Protokoll der Sitzung vom 15.06.2001

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, sehr verehrte Vertreter auf der Regierungsbank, verehrte Besucher auf der Besuchertribüne. Ich eröffne unsere 46. Plenarsitzung des Thüringer Landtags am heutigen 15. Juni 2001. Als Schriftführer haben Platz genommen der Abgeordnete Höhn und der Abgeordnete Seela. Der Abgeordnete Seela wird die Rednerliste führen. Für die heutige Sitzung haben sich entschuldigt Herr Minister Schuster, der Abgeordnete Dr. Pidde, Frau Abgeordnete Stangner, Frau Abgeordnete Thierbach und Frau Abgeordnete Zimmer.

Wir kommen vereinbarungsgemäß zum Aufruf des Tagesordnungspunkts 1

Regierungserklärung zum Thema "Die Zukunft der Landwirtschaft im Freistaat Thüringen"

Die Regierungserklärung wird abgegeben von Herrn Minister Dr. Sklenar, ich bitte Sie.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, gestatten Sie mir zu Beginn meiner Ausführungen ein Wort dazu, dass einige Passagen der Regierungserklärung aufgrund der Kurzlebigkeit unserer Zeit anders ausgefallen sind, als in den Papieren steht, die Sie gestern bekommen haben. Aber das ist auch erklärlich, denn in der heutigen Zeit, wir sind in einer schnelllebigen Zeit, die Medien bringen uns immer viele Informationen, die man ganz einfach dann mit einbauen möchte.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, nachdem ich genau vor einem Jahr an dieser Stelle die Leitlinien der Umweltpolitik des Freistaats vorgestellt habe, möchte ich heute für die Agrarpolitik Bilanz und Ausblick geben. Dies tue ich in einer Zeit, in der die Agrarwirtschaft massiv in der Kritik steht. Das Auftreten von BSE hat eine schwere Vertrauenskrise der deutschen Verbraucherinnen und Verbraucher gegenüber ihrer Landwirtschaft hervorgerufen. Der Begriff der konventionellen Landwirtschaft droht zu einem Synonym für unnatürliches Tier- und Artenschutz missachtendes Handeln zu werden. Die Bundesregierung vermittelt fälschlicherweise den Eindruck, die konventionelle Landwirtschaft habe versagt und Ökolandbau sei die umfassende und allein gültige Antwort für die zu lösenden Probleme.

(Beifall Abg. Böck, CDU)

Demgegenüber steht die Landesregierung zur Landwirtschaft Thüringens, zu höherer Leistungsfähigkeit und zu ihrem Aufbauwillen. Für die Landwirte hat die Fortentwicklung, von der die Bundesregierung jetzt immer redet, schon längst begonnen. Die Thüringer Landwirtschaft hat ebenso wie die Forstwirtschaft und Gartenbau in der umwelt-, arten- und tierschutzgerechten Produktion ihren Platz. Der sorgsame Umgang mit den natürlichen Ressourcen gehört seit Jahren zum Pflichtprogramm der Landbewirtschaftung in Thüringen. Die Landesregierung dankt denjenigen, die, ob als Wiedereinrichter oder als Landwirt in den Betrieben, den Wiederaufbau, den Strukturwandel seit der politischen Wende in Thüringen geschafft haben. Dies ist eine außerordentliche Leistung, die höchste Anerkennung verdient. Agrarpolitik, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist ein dynamischer Prozess. Wir alle wissen, wie sehr dies vor allem für die jungen Länder zutrifft. Die Entwicklung ist nach wie vor rasant. Neben rein fachlichen Gründen hierfür stehen auch Interessen des Verbraucherschutzes im Mittelpunkt. Sie gewinnen vor allem hinsichtlich des Umweltbereiches, des Tierschutzes und der Qualitätskontrollen immer mehr an Bedeutung. Die Landesregierung sagt ausdrücklich Ja zu einer Neuausrichtung der Agrarpolitik in diesem Sinne. Sie verfolgt damit ihren bereits von Anfang an eingeschlagenen Weg kontinuierlich und konsequent weiter.

