Protokoll der Sitzung vom 11.10.2000

Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dewes?

Nachdem ich es bei Herrn Kretschmer getan habe, tue ich es auch bei Herrn Dewes, ja.

Da bin ich Ihnen aber sehr dankbar. Herr Ministerpräsident, Ihnen ist doch bekannt, dass Akten nur dann an die Verteidigung weitergegeben werden, wenn sie durch die Staatsanwaltschaft in das Verfahren eingeführt sind. Habe ich Sie recht verstanden in diesem Wissen, dass Sie unterstellen, dass Akten in das Verfahren eingeführt würden, die mit dem Fall "Pilz", also mit dieser Sache über

haupt nichts zu tun hätten? Ist das so richtig?

Herr Dewes, ich weiß das nicht mehr, sondern Sie können es heute Abend nachvollziehen. Es sind Akten, die mit dem Fall nichts zu tun haben, im Internet nachzulesen aus dem Bestand der Akten, die von uns übergeben worden sind. Zweitens: Es war der Vorschlag von Mühlhausen, auch die Verteidiger an der Durchsicht der beschlagnahmten Akten zu beteiligen. Dies hat Herr Gnauck zum Wohl des Landes und völlig zu Recht und mit meiner Unterstützung abgelehnt.

(Beifall bei der CDU)

Im Übrigen, um das auch einmal zu sagen, meine Damen und Herren, was die Koordinierungsrunde betrifft: Hier handelte es sich zu keiner Zeit um einen "erlauchten Kreis von CDU-Spitzen", wie Herr Gentzel dieser Tage gesagt hat und wie zu lesen war - also, es war zu lesen, ich sagte es ja.

(Zwischenruf Abg. Gentzel, SPD:... haben sollen; Ihre Kollegen haben eben gesagt, das sollen wir nicht verwenden.)

Entschuldigung, ich nehme für die Landesregierung in Anspruch zu sagen, was ich sagen möchte, sogar Ihnen gegenüber, Herr Gentzel. Also, es kursiert das Gerücht, die Koordinierungsrunde sei ein erlauchter Kreis von CDUSpitzen gewesen. In Wahrheit hat jeder gewusst und jeder wissen können: Es war ein erweiterter Kabinettsausschuss, dem selbstverständlich zu jeder Zeit auch Mitglieder des jeweiligen Koalitionspartners angehörten oder die an den Sitzungen teilnahmen. Zunächst der F.D.P. - natürlich hat Herr Bohn teilgenommen, natürlich hat in seiner Vertretung der Staatssekretär teilgenommen - und beispielsweise weiß jeder, der dabei war, dass für das Wissenschaftsministerium - weil das gebraucht wurde, im Zusammenhang, wie jeder weiß, der sich mit unserer Forschunglandschaft beschäftigt -, über Jahre mit größter Regelmäßigkeit und größter Pünktlichkeit Herr Dudenhausen teilgenommen hat. Man muss schon von allen guten Geistern verlassen sein, wenn man ernsthaft die Herausgabe aller Akten verlangt.

Meine Damen und Herren, gestern Nachmittag habe ich die führenden Repräsentanten von Motorola empfangen, einem Unternehmen, das weltweit 125.000 Mitarbeiter beschäftigt und gemeinsam mit uns Initivativen hier in der Bioregion Jena erörtern wollte. Glauben Sie wirklich, die Herren reisen ein zweites Mal von Chicago an, um das mit mir zu besprechen, wenn die erstellten Gesprächsnotizen nächste Woche im Internet stehen? Sie werden mit Sicherheit nicht mehr kommen. Ich möchte hier deutlich machen, ich habe nicht über andere zu richten, aber ich gehöre zu denen, die Ansiedlungen hier wollen. Das ist mir wichtiger, als ob irgend jemand sich darüber auf

regt und mir falsche Vorwürfe macht.

(Beifall bei der CDU)

Ich spreche natürlich niemandem - das ist kein Verdienst von mir, das ist eine Selbstverständlichkeit - das Recht ab, Personen zu kritisieren. Ich spreche natürlich auch niemandem das Recht ab, Mitglieder der Landesregierung zu kritisieren. Ich spreche nicht einmal jemandem das Recht ab, Untersuchungsausschüsse einzusetzen. Machen Sie das nur! Meine Damen und Herren, ich kann es ja nicht selber veranlassen, so weit kann es ja nun nicht gehen. Wir haben nichts zu befürchten und wir werden uns auch zu wehren wissen.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, PDS: Das stimmt.)

