Protokoll der Sitzung vom 13.04.2000

Dies wurde gerade vor den Wahlen in großem Maß verkündet. Die Taten lassen auch heute noch auf sich warten. Die Bedarfssätze wurden um geringfügige Größen angehoben. Von einer wahrhaften Reform ist kaum zu sprechen. Die Entwicklung ist im Gegensatz dazu genau gegenläufig. Statt einer Reform der Ausbildungsförderung erleben wir im Moment eine große Koalition der Studiengebühren, wie auch hier im Saal.

(Zwischenruf Abg. Dr. Botz, SPD: Das ist falsch!)

Ich verstehe in gewisser Weise nicht Ihre Frage: Warum jetzt? Denn hätten Sie Frau Kaschuba zugehört, wäre die Begründung ganz klar und deutlich gekommen, gerade im Moment brennt das Thema; die Kultusministerkonferenz berät gerade im Moment. Ein Konsens deutet sich an, weder eine volle Gebührenfreiheit soll gegeben werden noch allgemeine Studiengebühren, sondern ein gebührenfreies Erststudium, zumindest wenn dies nicht so lange dauert. Langzeitstudenten sollen auch im Erststudium Gebühren zahlen, wie es in Baden-Württemberg bereits praktiziert wird. Doch, meine Damen und Herren, gerade bei Langzeitstudierenden wird die soziale Ungerechtigkeit in meinen Augen deutlich. Wenn Sie an Hochschulen schauen, wer länger studiert, sind in übergroßem Maße jene, die nicht von wohlhabenden Eltern leben können, sondern ihren Lebensunterhalt selber verdienen müssen und oftmals auch durch die Bafög-Netze fallen.

(Zwischenruf Abg. Wunderlich, CDU: Das stimmt auch wieder nicht, da kann ich Ihnen andere Beispiele nennen!)

Natürlich gibt es ganz andere Beispiele, die sind mir auch bekannt. Aber schauen Sie dann mal die statistischen Werte an, wie viel Prozent das an den Hochschulen sind. Nach bisherigen Statistiken sind das ein bis drei Prozent der wirklich richtigen Langzeitstudenten, die ewig eingeschrieben bleiben. Ich denke, das ist nicht die Größe, die eine Einführung von Studiengebühren rechtfertigt.

(Beifall bei der PDS)

Das heißt, die Einführung von Studiengebühren würde gerade bei Langzeitstudenten diejenigen treffen, die es sich sozial nicht mehr leisten könnten, an der Stelle weiter zu studieren.

(Zwischenruf Abg. Bechthum, SPD: Aber Frau Wolf, das ist doch an den Haaren her- beigezogen.)

Das ist nicht herangezogen. Da müssten Sie einfach mal nachschauen auch in den Argumentationen und sich einfach auch mal mit Studierenden unterhalten.

Das andere Argument ist, dass man sagt, okay, das Erststudium ist gebührenfrei, erst das Zweitstudium soll etwas kosten. Doch gerade das widerspricht in meinen Augen ganz diametral den derzeitigen Diskussionen der Flexibilisierung des Lernens und weiterhin dem lebenslangen Lernen, dem Anpassen an neue Märkte und all diesen Diskussionen, die Sie ja auch immer mit führen.

(Beifall bei der PDS)

Und als Einwurf noch - dadurch, dass ein Zweitstudium sowieso nicht über Bafög finanziert werden kann, ist eine Finanzierung für die Studierenden schwer genug.

Wir haben der Presse entnommen, dass Ministerpräsident Vogel vor wenigen Wochen in Gera erklärte, er sei gegen die Einführung von Studiengebühren in Thüringen und es wird diese an Thüringer Hochschulen nicht geben. Sie können sich vorstellen, dass mich das freut, und ich gehe davon aus, in dem Moment, wenn Sie das so ausdrücklich bekunden, dass Sie damit eigentlich kein Problem haben dürften, unserem Antrag zuzustimmen.

(Beifall Abg. Zimmer, PDS)

Der Punkt in der Regierung ist in meinen Augen nicht ganz eindeutig darzustellen. Frau Schipanski sprach sich vor der Wahl noch ausdrücklich gegen Studiengebühren aus. Nach der Wahl hat sich das in gewisser Weise verändert. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich finde es positiv, wenn es verschiedene Meinungen gibt, und ich denke auch, dass es einen Meinungsstreit geben darf. Ich habe einfach nur ein Interesse daran, zu erfahren, in welche Richtung es sich denn nun in Thüringen bewegen wird. Ich bitte hier einfach um Klarheit.

