Protokoll der Sitzung vom 26.01.2001

3. Schließlich wird auch dann nicht geplant und die Entscheidung vertagt, wenn zwar offensichtlich Konflikte bestehen, gegenwärtig aber nicht alle damit verbundenen Fragen solide zu klären sind. In solchen Fällen sind vielmehr Entscheidungen über künftige Vorhaben im Einzelfall zu treffen und im Rahmen eines gesetzlich dafür vorgeschriebenen Verfahrens. Sobald solche Verfahren raumbedeutsam sind, steht dafür das Raumordnungsverfahren zur Verfügung. Die Behauptung - und da bitte ich Sie, Ihren Antrag zu lesen -, zu allen "weißen Flecken" müssten Raumordnungsverfahren durchgeführt werden, ist sachlich schlicht falsch.

(Beifall bei der CDU)

Ich erkläre es aber noch. Ein Raumordnungsverfahren wird vielmehr nach § 17 des Landesplanungsgesetzes für raumbedeutsame Vorhaben durchgeführt, soweit sie von überörtlicher Bedeutung sind und möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben. Dabei ist zu prüfen, ob das Vorhaben mit den Erfordernissen der Raumordnung, insbesondere mit den Zielen und Grundsätzen der Raum

ordnungspläne, übereinstimmt. Ein Raumordnungsverfahren findet auf Antrag eines Vorhabenträgers oder von Amts wegen statt. Bisher gab es in Thüringen keine Notwendigkeit, ein solches Verfahren von Amts wegen einzuleiten.

Ich will auch auf Beispiele, Sie hatten es angesprochen, von Konflikten im Raum Nordhausen, z.B. im Südharzgebiet und in der Goldenen Aue, eingehen. Zunächst zum Südharz: Hier konzentrieren sich 50 Prozent der Gips- und Anhydritlagerstädten der Bundesrepublik. Sie haben daher eine überragende Bedeutung für die Rohstoffsicherung sowohl Thüringens als auch Deutschlands. Aufgrund dieser günstigen Rohstoffsituation sind im Landkreis Nordhausen und in den angrenzenden Gebieten in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt große Unternehmen tätig, die diese Rohstoffe gewinnen und verarbeiten. In der strukturschwachen Region Nordthüringens hat der Fortbestand dieser Arbeitsplätze große Bedeutung. Voraussetzung dafür ist u.a. die Nutzung der Gipslagerstätten in der Rüdigsdorfer Schweiz. Andererseits hat dieser Raum eine hervorragende Bedeutung in puncto Naturschutz und Landschaftsstruktur, einfacher gesagt, es handelt sich zum Teil um eine beeindruckende und sehr schützenswerte Landschaft. Keine Frage, sie soll für kommende Generationen bewahrt und gleichzeitig für den Fremdenverkehr erschlossen werden.

(Beifall bei der CDU; Abg. Becker, SPD)

Vielleicht werden wir ja doch noch einig. Es ist also schwierig, einerseits die wirtschaftliche und touristische Entwicklung und andererseits die Naturschutzbelange in dieser einmaligen Karstlandschaft in Einklang zu bringen. Der regionale Raumordnungsplan Nordthüringen trägt grundsätzlich diesen unterschiedlichen Entwicklungszielen Rechnung. Er bildet eine gute Grundlage für die Entwicklung der Region und für tragfähige Kompromisse. In dieser Region gibt es auch mehrere Gebiete, die bisher unbeplant blieben, da die Konflikte bisher noch nicht lösbar waren. Das heißt, dort wird, falls ein Vorhabenträger dies beantragt, das erforderliche Verfahren durchgeführt. Gegenwärtig läuft das Raumordnungsverfahren für ein Vorhaben namens "Gipsabbau am Kuhberg". Alle Beteiligten sollten dieses Verfahren als Chance sehen, um in einer fairen Abwägung zu tragfähigen Entscheidungen zu kommen.

