Frau Vopel, wenn man etwas vorwärts bringen will, muss man doch einfach erst einmal bereit sein, ein Stückchen auf den anderen einzugehen. Ich habe es doch mit Ihnen jetzt auch gemacht. Sind Sie doch mal so nett und kommen Sie mir einen halben Zentimeter entgegen.
Frau Vopel, unbestritten ist, dass einige Unternehmen ich habe das auch in meiner Rede gesagt, wenn Sie mir heute Vormittag zugehört haben, haben Sie das auch mitbekommen - scheinbar darüber klagen, dass sie Fachkräftemangel haben.
Die wissenschaftlichen Untersuchungen sagen, es ist ein herbeigeredeter Umstand, der nicht der Realität entsprechen kann.
Dann hat die Wissenschaft nicht Recht, dann haben wir schlecht ausgebildete Wissenschaftler in Thüringen, die in der soziologischen Studie festgestellt haben, dass was falsch läuft, was in der Realität ganz anders aussieht, weil der Ministerpräsident der Meinung ist, die Realität ist eine andere, als sie die Wissenschaft festgestellt hat.
Herr Ministerpräsident, nun wird es kompliziert, Sie geben Studien in Auftrag und haben sie noch gar nicht gelesen.
Da gab es eine sozialwissenschaftliche Studie zum Fachkräftemangel in Thüringen. Die hat ca. 96 Seiten, die ist von der sozialwissenschaftlichen Fakultät der FriedrichSchiller-Universität in Jena. Herr Minister Schuster nickt. Die ist uns übrigens freundlicherweise von Ihrer Landesregierung zur Verfügung gestellt worden. Die stammt vom Ende letzten Jahres. Ich weiß nicht, ob sich dort so sehr viel geändert hat in den letzten fünf Monaten?
Herr Ministerpräsident, wir können uns jetzt gern darüber streiten, welche Studien Sie wann in Auftrag gegeben haben. Das bringt mich übrigens auf einen Nebensatz. Wir hatten vor ein paar Monaten den Vorschlag gemacht, die Landesregierung möge eine Datenbank einrichten, um darin zu speichern, welche Gutachten alle in diesem Land existieren, so dass nicht Doppelarbeit gemacht wird. Ihre Aussagen deuten jetzt darauf hin, dass das eine sehr berechtigte Forderung war.
Ich komme noch mal darauf zurück. Nein, ich komme noch einmal darauf zurück, Herr Minister, weil es mir dabei wirklich um etwas ganz anderes geht. Diese Unternehmen klagen auf der einen Seite, dass es Fachkräftemangel gibt. Auf der anderen Seite haben wir 190.000 registrierte Arbeitslose. Die Arbeitsämter klagen darüber, dass die Wirtschaft zwar behauptet, sie hätte einen Fachkräftemangel, aber immer dann, wenn die Arbeitsämter fragen, worin denn der Bedarf der Wirtschaft bestände, würde von den Ausbildungskoordinatoren keiner sagen können, was wirklich fehlt. Das beschreibt unter anderem dieser Antrag. Sollte es uns gelingen, mit einer sachlichen Diskussion des Antrags allein diesen Widerspruch aufzulösen, hätten wir sehr, sehr viel bereits gekonnt. Wenn Sie sich natürlich dieser Debatte und der Lösung dieses sicherlich zugegebenermaßen kleinen Problems verweigern, meine Damen und Herren, wie wollen wir denn
dann mit Ihnen gemeinsam als Opposition Lösungsansätze zur Veränderung des Gesamtinstrumentariums diskutieren? Sie können sich doch nicht beim kleinen Punkt schon verweigern. Sehen Sie doch bitte einmal ein, dass es Sinn macht, so eine Debatte und so eine Diskussion zu führen, und dass es auch Sinn machen kann, im Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Strukturpolitik diese Diskussion zu führen, weil wir diese Ansätze brauchen. Das hilft da draußen den Leuten nichts, dass die CDU die führende Rolle bewiesen hat und die PDS in der Opposition Recht zu behalten versucht, indem sie auf ihrer Meinung beharrt. Wir müssen uns bewegen, weil wir - Sie zuallererst, weil Sie die Regierungsverantwortung haben - daran gemessen werden, ob sich etwas bewegt oder nicht.
