicht mehr.
Über die Ziele einer guten Politik in Erziehungs- und Bildungsfragen gab es viel Einigkeit und Konsens in der Kommission. Ich halte dies auch für unabdingbar, wollen wir auf diesem Gebiet vorankommen. Über die einzuschlagenden Wege gehen die Meinungen sowohl in der Politik als auch bei denen, die täglich für die praktische Umsetzung sorgen, oft auseinander. Es muss uns daher also gelingen, den Diskussionsprozess weiter anzuregen und ihn zweitens in einer konstruktiv kritischen Atmosphäre zu führen, in der auch die Meinung des anderen akzeptiert wird, denn keiner von uns hat den Stein der Weisen erfunden. Die Politiker aller Fraktionen sollten daher mit sachlicher Diskussion Vorbild sein, denn neben den politischen Entscheidungen auf Landes- und kommunaler Ebene brauchen wir noch mehr als bisher den Konsens und das Miteinander aller am Erziehungsprozess oder an der Erziehung junger Menschen Beteiligten in diesem Lande.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, lieber Kollege Emde, ich hätte mir gewünscht, dass Sie zu Beginn Ihrer Rede auch dieses Klima, diese Art der Auseinandersetzung, die wir dankenswerterweise in der Enquetekommission hatten, hier fortgesetzt hätten.
Dieses gute Klima in der Enquetekommission hat immer dokumentiert, dass die Position des anderen zu akzeptieren war, wenngleich jeder durchaus in der einen oder anderen Frage unterschiedliche Wege beschrieben hat. Und dann finde ich es schon sehr seltsam, wenn Sie den Vorrednern unterstellen, sie haben sich nur auf Schule beschränkt. Wenn Sie genau zugehört hätten, hätten Sie gehört, dass der Kollege Döring über Schule und Partner und über vieles mehr redete und auch darauf verwiesen hat, dass ich den Teil der frühkindlichen Bildung für unsere Fraktion übernehme. Wenn Sie ernsthaft mit der Sache umgehen, dann müssten Sie auch akzeptieren, dass gerade die Frage des langen gemeinsamen Lernens, insbesondere im europäischen Kontext das ist, was uns im Prinzip als positive Leistung in anderen Ländern vorgezeigt wird und wir uns schon daran zu orientieren hätten. Ich finde es auch sehr schade, wenn dann der Kollege Krause der CDUFraktion im Rahmen dieser Diskussion dem Abgeordneten Döring zuruft: "Sie Quatschkopf" und auf der anderen Seite wird von Vorbildleistung geredet. Das, meine Kolleginnen und Kollegen von der CDU, ist bei Gott keine Vorbildwirkung.
Ich möchte zitieren aus einer gemeinsamen Entschließung von CDU, PDS und SPD zur Regierungserklärung "Der 26. April 2002 und die Konsequenzen". Dieses wurde hier beschlossen und vorher überfraktionell erarbeitet am 23.05.2002. Ich war damals sehr stolz darauf, dass der Thüringer Landtag eine solche gemeinsame Entschließung auf den Tisch gelegt hat. Lassen Sie mich einige Punkte, die damals Konsens waren, und ich hoffe auch heute noch, zitieren, weil sie sich wiederfinden in den Ergebnissen der Enquetekommission.
In dieser Entschließung wurde unter Punkt 6 festgehalten: "Wichtig ist eine Erziehung, die sich an der Würde des Menschen orientiert; wir müssen Kindern ein Selbstwertgefühl vermitteln, das ihre individuellen Befähigungen anerkennt, es ist wichtig Ängste zu nehmen und Geborgenheit zu geben." Es steht in dieser Entschließung: "Die Familien müssen ihren Erziehungsauftrag umfassend wahrnehmen. Eltern haben das Erziehungsrecht, aber auch die Erziehungspflicht. Wir müssen Familien stärken und sie bei ihrer Erziehungsarbeit unterstützen. Die Erziehungskompetenz gilt es zu verbessern". Und ein letztes Zitat aus dieser Entschließung: "Schule muss sich ebenfalls ihres Erziehungsauftrags bewusst sein; neben der Wissensvermitt
lung muss sie die sozialen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler entwickeln helfen, zur gegenseitigen Verantwortung erziehen und durch Wertevermittlung Orientierung geben." Ich glaube, wir alle können stolz darauf sein, was wir hier gemeinsam über die Fraktionen hinweg beschrieben haben. Die Arbeit in der Enquetekommission zeigt, dass wir genau im Sinne dieser Entschließung auch gearbeitet haben.