Ich werde Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, im Folgenden die von uns bereits vollzogenen Schritte und realisierten Maßnahmen vorstellen und die avisierten ehrgeizigen Ziele darlegen. Diese sind vom Realitätssinn gekennzeichnet und verzichten ausdrücklich auf populistische und modische Ankündigungen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Thüringer Landwirtschaft befand sich zur Wende 1989/90 in einem desolaten Zustand. Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften bestimmten das Bild. Die Landwirtschaft verursachte erhebliche Umweltprobleme, die Betriebe waren auf Marktwirtschaft und Wettbewerb völlig unvorbereitet, Anlagen und Maschinen waren veraltet. Heute zeigt sich eine vollständig andere Situation. Keines der genannten Probleme besteht mehr. Dank der außerordentlichen Anstrengung der Landwirte und der wirkungsvollen Unterstützung der Landesregierung hat die Landwirtschaft die Abkehr von der sozialistischen Planwirtschaft im Rahmen eines großen Umstrukturierungsprozesses geschafft.

(Beifall bei der CDU)

Lassen Sie mich zur Strukturpolitik, zu Arbeitsplätzen und zu den Kriterien landwirtschaftlicher Produktion etwas ausführen. Die Betriebsstrukturen sind seit fünf Jahren von hoher Stabilität. Die Landwirtschaftsbetriebe haben sich etabliert, sie sind strukturell konsolidiert. Die Voraussetzung für eine hohe Wettbewerbsfähigkeit ist gegeben. Die Landwirtschaft hat in Thüringen eine Erfolg versprechende Basis für eine zukunftsfähige Entwicklung. Zu oft noch führte aber die knappe Eigenkapitaldecke vieler Be

triebe dazu, dass diese gute Startposition nicht ausreichend genutzt werden kann. Die finanziellen Möglichkeiten sind vielfach auf das Äußerste strapaziert, erst recht dann, wenn die Banken weiterhin zurückhaltend bei der Übernahme von Risiken bleiben. Umstrukturierung bedeutet nicht nur Unterstützung von Wiedereinrichtern und Neugestaltung von Produktion und Betrieben; es ist dies immer auch ein Prozess der Vergangenheitsbewältigung. Hier bleiben noch Aufgaben, die bis zum heutigen Tag unsere Aufmerksamkeit erfordern. Die Privatisierung der ehemals volkseigenen Flächen geht mir viel zu langsam voran. Lang anhaltende Auseinandersetzungen mit der Europäischen Kommission haben zu großen Verzögerungen geführt. Wir sind zwar wegen des geringen Flächenumfangs weniger als die anderen neuen Bundesländer betroffen, die Sache muss aber schnellstens geklärt werden,

(Beifall bei der CDU)

denn ohne Herstellung und Sicherung des privaten Eigentums an Grund und Boden kann die Landwirtschaft nicht dauerhaft bestehen. Wir unterstützen daher die für die Privatisierung zuständigen Stellen mit allen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. Die Vermögensauseinandersetzungen sind in all den landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften nachfolgenden Betrieben durchgeführt worden. Durch den Bundesgerichtshof wurden die Auslegungen des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes in langwierigen Rechtsprechungen fortentwickelt und nun offensichtlich abschließend geklärt. Die letzten Grundsatzurteile ergingen im Jahre 1999. Für die ehemaligen LPG-Mitglieder und die betroffenen Betriebe besteht nun einige Rechtssicherheit. Wegen dieser ganzen Gestehungsgeschichte ist leider immer noch mit einem gewissen Zeitraum bis zum endgültigen Abschluss der Vermögensauseinandersetzung zu rechnen - wie ich meine, ein Ärgernis für alle Betroffenen und eine Herausforderung für deren rechtsstaatliches Verhältnis. Auch bei den Agraraltkrediten werden von der Thüringer Landesregierung alle Anstrengungen unternommen, drohende Verschlechterungen der Regelung zu verhindern.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen kommen auch im ländlichen Raum höchste Priorität zu.