Da hilft es uns nichts, mitzuteilen, dass die zweite Schwelle mit 60 Leuten bisher genutzt wird - welch revolutionäres Ergebnis bei fast 200.000 Arbeitslosen! Da hilft es uns auch nichts, zu erklären, dass die Langzeitarbeitslosen über 55 weniger geworden sind, Herr Bergemann.
Da müssen wir auch die demografische Entwicklung mit berücksichtigen und mit ins Boot nehmen. Es geht dort um jeden Einzelnen, auch um die Frage solcher ungeklärten Problemfälle. Lassen Sie uns doch einfach einmal diese Diskussion führen, nicht von plakativer Stelle hier von diesem Pult aus, sondern in einer sachlichen Diskussion, weil ich der festen Überzeugung bin, dass wir auf diesen Punkt spätestens in einem Jahr zurückkommen, wenn Sie plötzlich einen Lösungsvorschlag dafür anbieten, wenn Ihnen die Wirtschaft genügend auf den Füßen gestanden ist und das unerträglich wird, wenn mit plakativen Äußerungen von dieser Seite ein Fachkräftemangel beschworen wird, der in der Realität - und dabei bleibe ich bis zum Widerruf - so nicht existiert.
Wir können nicht auf der einen Seite davon reden, dass wir 200.000 gut ausgebildete Fachkräfte haben als Ressource für dieses Land für die wirtschaftliche Entwicklung, und auf der anderen Seite auf den ersten Unternehmer hören, der feststellt, er braucht Fachkräfte und findet in gesamt Thüringen keine unter den 200.000 und das hinstellen als das notwendige Problem. Darum geht es in diesem Antrag. Das ist die Quintessenz und das unterstützen wir als PDS-Fraktion bei allen Problemen, die wir damit haben, dass wir sachlich über diesen Antrag im Ausschuss diskutieren. Um nichts anderes geht es heute, meine Damen und Herren.
Herr Gerstenberger, ich bin ja schon auf Sie zugekommen, nur genau darum geht es in diesem Antrag eben nicht. Das ist der Punkt. Ich wollte eigentlich der Frau Heß eine Zwischenfrage stellen, aber sie war so schnell weg. Es muss doch einen Grund haben, wenn nur ein gutes Drittel der wirklich freien Stellen dem Arbeitsamt gemeldet werden. Das sollten wir uns doch einmal überlegen und auch wie wir da herankommen.
(Zwischenruf Abg. Gerstenberger, PDS: Las- sen Sie uns das als zweiten Punkt mitnehmen und im Ausschuss diskutieren.)
Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, auch wenn es Frau Heß nicht glauben will, der eigentliche Adressat des SPD-Antrags ist der Bund,
denn der Bund ist aufgefordert, sich Gedanken zu machen darüber, wie man das SGB III weiterentwickeln muss, um seine Leistungen zu verbessern.
