Protokoll der Sitzung vom 11.10.2000

Das ist eine persönliche Beleidigung, die wir in diesem Haus nicht dulden; einen Ordnungsruf für den Abgeordneten Pohl.

Damit komme ich jetzt zum Aufruf des Abgeordneten Gentzel, SPD-Fraktion. Ich bitte, wieder zur Ruhe zu kommen, damit Herr Gentzel das Wort ergreifen kann.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, das Thüringer Wirtschaftsministerium wird von der Staatsanwaltschaft durchsucht. Sieben Polizisten durchsuchen 11 Stunden die Thüringer Staatskanzlei. Gegen den ehemaligen Wirtschaftsminister Bohn ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Untreue; Gleiches gilt für Herrn Schuwirth, ehemaliger Vertrauter und persönlicher Mitarbeiter des damaligen Staatskanzleiministers und heutigen Finanzministers Trautvetter. Wegen Untreue ermittelt man, so wird es gesagt, gegen dutzende Beamte von TIB und TAB. Minister Gnauck ist fassungslos - nicht wegen der genannten Dinge, sondern wegen der bemerkenswerten Konsequenz, mit der die Thüringer Justiz ermittelt.

Der Ministerpräsident spricht von einem einmaligen Vorgang. Da hat er ausnahmsweise einmal Recht. Das ist einmalig in der Bundesrepublik, was im Augenblick in Thüringen passiert.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Würden die von mir genannten Namen etwas italienischer klingen, könnte man durchaus denken, ich zitiere aus dem Drehbuch zu "Der Pate", Teil 4.

Meine Damen und Herren, aber es ist schlimm, das alles ist Realität im Jahre 10 der Einheit in Thüringen. Natürlich ist Thüringen keine Bananenrepublik, aber dass die Beteiligten nichts gegen ein bisschen Bananenrepublik hätten, wird den Außenstehenden immer deutlicher.

(Beifall bei der SPD)

Allzu gern würden die Herren Gnauck, Vogel und Birkmann der Thüringer Staatsanwaltschaft diktieren, mit welchen Unterlagen und Erkenntnissen das Pilz-Verfahren zu führen ist. Anders ist ihre Informationsblockade um die Unterlagen aus Wirtschaftsministerium und Staatskanzlei nicht zu deuten.

(Beifall bei der SPD)

Da das Wirtschaftsministerium auf entsprechende Anfragen nicht reagierte, versuchte es die Mühlhäuser Strafkammer mit einem Durchsuchungsbefehl. Der Durchsuchungsbeschluss aber war wertlos. Kumpel Birkmann hatte Kumpel Schuster schon informiert - natürlich aus Versehen. Minister Birkmann wusste nicht, dass die Durchsuchung geheim bleiben sollte. Wie sollte er auch? Seit

x Jahren Jurist in verantwortlicher Stellung, da kann er nicht wissen, dass eine Durchsuchung eigentlich gar keinen Sinn hat, wenn sie vorher angemeldet wird.

(Beifall bei der SPD)

Oder wollte er es nicht besser wissen? Aber darauf kommen wir noch einmal zurück.