Zur Situation in der Goldenen Aue: Dort befinden sich einerseits die bedeutendsten Kiessandlagerstätten in Thüringen, andererseits wertvolle Ackerflächen mit hohen Bodenwertzahlen, daneben auch günstig gelegene Flächen, die für die Verkehrs- und Gewerbeentwicklung benötigt werden. Dieser Konflikt wird noch dadurch verstärkt, dass infolge des Kiesabbaus attraktive Wasserflächen entstehen, die für den Biotopverbund, aber auch als Erholungsstätte interessant sind. Auch hier war vor Ort ein hohes Maß an Kompromissbereitschaft erforderlich, damit durch den regionalen Raumordnungsplan Nordthüringen einen Ausgleich der Interessen erreicht und Vorsorge für eine nachhaltige Entwicklung des Raums getroffen werden konnte. In Einzelfällen, z.B. bei der Planung eines Industriege

biets, war ein solcher Ausgleich bisher noch nicht möglich und - da unterliegen Sie, Frau Abgeordnete Becker, einem Missverständnis - ihn zu erreichen ist Aufgabe der kommunalen Bauleitplanung vor Ort, nicht Aufgabe der Landesregierung.

(Beifall bei der CDU)

Und überhaupt, meine Damen und Herren von der SPD, spricht aus Ihrem Antrag die Erwartung, Planung möge "von oben" erfolgen. Die Landesregierung setzt jedoch auf Planung "von unten" und unterstützt deshalb jede Form kommunaler Zusammenarbeit.

(Beifall bei der CDU)

So ist zu begrüßen, dass die Region Nordhausen zu den Vorreitern einer nachhaltigen Entwicklung in Thüringen gehört. Die vielfältigen Aktivitäten zur Agenda 21 haben dazu beigetragen, die Potenziale der Region zu erschließen und für eine nachhaltige Entwicklung nutzbar zu machen. Dieser Ansatz ist aber nicht nur auf den Nordhäuser Raum begrenzt, sondern hat die gesamte Planungsregion erfasst. Auch deshalb konnte die Planungsgemeinschaft Nordthüringen - das muss auch an dieser Stelle einmal gesagt werden - im bundesdeutschen Wettbewerb "Regionen der Zukunft" einen beachtlichen zweiten Platz belegen.

(Beifall bei der CDU)

Die Landesregierung unterstützt ferner die Aktivitäten des Städtenetzes "SEHN" - Südharz/Eichsfeld/Hainich-Netz -, in dem die Stadt Nordhausen die Federführung hat, sowie die Erarbeitung und Umsetzung regionaler Entwicklungskonzepte. Ich nenne die in diesem Raum besonders wichtigen Entwicklungskonzepte Südharz und Goldene Aue. Die Landesregierung wird die kommunalen Gebietskörperschaften und die regionale Planungsgemeinschaft Nordthüringen in vielfältiger Weise und auf verschiedenen Ebenen unterstützen. Aber auch für die Zukunft lässt sich nicht ausschließen, dass es zu Konflikten zwischen verschiedenen Nutzern bzw. Nutzungsinteressen kommt. Die Region ist darauf gut vorbereitet. Eben diese Bereitschaft zur Konfliktbewältigung haben die Beteiligten vor Ort mehrfach unter Beweis gestellt. Ich bin sicher, dass es ihnen auch künftig gelingt, die notwendigen Entscheidungen im Interesse der Region zu treffen. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Ich gehe davon aus, dass Aussprache gewünscht wird. Beantragt die auch förmlich eine Fraktion? Herr Stauch für die CDU-Fraktion. Dann kommen wir zur Aussprache. Ich gebe zunächst das Wort dem Abgeordneten Kummer, PDS-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, als Südthüringer habe ich natürlich leichte Schwierigkeiten in die regionalen Feinheiten im Kreis Nordhausen einzudringen, deshalb werden Sie es mir sicherlich verzeihen,

(Zwischenruf Dr. Sklenar, Minister für Land- wirtschaft, Naturschutz und Umwelt: Nein.)

wenn ich auf umweltpolitische Aspekte bei der ganzen Frage meinen Schwerpunkt lege.

(Zwischenruf Dr. Sklenar, Minister für Land- wirtschaft, Naturschutz und Umwelt: Schafft die... aus Nordhausen raus.)

