Protokoll der Sitzung vom 16.03.2000

(Beifall bei der CDU)

Wir Christdemokraten lassen uns als Demokraten in der Bekämpfung des Extremismus gleich an welcher Stelle von keiner anderen politischen Gruppierung übertreffen.

(Zwischenruf Abg. Zimmer, PDS: Das hat schon Honecker gesagt!)

Ja, das haben Sie doch im Parteilehrjahr erfahren, Frau Zimmer.

(Zwischenruf Abg. Zimmer, PDS: Sie auch.)

Ich war damals in einer Blockpartei, ich wurde nicht mit einbezogen, deswegen kann ich nicht mitreden.

(Heiterkeit im Hause)

Wir von der CDU-Fraktion unterstützen jedenfalls uneingeschränkt die Landesregierung, den Innenminister und die Thüringer Polizei, wenn sie mit aller gesetzlichen Härte gegen Extremisten vorgehen. In Sachsen-Anhalt, wo man ohne Christdemokraten auszukommen glaubt und stattdessen lieber rot und rosa mischt, haben leider, man höre darauf, leider, 13 Prozent rechts gewählt und nicht lediglich ca. 2 Prozent, Gott sei Dank, wie im Freistaat Thüringen. Auch das sollte man sich einmal vor Augen führen.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, entsprechend der Arbeitsteilung in unserer Fraktion habe ich vor allem über die ordnungs- und strafrechtliche Auseinandersetzung mit dem Extremismus gesprochen. In der geistigen Auseinandersetzung sind wir alle gefordert, jeder Einzelne, jedes Elternhaus, jede Schule, jede Ausbildungsstätte, ebenso die Fachschulen und Universitäten. Es handelt sich - wie in unserem Antrag bereits gesagt - um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Was eine Landesregierung dazu tun kann und auch schon getan hat, dazu kann mein Kollege von der Bildungspolitik und auch die Landesregierung selbst noch einiges hinzufügen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, namens meiner Fraktion darf ich feststellen, dass die Landesregierung die Berichtsersuchen in den Drucksachen 3/393 und 3/419 erfüllt hat. Den Antrag in der Drucksache 3/394 lehne ich namens meiner Fraktion ab.

(Beifall bei der CDU)

Als Nächstes hat das Wort der Abgeordnete Dittes, PDSFraktion.

Jetzt geht der Herr Pohl gerade, ich wollte ihm noch eine Bemerkung mit auf den Weg geben. Ich kann zwar nicht alle seine Bemerkungen und alle Inhalte, die er hier dargestellt hat, teilen, aber es hätte die Diskussion im Frühjahr 1998 ungeheuer belebt, wenn er diesen Redebeitrag hier auch in der Auseinandersetzung zur Demonstration

der NPD in Saalfeld gehalten hätte.

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren,

(Zwischenruf Abg. Böck, CDU: Sie können doch den Kollegen Pohl nicht so bloßstellen, Sie wissen doch, dass er ein Wendehals ist.)

(Heiterkeit bei der CDU)

Herr Abgeordneter Böck, mäßigen Sie sich.

(Zwischenruf Abg. Döring, SPD: Also Böck als Wendehals...)

(Unruhe im Hause)

Also, meine Damen und Herren, vielleicht lassen Sie mir die Möglichkeit,...

Jetzt bitte ich wieder um Aufmerksamkeit.

... dass wir uns doch tatsächlich dem Thema widmen. Ihre Auseinandersetzung mit Herrn Pohl, Herr Böck, können Sie dann sicher in Ihrem eigenen Beitrag führen.

Meine Damen und Herren, in der politischen Auseinandersetzung benutzt man sehr schnell das Attribut "skandalös" bei der Charakterisierung von Meinungsäußerungen des politischen Kontrahenten. Aber die Äußerung des Innenministers des Freistaats Thüringen, die Gegendemonstration am 26. Februar 2000 war das eigentliche Problem, ist ein solcher politischer Skandal.