Noch ein Letztes zu Ihnen, Herr Emde, und genau deshalb ist es wichtig, die Kinder, die Schüler in den Mittelpunkt zu stellen und keine ideologischen Überlegungen und nicht einfach sich hierher zu stellen und zu sagen, länger gemeinsam Lernen ist nicht unser Punkt, sondern sich vielleicht darauf einzulassen, was nicht nur die Betroffenen sagen, sondern was auch Wissenschaftler zu diesem Thema ausführen.
Nun aber lassen Sie mich zu dem kommen, was Kollege Döring schon angekündigt hat, einiges zu sagen für die Bereiche Familie und frühkindliche Bildung. Lassen Sie mich auch von meiner Seite noch mal betonen, dass die Arbeit in der Enquetekommission wirklich von inhaltlicher Auseinandersetzung gekennzeichnet war und von der Suche nach Verbesserung und auch weit gehend von der Suche nach Konsens geprägt war. Trotz- und alledem sind wir nicht in die Gefahr geraten, immer nur nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner zu suchen. Deswegen auch noch mal von meiner Seite, herzlichen Dank den beteiligten Wissenschaftlern und den externen Experten, für die wirklich konstruktiven Anregungen, aber auch für ihre dokumentierte Unabhängigkeit. Das sage ich in alle Richtungen.
Lassen Sie mich zum Thema "Familie und Bildungssystem" drei Dinge hervorheben: Erstens, es bestand in der Enquetekommission offenbar Einigkeit, die Verantwortung der Eltern für Erziehung und Bildung während der gesamten Entwicklung eines Kindes einerseits und die öffentlichen Betreuungsangebote, wie zum Beispiel Kinderkrippen, Kindertagesstätte, Kinderhorte, nicht als Widerspruch zu sehen. Das war insbesondere auch in Ihrem Bereich, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, nicht immer so. Nun aber sind wir uns einig, dass Familienerziehung und öffentliche Angebote sich wechselseitig zu ergänzen und zu unterstützen haben. Das Aufwachsen von Kindern setzt öffentliche Mitverantwortung voraus und damit eine gute und erfolgreiche Arbeit in Kinderkrippen, Kindertagesstätten, in Kinderhorten, in Schulen und auch in anderen unterstützenden Beratungsangeboten. Das erfolgreiche Aufwachsen von Kindern setzt eben auch eine weit gehende Beteiligung der Eltern und der Kinder an diesen öffentlichen Angeboten voraus. Wir müssen weg
von den Angeboten, ob nun im Kindergarten oder in der Schule, sondern wir müssen hin zu unserem Kindergarten, zu unserer Schule. Ich hatte den Eindruck, dass wir uns alle einig waren, diese gemeinsame Verantwortung zu sehen und auch zukünftig zu stärken. Deshalb sollte, da stimme ich Herrn Emde zu, Schluss sein mit wechselseitigen Schuldzuweisungen. Deshalb - Herr Minister Reinholz ist im Moment nicht da - hat mich aber doch die Bemerkung gestern von ihm irritiert, als es darum ging, wo denn die Schuld zu suchen ist oder weshalb hier in Thüringen am Ende der Schulzeit so mäßige, ich könnte es auch anders ausdrücken, Ergebnisse bei der Ausbildungseignung erzielt werden. Er sagte, in erster Linie ist hier die Verantwortung in der Familie zu suchen. Nein, Herr Minister, hier ist die Verantwortung in allen Bereichen zu suchen und in einer guten Vernetzung.
Es gilt, und das ist der zweite Aspekt, Kinder als eigenständige Personen mit eigenen Bedarfslagen, aber auch mit ungeheuren Abhängigkeiten vom jeweiligen sozialen Umfeld wahrzunehmen. Kinder müssen stärker als bisher in den Mittelpunkt der fachlichen und der politischen Auseinandersetzung gestellt werden. Kinder sind nicht nur Anhängsel einer Familie, sondern sie haben eine eigenständige Persönlichkeit und eigenständige Bedürfnisse. Der zehnte Kinder- und Jugendbericht hat uns bereits 1999 aufgezeigt, dass es an einer Kultur des Aufwachsens mit Blick auf unsere Kinder, also wie es neudeutsch heißt, kindzentriert oder kindorientiert in dieser Gesellschaft mangelt. Auch hier hatte ich den Eindruck, liebe Kolleginnen und Kollegen, es bestand Einigkeit in der Enquetekommission, auch das wäre ein Fortschritt, wenn wir alle, endlich auch alle im Alltagshandeln Kinder in den Mittelpunkt stellen würden.
