Protokoll der Sitzung vom 06.04.2001

Ich bin mir deshalb so sicher, weil wissenschaftliche Untersuchungen gezeigt haben, dass gerade unter denjenigen, die das geringste Interesse an Politik zeigen, die stärkste Zustimmung zur direkten Demokratie zu finden ist.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, PDS: Das ist ja abenteuerlich.)

(Unruhe bei der PDS, SPD)

Lesen Sie die deutsche Nachweisstudie von 1998 des Wissenschaftszentrums in Berlin, Herr Buse.

(Zwischenruf Abg. Buse, PDS: Das können wir machen.)

Die Zustimmungsrate für die direkte Demokratie steigt in Westdeutschland von 34 Prozent bei den stark politisch Interessierten auf 75 Prozent bei denen, die kein politisches Interesse haben. In Ostdeutschland befürworten nach dieser Studie 57 Prozent unter den stark politisch Interessierten die direkte Demokratie und unter den politisch Desinteressierten 69 Prozent.

(Zwischenruf Abg. Dittes, PDS: Das sind bei- de Male jedenfalls Mehrheiten, und zwar deutliche.)

Na ja, wenn Sie die Zahl 34 Prozent als Mehrheit sehen, dann mag das Ihre Erkenntnis sein.

(Zwischenruf Abg. Dittes, PDS: Liegt Thü- ringen schon in den alten Ländern?)

Die Ergebnisse des "Thüringer Monitors 2000" bestätigen diesen paradoxen Befund auch für Thüringen. Eine überdurchschnittliche Zustimmung zu plebiszitären Entscheidungsformen ist gerade bei den Mitbürgern zu finden, die davon ausgehen, dass die Entscheidungskompetenz der Bevölkerung bei komplizierten politischen Sachfragen gering ist. Die Autoren der Studie nennen dieses Ergebnis "desaströs", weil Sachgemäßheit und Aspekte der sozialen und politischen Gerechtigkeit für viele Befürworter der direkten Demokratie offenbar eine untergeordnete Rolle spielen; die Form der Entscheidungsfin

dung steht über der sachlichen und fachlichen Qualität der Entscheidung. Ich denke, das sollte uns zu denken geben und mahnt auch zur Vorsicht, wenn man über die Dimension direkt demokratischer Elemente spricht. Das spricht nicht gegen direkt demokratische Elemente, aber es spricht dafür, dass wir gut überlegen, welche konkrete Ausprägung der direkt demokratischen Elemente gefunden wird. Deswegen haben die Quoren erstens die Aufgabe, vor Missbrauch der direkt demokratischen Elemente zu schützen,

(Beifall bei der CDU)

denn der Vorrang des Parlaments als oberstes Organ der demokratischen Willensbewegung darf nicht in Frage gestellt werden - es sind eben keine gleichberechtigten Elemente -, und zweitens sollen entsprechend qualifizierte Quoren die Relevanz eines Themas für das Gemeinwesen insgesamt verdeutlichen. Gegen beide Prinzipien verstößt der vorgelegte Gesetzentwurf in eklatanter Weise.

(Beifall bei der CDU)

Ich will das im Einzelnen an Beispielen deutlich machen:

Erstens - zum Bürgerantrag: Im Blick auf unser deutliches Bedenken gegen den Inhalt des Volksbegehrens spielt dieser Punkt eine untergeordnete Rolle. Die im Gesetzentwurf vorgesehene Neuregelung zum Bürgerantrag ist vielmehr unter Rücksicht auf die Arbeitsfähigkeit des Parlaments und hinsichtlich der Themenrelevanz für das ganze Land bedenklich. Ein Bürgerantrag muss bisher von 6 Prozent der Stimmberechtigten unterzeichnet sein und muss sicherstellen, dass wenigstens in der Hälfte der Landkreise 5 Prozent ihre Unterschrift abgegeben haben. Dieses Verteilungsquorum soll sicherstellen, dass ein entsprechender Sachverhalt mit überregionaler Bedeutung auch zur Verhandlung in diesem Parlament ansteht. Mit dem Vorschlag der Volksbegehrensinitiative soll eine derartige Flächenklausel vollkommen entfallen und außerdem die Unterschriften von rund 1,25 Prozent der Wahlberechtigten ausreichend sein.