(Beifall bei der PDS)

Da marschieren am 26. Februar durch Erfurt 400 Neofaschisten und fordern die Rückübertragung ehemaliger deutscher Ostgebiete und verstoßen damit, meine Damen und Herren, nicht nur gegen den im Grundgesetz und in der Verfassung des Freistaats Thüringen verankerten Grundgedanken der Völkerverständigung, sondern stellen damit auch gleichzeitig internationale völkerrechtliche Verträge, die die Bundesrepublik eingegangen ist, in Frage und junge Menschen - ich bleibe dabei, Herr Köckert und Herr Fiedler -, die sich mit Zivilcourage diesem braunen Spuk in den Weg gestellt haben, die werden hier als Störer und als das eigentliche politische Problem bezeichnet. Das ist ein Skandal, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der PDS)

Herr Köckert, und auch Sie, Herr Fiedler, der ganze Tag einschließlich auch des Verlaufs der Gegendemonstration ist eben auch ein Ergebnis der mangelnden gesellschaftlichen Auseinandersetzung im Vorfeld dieser Demonstration, die eingangs mein Kollege Dr. Hahnemann dargestellt hat. Herr Köckert, noch eine Bemerkung zu Ihnen, der Sie mich direkt angesprochen haben. Bürgerinnenrechts- und grundsrechtsorientierte Politik als Klientelpolitik für Linksextremisten zu bezeichnen, zu diffamieren, ist ein weiterer politischer Skandal, der sich hier in die Charakterisierung der Gegendemonstration vom 26. Februar 2000 grenzenlos einreiht.

(Zwischenruf Abg. Kölbel, CDU: Das war nicht am 26. Februar.)

Meine Damen und Herren, der Innenminister des Freistaats Thüringen legt ein Konzept, wohlgemerkt, das sind seine eigenen Worte, ein polizeiliches Konzept, der Öffentlichkeit vor, das - als ob er nichts gelernt hat - dem Gedankenkonstrukt der Totalitarismusdoktrien und Konzepten von Law and order eher zu einer neuerlichen Renaissance verhilft, anstatt Grundlagen für eine notwendige gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Neofaschismus, Revanchismus und Rassismus bis in die Mitte der Gesellschaft bietet.

Meine Damen und Herren, die angesprochene polizeiliche Kriminalitätsstatistik weist für das letzte Jahr eine Zunahme rechtsextremer Straftaten aus. Diese Zahlen sind zwar ein Beleg für die zu analysierende Situation, sie geben aber nur eingeschränkt Auskunft. Sie dienen weder der Dramatisierung noch der Verharmlosung, wenn man etwa wie der Innenminister auf den geringen Anteil der Gewaltstraftaten darunter hinweist und dies, meine Damen und Herren, aus zweierlei Grund:

1. Die polizeiliche Kriminalitätsstatistik ist eine reine Kontrollstatistik, das heißt, es wird dort nur aufgenommen, was tatsächlich als Straftat beobachtet, als solche erkannt und auch entsprechend eingeordnet worden ist und

2. meine Damen und Herren, enthält die polizeiliche

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Was kommt denn sonst noch von Ihnen?)

Kriminalstatistik keinerlei Hinweis, ebenso wenig wie die Statistiken über stattgefundene Veranstaltungen in Thüringen darüber, wie weit Nationalismus, Antisemitismus, Rassismus, Militarismus, antidemokratische, antisoziale und patriarchale Ideologien sowie Leistungschauvinismus sich bereits in der Gesellschaft

(Unruhe bei der CDU)

verankern konnten.

(Zwischenruf Abg. Arenhövel, CDU: Aufhö- ren!)

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Das hättet ihr wohl gerne.)

Aber gerade Letzteres, meine Damen und Herren, muss Bestandteil einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung werden, die neofaschistische Strukturen, deren Erscheinungsformen, mit ihm verbundene Politikansätze und deren Akzeptanz in der Bevölkerung mit einschließt. Eine Auseinandersetzung also, die sich nicht ausschließlich den offen zu Tage tretenden Erscheinungen neofaschistischer Ideologie widmet und allein auf die Beseitigung deren Protagonisten aus dem öffentlichen Blickfeld um des Erzielens kurzzeitiger Erfolge setzt. Genau da beginnt und endet auch das Konzept, das Innenminister Köckert der Öffentlichkeit vorgelegt hat. Er macht die Auseinandersetzung zum Thema staatlicher Institution und zur Aufgabe staatlicher Maßnahmepakete und, Herr Fiedler, er entzieht damit die Auseinandersetzung der notwendigen gesellschaftlichen Kontrolle durch eine breite Öffentlichkeit, er entzieht die Auseinandersetzung der notwendigen gesellschaftlichen Diskussion um progressive, weltoffene und tolerante Gesellschaftsmodelle, er entzieht die Auseinandersetzung dem stattfindenden Kampf um eine kulturelle rechte Hegemonie und er entzieht die Auseinandersetzung dem Kampf um ein rechtes Wertemodell, der momentan viel weniger von offen auftretenden Neofaschisten als von deren Vordenkern und Vorkämpfern geführt wird.

