Protokoll der Sitzung vom 16.03.2001

Meine Damen und Herren Abgeordneten, verehrte Vertreter auf der Regierungsbank, verehrte Gäste auf der Besuchertribüne, ich eröffne die heutige 40. Plenarsitzung des Thüringer Landtags am 16. März 2001.

Als Schriftführer haben neben mir Platz genommen Frau Abgeordnete Wackernagel und Herr Abgeordneter Carius. Herr Abgeordneter Carius wird die Rednerliste führen.

Für die heutige Sitzung haben sich entschuldigt: Frau Abgeordnete Ellenberger, Herr Abgeordneter Prof. Dr. Goebel, Frau Abgeordnete Groß, Herr Abgeordneter Dr. Hahnemann, Herr Abgeordneter Höhn, Herr Abgeordneter Illing. Herrn Abgeordneten Illing wünschen wir an seinem heutigen Geburtstag von hier aus besonders gute Wünsche für eine baldige Genesung.

(Beifall bei der CDU)

Der Blumenstrauß ist unterwegs, ansonsten hätte er hier auf dem Platz gestanden.

Weiterhin haben sich entschuldigt: Frau Abgeordnete Neudert und Frau Abgeordnete Zitzmann.

Die Tagesordnung war ja bereits gestern festgestellt worden, auch mit dem gestrigen Antrag, der am Nachmittag noch einmütig hier im Haus aufgenommen worden ist.

Ich komme damit zum ersten Aufruf der heutigen Tagesordnung, nämlich Aufruf des Tagesordnungspunkts 10

Politik der Landesregierung für den ländlichen Raum Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der PDS und Antwort der Landesregierung - Drucksachen 3/1134/1411/1429 - auf Antrag der Fraktion der CDU dazu: Unterrichtung durch die Präsidentin des Landtags - Drucksache 3/1415

Es liegt alles vor. Wir kommen unmittelbar zur Beratung und als Erster in der Beratung hat die Landesregierung um das Wort gebeten, nämlich Herr Minister Dr. Sklenar, bitte sehr.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, Politik für den ländlichen

Raum umfasst den überwiegenden Teil des Freistaats, statistisch gesehen sogar ganz Thüringen mit Ausnahme der Städte Erfurt, Jena und Gera und deren verdichtetes Umland. Die Politik für den ländlichen Raum hat für die Landesregierung eine besondere Bedeutung im Interesse aller Bürgerinnen und Bürger

(Beifall bei der CDU)

und für die nachhaltige Entwicklung des gesamten Landes. Sie ist kein Segment der Landespolitik, sondern alle Politikbereiche sind integrierte Bestandteile dieser Politik für den ländlichen Raum. Der ländliche Raum ist kein homogenes Gebilde. Ländliche Räume in der Umgebung von Städten, beispielsweise entlang der Thüringer Städtereihe und weiteren Regionen, sind günstige Standortbedingungen, haben Wettbewerbsvorteile und bereits einen deutlichen Entwicklungsvorsprung. Deshalb widmet die Landesregierung strukturschwachen ländlichen Räumen mit niedriger Bevölkerungsdichte und unzureichendem Bestand an Arbeitsplätzen außerhalb der Landwirtschaft besondere Aufmerksamkeit. Durch gezielte Maßnahmen müssen gerade in strukturschwachen ländlichen Räumen die Entwicklungspotenziale optimal erschlossen und genutzt werden.

Die Landesregierung sieht gute Perspektiven für unsere ländlichen Räume. Warum? Es ist die positive Entwicklung im vergangenen Jahrzehnt und die Gestaltungsmöglichkeit der Förderung, die im globalen, im europäischen und im regionalen Rahmen eine weiterhin tragfähige Entwicklung vorzeichnet. Es sind die eindrucksvollen Aufbauleistungen, welche die hier lebenden und arbeitenden Bürgerinnen und Bürger seit 1990 vollbracht haben.