Um dann Kinderschutz und -beteiligung gesetzlich zu verankern, das dürfte, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, eigentlich kein Problem mehr sein, übrigens ebenso wenig wie eine erweiterte Schülermitbestimmung. Und drittens: Die Kraft einer Familie, die Fähigkeit und Bereitschaft sich auf Bedürfnisse von Kindern einzulassen und sie zu unterstützen, hängt auch maßgeblich von der sozialen Integration der Sorgeberechtigten in dieser Gesellschaft ab. Dazu zählt natürlich auch in hohem Maße die berufliche Integration, allerdings eine berufliche Integration, die Zeit lässt für das Zusammensein mit Kindern und die ein Einkommen ermöglicht, welches die Kinder und die Familie am gesellschaftlichen Leben teilhaben lässt.
Ich sage dies deshalb so bewusst, weil wir in diesem Haus um die Probleme des Arbeitsmarkts wissen. Dies aber steht in engem Zusammenhang mit der Erziehungskraft der Eltern und mit den Bildungschancen der Kinder. Ich
möchte an dieser Stelle auch noch mal deutlich sagen in Richtung all derjenigen, die dieses diskutieren: Wer immer weiteren Abbau von tarifrechtlichen Vereinbarungen verlangt, wer Niedriglöhne propagiert und unterstützt, wer Arbeitnehmer und insbesondere Arbeitnehmerinnen zu allen Zeiten verfügbar machen will, der, liebe Kolleginnen und Kollegen, handelt auch immer familien- und kinderfeindlich.
Eltern, die ihrer familiären Verantwortung, ihrer Verantwortung gegenüber den Kindern nachkommen wollen, müssen dazu auch von ihrem Einkommen, von ihrem Selbstwertgefühl in der Gesellschaft und von der zur Verfügung stehenden Zeit hierfür in der Lage sein. Und wer den Enquetekommissionsbericht aufmerksam liest, der wird sich entscheiden müssen, ob wir in dieser Gesellschaft vorrangig kindgerechte und familiengerechte Rahmenbedingungen schaffen wollen oder ob wir kapitalgerechten Bedingungen den Vorrang einräumen. Insofern ist dieser Bericht im Bereich der Erziehung und Unterstützung von Familien, aber nicht nur dort allein, auch ein Appell an diesen Landtag, wer ein kinderfreundliches Thüringen will, wer nicht nur darüber redet, wer die Familien in ihrer Erziehungsverantwortung stärken will, wer die Verknüpfung familiärer Verantwortung mit öffentlicher Verantwortung für unsere Kinder und für die bessere Bildung der Kinder will, der muss soziale Marktwirtschaft, und zwar genau in dieser Reihenfolge erst sozial und dann Markt, endlich wieder ernst nehmen.
Nun zur frühkindlichen Bildung in den Kindertageseinrichtungen. Wir sind zum Glück in der Kommission nicht dem Fehler verfallen, die Ursachen für die offensichtlichen Bildungsmängel vorrangig den Kindertagesstätten anzulasten. Dennoch, und das ist vorhin schon erwähnt worden, hat uns PISA im wahrsten Sinne des Wortes wachgerüttelt. So bestand auch in der Kommission Einigkeit, dass dem Bildungsauftrag der Kindertageseinrichtungen eine größere Bedeutung zukommen muss als bisher, und zwar nicht nur eine größere, sondern vor allen Dingen auch eine verbindlichere. Der offensichtliche Nachholbedarf ist kein Verschulden der in den Kindertagesstätten tätigen Erzieherinnen und Erzieher - das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich sagen -, sondern letztendlich eine nachlässige Handhabung dieses Aufgabenfelds durch die politisch Verantwortlichen. Noch vor kurzer Zeit, vielleicht stimmen Sie mir in diesem Punkt auch zu, wäre man ausgelacht worden, wenn für den Bereich der Kindertagesstätten ein pädagogischer Nachholbedarf eingefordert worden wäre. Wenn wir von einem größeren Bildungsauftrag in den Kindertagesstätten sprechen und wenn wir Bildungsstandards gewährleistet wissen wollen - und da lege ich wirklich Wert auf den Begriff gewährleistet -, dann sprechen wir nicht - und das sage ich auch noch einmal deutlich - von Verschulung oder von Zensuren oder von
Frontalunterricht, wir sprechen ausschließlich von der Stärkung der Kompetenzen der Kinder, vom Aufgreifen, Erhalten und Fördern ihrer kindlichen Neugierde. Das ist auch von Vorrednern schon angesprochen worden, und wir sprechen von einem spielerischen Lernen, was dennoch altersadäquate Ziele im Blick hat und verbindlich diese erreicht. Wir waren uns einig im Hinblick auf die Notwendigkeit einer sehr viel intensiveren Kooperation mit den Eltern, von deren Einbeziehung bis hin zur aufsuchenden Elternarbeit und wir waren uns einig in der Notwendigkeit einer Kooperation der Kindertageseinrichtungen mit den Schulen und allen vorhandenen pädagogischen Unterstützungsangeboten. Das bisherige Nebeneinander und die häufig praktizierte Abgrenzung muss sehr schnell ein Ende haben.