Zur Illustrierung: Zur Zeit...

(Zwischenruf Abg. Schemmel, SPD: Das muss nicht noch einmal illustriert werden.)

Na, bei Ihrem Zahlenverständnis denke ich schon, dass es noch einmal illustriert werden muss, Herr Schemmel.

(Zwischenruf Abg. Schemmel, SPD: Herr Fraktionsvorsitzender, versuchen Sie doch mal, politische Wertungen abzugeben.)

Herr Schemmel, Sie hatten mehrmals um Ruhe während Ihrer Rede gebeten.

(Beifall bei der CDU)

Ich darf bitten, dass der Abgeordnete Althaus in seinen Ausführungen fortsetzen kann.

Vielleicht säße er heute gar nicht hier bei seinen Rechenkünsten mit 12 Prozent.

(Zwischenruf Abg. Dr. Dewes, SPD: Das hat wenig mit Politik zu tun.)

Bei einer durchschnittlichen Zahl von 45.000 Stimmberechtigten in den Wahlkreisen hieße das, dass schon ein Bruchteil, nämlich 25.000 der Wahlberechtigten aus einem einzigen Wahlkreis, weil keine Flächenklausel mehr vorgegeben ist, eine sehr lokale Angelegenheit zum Beratungsgegenstand verpflichtend machen kann.

(Zwischenruf Abg. Dr. Dewes, SPD: Das ist doch hier keine Schulstunde.)

Selbst in den Vorschlägen der Arbeitsgruppe "Partizipation", Herr Kollege Dr. Dewes, unter Leitung Ihrer und unserer Bundesministerin Herta Däubler-Gmelin ist ein Verteilungsquorum 1 Prozent der Wahlberechtigten aus mindestens der Hälfte der Bundesländer vorgesehen. Trotzdem, auch das sage ich, spielt diese Problematik Bürgerantrag letztlich im Blick auf das Thema eine untergeordnete Rolle, weil der Bürgerantrag eigentlich gar kein direkt demokratisches Mittel ist, es ist letztlich der Ausdruck einer Massenpetition. Deshalb möchte ich bei diesem Thema auch deutlich machen, dass über die konkrete Ausgestaltung immer gesprochen werden kann, aber die Relevanz der Themenbestellung ist eine ganz entscheidende Frage.

Zweitens - das entscheidende, das wichtige Problem "Volksbegehren" und "Volksentscheid": Das Verfahren bei Volksbegehren und Volksentscheid ist in Thüringen wie in allen Ländern mehrstufig. Davon ist heute bisher überhaupt nicht die Rede gewesen, sondern der Eindruck vermittelt worden, als wenn das alles eine gemeinsam zu verhandelnde Materie wäre. Zur Verhinderung von Missbrauch, zum Erhalt des Vorrangs des Parlaments als oberstes Gesetzgebungsorgan und zur Prüfung der Relevanz sind eben diese verschiedenen Stufen und Hürden entwickelt worden. Es sind übereinstimmend in allen Ländern drei Hürden: die Unterschriftensammlung für den Antrag auf Zulassung, die Unterschriftensammlung für das Zustandekommen und die Abstimmungsmodalitäten. Diese drei Elemente dürfen nicht unabhängig voneinander betrachtet werden, sondern sie bilden eine untrennbare Einheit. Genauso wie bei einem komplexen technischen Mechanismus kann man eben nicht beliebig die Schrauben an all diesen Elementen anziehen oder lockern, sondern muss darauf achten, dass die Stabilität und die Funktion insgesamt gewährleistet bleibt.