(Beifall bei der CDU)

Schauen Sie sich doch unsere Dörfer und Zentren im ländlichen Raum heute an und vergleichen Sie dies mit dem Zustand von vor zehn Jahren. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen aufpassen, dass uns die positive Entwicklung nicht durch die Politik der Bundesregierung kaputt gemacht wird.

(Beifall bei der CDU)

Sei es die Ökosteuer, die ganz immense Probleme für die Bewohner ländlicher Räume, für die Land- und Forstwirtschaft bereitet, oder sei es die vollmundig so bezeichnete Agrarwende der Regierung Schröder.

(Beifall bei der CDU)

Der Landesregierung wird die Arbeit dabei nicht ausgehen, wenn sie auch noch die Probleme lösen muss, welche die Bundesregierung schafft. Ideologische Scheuklappen und

(Beifall bei der CDU)

Mangel an Fachkenntnissen sind nun mal keine guten Ratgeber.

(Beifall bei der CDU)

Wenn das wahr wird, meine sehr verehrten Damen und Herren, was gegenwärtig an die Wand gemalt wird, dann gibt es Gefahren für den ländlichen Raum. Das Einkommen wird sinken, Betrieben droht die Pleite. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass im ländlichen Raum Arbeitsplätze in großer Zahl verloren gehen werden. Die dringenden Agrarumweltmaßnahmen haben dann keine Träger mehr, es sei denn, die Kommunen oder das Land übernehmen diese Leistungen. Man stelle sich einmal vor, der öffentliche Dienst, der ja, wie Sie alle wissen, aus Personalgründen eher verringert gehört, würde als Landschaftspfleger eingesetzt, Beamte zur Pflege von Orchideenwiesen.

(Zwischenruf Abg. Primas, CDU: Das wäre mal was Vernünftiges!)

So sieht, meine sehr verehrten Damen und Herren, offenbar der Aufschwung Ost als Chefsache des Kanzlers aus.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir verfolgen im Interesse der Menschen auf dem Land, natürlich auch der Bauern, eine Politik, welche die Bekämpfung der BSE-Krise nicht für eine einseitig ideologisch orientierte Ökologisierung der Landnutzung ausschlachtet. Wir stehen für ein tragfähiges Gesamtkonzept unter Berücksichtigung des Verbraucherschutzes, der Wettbewerbssicherheit, der Arbeitsplatzsicherung und der finanziellen Möglichkeiten. Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe da auch keine Bedenken mehr, da ich gestern von Herrn Trittin gelesen habe, dass er den Wert der Landwirte als Umweltschützer nun erkannt hat und das auch öffentlich kundgetan hat und dass er darüber spricht, dass die Landwirte und Verbraucher und Umweltschützer nur gemeinsam vorankommen können. Ich denke, er ist auf dem richtigen Weg. Herzlichen Dank!

Meine sehr verehrten Damen und Herren, mir ist meine Verantwortung für den ländlichen Raum sehr bewusst, dass es Probleme gab und gibt und es auch immer geben wird. Diese Landesregierung löst aber die Probleme und redet nicht nur darüber.

(Beifall bei der CDU)

Allein in den Jahren 1994 bis 1999 hat die Landesregierung Fördermittel in Höhe von 17,4 Mrd. DM sektoral und regional ausgewogen in die ländlichen Räume gelenkt. Damit wurden die abgängige ländliche Infrastruktur verbessert, marode Gebäude in den Siedlungen saniert, un

geordnete Eigentumsverhältnisse geklärt, Investitionshemmnisse beseitigt. Die Landesregierung hat eine klare Handlungsmaxime zur Entwicklung der ländlichen Räume, das ist ein integrierter, sektorübergreifender Politikansatz. Dieser muss wegen der Vielfalt der unterschiedlichen Bedingungen in den einzelnen Gebieten problem- und bedarfsgerecht umgesetzt werden. Diese Strategie wird durch fachübergreifende Abstimmung, flexibel transparente Planung und den gebündelten Einsatz von Fördermitteln zur schnellen und wirkungsvollen Realisierung der Maßnahmen umgesetzt. Die Landesregierung unterstreicht dabei die Bedeutung der kommunalen Selbstverwaltung als Garant tragfähiger ländlicher Entwicklungen und legt besonderen Wert auf die Stärkung kreativer lokaler Potenziale.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, "mit dem Bürger und nicht von oben herab" lautet die Devise.