Wir wissen uns allerdings auch zu wehren, wenn der Versuch einer Rufmordkampagne gegen einzelne Mitglieder der Landesregierung gestartet werden soll

(Beifall bei der CDU)

und dabei billigend in Kauf genommen wird, dass dadurch nicht Schaden für einzelne Mitglieder der Landesregierung, sondern Schaden für das ganze Land entsteht. Wir wissen uns zu wehren, wenn man mangels eigener politischer Konzepte eine Schlammschlacht veranstalten möchte.

Meine Damen und Herren, in Wahrheit geht es hier doch nicht um Minister, in Wahrheit geht es hier um Arbeitsplätze, in Wahrheit geht es hier bei unserer Verhaltensweise um die kleinen Leute im Land, um die, die Arbeitsplätze haben und deren Sicherheit nicht gewährleistet ist, und um die Arbeitslosen, darum geht es und nicht um große Sprüche.

(Zwischenruf Abg. Vopel, CDU: Jawohl.)

(Beifall bei der CDU)

Es geht in der Tat um den Ruf des Landes. Wir haben nie einen Zweifel daran gelassen, dass der Aufbau des Landes, der Aufbau einer leistungsfähigen Wirtschaft für uns absoluten Vorrang hat. Weil wir uns daran gehalten haben, sind wir erfolgreich. Jedermann bescheinigt uns das tagtäglich. Die "Frankfurter Allgemeine" hat vor zwei, drei Tagen geschrieben, Thüringen habe ein Tempo vorgelegt und jetzt zitiere ich mit Genehmigung, "das Neid als die ehrlichste Form der Bewunderung hervorzurufen vermag".

Meine Damen und Herren, diese Form der Bewunderung spüre ich in den letzten Wochen sehr deutlich.

(Beifall bei der CDU)

Es ist doch klar, dass nicht alle fröhlich darüber sind, dass wir erfolgreich sind und dass man manches, was die Menschen hier geleistet haben, bewundern kann, meine Damen und Herren. Neid als die ehrlichste Form der Bewunderung, wie wahr. Wir haben Nutzen zu mehren und wir haben Schaden abzuwehren, das ist unser erstes Gebot. Gerade und vor allem und deswegen bin ich Herrn Thomas Kretschmer dankbar, dass er darauf hingewiesen hat,

(Zwischenruf Abg. Dr. Schuchardt, SPD: Heute geht es um Justiz.)

wie das in den schwierigen Jahren des Anfangs war, unser Bemühen in dieser Zeit um Hunderte von Fällen, daher die Koordinierungsrunde, daher TAB und TIB, wo jetzt der große Ramelow kommt und meint, wenn man alles untersucht, dann werden sich die Arbeitsplätze verdoppeln.

(Beifall bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Ramelow, PDS: Richtig.)

Nein, meine Damen und Herren, es ging darum, dass das zu seiner Zeit modernste CD-Werk und die dort vorhandenen Arbeitsplätze erhalten bleiben und Pilz galt deutschlandweit als Vorzeigeunternehmer, das ist richtig - das ist vorhin so von Herrn Buse mit gedachtem Spott zitiert worden -, natürlich, Herr Buse, habe ich bei der Einweihung am 3. Mai 1993 die Initiative gelobt und begrüßt, in der vollen Überzeugung, hier ist etwas Gutes entstanden. Ein paar Monate vor mir hat es der damalige Wirtschaftsminister Möllemann, weil der einen größeren Mund hat als ich, noch viel kräftiger gesagt als ich es getan habe. Natürlich waren wir glücklich. Das ist ja gerade der Beweis, wie unsinnig der Vorwurf ist, dass wir damals schon gewusst hätten, dass der ganz andere Dinge im Schilde führt.

(Beifall bei der CDU)

Heute verfolgt seine Verteidigung das Ziel, nachzuweisen, Pilz war bekannt; es war bekannt, dass unser Mandant ein Gauner war, also kann er gar nicht des Betruges wegen beschuldigt werden. Meine Damen und Herren, in der Tat eine bemerkenswerte Strategie von einem knappen Dutzend Verteidiger. Dass es bekannt war, davon kann keine Rede sein. Als Schwierigkeiten bekannt wurden, wie tagtäglich an Dutzenden von Unternehmen, war es zunächst unsere Intention, den Standort in Albrechts zu sichern, weil wir die Arbeitsplätze dort sichern wollten.

(Beifall bei der CDU)

Ich weiß es doch, ich war doch bei der Kreisbereisung im Herbst 1992 in Albrechts, was das damals für eine Insel der Glücksseligkeit war, dass da eine neue Fabrik entstanden war. Erinnern Sie sich doch einmal daran, wie das aussah in anderen Teilen. Dabei war der Freistaat Thü

ringen doch keineswegs der einzige, der gehandelt hat. Auch die Treuhand wollte helfen. Wir wollten allerdings mehr tun, als die Treuhand tun wollte oder tun konnte. Weil in Albrechts nur Produktion und kein Vertrieb vorhanden war, war die Situation in Albrechts besonders schwierig und die TIB, die so viel gescholtene TIB, hat die beachtliche Leistung vollbracht, aus dem Stand heraus einen Vertrieb in Albrechts aufzubauen, sonst gebe es die Firma doch gar nicht mehr, weil sie zunächst nur produziert und nicht vertrieben hat.