(Beifall bei der CDU)

Die Landwirtschaft spielt dabei eine Schlüsselrolle. Im Jahr 2000 waren in der Ernährungs- und Landwirtschaft zusammen rund 85.000 Arbeitskräfte, das sind knapp 10 Prozent der Arbeitsplätze, in Thüringen beschäftigt. Davon entfallen auf die Landwirtschaft 28.400. Diese Zahlen zeigen ihre gesamtwirtschaftliche Bedeutung. Von jedem der landwirtschaftlichen Arbeitsplätze hängen ca. zwei Arbeitsplätze im vor- und nachgelagerten Wirtschaftsbereich ab. Neue zukunftsträchtige Arbeitsplätze zu schaffen erfordert Investitionen. Jeder neue Arbeitsplatz in der Landwirtschaft kostet uns etwa 0,5 bis 1 Mio. DM. Die Landes

regierung hat daher bereits 1994 mit dem Thüringer Agrarinvestitionsprogramm ein wirksames Instrument zur Investitionshilfe geschaffen. Es wurden damit Investitionen von fast einer halben Milliarde DM unterstützt. Für den Zeitraum bis 2006 haben wir eine Aufstockung der Mittel um ca. 380 Mio. DM vorgenommen, um Investitionen für eine weitere Milliarde DM unterstützen zu können. Das Thüringer Ernährungsgewerbe ist seit 1991 auf Wachstumskurs. Es hat im letzten Jahr mit einem Umsatzvolumen von 4,5 Mrd. DM sein bestes Ergebnis erreicht. Die Ernährungsbranche belegt den ersten Platz im verarbeitenden Gewerbe. Die Marktposition der Thüringer Produkte verbessert sich kontinuierlich. Die Investitionen betrugen seit 1991 ca. 1,2 Mrd. DM bei rund 40 Prozent Förderung durch Land, Bund und EU. Die Arbeitsplatzfrage ist eng verknüpft mit der Ausbildungssituation. Daher hat sich die Landesregierung dieser Frage besonders und mit Erfolg angenommen. Für alle Arten von Schulabschlüssen, von der Hauptschule bis zum Abitur, werden in der Landwirtschaft Arbeitsplätze angeboten. Mehr als 11.700 haben als Auszubildende, Meister, Fachschüler und Teilnehmer an Fortbildungen berufliche Abschlüsse erworben. Unsere Fachschulen werden jährlich von ca. 300 Fachschülern besucht. Bis zu 50 Meisteranwärter legen in jedem Jahr die Meisterprüfung ab. Mehr als 850 Auszubildende nehmen jährlich die betriebliche Ausbildung in einem der Berufe der Land- und Hauswirtschaft neu auf. Allein in den Berufen Landwirt und Tierwirt sind es jährlich fast 300.

Umweltgerechtigkeit und Nachhaltigkeit sind neben der Wettbewerbsfähigkeit und den sozialen Belangen die maßgeblichen Kriterien landwirtschaftlicher Produktion. Diese Maßgabe verfolgen wir in unserer Agrarpolitik von Anfang an. Es war stets unsere Auffassung, dieses Verständnis in eine flächendeckende landwirtschaftliche Produktion hineinzutragen.

Wir wollten und haben der Landwirtschaft auch Aufgaben im Rahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege angeboten. Wir hatten Erfolg damit. Ich will einige Beispiele nennen. Die Betriebe im Freistaat Thüringen düngen, durch Kontrollen belegt, umweltverträglich. Der durchschnittliche Pflanzenschutzmittelverbrauch wurde von 3,1 kg im Jahr 1991 auf 1,7 kg Wirkstoff pro Hektar heute gesenkt. Von der landwirtschaftlichen Fläche werden rund 25 Prozent mit besonders umweltverträglichen landwirtschaftlichen Produktionsverfahren bewirtschaftet. Etwa 5 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche werden im Rahmen des Vertragsnaturschutzes gepflegt. Die neuen Produktionsprinzipien wurden in den vergangenen Jahren immer stärker aufgenommen. Sie haben sich im Freistaat als die gute fachliche Praxis in der Landwirtschaft etabliert. Wer von Ihnen sich noch an die Zeiten vor 1990 erinnert, erkennt, welcher Umbruch hier vollzogen wurde.

Der Öko-Anbau, meine sehr verehrten Damen und Herren, wird als eine besonders umweltfreundliche und tiergerechte Form der Landbewirtschaftung angesehen, die über die Anforderungen der guten fachlichen Praxis hinausgeht. Die auf

diese Weise ökologisch bewirtschafteten Flächen nahmen in den letzten zehn Jahren kontinuierlich zu. Heute wirtschaften im Freistaat 183 landwirtschaftliche Haupt- und Nebenerwerbsbetriebe, das sind ca. 4 Prozent der Thüringer Betriebe, nach diesen Kriterien. Auf gut 17.000 Hektar werden dabei die EU-Vorgaben zum ökologischen Anbau befolgt. Damit kann sich der Freistaat im Mittelfeld der Länder durchaus sehen lassen.