Die akademische Ausbildung ist heutzutage verdammt teuer. Nach einer Untersuchung eines Finanzanalytikers in der FAZ vom 11. März kostet ein Hochschulstudium zurzeit im Durchschnitt 100.000 DM. Das heißt, es gibt auch wesentlich teurere Studiengänge. Die Lebenshaltungskosten sind seit Anfang der 90er Jahre um 25 Prozent für Studierende gestiegen. Das ist im Zusammenhang zu sehen mit der sinkenden Förderquote. Nun müsste man Studiengebühren noch hinzurechnen. Somit schaffen Sie soziale Hürden beim Hochschulzugang, Bildung ist jedoch ein öffentliches Gut, dessen Nutzung allgemeines Recht ist.

(Unruhe bei der CDU)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich kurz auf einige Argumente von Studiengebührenbefürwortern eingehen, die wir auch heute schon im Raum gehört haben. Studiengebühren seien sozial gerecht, denn immerhin verdient ein Akademiker im Durchschnitt 157 Prozent von Nichtstudierten im Nachgang an das Studium. Doch, meine Damen und Herren, ich denke, diese Zahlen darf man nicht verallgemeinern. Das wird gerade hier in der Diskussion getan. Ein Arzt ist nach seinem Studium nicht vergleichbar mit einem Sozialarbeiter, der, vielleicht wissen Sie es, mit einer Eingruppierung von einer BAT V b nach dem Studium nach Hause geht; ein Rechtsanwalt ist nicht vergleichbar mit einem Biologen; eine selbständige Architektin nicht mit einem Versorgungstechniker oder einer Germanistin. Außerdem, wenn Sie dieses Argument konsequent weiter verfolgen würden, und das müsste man an diesem Punkt, kämen wir dazu, dass männliche Studierende mehr Studiengebühren bezahlen müssen als weibliche, weil sie immerhin nach dem Studium mehr verdienen,

(Beifall bei der PDS)

dass Ärzte mehr bezahlen müssten als Kunststudenten und immer so fort. Ich denke, das ist einfach eine abstruse Diskussion, die an diesem Punkt nicht weiter führt und, ich denke, gerade das ist an dem Punkt auch nicht im Sinne des Erfinders. Studiengebühren gingen an diesem Punkt auf Kosten von Studiengängen mit schlechteren Marktchancen. Ich nenne hier als Beispiele nur Musik, Behindertenpädagogik, Germanistik oder Ähnliches. Ich denke, dies ist eine Art von Standortpolitik, die auf Kosten der Gesellschaft und auch der Zunkunftsfähigkeit eines Landes geht. Ein weiteres Argument ist, die Bundesrepublik könnte sich die Hochschulen ohne Studiengebühren nicht mehr leisten. Meine Damen und Herren, das ist für mich ausgemachter Quatsch. Es kommt hier an dieser Stelle einfach auf den politischen Willen an. In den letzten Jahren stieg immer wieder der Gesamthaushalt, jedoch der Bildungsetat sank. 1980 war der Bildungsetat immer noch 5 Prozent des Gesamthaushalts, 1997 waren es nur noch 4,5 Prozent. Über die Höhe der Bildungsausgaben wird politisch entschieden. Sie wollen mir doch nicht erklären, dass 20 Mrd. DM für einen Eurofighter vorhanden sind, Studiengebühren aber unumgänglich sind?

(Beifall Abg. Nothnagel, PDS)

Ein Einwurf ärgert mich besonders, das gebe ich zu, wir würden mit den Studiengebühren nur dem europäischen Trend folgen. Erstens, in weniger als der Hälfte der westeuropäischen Länder gibt es diese Art von Gebühren, und zweitens, nur weil 90 Prozent meiner Kollegen gerade mit Grippe im Bett liegen, wünsche ich mir keine Grippe.

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, nicht nur jetzigen Studierenden, sondern auch ihren Eltern und künftigen Studenten Sicherheit zu geben. Bitte lassen Sie es nicht bei den großen Worten der Parteivorsitzenden und lassen Sie uns über diesen Antrag im Ausschuss für Wissenschaft, Forschung und Kunst beraten und streiten. Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS)

Gestatten Sie noch eine Frage des Abgeordneten Schwäblein?

Frau Kollegin, Sie haben mir die Kompetenz abgesprochen, zu dem Thema zu reden.

Ich habe nur gesagt, dass möglicherweise andere mehr Kompetenz hätten.