Nach der so natürlich erfolglosen Suche im Wirtschaftsministerium fuhren die Ermittler in die Staatskanzlei. Dort erklärte man ihnen zunächst, es gebe nur Hinweise auf zwei Vorgänge, die mit Pilz zu tun haben. Eine Mitarbeiterin muss sich dann aber wohl im wahrsten Sinne des Wortes verplappert haben. Sie erzählte den Beamten, Pilz-Unterlagen seien bereits im Laufe des Vormittags herausgesucht worden. Unter anderem in einem Umzugskarton fanden die Ermittler dann 15 Ordner, die sie dem Fall "Pilz" zuordneten. Als der verantwortliche Richter Krämer sich einschalten wollte, erhielt er einen Anruf vom OLG-Präsidenten Bauer. Der OLG-Präsident Bauer kommentiert sein Verhalten heute so - ich zitiere: "Ich habe meine Unschuld verloren." Ich werte das genau so. Aber eine weitere Frage muss sich der Herr Bauer wohl auch gefallen lassen und beantworten müssen. Wer seine Unschuld verliert - und ich füge an, seine politische Unschuld verliert -, darf der Präsident des Verfassungsgerichtshofs in Thüringen sein, zumal sein Anruf ja nicht ohne Erfolg war? Die BKA-Beamten blieben nämlich im Wirtschaftsministerium, aber sie hielten dort schriftlich fest - das ist ein Zitat: "... in nicht unerheblicher Weise durch ständige Telefonate von Generalstaatsanwaltschaft und auch der OLG gestört worden zu sein." Jetzt griff der Ministerpräsident ein, nicht das erste Mal im Fall "Pilz". Er lässt die 15 Ordner nicht herausgeben, begründet dieses mit dem Wohle des Landes. Der Minister in der Staatskanzlei, Herr Gnauck, wurde dankenswerterweise deutlicher: Eine Herausgabe würde dazu führen - Zitat -, "dass einzelne Regierungsmitglieder sich künftig für Maßnahmen öffentlich rechtfertigen müssten." Ich wiederhole das mal: "... dass einzelne Regierungsmitglieder sich künftig für Maßnahmen öffentlich rechtfertigen müssten."

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, was steht in den Akten? Welche Rolle spielte die Koordinierungsgruppe in Ihrem Haus? Warum haben Sie Angst, dass sich Regierungsmitglieder öffentlich für ihr Handeln rechtfertigen müssen?

(Zwischenruf Dr. Vogel, Ministerpräsident: Wieso soll ich denn Angst haben?)

Dann geben Sie doch die Unterlagen heraus, dann sehen wir es doch.

Das sind die Kernfragen, Herr Ministerpräsident, das sind die Kernfragen des Skandals.

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Wir wer- den am Ende des Krimis...)

Die Nichtbeantwortung dieser Kernfragen gibt Raum für viel Spekulation, zum Beispiel: Folgte der wohlwollenden Arbeit in der Koordinierungsgruppe auch an Förderrichtlinien vorbei eine wohlwollende Spendentätigkeit in Thüringen oder irgendwo anders in Deutschland? Folgte der wohlwollenden Arbeit in der Koordinierungsgruppe eine wohlwollende Begleitung des Wahlkampfes 1994/1999, egal mit welchen Mitteln? Wurden die TIB und die TAB nur gegründet, um das eben Genannte zu unterstützen? Wurde der damalige F.D.P.-Minister Bohn deshalb in seinem Amt so beschnitten, um die Anzahl der Mitwisser gering zu halten und natürlich auf CDU-Mitglieder zu begrenzen?

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Wähler haben entschieden.)

Und als Frage in die Zukunft: Erhält eigentlich die im nächsten Tagesordnungspunkt zu gründende Enquetekommission alle Unterlagen der Koordinierungsgruppe und alle gewünschten Auskünfte dazu?

Meine Damen und Herren, neben dem Chaos aus nicht gegebenen Antworten, sehr interessanten Zeitabläufen und undurchsichtigen Firmenstrukturen steht auch eine viel tiefgründigere Frage im Raum: Wie steht es um die Gewaltenteilung in Thüringen? Der eine oder andere von der Landesregierung mag sich noch erinnern: Legislative, Exekutive, Judikative. Viele haben zum 10. Jahrestag der Deutschen Einheit analysiert und geredet. Leider waren wieder viele dabei, die analysieren und reden durften, die die Vorgänge um die Einheit und die Zeit davor am warmen Feuer der Demokratie eben nur beobachtet haben, die also nicht wissen, was z.B. eine politische Beeinflussung, eine unterwanderte Justiz konkret bedeuten kann. Es intellektuell zu verstehen, will ich niemandem absprechen, aber es zu erfahren, es persönlich zu erfahren und zu spüren, ist etwas ganz anderes.

(Beifall bei der SPD)

Vielleicht zur Erinnerung, weil ich weiß, dass sich viele in diesem Raum daran erinnern werden: Es begann, dass unendlich viele DDR-Bürger eine Postkarte bekamen, genauer gesagt, eine Vorladung zur Klärung eines Sachverhalts. Wer bis drei zählen konnte, wusste, jetzt haben sie dich. Egal, ob du schuldig oder ob du unschuldig bist, die Justiz wird dir nicht helfen. Aus dieser gemachten Erfahrung kann es nur eine Schlussfolgerung geben: Wehret euch gegen alle Anfänge bei der politischen Beeinflussung der Justiz.