Alles dies, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind nur ausgewählte Stichworte aus dem sehr differenzierten Bericht. Aber sie machen eines klar: Wer dieses alles will und wer ernsthaft politisch umsetzen will, der muss im Bereich der Kindertageseinrichtungen tatsächlich auch mehr finanzielle Mittel in die Hand nehmen. Ich will hier bei weitem keinen Gegensatz aufbauen zwischen Schulen und Kindertageseinrichtungen. Aber ich will darauf hinweisen, dass unsere Erzieherinnen und Erzieher auch im europäischen Kontext weder zu den besser Verdienenden gehören noch zu denjenigen, die von ihrer Ausbildung den gleichen Stellenwert wie Lehrkräfte an den Schulen haben. Deshalb wer mehr Qualität will, der kann im gesamten Bereich der Kindertagesstättenbetreuung keinen Sparstift ansetzen, sondern muss mehr investieren, und zwar in Qualifizierung und Ausbildung investieren und er muss dafür sorgen, dass pädagogisches Fachpersonal zeitlich und fachlich in der Lage ist, den Kooperationsauftrag zu den Eltern und zu den Schulen und anderen pädagogischen Partnern zu realisieren. Sonst eben lassen sich Kindertageseinrichtungen nicht zu pädagogischen Dienstleistungsund Kompetenzzentren ausbauen, wie das die Kommission zum Beispiel empfohlen hat. Wenn dieses in diesem beschriebenen Sinne auch angegangen wird, dann wird sich auch der Stellenwert des Berufsstands der Erzieherinnen und Erzieher erhöhen und wir werden dann auch - so ehrlich muss man sein - die höheren Anforderungen besser als bisher bezahlen müssen. Frühkindliche Betreuung und Bildung und Unterstützung der Familien wird uns mehr wert sein müssen, auch fiskalisch. So ist das nun einmal in unserer Gesellschaft. Und ganz beiläufig werden dann übrigens auch mehr Männer in der frühkindlichen öffentlichen Erziehung tätig sein. Das war nämlich immer so, wenn gesellschaftlicher Stellenwert und Entlohnung einer Berufstätigkeit angehoben wurde.
Lassen Sie mich abschließend feststellen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden bei aller Anspannung des Landeshaushalts und der Kommunalhaushalte der Qualitätsentwicklung in den Kindertageseinrichtungen einen höheren, auch finanziell höheren Stellenwert beimessen
müssen. Es ist gut, dass uns die Bundesregierung ähnlich wie bei den Schulen mit der bevorstehenden Novellierung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes dabei unterstützen will. Die SPD selbst wird sich in der nächsten Legislaturperiode gern messen lassen. Mit der Einbringung des Familienfördergesetzes haben wir neben unserem Schulgesetz die ersten konkreten Vorschläge zur Umsetzung der Enqueteempfehlungen unterbreitet. Denn in einem bin ich ganz fest überzeugt, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Wirtschaftsstandort Thüringen ist von einer einzigen entscheidenden Investition abhängig, nämlich von der Investition in die Herzen und in die Köpfe unserer Kinder. Herzlichen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, da ich zu den Einbringern des Sondervotums zum Problemkreis Familie und Bildungssystem gehöre, will ich hier deutlich machen, wo meine Kritik am Abschlussbericht der Enquetekommission "Erziehung und Bildung in Thüringen" ansetzt. Wie schon meine Kollegin Frau Dr. Stangner darstellte, ist aus Sicht meiner Fraktion Erziehung und Bildung als ganzheitlicher Prozess und als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu verstehen und auch so anzulegen. Herr Emde, das heißt natürlich für meine Fraktion breit anzulegen und deswegen rede ich auch zur Familienpolitik genauso wie das Frau Pelke für ihre Fraktion getan hat. Aber breit angelegt heißt für mich auch, kein Ressortdenken in der Landesregierung und da hätten hier an den Tisch gehört von Anfang an der Debatte der Sozialminister, der Wirtschaftsminister, die Wissenschaftsministerin und auch die Finanzministerin, denn es geht auch um Bildungsfinanzierung.