Meine Damen und Herren, wenn man heute Bilanz zieht mit Blick auf die Langzeitarbeitslosen, dann muss man feststellen, es gibt zahlreiche Richtlinien, auch des Bundes, zur Durchführung von Maßnahmen für Langzeitarbeitslose. Es gibt diese Programme nicht nur auf Bundes-, sondern auch auf Landesebene. Ich darf Ihnen einmal einige nennen: die Richtlinie zur Einstellung für schwer vermittelbare Arbeitslose; das Programm "Arbeit statt Sozialhilfe"; das Programm "50 PLUS"; Existenzgründungsprogramme; SAM, hier beträgt der Anteil Langzeitarbeitsloser über 50 Prozent; ABM, Anteil dieser Personengruppe 84 Prozent. Also, es ist ja nicht so, als gäbe es keine Programme. Zu prüfen ist, ob das die richtigen Programme sind. Wir müssen uns fragen, warum der Anteil der Langzeitarbeitslosen wiederum gestiegen ist, obwohl Jahr für Jahr Hunderte von Millionen bereitgestellt werden für Maß
nahmen zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit. Man muss feststellen, dass die Maßnahmen der Arbeitsverwaltung dann ansetzen, wenn man schon mehr als ein Jahr arbeitslos ist. Und wenn man so herangeht, ist natürlich klar, dass die Vermittlungschancen bereits sehr rapide gesunken sind, bevor die Maßnahmen Platz greifen. Das heißt, die Arbeitsmarktpolitik muss zu einem früheren Zeitpunkt ansetzen mit Maßnahmen, und zwar bei den so genannten Risikogruppen, die geprägt sind durch die Kennzeichen: höheres Alter, Qualifikationsdefizite, Leistungseinschränkungen usw. Hier muss man früh ansetzen mit Maßnahmen, um überhaupt helfen zu können. Notwendig sind "Präventive Maßnahmen".
Herr Gerstenberger, Sie haben eine ganz andere Diskussionslinie eröffnet mit Ihrem Hinweis auf den Zusammenhang zwischen Wachstum und Beschäftigung und Arbeitslosenquote. Natürlich ist klar, je höher die Wachstumsrate ist, umso höher ist normalerweise auch das Wachstum an Arbeitsplätzen. Aber daraus zu folgern, das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit sei zurückzuführen auf unzureichendes Wachstum, ist schlicht und einfach falsch. Deren Hauptursachen sind die genannten Risikofaktoren. Tatsache ist, Herr Gerstenberger, wir haben zurzeit schon ein dreigeteiltes Problem. Wir haben ein Defizit an Bewerbern in bestimmten Ausbildungsberufen. Zum Zweiten haben wir einen Mangel an Arbeitskräften in bestimmten Sparten und Regionen. Und Sie haben jetzt die Fachkräfte und den Fachkräftemangel angesprochen, die von den beiden anderen Gruppen zu unterscheiden sind.
Der Fachkräftemangel ist durchgängig ein Problem unserer Wirtschaft. Wir haben es zu tun mit einem Fachkräftemangel, der in allen Branchen gegeben ist und abgebaut werden muss.
Auch hier besteht kein zwingender Zusammenhang zu dem Thema Langzeitarbeitslosigkeit. Hier geht es in erster Linie darum, die typischen Risikofaktoren zu beheben. Wir brauchen nicht noch mehr Maßnahmen von der Art, wie wir sie schon haben, sondern wir brauchen andere Maßnahmen. Früher als der Bund hat die EU dieses Thema erkannt. Der ESF ist ja geprägt von diesem präventiven Aspekt. ESF macht uns Vorgaben für die Zukunft dahin gehend, auf die Langzeitarbeitslosigkeit vor allem mit präventiven Maßnahmen zu reagieren, d.h. mit zielgruppenorientierten Maßnahmen. Dem muss die Arbeitsverwaltung Rechnung tragen. Sie muss umsteuern und verstärkt präventive Qualifizierungsmaßnahmen ansetzen. Das Land, Frau Heß, hat auf dieses Erfordernis längst reagiert.