(Beifall bei der CDU)

Das heißt, das Gesamtanliegen, parlamentarische Demokratie zu sichern, muss eine Gesamtsicht auch verpflichten.

Deshalb darf ich zu den drei Hürden im Einzelnen etwas sagen. Die erste Hürde - 5.000 Unterstützungsunterschriften - ist unstrittig. Die zweite Hürde - Unterschriftensammlung für das Zustandekommen des Volksbegehrens -, hier soll die Zahl von 14 Prozent auf 5 Prozent gesenkt werden und zugleich soll die Frist von vier Monaten auf sechs Monate verlängert werden.

(Zwischenruf Abg. Schemmel, SPD: Daran ist nichts neu.)

180.000 Unterschriften weniger und zwei Monate mehr bedeuten eine erhebliche Erleichterung für die Initiatoren möglicher Volksbegehren.

(Beifall bei der PDS)

Vergleichbare Regelungen gibt es natürlich in Deutschland, z.B. in Schleswig-Holstein und in Brandenburg. Aber

(Zwischenruf Abg. Gerstenberger, PDS: Die sind nicht verfassungswidrig.)

sehen Sie, das ist Ihre selektive Wahrnehmung, weil Sie nicht bis zum Ende hören und lesen -, und das ist entscheidend, in beiden Ländern ist die dritte Hürde, nämlich ein entsprechendes Zustimmungsquorum bei Volksentscheiden, vorgesehen. Das Zustimmungsquorum für einfache Gesetze liegt in beiden Ländern jeweils bei 25 Prozent. Die Initiatoren wollen dieses auf null setzen. Und bei verfassungsändernden Gesetzen ist eine Zweidrittelmehrheit der Abstimmenden und die Zustimmung von 50 Prozent der Wahlberechtigten erforderlich. Die Initiatoren wollen auf 25 Prozent senken. Das heißt, genau diese Kumulation ist das Problem, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Wenn diese Kumulation zur Wirkung käme, wäre das eine Schieflage, der wir auf keinen Fall zustimmen können.

(Beifall bei der CDU)

Herr Buse hat dann die abenteuerliche Diskussion um die 5-Prozent-Wahl-Mindesthürde für die Parlamente in den meisten Ländern und im Bund angesprochen. Sehr geehrter Herr Buse, Sie sehen an der Stelle einmal mehr, dass Sie das Problem nicht verstanden haben. Wenn eine Partei mit 5 Prozent in diesem Landtag vertreten ist, ist sie nicht automatisch gesetzgebende Mehrheit,

(Zwischenruf Abg. Ramelow, PDS: Nein, Sie haben nicht zugehört.)

sondern sie ist nichts anderes als eine verkörperte Einbringung von Meinungen, von Anträgen. Letztlich können Sie sagen: wie ein Bürgerantrag, der in einer Fraktion sich dann auch manifestiert, aber nicht die Mehrheit ist damit gesichert.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, PDS: Das hat er überhaupt nicht gesagt.)

Sicher haben Sie die F.D.P. benannt und haben

(Zwischenruf Abg. Dr. Koch, PDS: Sie haben es nicht begriffen.)

Aber Sie haben es begriffen! Das ist gut, das ist hilfreich, dass Sie es begriffen haben.

Herr Abgeordneter Koch, lassen Sie bitte Herrn Althaus fortsetzen.

Natürlich gibt es in der Tat auch Länder, die an der dritten Hürde, dem Volksentscheid, niedrigere Zustimmungsquoren verlangen als Thüringen; bei einfachen Gesetzen z.B. Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Bayern, die ohne Mindestzustimmung auskommen. Aber hier trifft wieder zu, dass dann die zweite Hürde entsprechend hoch ist, Bayern 10 Prozent, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz sogar 20 Prozent. Überall bleiben dann nur 14 Tage für die erforderliche Sammlung, d.h., auch hier sind Systematik und Symmetrie gewahrt.

(Beifall bei der CDU)