Ein paar Kleinigkeiten - doch, Herr Minister, ich werde es Ihnen erklären - muss ich aber trotzdem noch erwähnen. Dazu hat die Berichterstattung von Herrn Minister Gnauck mich mehr oder weniger aufgefordert. Herr Minister, Sie haben von Planung von unten gesprochen und von weit gehendem Konsens. Ich habe hier eine Stellungnahme der Stadt Nordhausen zum Gipstagebau Kuhberg und hier steht: "Planungsziel der Stadt Nordhausen für die Gipskarstgebiete im Norden des Stadtgebiets (Hörninger Klippen, Rüdigsdorfer Schweiz und Alter Stolberg) ist die Erhaltung der nahezu unzerstörten typischen Gipskarstlandschaft im Komplex von Flora und Fauna sowie deren Nutzung als Erholungsgebiet mit Bedeutung für Naherholung und Fremdenverkehr im Einklang mit den naturschutzfachlichen Belangen."

Meine Damen und Herren, wenn man jetzt sagt, auf der einen Seite wird mit Rücksicht auf mögliche Stadtentwicklung ein "weißer Fleck" um eine Stadt gelassen, auf der anderen Seite möchte aber die Stadt, dass dieser "weiße Fleck" kein weißer Fleck ist und damit der Gipsindustrie das Heranbaggern an die Stadt nicht ermöglicht wird, da kann ich dann nicht von Konsens sprechen.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Wenn man von landesweiter Planung spricht, die ja notwendig ist, muss ich trotzdem sagen, kann es meiner Ansicht nach nicht sein, dass einige Stellen im Kreis Nordhausen mehr oder weniger zur Mondlandschaft degradiert werden; sicherlich eine Mondlandschaft, die relativ gut erschlossen ist, aber trotzdem, ein solcher Anblick, der sich einem bietet, wenn man dort durch einige Gebiete fährt.

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU: Sie waren doch noch nicht da; Sie sind doch Süd- thüringer.)

Ich war schon dort, das können Sie mir ruhig glauben. Einige Gegenden sehen dort katastrophal aus.

(Beifall bei der PDS)

Noch ein anderes Beispiel zur Situationsbeschreibung: Ich möchte hier aus einem Papier der Bürgerinitiative zur Rettung der Goldenen Aue zitieren. Gipsabbau - Fördervolumen 1,4 Mio. Tonnen 1996, momentan 634 Hektar Abbaufläche im Landkreis; Kies - zukünftig 2 Mio. Tonnen pro Jahr über die nächsten 75 Jahre auf 618 Hektar Planfeststellungsfläche, davon 277 Hektar bestes Ackerland. Zusätzlich wird die Landschaft noch durch die künftige Autobahn zerstört und das hier bereits angesprochene Industriegebiet in der Goldenen Aue.

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU)

Herr Kretschmer, selbst wenn man unterschiedlicher Meinung sein kann zur Autobahn, aber Fakt ist doch wohl, dass die Autobahn Landschaft zerstört.

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU: Und so stehen die Autos in der Stadt Nord- hausen. Ist das ideal?)

(Beifall bei der PDS)

Für die notwendigen Ausgleichsmaßnahmen, die Bergbau, Autobahn und Industriegebiet erfordern, gibt es noch nicht einmal mehr genug Flächen. Auch der Trinkwasserschutz wird zum Problem. Die Goldene Aue galt bisher als Trinkwasserreservat.

Nun zur Frage der Notwendigkeit der Ausweisung dieses neuen Industriegebiets, die ein Hauptgrund für den SPD-Antrag ist.

(Zwischenruf Abg. Dr. Zeh, CDU: Die SPD ist doch für das Industriegebiet.)

Die Drucksache 3/1239 weist für im Rahmen der GA-geförderten Industrie- und Gewerbegebiete im Kreis Nordhausen einen Belegungsgrad von sage und schreibe 56,25 Prozent aus. Das sind Industrie- und Gewerbegebiete. Im Raum Nordhausen finden sich zwar keine weiteren großen Industriegebiete, es gibt aber sicher große Gewerbegebiete, die eventuell zu Industriegebieten umgewidmet werden könnten. Diese Möglichkeit müsste geprüft werden, bevor weitere landwirtschaftliche Flächen versiegelt werden.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die PDS-Fraktion ist gegen eine weitere Versiegelung von großen Flächen im Freistaat Thüringen. Sicher sind Industriearbeitsplätze nötig und wir wollen einem großen Investor, der ca. 100 Hektar Fläche belegt, nicht unbedingt Steine in den Weg legen, aber was für ein Investor könnte das sein? Vielleicht Fahrzeugbau auf Gipskartonbasis, der sich nur in Nordhausen anbieten würde? Ich weiß es nicht, es konnte mir auch noch keiner sagen. Wenn es diesen Investor geben sollte