Es hat reagiert, indem das Programm "Zweite Karriere" aufgelegt wurde. Dabei geht es um zusätzliche, intensive und bedarfsgerechte Qualifizierungsmaßnahmen. Ich hab die Zahlen heute schon genannt. Das sind noch keine ganz großen Zahlen, aber sehr ermutigende Zahlen, die wir bisher mit diesen Programmen erreicht haben. Zu verweisen ist auch auf das Programm "50 PLUS", das ebenfalls darauf abzielt, Menschen frühzeitig aus der Arbeitslosigkeit herauszuholen. Die Landesregierung wird die Ziele Qualifizierung, Bildung, Ausbildungsmaßnahmen mit noch weiteren Programmen untersetzen und wir werden demnächst mit Arbeitsverwaltungen darüber reden, wie die gesamten Programme des Bundes und der Arbeitsverwaltung umgestellt werden müssen, um einen höheren Wirkungsgrad zu erreichen. Dass der Wirkungsgrad bisher unzureichend ist, das sagen inzwischen alle Arbeitsminister, auch der des Bundes. Die Frage ist dann nur: Wie müssen die künftigen Fortbildungs- und Weiterbildungsmaßnahmen der Arbeitsverwaltung aussehen. Mit unserem Konzept "Zweite Karriere" ist ein Modell konkret aufgezeigt. Weitere Modelle werden wir entwickeln. Darum geht es bei dem Thema Langzeitarbeitslosigkeit und nicht um allgemeine Diskussionen zum Wachstum, zur Produktivität, zur Fachkräftelücke. Das sind alles Fragen, die irgendwo eine Rolle spielen. Zentral und jetzt gefordert ist ein Umsteuern in Richtung Prävention. Vielen Dank.
Herr Minister Schuster, stimmen Sie mir zu, dass es ein bedenklicher Zustand ist, wenn die Arbeitsämter von Jena und von Gera für sich feststellen, dass trotz Nachfragen ihrerseits die Kammern und die Ausbildungskoordinatoren die tatsächlichen realen Bedarfe der Wirtschaftsunternehmen nach Fachkräften, also nach Qualifikationsstand der Fachkräfte, nicht benennen können. Es gab die Kritik, ich will es zur Erläuterung sagen, beim letzten
Arbeitsamtsgespräch von Seiten der Arbeitsämter - Herr Kölbel nickt, er war dabei. Es gibt von den Wirtschaftsunternehmen trotz Aufforderung keine Aussage, was braucht ihr an Qualifikation. Es gibt die Bereitschaft der Arbeitsämter, diese Ausbildungsanforderungen sofort umzusetzen in Qualifizierungsprogramme, aber es gibt keine Bedarfsanmeldung von Seiten der Wirtschaft.
Herr Gerstenberger, das stimmt so nicht. Es gibt ganz klare Aussagen über die Berufsgruppen, die fehlen. Im Metallbereich sind es eine ganze Reihe von Berufen, im IT-Bereich ist durchgängig eine Mangelsituation gegeben. Ich könnte Ihnen noch mehrere Sparten nennen, so z.B. den optoelektronischen Bereich oder die Mechatronik. Es gibt konkrete Meldungen. Was noch fehlt, ist eine konkrete Erfassung und eine konkrete Anmeldung des jeweiligen Unternehmens. Aber dazu gehen wir ja jetzt über, indem die Qualifizierungskoordinatoren den ganz konkreten Bedarf abfragen und den dann melden, damit bedarfsgerechte und maßgeschneiderte Ausbildung und Fortbildung stattfinden kann. Es muss jetzt nur noch konkreter definiert werden von dem jeweiligen Unternehmen, welche Fähigkeiten, welche Qualifikationen genau gefordert sind. Natürlich muss man das auch in der genauen Zahl dann erfassen. Man muss wissen, braucht das Unternehmen eine, zwei, drei oder fünf Fachkräfte. Zu diesem Zweck muss eine konkrete Bedarfserfassung und ein "Bestellwesen" organisiert werden.
Ja, Herr Minister, wenn Sie Ihre Antwort gegeben haben, dann danke ich Ihnen. Es sieht nicht so aus, dass es noch eine Wortmeldung gibt. Ich schließe damit die Aussprache und wir kommen zur Abstimmung. Zunächst ist ja Ausschussüberweisung beantragt worden, wir werden also zunächst darüber abstimmen. Es ist beantragt worden, den Antrag an den Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Strukturpolitik zu überweisen. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. Das müssten wir mal auszählen. Bitte lassen Sie die Arme noch oben, das müssen wir noch mal zählen, wir haben nämlich unterschiedliche Ergebnisse. Ich habe 25 gezählt. Jetzt machen wir zunächst einmal die Gegenprobe.