Protokoll der Sitzung vom 06.04.2001

Verehrte Damen und Herren, die Kritiker direkter Demokratie behaupten immer, der Diskussions- und Entscheidungsprozess im Parlament sei gemeinwohlorientierter als bei der direkten Demokratie. Das ist eine idealistische Fiktion. Ein Blick auf die parlamentarische Wirklichkeit gerade in Thüringen zeigt aber etwas anderes: In der politischen Praxis, nicht nur der derzeitigen Wahlperiode, findet ein wirklicher demokratischer Entscheidungs

prozess meistens nicht statt. Oppositionelle Positionen haben meist keine Chance, spielen im parlamentarischen Diskussionsprozess kaum eine Rolle, sie haben nämlich einen Makel: Es sind Vorstellungen, Vorschläge und Hinweise von der Opposition. Die Mehrheitsfraktion drückt also ihre Vorstellungen oder die Vorhaben der Landesregierung mit ihren Mehrheitsentscheidungen durch.

(Unruhe bei der CDU)

Meine Damen und Herren der CDU-Fraktion, Sie mögen ja dagegen protestieren, es mag nervig sein, aber ich zitiere in diesem Zusammenhang gern die Aussage von Ministerpräsident Vogel hier im Haus. Herr Vogel sagte: "Der Koalitionsausschuss ist tot - es lebe die Landesregierung."

(Zwischenruf Dr. Vogel, Ministerpräsident: Nein, nein, der Landtag!)

Der Landtag, Entschuldigung.

(Unruhe und Heiterkeit im Hause)

(Zwischenruf Abg. Dr. Zeh, CDU: Da war das vorhin wohl auch ein Versprecher?)

Nein, Entschuldigung. In meinem Redemanuskript steht es auch richtig. Ich zitiere korrekt: "Der Koalitionsausschuss ist tot - es lebe der Landtag." Herr Vogel, dieser Ausspruch ist doch das Eingeständnis oder etwa nicht, dass in Zeiten der Koalition der Koalitionsausschuss über dem Landtag steht und die Debatten im Landtag eben nicht zu einem wirklichen demokratischen Entscheidungsprozess führen.

(Beifall bei der PDS)

Denn diese Entscheidungen sind doch schon im Koalitionsausschuss bereits getroffen worden.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, PDS: Dies ist wirklich die Zumutung.)

Und jetzt? Ich erlebe hier seit Oktober 1999 ohne Koalitionsausschuss unter den Bedingungen der absoluten Mehrheit einer Fraktion aber Ähnliches. Ich will gar nicht auf einzelne Sachentscheidungen eingehen. Ich verweise in diesem Zusammenhang immer wieder auf die zweite Sachentscheidung des Thüringer Landtags in der 3. Wahlperiode. Mit Drucksache 3/29 am 07.10.1999 hier im Plenum wurde nach der Aussprache über die Regierungserklärung die Änderung der Geschäftsordnung beschlossen, aber die schränkte durch die Mehrheitsentscheidung der CDU die Einflussmöglichkeiten der Oppositionsfraktionen in Sachen Ausschüsse ein. Mit der Änderung des Sitzverteilungsverfahrens wurden die Oppositionsfraktionen eindeutig gegenüber der Mehrheitsfraktion benachteiligt. So viel, meine Damen und Herren, zu gemeinwohlorientierten Entscheidungen von bestimmten Entscheidungen

des Parlaments.

Betrachtet man nun das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren, wird deutlich, dass hier eine viel eingeengtere Diskussion von Gesetzesvorschlägen stattfindet als bei Volksbegehren. Bestimmte Bevölkerungsteile haben hier anders als bei Volksbegehren - nicht einmal die Möglichkeit, sich am Diskussions- und Entscheidungsprozess zu beteiligen. Die Erfahrungen mit ihrem Volksbegehren "Mehr Demokratie in Thüringen" haben gezeigt, dass es eine breite, sehr fundierte Diskussion in der Bevölkerung gegeben hat. Es gab viele Veranstaltungen, bei denen Befürworter, aber auch Kritiker des Volksbegehrens ernsthaft und sachlich miteinander debattierten. Auch Sie, Herr Althaus, als CDU-Abgeordneter haben nach meinen Kenntnissen u.a. auch im Eichsfeld Ihre eigenen Erfahrungen dabei gesammelt. Ein Ziel des Volksbegehrens, eine größere Information der Bürgerinnen und Bürger über ihre Rechte als noch vor einem Jahr, ist erreicht. Dabei möchte ich das nicht nur auf Thüringerinnen und Thüringer einschränken. An den Informationsständen, an den Veranstaltungen haben Bürgerinnen und Bürger auch anderer Bundesländer teilgenommen, ob als Gäste des Freistaats, als Urlauber, als Kurgäste und vieles andere mehr. Jetzt wird sich zeigen, ob das zweite Ziel der Initiative erreichbar ist.

Werte Damen und Herren, trotz der Erfahrungen in den anderen Bundesländern davon auszugehen, dass direkte Demokratie unter der Fuchtel von radikalen Einzelinteressen stehen würde, geht meines Erachtens völlig an der Realität auch in den Ländern mit niedrigeren Quoren vorbei. Ebenso geht es völlig an der Realität vorbei, das Parlament als Hort des über alle Anfechtungen erhabenen Gemeinwohls darzustellen.

(Beifall bei der PDS)

Direkte Demokratie unterliegt eben nicht dem Prinzip der kommunizierenden Röhren, hier weniger Parlament, da mehr direkte Demokratie - nein, direkte Demokratie stärkt das Parlament.