(Unruhe bei der CDU)

(Beifall bei der SPD)

Herr Vogel, Herr Gnauck, Herr Birkmann, da Sie nicht wissen, wovon ich rede - ich habe das vorhin schon gesagt, das Feuer war warm und der Sessel war weich - können Sie mich auch nicht verstehen. Deshalb erübrigen sich alle weiteren Bemerkungen in diese Richtung, in Ihre Richtung, denn es hat keinen Sinn, besonders bei Ihnen, Herr Birkmann.

Und jetzt muss ich Sie fragen, warum Sie heute die Möglichkeit nicht genutzt haben, die zwei wirklich erheblichen Dinge, die heute im Zusammenhang mit dieser ganzen Sache passiert sind, klarzustellen. Unbelehrbar sind Sie und verstricken sich immer mehr in ein Konstrukt aus Lügen und Halbwahrheiten.

Die zwei aktuellen Beispiele, zu denen Sie sich heute hätten äußern müssen, will ich jetzt hier vortragen.

Erstens: Kritik an Ihnen persönlich kommt ja nicht nur von der Opposition. Es kommt ja aus Ihren eigenen Reihen, aus der Justiz, z.B. vom Hauptrichterrat. Mit denen gab es gestern ein Treffen. Nicht zu beanstanden, es wird ja Zeit, dass man sich an einen Tisch setzt. Im Anschluss an das Treffen gab es folgende Pressemitteilung aus dem Justizministerium - ich zitiere: "Auf dieser Grundlage hat ein konstruktiver Dialog begonnen. Er soll alsbald weitergeführt werden, damit die herkömmlich gute Zusammenarbeit der Thüringer Richterschaft mit dem Thüringer Justizministerium zum Wohle der Thüringer Bürgerinnen und Bürger weiterentwickelt werden kann. Diese Erklärung ist mit den Richtervertretern abgestimmt." Ich habe jetzt vor mir liegen die Presseerklärung des Hauptrichterrates zu dieser Veranstaltung und die Überschrift müsste eigentlich nicht "Presseerklärung", sondern "Gegendarstellung" lauten. Und das kann jeder für sich werten. Ich werde sie komplett zitieren: "Die Pressemitteilung des Thüringer Justizministeriums vom 09.10.2000 'Konstruktives Gespräch des Thüringer Hauptrichterrates und der Vertreter der Richterräte der Landesgerichte' ist entgegen dem erweckten Eindruck nicht mit den Richtervertretern abgestimmt. Dieser hat vielmehr ausdrücklich eine gemeinsame Presseerklärung abgelehnt. Der jetzt veröffentlichte Text entspricht dem Entwurf des Präsidenten des OLG und ist insbesondere wegen der missverständlichen Formulierung, damit die herkömmlich gute Zusammenarbeit" usw., usf., der es dort missbilligt, ich zitiere: "missbilligt worden". Der Hauptrichterrat ist befremdet, dass die Erklärung dennoch mit dem Satz schließt: "Die Erklärung ist mit den Richtervertretern abgestimmt." Um es klar und deutlich zu sagen, dass nichts zwischen uns bleibt, sie lügen weiter

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Skandal!)

(Unruhe bei der CDU)

Herr Schwäblein, mäßigen Sie sich in Ihren Worten.

(Unruhe bei der CDU)

Herrn Gentzel meine ich natürlich. Was für den einen gilt, gilt für den anderen auch. Mäßigen Sie sich in Ihren Worten und bleiben Sie bei der Auseinandersetzung sachlich.

Frau Präsidentin, eine weitere interessante Sache ist heute passiert. Lassen Sie mich vorher ein paar Tage zurückschauen. Justizausschuss hier im Thüringer Landtag: Auf die Frage, ob er denn gewusst hätte, dass diese Untersuchung geheim bleiben und nicht veröffentlicht werden solle, dass keine Information an das Wirtschaftsministerium gehen sollte, antwortete der Justizminister: "Dazu sage ich eindeutig, das war mir nicht bekannt." Endlich mal eine klare Aussage, mit der man umgehen kann.