(Beifall Abg. Zitzmann, CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, warum nun Neuausrichtung der Agrarpolitik? Diese Frage braucht Antwort sowohl aus bundes- als auch aus landespolitischer Sicht. Die Landwirtschaft steht als wesentlicher Nutzer der natürlichen Ressourcen Boden, Wasser und Landschaft in besonderer Verantwortung der Umwelt. Sie stellt sich dieser Verantwortung mit großer Sach- und Fachkunde. Landwirtschaftliche Erzeugung nach den Regeln der guten fachlichen Praxis ist bei uns - und da wiederhole ich mich - alltägliche Wirtschaftsweise. Dies allein reicht aber zur Beschreibung qualitativ hochwertiger Produktion für die Verbraucher nicht mehr aus. Es werden fehlende Transparenz bei der landwirtschaftlichen Produktion, unzureichende Kontrolle in den Abläufen, viel zu lasche Beurteilungskriterien für die Lebensmittel produzierende Landwirtschaft bemängelt. Dieses Unbehagen steigerte sich durch das Auftreten von BSE und der Maul- und Klauenseuche. Es stellt sich die Frage, wie die Agrarpolitik auf diese Neuanforderungen reagiert.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will zunächst auf die Handlungsziele der Bundesregierung eingehen, wie wir sie sehen und später die Folgerungen der Landesregierung aus der Neuausrichtung schildern. Die Bundesregierung verschärft diese Entwicklung, indem sie die konventionelle Landwirtschaft an den Pranger stellt. Bundesministerin Künast begann im Frühjahr ihre Regierungserklärung zur Lage der Landwirtschaft mit den Worten: "Wir stehen vor einem Scherbenhaufen." Diese Bezeichnung war und ist falsch, genauso falsch wie das Kanzlerwort von den Agrarfabriken. Damit wird nur klar, wie wenig dort von den Gesamtzusammenhängen verstanden wird.

(Beifall bei der CDU)

Als Heilmittel bot Frau Künast "Klasse statt Masse" an; die Rezeptur für dieses Mittel ist sie uns aber bis heute schuldig geblieben. Von den damals mit großem propagandistischen Aufwand inszenierten Aufbruch zur neuen Landwirtschaft ist nichts übrig geblieben als die nüchterne Erkenntnis: Konzepte und Programme fehlen, wirkliche Abstimmungen mit den europäischen Partnern gibt es nicht. Das Fazit für mich lautet: Die Bundesregierung lässt die Landwirtschaft in dieser schwierigen Situation faktisch im Stich. Dem Grunde nach ist an Zielrichtungen nur Folgendes zu erkennen: verstärkter Verbraucherschutz, Umstellung auf den ökologischen Landbau, ausgeweiteter Umwelt- und Tierschutz und Berücksichtigung sozialer Fakto

ren, Anhebung der Produktionsanforderung auf ökologisches Niveau ohne Rücksicht auf fachliche und betriebswirtschaftliche Möglichkeiten sowie Wettbewerbsfragen. So ist die Losung "Klasse" - zu verstehen als Ökoanbau "statt Masse" - gleich konventionelle Landwirtschaft - gemeint, geradezu gewaltsames Umsteuern der Finanzströme, vor allem der EU-Gelder, jetzt weg von der existierenden Finanzstruktur hin zur ökologischen Landbewirtschaftung, unbeeindruckt von entgegenstehenden Marktmechanismen, Wettbewerbssituationen, internationalen Absprachen, nationalen Verpflichtungen.

Was bedeutet dies nun im Einzelnen? Die allgemeinen Grundziele finden richtigerweise breiten gesellschaftlichen Konsens. Es sind die Kernpunkte von Agrarpolitik. Aber genauso zweifellos ist diese Standortbestimmung nicht ausreichend. Zur Politik nachhaltiger Entwicklung in der Landwirtschaft gehört neben den Säulen Ökologie und Soziales auch die Ökonomie als dritte Säule. Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit sind Voraussetzung für die Existenz. Davon ist aber im Politikentwurf der Bundesregierung bisher nichts oder nur Marginales zu hören. Es gilt nach wie vor auch für Frau Künast die Binsenweisheit, Landwirtschaftsbetriebe sind Wirtschaftsunternehmen. Interpretieren Sie endlich den Begriff der Nachhaltigkeit umfassend als Einheit von Ökologie, Sozialem und Ökonomie.