(Beifall bei der PDS)

Es beunruhigt höchstens Parlamentarier, die sich vor selbstbewussten Entscheidungen mündiger Bürger eventuell fürchten.

(Beifall bei der PDS)

Und, Herr Gnauck, dass die CDU hier in Thüringer weniger rechtsdogmatische und staatstheoretische Bedenken umtreibt, sondern, wie ich meine, machtpolitische, wenn sie sich gegen das Volksbegehren stellt, beweist die Tatsache, dass die CDU in Nordrhein-Westfalen ungeniert für mehr direkte Demokratie und die Ausdehnung der Möglichkeit von Volksbegehren und Volksentscheiden kämpft. Andererseits sei hier noch mal auf Sachsen

Anhalt verwiesen. Wenn ich ganz aktuell die Zeitung von heute nehme, dann drückt der Generalsekretär der CDU sein Unverständnis über die Thüringer Klage gegen Volksbegehren aus.

(Beifall bei der PDS)

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Das steht nicht in der Zeitung, dann lesen Sie mal den Text!)

Ich weiß nicht, welche Zeitung Sie lesen: Im Berliner Konrad-Adenauer-Haus ist man irritiert über das klare Nein der Thüringer Landesregierung zu einer größeren Bürgerbeteiligung an politischen Entscheidungsprozessen. Wenig Verständnis hat man auch für die Klage der Landesregierung gegen das Volksbegehren für "Mehr Demokratie".

(Unruhe im Hause)

(Zwischenruf Köckert, Innenminister: Überschriften vorlesen kann jeder.)

Das mag ja nun die Zeitung interpretiert haben, den Brief von Herrn Laurenz an Herrn Müntefering

(Heiterkeit im Hause)

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: War der Name Laurenz Meyer?)

Herr Meyer, Entschuldigung. Ich hatte schon ein anderes Wort auf der Zunge.

(Unruhe im Hause)

Aber um das vielleicht aufzuhellen, das unterschiedliche Verhalten von CDU-Landesverbänden in unterschiedlichen Bundesländern oder auch auf Bundesebene insgesamt, das Rätsel des völlig gegenläufigen Verhaltens in Thüringen und in Nordrhein-Westfalen lässt sich vielleicht ganz einfach auflösen.

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Lesen Sie mal das vor, was...)

In Thüringen stellt die CDU seit 1990 die Mehrheit, Herr Althaus, in Nordrhein-Westfalen aber befindet sie sich seit Jahrzehnten in der Opposition.

(Beifall bei der PDS)

Die CDU in Nordrhein-Westfalen scheint also aus eigener Erfahrung zu wissen, wie es ist, wenn man mit seinem Vorhaben von einer anderen politischen Mehrheit dauernd abgebügelt wird. Und prompt hat sie für sich entdeckt, wie gut das Volksbegehren sich dazu eignet, die nach Jahrzehnten durch absolute Mehrheit eingetretene

parlamentarische und politische Erstarrung zu durchbrechen. Die CDU in Thüringen scheint sich dagegen bequem in ihrer Mehrheit eingerichtet zu haben und will sich darin durch nichts stören lassen.

(Beifall bei der PDS)

Einen Moment mal bitte. Ich bitte weiter um Ruhe und auch die beiden anderen Fraktionsvorsitzenden kommen sicher zu Wort, wenn sie das möchten.

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Wir haben einen bürgerschaftlichen Dialog gehabt.)

Wir sind aber im Parlament. Bitte, Herr Buse.

Meine Damen und Herren, wir glauben, wenn diese lebendige Verbindung zwischen Parlament und den Bürgerinnen und Bürgern einschläft oder auch abstirbt, dann verselbständigen und entfremden sich die zivilgesellschaftliche und politisch parlamentarische Sphäre mit sehr fatalen Folgen: die Demokratie stirbt ab. Denn was ist Demokratie anderes als diese ständige Wechselwirkung zwischen der Zivilgesellschaft und ihren politischen Institutionen. Die seit Jahren sinkende Wahlbeteiligung gerade auf Kommunal- und Landesebene ist untrügliches Zeichen für diesen fatalen Prozess. Um dem entgegenzusteuern, ist die Erweiterung und Möglichkeit direkter Demokratie sinnvoll und bitter notwendig. Begreifen wir alle, also auch Sie, verehrte Landesregierung, und Sie, meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, das Volksbegehren für mehr direkte Demokratie hat eine Chance, den Parlamentarismus

(Beifall bei der PDS, SPD)

und damit auch die Thüringer Verfassung und die Wahlbürger näher zueinander zu bringen. Selbst wenn Sie, die Kritiker des Volksbegehrens, zu Einzelfragen kritisch stehen und hier Veränderungen anmahnen, dann bringen Sie es jetzt konstruktiv ein, aber lassen Sie uns endlich mit den Beauftragten des Volksbegehrens mit dem Ziel reden, einen gemeinsamen Konsens zwischen Landtag, Landesregierung und den Fraktionen sowie den 363.123 Bürgerinnen und Bürgern zu finden.

(Beifall bei der PDS, SPD)

363.000 Unterstützerunterschriften sollten auch für die Landesregierung eine Verpflichtung sein, mit der Initiative über eine sinnvolle Umsetzung des Bürgeranliegens zu reden und nachzudenken, aber gegenwärtig empfinde ich eher das Gegenteil. In diesem Sinne würde ich auch den Amtseid des Ministerpräsidenten und der Minister der Landesregierung verstehen. Sie haben geschworen, Ihre

Kraft einzusetzen zum Wohle des Volkes, Verfassung und Gesetze zu wahren, Pflichten gewissenhaft zu erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann zu üben!

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Genau!)