(Beifall bei der CDU)

Es ist schon richtig, wenn man vom Rathaus kommt, ist man klüger. Meine Damen und Herren, ich habe überhaupt keine Mühe zu sagen, mag sein, dass wir die eine oder andere Detailentscheidung rückblickend anders getroffen hätten, mag sein, dass wir beispielsweise die Trennung Albrechts von Kranzberg schon früher ins Auge gefasst hätten, wenn wir gewusst hätten, was wir heute wissen. Aber die Entscheidung, alles zu tun, um dieses Werk zu retten, war richtig. Es ging nicht um irgendeine Bruchbude. Das wäre ein schwerer Schlag für das ganze Land, vor allem auch für Südthüringen gewesen, in einer Zeit, wo Aktionen wie "Thüringen brennt" gestartet wurden, in einer Zeit, wo die Demonstrationen an der Tagesordnung waren, fast vor jeder Plenarsitzung hier auch in diesem Haus, anders zu handeln. Es ist vorhin schon einmal zitiert worden, Herr Ramelow, ich zitiere das noch einmal, was Sie am 2. September 1993 gesagt haben, denn ausnahmsweise stimme ich mit Ihnen überein. Sie haben damals gesagt in einem Interwiev in der "Mitteldeutschen Allgemeinen", damit Sie nicht meinen, ich hätte es aus verbotenen Quellen: "Ja, wir müssen so lange trommeln, bis Politiker uns anhören und sehen, dass wir die Auffangstrukturen brauchen, egal wie das Kind heißt. Niemand hat sich um die Frage gekümmert, wie ein Betrieb in Liquidation weitergeführt werden kann." Damals haben Sie uns Untätigkeit vorgeworfen und heute werfen Sie uns Tätigkeit vor, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Frau Pelke, wir stehen für unser Handeln ein, weil danach gefragt worden ist, und zwar nicht, weil Sie uns dazu zwingen, sondern gerne und dankbar. Ich sage ausdrücklich, sollten wir im Freistaat noch einmal in eine Situation geraten, wie wir Sie 1993/94 hatten, was Gott verhüten möge, ich garantiere Ihnen, die Landesregierung würde heute wieder so handeln, wie sie damals gehandelt hat.

(Beifall bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Dr. Botz, SPD: Jetzt sind Sie klüger geworden.)

Ich möchte gern mit einem Zitat, mit Zustimmung, aus einer dpa-Meldung vom 3. Oktober 2000 schließen, einer dpa-Meldung, wo Frau Pelke zitiert wird: "Die SPD-Frak

tionsvize", so heißt das dann, "bezeichnete die Entwicklung in den vergangenen Jahren in Thüringen als großartig. Der Freistaat belege seit Jahren einen der vorderen Plätze in der wirtschaftlichen Entwicklung der neuen Länder", und jetzt wortwörtliches Zitat: "Die Ostdeutschen haben viel in die Gesellschaft einzubringen", sagte Pelke, "die Westdeutschen nehmen das nur noch zu wenig zur Kenntnis." In der Tat, die Entwicklung Thüringens in den vergangenen Jahren war großartig, Frau Pelke hat Recht.

(Beifall bei der CDU)

Es hat sich zur Wort gemeldet der Abgeordnete Gentzel, SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, der Ministerpräsident hat, wie es bei ihm ja schon so lange Stil ist, wieder viele Reden beurteilt und benotet. Ich erlaube mir das Gleiche bei seiner, ich würde sagen: haarscharf am Thema vorbei.

(Beifall bei der SPD)

Aber das ist nicht der Grund, warum ich mich noch einmal zu Wort gemeldet habe.

(Zwischenruf Abg. B. Wolf, CDU: Wollen Sie eine Schlammschlacht schlagen?)

Zum Thema Schlammschlacht und Rufmord komme ich gleich. Herr Ministerpräsident, Sie unterstellen der SPD in Thüringen, und zwar nach meiner Auffassung in einem schlechten und einem sehr diffizilen Stil, den man von Ihnen eigentlich gar nicht gewohnt ist, immer wieder bei den Auseinandersetzungen auf der Europäischen Ebene ständen wir nicht auf der Seite der Arbeitnehmer und Arbeitgeber in Thüringen. Das ist unwahr und ich möchte das mit aller Entschiedenheit im Namen meiner Fraktion zurückweisen.

(Unruhe bei der CDU)