(Unruhe bei der CDU)

Wenn Sie dies ebenso sehen, Herr Köckert, wie Sie es ja in Ihrer Rede zaghaft angedeutet haben, dann muss ich Sie fragen, wo ist denn das Konzept der Landesregierung für die gesellschaftliche Auseinandersetzung? Nur eine anonyme Inverantwortungnahme der gesamten Gesellschaft wird hier nicht ausreichen. Stattdessen legen Sie mit Ihrem Konzept eines vor, welches eine weitere Einschränkung von Grundrechten bis an die Grenze ihrer Aufhebung beinhaltet und repressive Mittel der polizeistaatlichen Gewalt zur Lösung eines gesellschaftlich verankerten Problems erklärt. Nein, meine Damen und Herren, das Konzept des Innenministers ist weder eines noch ist es neu, noch ist es geeignet, wirksam der Rechtsentwicklung zu begegnen, es birgt eher die Gefahr, als antidemokratisch erkannt, künftig von rechts bejubelt zu werden.

Meine Damen und Herren, die Unfähigkeit, mit derartigen Polizeistaatsmethoden eine Rechtsentwicklung aufzuhalten, wird am Beispiel Österreich ganz deutlich. Rechtsaußen Haider hat nicht etwa deshalb Wahlerfolge errungen und seine Partei ist nicht etwa deshalb in die österreichische Bundesregierung gewählt worden, weil polizeistaatliche Maßnahmen dort nicht angewandt oder nicht durchgesetzt worden sind, sondern weil sie eben keine Aufarbeitung des Faschismus, keine Auseinandersetzung mit neofaschistischen Ideologien befördernde und stützende Politikan

sätze ersetzen kann.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Gehen Sie doch nach Sachsen-Anhalt.)

Ich komme darauf zurück, Herr Fiedler. Haiders Partei hatte einerseits die Unterstützung neofaschistischer Organisationen und andererseits auch die Akzeptanz gesellschaftlicher Leistungsträger und ihm kam zugute, dass es keine permanente und fundierte Ächtung der von ihm vertretenen Positionen gegeben hatte, weil diese eben mittlerweile wenn vielleicht auch nicht so eindeutig formuliert - gesellschaftliche Relevanz und Akzeptanz gewonnen hatten. Nun haben in Thüringen rechte Parteien den Einzug in den Thüringer Landtag nicht geschafft.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Na, Gott sei Dank.)

Alle anderen Parteien - die CDU, die SPD, die PDS und Bündnis 90/Grüne - haben diese Verhinderung als eines ihrer Ziele im Wahlkampf auch proklamiert. Aber auch schon zu dieser Zeit war die mangelnde Auseinandersetzung signifikanter Unterschied. Während für CDU und SPD immer im Vordergrund die Sorge um das Ansehen Thüringens und die Zukunft als Investitionsstandort stand, und es wurde ja in der Rede des Innenministers auch deutlich und ist im Antrag der SPD-Fraktion zum heutigen Tagesordnungspunkt auch nachzulesen, warnten PDS und Bündnis 90/Grüne davor, nach dem Nichteinzug die politische Auseinandersetzung mit Rechts bis zu den nächsten Wahlen auf Eis zu legen. Auch wenn die rechte Orientierung von 40 Prozent der Thüringer Jugendlichen und von 18 Prozent aller wahlberechtigten Bundesbürger bisher nicht zu einem konkreten Wahlverhalten führte, wird mit den Untersuchungen der Jenaer Universität und des Parteienforschers und Politologen Stöss die gesellschaftliche Dimension deutlich, die weit über das hinaus geht, was heute hier konkreter Anlass für die Debatte ist. Wirksame Konzepte, meine Damen und Herren, müssen also dort ansetzen, wo Ursachen für diese erschreckende Entwicklung zu suchen sind. Die Verantwortung allerdings für eine notwendige gesellschaftliche Auseinandersetzung darf dabei nicht ausschließlich auf Eltern und Pädagogen abgeschoben werden, sie darf eben nicht alleinig auf schulische Konzepte setzen, weil diese lediglich schulpflichtige Kinder erreichten und ansprechen kann und diese auch nur zu einem geringen Teil ihrer Lebenszeit, während an anderen Orten zu anderen Zeiten die Gesellschaft auf sie wirkt und sie prägt und die ist eben gekennzeichnet von einer Reihe von Faktoren, die anfällig machen gegenüber rechten Rattenfängern und anfällig machen für rassistische, antidemokratische, leistungschauvinistische und patriarchale Ideologien.

(Unruhe bei der CDU)