(Beifall bei der CDU)

Unser Ziel ist eine gleichwertige Entwicklung aller Landesteile. Basis dafür ist eine dauerhafte und räumlich ausgewogene Ordnung. Die enge Verflechtung zwischen Stadt und Land nutzen wir als eine der Stärken Thüringens als Wirtschaftsstandort. Mit insgesamt 5,6 Mrd. DM stehen nach zähem Ringen beachtliche Strukturfondsmittel der EU zur Verfügung. Die Landesregierung hat bei der Neuausrichtung der Förderung mit dem EU-Strukturfonds von 2000 bis 2006 besonderen Wert auf integrierte Strukturprogramme gelegt.

(Beifall bei der CDU)

Wir sehen im Zusammenwirken der Ministerien, der Landesdienststellen der Kreis- und Kommunalebenen, der regionalen und lokalen Akteure der Wirtschaft und des Dienstleistungssektors bei der Umsetzung der Programme den richtigen Weg. Komplexe Strukturmaßnahmen sollen durch Verzahnung der Finanzierungsmöglichkeiten erfolgreich umgesetzt werden.

In der Agrarpolitik der Europäischen Union ist die Entwicklung ländlicher Räume die zweite wesentliche Säule. Die Landesregierung hat die Chance erkannt und mit dem Operationellen Programm Thüringen, Teil EAGFLAusrichtung, sowie dem Entwicklungsplan für den ländlichen Raum Thüringens für die Jahre 2000 bis 2006 zielgerichtet genutzt. Das Operationelle Programm der EAGFL ist mit 1,645 Mrd. DM und der Entwicklungsplan für den ländlichen Raum mit 635 Mio. DM ausgestattet. Bei der Planung und dem Vollzug setzt die Landesregierung die ihr zur Verfügung stehenden raumwirksamen Instrumente wie Raumordnung, Landesplanung und Landesentwicklung ganz gezielt für abgestimmte Konzepte zur nachhaltigen Entwicklung ein. Dafür haben wir rechtzeitig und frühzeitig die Voraussetzung geschaffen. 36 regionale Entwicklungskonzepte für ein Drittel der Landfläche liegen

vor. 205 agrarstrukturelle Entwicklungsplanungen decken die Hälfte der Landesfläche ab. 116 Flurbereinigungsverfahren auf 75.000 Hektar wurden eingeleitet. Von 5.000 Anträgen zur Zusammenführung von Grund- und Gebäudeeigentum sind 4.000 abschließend bearbeitet. 1.035 km ländliche Wege wurden gebaut und in 1.604 Förderschwerpunkten der Dorferneuerung wurden 43.033 Maßnahmen gefördert.

(Beifall bei der CDU)