Da muss ich einfach feststellen, es ist eine Tatsache, dass der Sozialminister nach einer Stunde und zwanzig Minuten Diskussion kommt und dass der Staatssekretär für das Wissenschaftsministerium erst nach einer Stunde kommt und von den anderen nicht einmal die Staatssekretäre hier sind und auch keine Mitarbeiter.
Da muss ich sagen, das bedauere ich, weil ich denke, es soll ja auch breit angelegt werden und so ist die Enquetekommission ja auch in der Diskussion gewesen. Da die Entwicklung des Menschen gesellschaftlich determiniert ist, ist eine einseitige Zuweisung von Erziehung und Bil
dung auf die Schule oder auf die Familie nicht zulässig. Das aber wurde an mehreren Stellen im Abschlussbericht - und Frau Pelke, da lese ich den Abschlussbericht etwas anders als Sie - versucht. Meine Fraktion vertritt die Meinung, dass die Grundlage unserer Herangehensweise die Auffassung sein sollte, dass der Mensch ein soziales Wesen ist, dass seine Denk- und Verhaltensweisen in hohem Maße von seinen unmittelbaren Lebensbereichen geprägt wird. So sind Geborgenheit und emotionale Sicherheit im frühkindlichen Alter wichtige Voraussetzungen für seine weitere Entwicklung. Soziale Lebensbedingungen des Menschen beeinträchtigen und fördern seine Entwicklung in die eine oder in die andere Richtung. Die Startchancen für Kinder werden früh, das hat die Enquetekommission auch festgestellt, in den ersten Lebensjahren gesetzt. Diese Startchancen der ersten Lebensjahre entscheiden über den späteren Lebensweg der Kinder. Bestmögliche frühe Förderung jedes einzelnen Kindes ist nicht nur die Voraussetzung für mehr persönliche Chancengleichheit, sondern auch für die Entwicklungsfähigkeit der Gesellschaft und Wirtschaft. Für lebenslanges Lernen als Weg zu dauerhaftem Erfolg müssen die Grundsteine in der Kindheit gelegt werden. Wir wissen aus dem ThüringenMonitor, dass die Ausweitung der staatlichen Förderung von Betreuung von Infrastruktur wichtiger sind als die weitere Erhöhung direkter finanzieller Transfers an die Familien. Die Kosten, meine Damen und Herren, entstehen übrigens auch nicht durch Kinderkleidung in erster Linie oder Babynahrung, sie entstehen vielmehr in wirklichen finanziellen Ungerechtigkeiten durch den Ausfall von Erwerbsarbeitszeit und durch die Behinderung des beruflichen Aufstiegs. Das ist eine der Ursachen, warum Akademiker
ohne Kinder eben keine Seltenheit sind, auch in Thüringen, leider. Auch wenn sich die Landesregierung, das habe ich immer gesagt, zum Teil nicht unberechtigt rühmt, ein ausreichendes Angebot an Kindergartenplätzen vorzuhalten, so ist das flächendeckend und qualitativ thüringenweit eben schon lange nicht mehr der Fall. Die Möglichkeit, bei Bedarf sein Kind, auch wenn es noch nicht zweieinhalb Jahre alt ist, in eine Kindertageseinrichtung zu geben, steht zwar allgemein festgeschrieben, aber in der Realität ist dies stark eingeschränkt und nicht jede Mutti, die das möchte, kann auch ihr Kind in dem Alter von unter zweieinhalb Jahren in eine Tageseinrichtung geben. Zudem bleibt festzustellen, dass Kinder für bestimmte Gruppen von Familien ein Armutsrisiko sind. Es fehlen in Thüringen Ausbildungsund Arbeitsplätze, was vor allem die Abwanderung junger Menschen forciert sowie die Tatsache, dass Thüringen eben ein Niedriglohnland ist. Erwerbsarbeit aber, meine Damen und Herrn, prägt Familienwirklichkeit und ist entscheidend. Im Abschlussbericht ist die Wertigkeit von Erwerbsarbeit nicht in dem Maße anerkannt worden, so wie sie von Familien auch im Thüringen-Monitor 2002 gefordert wurde. Ich muss hier sagen, in der vorangegangenen Arbeitsgruppe zum Abschlussbericht Familie und Bil
dungssystem wurde mit mir sogar schon über die Umschreibung der Höhe der Arbeitslosigkeit gefeilscht. Das konnte ich eben nicht so stehen lassen und auch deswegen unser Sondervotum.