(Beifall bei der CDU)

Gelingt ihr das nicht, bleibt der Politikentwurf weiterhin bruchstückhaft, auf Dauer wirkungslos und nur eine mit dem Namen von Frau Künast verbundene Episode.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die höheren Anforderungen an die gute fachliche Praxis der Landwirtschaft soll in den Fachgesetzen neu und mit höheren Anforderungen definiert werden. Damit würde zur Auflage, was bisher Inhalt der Förderung von Agrarumweltmaßnahmen zur umweltgerechten Produktion war und damit in der freien Entscheidung der einzelnen Betriebe lag. Im Ergebnis erhielten die Landwirtschaftsbetriebe für seither freiwillige höhere Umweltdienstleistungen über unser Förderprogramm KULAP keinen Ausgleich mehr, denn geforderter Standard darf nicht gefördert werden. Die notwendige Anreizfunktion der Förderung ginge verloren. Eine bisher über die Förderung finanzierte Leistung müsste entweder innerbetrieblich oder über eine Erhöhung der Erzeugerpreise aufgefangen werden.

Beides, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist angesichts der wirtschaftlichen Lage der Betriebe und der fehlenden Akzeptanz der Verbraucher gegenüber höheren Preisen aussichtslos. Das Ergebnis wäre eine neue flächendeckende Finanzpolitik.

Höchst problematisch, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist die Absicht der Bundesregierung für zahlreiche Regelungen auf dem Gebiet des Umwelt-, Tierschutzes

Verschärfungen vorzunehmen, ohne in Abstimmung mit der Europäischen Kommission zu handeln. Die Frage der Legehennenhaltung ist ein solches Beispiel für einen Alleingang der Missachtung der Wettbewerbssituation im Binnenmarkt Europa. Wohin führt dies? Die EU-Regelung verschärfende Politik, die Tierschutz- und Umweltanforderungen werden in Deutschland an den betriebswirtschaftlichen Möglichkeiten vorbei festgelegt. Landwirte in Deutschland geraten gegenüber ihren Wettbewerbern in Europa in oft entscheidende Nachteile, Neuanlagen werden gegebenenfalls nicht mehr in Deutschland, sondern im EU- bzw. Nicht-EU-Ausland zu den dortigen eben wettbewerbsfähigen Anlagen errichtet. Diese Politik, meine sehr verehrten Damen und Herren, gefährdet Arbeitsplätze im ländlichen Raum. Damit wird nicht nur die Landwirtschaft als Erwerbszweig getroffen, sondern auch die Lebens- und Umweltbedingungen im ländlichen Raum. Im Übrigen, meine sehr verehrten Damen und Herren, höhere Umweltleistungen, als sie bisher in Thüringen gefördert wurden, lassen sich fast, ich sage fast, nur noch bei Verzicht auf Landwirtschaft umsetzen. Das ist die Thüringer Realität in der Landwirtschaft. Wir sind bei den gegenwärtigen EU-Vorhaben im Schlussspurt der Agrarumweltmaßnahmen. Wir sind schon da, wo andere Länder erst beginnen. Frau Künast weiß das sehr wohl. Ich hoffe, dass Frau Roth und Herr Kuhn, die beiden Parteivorsitzenden, die erst letzte Woche in Ostthüringen auf Tour waren, ihr darüber berichtet haben. Sie haben - soweit man lesen konnte - gesagt, dass sie sehr angetan waren von der Landwirtschaft in Ostthüringen. Ich habe nun Frau Künast als Untermauerung ihrer Kenntnisse unseren Bericht zur Evaluierung des KULAP-Programms geschickt, damit sie die Ergebnisse unseres jahrelangen vernünftigen naturorientierten Handelns mit den Anfangsbemühungen anderer Länder vergleichen kann.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Gesamtzusammenhang der Neuausrichtung der Landwirtschaft will die Bundesregierung jetzt eine Möglichkeit zur Umsteuerung der EU-Finanzströme nutzen, die im Rahmen der Agenda 2000 der EU besteht. Diese Möglichkeit wird als Modulation bezeichnet. Nach den Vorstellungen der EU sollen die Mitgliedsstaaten die Möglichkeit erhalten, die von ihr zur Marktstützung zur Verfügung gestellten so genannten Direktzahlungen an die Landwirte um bis zu 20 Prozent zu kürzen. Diese frei werdenden Gelder, für Deutschland wären das rund 1,7 Mrd. DM, sollen zur Stärkung der ländlichen Entwicklung, z.B. für Agrarumweltmaßnahmen und Aufforstungsmaßnahmen, eingesetzt werden.