(Zwischenruf Abg. Wunderlich, CDU: Da hat man in Zwickau Erfahrungen.)

und er die Fläche in der Goldenen Aue in Anspruch nimmt, dann müsste er die Kosten für die Entsiegelung einer gleichen Fläche im Kreis Nordhausen meiner Ansicht nach tragen. Unter diesen Bedingungen wären wir auch einverstanden.

Nun zum zweiten Hauptgrund für den SPD-Antrag, der Rüdigsdorfer Schweiz, die durch Gipsabbau bedroht wird. Wir haben im Raum Nordhausen bisher Vorratsflächen für die Bergbaubetriebe, die die Gipsproduktion für weit mehr als 20 Jahre ausreichend absichern. Weitere Abbaugebiete sollen bereitgestellt werden. Dabei wird jedoch die Bedeutung von REA-Gips immer größer. Nach Auskunft der VEAG - ich habe gestern erst beim Kraftwerk Lippendorf in Leipzig anrufen lassen - fallen allein dort 900.000 Tonnen Gips jährlich an. Die Abnahme beträgt 50 Prozent. Insgesamt - wie gesagt, laut Auskunft der VEAG - liegen zurzeit rund 3 Mio. Tonnen Gips auf Halde. Eine weitere Möglichkeit, den Abbau von Naturgips zu verhindern, ist der Ersatz von diesem Naturgips durch nachwachsende Rohstoffe, für die sich unsere Landesregierung ja so sehr einsetzt. Hier könnten weitere 2,4 Mio. Tonnen Gips eingespart werden.

Dann möchte ich auch nur daran erinnern, wir bewegen uns ja im Abfallbereich auch mit Riesenschritten vorwärts. Wir wollen auch Baustoffrecycling betreiben. Auch hier fällt jede Menge Gips an. Wie Sie sehen, meine Damen und Herren, auf der einen Seite liegt Gips auf Halde, auf der anderen Seite baggern wir mehr oder weniger besonders naturschutzfachlich bedeutende Flächen ab. Die Gebiete, in denen der Gipsabbau stattfinden soll - ich beziehe mich hier vor allem auf Günsdorf in dem Winkelberg, es sind aber auch andere wie z.B. der Himmelsberg, die außerhalb der Rüdigsdorfer Schweiz liegen sind von hoher naturschutzfachlicher Bedeutung. Noch im Jahr 1995 wurden sie von der TLU in den FFH-Gebietsvorschlag aufgenommen, später nahm man sie wieder heraus. Herr Minister, ich frage Sie, warum? Die heimischen Orchideen, die Gelbbauchunke, die Mopsfledermaus und das große Mausohr leben dort immer noch.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Das sind eigentlich prioritäre Arten nach der FFH-Richtlinie. Außerdem liegt Günsdorf noch in der Nähe des Luftkurortes Neustadt.

Meine Damen und Herren, aus dem Südthüringer Raum kann ich Ihnen sagen, einige Luftkurorte haben dort inzwischen ihren Titel verloren, weil die Luft diesen Werten nicht mehr nachkommt.

Was wird aus den Luftwerten in Neustadt? Was wird aus Kur und Tourismus? Diese Fragen müssen beantwortet werden.

Meine Damen und Herren, ich werde mich dafür einsetzen, dass der Ausschuss für Naturschutz und Umwelt zu diesem Problem eine auswärtige Sitzung im Raum Nordhausen durchführt.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Dort können wir in Ruhe darüber reden, dort können wir auch sehen, wo die Probleme liegen und wie wir sie entsprechend lösen können. Von der Landesregierung erwarte ich, dass ein Raumordnungsverfahren für den Winkelberg erfolgt, damit hier klargestellt wird, dass kein Gipsabbau zur weiteren Landschaftszerstörung stattfinden wird.

(Beifall bei der PDS)