An diese positiven Erfahrungen und Beispiele können wir bei dem Ziel der Landesregierung anknüpfen, die Effizienz der Förderprogramme noch weiter zu erhöhen. Im Blick auf begrenzte finanzielle Mittel ist die Leistungsfähigkeit ländlicher Regionen aus eigener Motivation heraus zu stärken. Dem dient auch die Vernetzung der Instrumente und die Einbindung aller Akteure. Die Ideen und das Engagement der Menschen vor Ort sind das Wichtigste. Oft bewegen wenige viel. Hier zu unterstützen, auch mit regionalem Management oder Modellversuchen, ist Anliegen der Landesregierung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, leistungsfähige Infrastrukturen sind Grundlage für wirtschaftliche Aktivitäten, gewerbliche Investitionen zur Verbesserung der Beschäftigungssituation. Da misst die Landesregierung der Förderung der Infrakstruktur im ländlichen Raum besondere Bedeutung zu. Dies betrifft z.B. die Verkehrserschließung, die Einrichtung zur Versorgung und den Ausbau einer umweltgerechten Wasserversorgung und Abwasserbehandlung sowie der Abfallwirtschaft. 1,27 Mrd. DM Fördermittel wurden für die Trinkwasserver- und Abwasserentsorgung von 1994 bis 1999 bereitgestellt. Für die gewerbliche Wirtschaft und die wirtschaftsnahe Infrastruktur waren es im gleichen Zeitraum knapp 7 Mrd. DM. Die sozialistische Planwirtschaft bescherte uns als Hinterlassenschaft mehr als 6.000 sanierungsbedürftige Altdeponien. Von 81 Hausmülldeponien, die 1991 noch betrieben wurden, sind 19 übrig geblieben. Nur zwei davon entsprechen noch nicht vollständig dem Stand der Technik. 170 Mio. DM wurden für die Siedlungsabfallwirtschaft und 12 Mio. DM für Altlasten bereitgestellt, um Deponien auf den Stand der Technik zu bringen, zu erschließen, zu sanieren und zu rekultivieren.

Das Aufkommen an Abfällen ging wesentlich zurück. Von 1993 bis 1999 schrumpften die pro Einwohner und Jahr erfassten Abfallmengen von 291 kg auf 159 kg. Gleichzeitig stieg die Wertstoffmenge von 157 kg auf 200 kg pro Einwohner und Jahr an. Die Entsorgungsinfrastruktur deckt auch zukünftig den Bedarf. Der Schienen- wie auch der Straßenpersonennahverkehr sind in den vergangenen Jahren spürbar verbessert worden. Von 1994 bis 1999 wurden rund 570 Mio. DM für Straßenpersonennahverkehr im ländlichen Raum zur Verfügung gestellt. Dadurch konnten sozialverträgliche Tarife gewährleistet werden. Die Straßen- und Schieneninfrastruktur wurde im gleichen Zeitraum mit über 1 Mrd. DM gefördert. Ein ho

hes Sicherheitsniveau hinsichtlich der öffentlichen Ordnung des Brand- und Katastrophenschutzes, der allgemeinen Hilfe sowie des Rettungsdienstes für alle Bürger ist erklärtes Ziel der Landesregierung.

(Beifall bei der CDU)

Den Trägern dieser Aufgaben wurden Zuwendungen für die notwendigen Investitionen bereitgestellt. Allein für den Brandschutz wurden 287 Mio. DM Fördermittel von 1991 bis 2000 ausgezahlt. Damit konnten 426 Feuerlöschgerätehäuser neu, um- und ausgebaut werden.

(Beifall bei der CDU)

1.192 Feuerwehrfahrzeuge und 114 Feuerwehrgroßgeräte wurden angeschafft.

Wir müssen angesichts der alarmierenden Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung alles tun, damit die Menschen im Lande und auf dem Lande bleiben. Mehr und bessere Arbeitsplätze zu schaffen bedeutet, in Menschen zu investieren. Die Landesregierung sieht es als vordringlich an, allen Menschen die Möglichkeit für eine ausreichende allgemeine und berufliche Bildung und somit Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu geben. Die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen hat oberste Priorität bei der Entwicklung ländlicher Räume. Belebung von Wirtschaftskraft und Beschäftigung heißt deshalb: Investitionen in eine leistungsfähige und bedarfsgerechte Infrastruktur; Förderung und Ansiedlung kleinerer und mittlerer Unternehmen; Sicherung einer leistungs- und wettbewerbsfähigen, umweltverträglichen Land- und Forstwirtschaft, die den Grundsätzen des Verbraucherschutzes verpflichtet ist; Schaffung von Arbeitsplätzen außerhalb der Land- und Forstwirtschaft; Gestaltung attraktiver Wohnbedingungen; Erhaltung eines hohen Umwelt-, Freizeit- und Kulturwertes.