Warum, meine sehr verehrten Damen und Herren, schlagen nun im agrarpolitischen Raum deswegen die Wellen so hoch? Gegen eine Aufstockung der Finanzmittel für den ländlichen Raum darf es doch eigentlich keinen Widerstand geben. Die Antwort, meine sehr verehrten Damen und Herren, lautet: Dieses Geld würde jetzt aus dem Bereich der Marktordnung genommen werden. Es steht damit den Landwirten nicht mehr zur Verfügung, wo sie doch

wegen der sich verschärfenden Rahmenbedingungen am Markt, ich nenne hier nur die BSE-Krise, sich verschlechternde Wettbewerbsbedingungen haben und sie dringend auf diese Gelder angewiesen sind. Aber es ist auch völlig unklar, in welche Maßnahmeprogramme die so umgeschichteten Gelder denn dann fließen können und wie sie kofinanziert werden sollten. Bis heute liegt kein entsprechendes Konzept der Bundesregierung vor. Allerdings zeigt sich bereits, die Schlusslichter bei den Agrarumweltmaßnahmen unter den Ländern, es sind dies vor allem die mit Grünen Agrar- und Umweltministern, rufen am Lautesten nach neuer Agrarpolitik und Modulation, wohl in der Hoffnung, so ihre mangelhafte Agrarumweltpolitik der vergangenen Jahre zu kaschieren.

Bis vor wenigen Monaten hatte Deutschland die Möglichkeit zur Modulation richtigerweise nicht genutzt. Die Bundesregierung hatte sich gegen eine Einführung der Modulation entschieden. Mit ihr hatten alle Länderkollegen dies begrüßt, das war 1999, zu einem Zeitpunkt, zu dem von BSE und nationalen Alleingängen noch keine Rede war. Die Landwirte haben sich darauf eingestellt. Jetzt wird beabsichtigt, einen Vorschlag zur Umsteuerung der Finanzströme in Deutschland vorzulegen, obwohl die Rahmenbedingungen schlechter sind als 1999.

Vorgestern habe ich an der gemeinsamen Konferenz der Agrar- und Umweltminister Deutschlands in Potsdam teilgenommen. Erneut hat Frau Künast bei dieser Gelegenheit dafür geworben; erneut ist sie Antworten auf Planung, Konzeptionen und Programme schuldig geblieben. Erneut hat sich gezeigt, dass die Länder bei den genannten Ausnahmen in ihrer großen Mehrheit nicht bereit sind, den von der Bundesregierung beabsichtigten Weg mitzugehen. Modulation zu einem Zeitpunkt bei diesem miserablen Vorbereitungsstand und ohne die ersten Erfahrungen im europäischen Agrarkonzept bei der Umsetzung der Agenda 2000 abzuwarten, erscheint nahezu allen Kolleginnen und Kollegen als nicht verantwortbares Vabanquespiel. Sollte der Bund seine ihm zustehende verfassungsrechtliche Möglichkeit nutzen, Leistungsgesetze zu erlassen, bei denen eine finanzielle Mitbeteiligung der Länder von bis zu 25 Prozent ohne deren Zustimmung verlangt werden kann, wird erneut das oft beobachtete länderunfreundliche Verhalten sehr deutlich. Ich weiß, dass bereits entsprechende Gesetzentwürfe in der Schublade liegen. Stattdessen, meine sehr verehrten Damen und Herren, gibt es neue Situationen als Basis für Entscheidungen. Der Haushalt des Ressorts von Frau Künast wurde um insgesamt 330 Mio. DM für die Jahre 2002 und 2003 zur ökologischen Ausrichtung der Landwirtschaft aufgestockt. Ein Wahlgeschenk, für das wir aber dankbar sein sollten, da es wenigstens annähernd die Streichungen im Bereich der Mittel aus der Gemeinschaftsaufgabe von 1999 bis heute ausgleicht. Für 2002 soll es 150 Mio. DM und für 2003 soll es 180 Mio. DM geben. Agenturberichten nach soll damit in 2002 ein Aktionsprogramm "Ökologischer Landbau" mit 68 Mio. DM, weiterhin sollen 30 Mio. DM in den Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe, 30 Mio. DM in die Verbrau

cherpolitik und 20 Mio. DM in Modellregionen fließen. Ich würde mich freuen, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn mit diesen zusätzlichen Millionen erst einmal die Gemeinschaftsaufgabe wieder auf die alte Höhe gebracht wird.