"Thüringer Allgemeine" von heute: "Aber es gab den schriftlichen Wunsch des Richters, diese Information zu unterlassen." Birkmann: "Das war mir in diesem Augenblick nicht bewusst." Weitere Frage: "Wurden Sie nicht informiert?" Birkmann: "Es kann sein, dass es mir vom zuständigen Beamten nicht gesagt worden ist oder dass er es gesagt hatte, ich es aber im Augenblick nicht konstatiert habe." Wenn das in der TA heute stimmt, Herr Minister, haben Sie im Justizausschuss gelogen, und wenn dieses der Sachverhalt ist, Herr Ministerpräsident, ist das Fass jetzt voll. Herr Birkmann, tun Sie dieser Landesregierung, tun Sie diesem Land und tun Sie auch sich selbst einen Gefallen, treten Sie zurück.

(Beifall bei der SPD)

Als nächster Redner hat sich der Abgeordnete Kretschmer, CDU-Fraktion, zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Kollege Gentzel, ich muss Ihnen sagen, ich bin echt erschrocken, wie Sie in Ihrer Rede Stasijustiz bemühen müssen, um überhaupt Geländegewinn zu erzielen und am Ende ausschließlich den Rücktritt von Herrn Staatsminister Birkmann zu verlangen. Herr Buse, mir kam bei Ihrem Vortrag ein Zitat von Kurt Tucholsky in den Sinn: "Kluge Leute können sich dumm stellen, das Gegenteil ist schwieriger."

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, Sie haben, Herr Buse, deutlich die Frage gestellt, warum die Opposition, eigentlich hat ja die SPD diese zusätzliche Sitzung beantragt, warum das geschehen ist, ob die Opposition Missverständnisse aufbauschen will oder - ich interpretiere jetzt Ihre zweite Alternative - ihre Sehnsucht nach Justizskandal, nach Justizaffäre befriedigen will oder, und jetzt kommt meine Interpretation, steckt noch mehr dahinter, was Sie wortreich mit Nebel verbreitet haben, nämlich das offensichtliche Ziel über Rufmord und Schlammschlacht der Landesregierung zu schaden, der CDU zu schaden

(Beifall bei der CDU)

und damit, meine Damen und Herren, natürlich auch dem Freistaat in der Folge zu schaden.

(Unruhe bei der SPD)

(Zwischenruf Abg. Nitzpon, PDS: Sie scha- den uns doch.)

Ja natürlich. Sie haben hier mehrmals auf offene Fragen hingewiesen, mein Kollege Wolf hatte auf die Aktivitäten des Justizausschusses mehrmals hingewiesen, dass hier offensichtlich eine Phantomschlacht geführt werden soll, weil die offenen Fragen erstens nicht gestellt worden sind, und die Fragen, die gestellt worden sind, sind beantwortet worden im Justizausschuss. Es geht, wie die Öffentlichkeit bemerkt, offensichtlich um mehr, also um den Pilz-Fall und um den Subventionsbetrug und darum, dass die Landesregierung nach der Meinung, die Sie hier vortragen, Mitwisser wäre, und damit ist der angebliche Justizskandal beschrieben.

Meine Damen und Herren, ich werde mich bewusst nicht auf diese justizpolitische Debatte, die von Ihnen, Herr Buse und Herr Gentzel, vorgetragen wird, einlassen. Dieses Spiel treibe ich nicht mit, sondern ich werde Ihnen mal den Spiegel vorhalten mit dem Blick in die Zeit von 1992 bis 1994. Zunächst jedoch muss ich Sie fragen: Ist das hier nicht ein bisschen verkehrte Welt? Der Ganove Pilz - und das darf ich sagen, da er ja rechtskräftig verurteilt worden ist - veruntreut Fördergelder, betrügt und die Landesregierung auf der anderen Seite versucht aufzuklären und zurückzufordern, meine Damen und Herren.