Können Sie sich vorstellen, dass man auch indirekt Einblick in Hochschulen durch eigene Kinder, die studieren, bekommt, oder glauben Sie, dass jeder erst selbst operiert haben muss, um über Gesundheitspolitik zu reden?

Herr Schwäblein, Sie haben natürlich an diesem Punkt Recht. Ich denke nur, es war gerade in dem Hinblick gemeint, als Sie davon sprachen, dass ein berufsbegleitendes Studium ja gern mit Studiengebühren versehen werden kann. Würden Sie an der Hochschule einmal genau hinschauen, würden Sie sehen, wie Hochschulen inzwischen schon berufsbegleitende Studiengänge anbieten und daraus schon sehr große Einnahmequellen schöpfen. Das ist schon ein Bereich, der gern genutzt wird von Hochschulen und der auch für berufsqualifizierend Studierende nicht gerade billig ist.

(Beifall bei der PDS)

Das war die Nachfrage des Abgeordneten Schwäblein. Es hat jetzt das Wort der Student der Rechtswissenschaften, der Abgeordnete Carius.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, vorhin tauchte die Frage auf, warum wir jetzt wieder über Studiengebühren debattieren müssen. Ich kann es Ihnen

sagen, wir haben Wahlkampf und es eignet sich immer wieder gut, im Wahlkampf Themen hervorzubringen, mit denen man hofft, dass wir als CDU-Fraktion oder auch dass die SPD wieder einmal für soziale Ungerechtigkeit und gegen Chancengleichheit streitet. Das werden wir aber nicht tun und wir haben es auch nicht getan. Herrn Schwäbleins Worten konnten Sie ja auch entnehmen, dass auch wir Studiengebühren ablehnen. Zum einen hat das natürlich den folgenden Grund, dass § 107 des Thüringer Hochschulgesetzes noch eindeutig vorschreibt, dass es keine Studiengebühren geben wird. Das gilt auch für uns bzw. gerade für uns.

(Zwischenruf Abg. Schemmel, SPD: Erfreu- lich!)

Zum Zweiten wissen auch wir, dass Studiengebühren so, wie sie meistens diskutiert werden, gerade sozial Schwache benachteiligen könnten, dass Studiengebühren, so lange sie nicht sozialverträglich sind, auch dazu führen könnten, dass Studiengänge viel mehr an der Marktverwertbarkeit orientiert werden. Zum Dritten können wir Studiengebühren schon deshalb nicht fordern, weil die Hochschulautonomie noch nicht so weit fortgeschritten ist, dass die Gebühren auch den Hochschulen zugute kämen. Und zum Vierten ist natürlich die Weiterfinanzierung in derselben Höhe durch Bund und Land nicht abgesichert, deswegen müssen auch wir gegen Studiengebühren sein. Aber wir sollten uns doch eines veranschaulichen - das trifft auf unsere zum Teil neu gegründeten Hochschulen in Thüringen noch nicht zu, aber auf die in unseren Nachbarländern -, dass die knapper werdenden Mittel für die Bibliotheken ein riesiges Problem sind, dass die Bestellung von Lehrpersonal ein unterschätztes Problem ist und dass natürlich eine ausreichende Lehre auch nicht gerade garantiert werden kann, wenn wir überfüllte Hörsäle haben. Das korreliert mit dem Problem des Lehrpersonals. Schon deshalb kann man sich eigentlich aus staatspolitischer Sicht nicht einem generellen Verbot, wie Sie es hier verlangen, unterwerfen, sondern wir müssen wirklich darauf achten, dass wir in der Debatte auch für soziale Verträglichkeit durchaus werben, aber wir müssen darauf achten, dass der Staat nicht alles auf Dauer leisten kann und nicht alles auf Dauer kostenlos leisten kann. Von daher ist es ganz natürlich, dass wir irgendwann dazu übergehen werden müssen, bei Weiterbildung, Fortbildung und Zweitstudien und allem, was über das Regelstudium hinausgeht, vielleicht einmal über eine Eigenbeteiligung der jeweils Bevorteilten dieser Aktion zu reden. Mit anderen Worten, Ihr generelles Verbot von Studiengebühren würde zu einem Denkverbot führen, was in keiner Weise zukunftsweisend ist.