(Beifall bei der CDU)

Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe sogar Hoffnung, denn auf der gemeinsamen Agrar- und Umweltministerkonferenz am Mittwoch teilte Frau Künast mit, die Gemeinschaftsaufgabe würde von gegenwärtig 1,57 Mrd. DM auf 1,8 Mrd. DM im nächsten Jahr aufgestockt, d.h., dass damit das Geld dahin gehen wird, aber alle anderen Programme, die sie noch vorhat, auf der Strecke bleiben.

Aber noch einmal zurück zur Modulation: Sollte die Modulation doch kommen, sollten folgende Kriterien Beachtung finden: Keine weitere Gefährdung der Wettbewerbsfähigkeit der landwirtschaftlichen Unternehmen; keinen höheren Verwaltungsaufwand; Verbleib der frei werdenden Finanzmittel im jeweiligen Land mit dem Ziel des sinnvollen regionalen Einsatzes. Die Kofinanzierung durch Bund bzw. Land muss gesichert werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Landesregierung, und ich wiederhole, sagt Ja zu einer Neuausrichtung der Agrarpolitik. Sie sieht sich als Folge des bisher begangenen Weges gut gerüstet zur Neuformierung und Anpassung an die veränderten und gestiegenen Anforderungen. Die Handlungsziele der Landesregierung für die Agrarpolitik sind:

1. die Optimierung der umweltgerechten Erzeugung;

2. artgerechte und flächengebundene Tierhaltung;

3. Ausweitung des ökologischen Landbaus und

4. Qualitäts- und Umweltmanagement.

Im Einzelnen heißt es für uns, die Nachhaltigkeit der landwirtschaftlichen Erzeugung ist in allen Phasen zu beachten. Thüringen geht daher seit 1993 erfolgreich den Weg, besonders umweltgerechte Produktionsverfahren, von der EU maßgeblich mitgeförderte Agrarumweltmaßnahmen zu honorieren. Knapp 70 Mio. DM fließen jährlich in dieses Programm, die im Wesentlichen der Extensivierung von Grünland, Ackerbau und Gartenbau dienen. 104 DM/ha werden als Fördermittel für Agrarumweltmaßnahmen jährlich ausgegeben. Mittlerweile nehmen mehr als die Hälfte der Landwirtschaftsbetriebe an diesem Programm teil. 25 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in Thüringen werden nach diesen Grundsätzen bewirtschaftet. Wir suchen nach weiteren Möglichkeiten, dies zu steigern ohne dabei das geltende Operationelle Programm der EU zu gefährden. Nach dem Agrarbericht der Bundesregierung geben nur Bayern mit 143 DM/ha und Baden-Württemberg

mit 130 DM/ha mehr Geld für Agrarumweltmaßnahmen je Hektar aus. Nordrhein-Westfalen mit 9 DM/ha und Schleswig-Holstein mit 2 DM/ha geben sich mit kleineren Summen zufrieden. Nicht nur die Agrarumweltmaßnahmen haben im Freistaat einen ausdrücklich hohen Stellenwert, auch Kontrollen zur Einhaltung der Vorgaben sind notwendig. Mittlerweile haben wir ein praxisreifes Verfahren zur Erfassung der Umweltwirkung des landwirtschaftlichen Wirtschaftens. Thüringen hat hier eine Vorreiterrolle. Das Verfahren "Kriterien umweltgerechter Landbewirtschaftung" hat als Kernpunkt der Prüfung von 17 Kriterien aus dem Bereich Nährstoffhaushalt, Bodenschutz, Pflanzenschutz, Landschafts- und Artenschutz sowie Energiebilanz, mit deren Hilfe entscheidende Belastungen quantitativ erfasst werden. Die Durchführung und Auswertung erfolgt nach bundesweit einheitlichen Maßstäben. Das Verfahren genügt daher auch Wettbewerbsansprüchen.