(Beifall bei der CDU)

Ich möchte noch einen anderen Aspekt aufgreifen, vielleicht eher eine Formalie. Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass es aufgrund der Differenzen der Länder bislang nicht zum Einvernehmen über ein befristetes Gebührenmora

torium gekommen ist, und nun meinen Sie doch ernsthaft, dass eine Bundesratsinitiative etwas anderes bringen könnte. Entweder, meine Damen und Herren, Sie wissen nicht, dass gerade im Bundesrat Länderinteressen vertreten werden, die ein solches Moratorium nicht zustande haben kommen lassen, oder aber Sie verfallen wie üblich in einen etwas konsequenzlosen Politaktionismus.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich möchte es ganz kurz machen. Ich denke, mit Denkverboten und mit Betonköpfen, die es in einer Fraktion hier im Landtag geben soll, kann man sehr schlecht Zukunft gestalten und deshalb empfehle ich meiner Fraktion die Ablehnung dieses Antrags.

(Beifall bei der CDU)

Frau Abgeordnete Nitzpon hat eine Frage, Herr Carius, lassen Sie diese zu?

Nein. Dann hat das Wort Frau Ministerin Prof. Dr. Schipanski.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dem jetzt vorliegenden Antrag möchte die Fraktion der PDS die Landesregierung beauftragen, im Bundesrat eine Initiative zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes mit dem Ziel der Aufnahme des generellen Verbots von Studiengebühren einzubringen.

(Beifall bei der PDS)

Gegen diesen Vorschlag habe ich grundsätzliche Bedenken. Nach Artikel 75 Satz 1 Nr. 1 a Grundgesetz hat der Bund auf dem Gebiet des Hochschulwesens das Recht, Rahmenvorschriften zu erlassen. Damit steht zunächst dem Bund das Gesetzesinitiativrecht zu. Zwar kann auch der Bundesrat Gesetzentwürfe einbringen, anders als im Bundestag ist in diesem Fall das Gesetzesinitiativrecht aber ein Recht der Körperschaft, nicht ihrer einzelnen Mitglieder. Dem Freistaat Thüringen steht also selbst kein Initiativrecht zu. Soll folglich der Bundesrat als Körperschaft einen Gesetzentwurf einbringen, müssen sich die Länder für ein Verbot von Studiengebühren aussprechen. Ich darf daran erinnern, dass Frau Bundesministerin Bulmahn, damals noch als Oppositionsabgeordnete,

bei der letzten Novellierung des Hochschulrahmengesetzes vehement die Aufnahme des Verbots von Studiengebühren gefordert hat. Mittlerweile hätte sie dank des dem Bund zustehenden Gesetzesinitiativrechts die Möglichkeit, eine entsprechende Novelle im Deutschen Bundestag einzubringen. Sie hat, wahrscheinlich aus wohlerwogenen Gründen, darauf verzichtet und stattdessen der Kultusministerkonferenz eine staatsvertragliche Regelung vorgeschlagen. Dieser Vorschlag war begrenzt auf ein Erststudium, das in angemessener Zeit absolviert wird. Die Kultusministerkonferenz hat die Initiative für einen Staatsvertrag der Länder ergriffen und eine Ministerarbeitsgruppe eingesetzt. In der 287. Kultusministerkonferenz am 21./22. Oktober des vorigen Jahres in Husum konnte noch keine Einigung zum Beschlussvorschlag der Ministerarbeitsgruppe erreicht werden, das haben wir heute auch schon einmal gehört. Deshalb hat das Präsidium der KMK beschlossen, neue Möglichkeiten zur Konsensfindung zu prüfen. Zurzeit werden ein Vorschlag zur Einrichtung von Bildungskonten, der von Herrn Minister Prof. Dr. Zöllner aus Rheinland-Pfalz gemacht wurde, und ähnliche Überlegungen von Herrn Minister Dr. von Trotha von BadenWürttemberg diskutiert. Ziel dieses Vorschlags ist die Einrichtung von Studienkonten für alle Studienanfänger. Auf diesen Studienkonten wird eine ausreichende Zahl von Semesterwochenstunden gutgeschrieben, die ein Studium in der Regelstudienzeit ermöglichen, und darüber hinaus können auch andere Bildungsangebote genutzt werden. Bei einem Abschluss in der Regelstudienzeit werden keine Studiengebühren fällig. Der bestehende Restkontostand kann für andere Bildungsvorhaben genutzt werden. Durch eine vertragliche Regelung der Länder soll abgesichert werden, dass Gebühren erst erhoben werden, wenn die Regelstudienzeit deutlich überschritten wurde und das Studienkonto aufgebraucht ist.

Meine Damen und Herren, es ist mein erklärtes Ziel, allen Studierwilligen, unabhängig von den Einkommensverhältnissen der Eltern oder ihren eigenen Einkommensverhältnissen, den Zugang zum Studium offen zu halten.

(Beifall bei der CDU)