Protokoll der Sitzung vom 08.11.2001

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, Frau Kollegin Thierbach, in weiten Teilen konnte ich Ihren Ausführungen in der Tat nicht folgen bzw. ich frage Sie auch einmal, wie halten Sie es denn mit den Themen "Risikoabwehr, Katastrophenschutz"? Wann in diesen elf Jahren haben Sie dies hier im Landtag zum Thema gemacht? Es ist nämlich eine Thematik, meine sehr verehrten Damen und Herren, die lange Zeit unterschätzt worden ist und über die kaum gesprochen wurde. Ich meine, die Ereignisse, die wir am 11. September erlebt haben, die haben uns schon gezeigt, dass wir hier sehr viel mehr tun müssen als bisher. Den Nachholbedarf, den Sie angemahnt haben, den sehe ich wohl auch, den sehe ich aber nicht nur hier in Thüringen, sondern den sehe ich eigentlich bei uns in Deutschland überhaupt. Ich meine, wenn ein solches Thema hier plötzlich aufkommt, dann kann man nicht dem Minister derartige Vorwürfe machen, sondern dann muss man sich einmal um die Frage kümmern, wie es mit dieser Thematik weitergeht. Für dringend erforderlich halte ich nämlich in der Tat eine Notfallplanung für das Land über die Bereitstellung von Ressourcen und Notfalldepots beispielsweise.

(Zwischenruf Abg. Thierbach, PDS: Das ist kein Problem.)

Sicherlich ist es zu prüfen, ob und wie Strukturen nicht oder nicht ausreichend funktioniert haben, aber ich glaube auch, dass es nicht dazu angetan ist, dass man in den Medien schon von Milzbrandfällen spricht, wo es eigentlich auch nur ein Verdacht ist. Ich meine, diese Dinge sollte man schon auseinander halten. Und, meine Damen und Herren, Angst ist wirklich ein schlechter Ratgeber.

(Beifall Abg. Gentzel, SPD)

Das, was hier gefordert ist, ist Vernunft und überlegtes und energisches Handeln. Ich kann nur sagen, der Herr Minister hat hier unbeschadet auch von Ihrer Kritik korrekt und zügig gehandelt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat jetzt Frau Abgeordnete Heß, SPD-Fraktion. Ich bitte doch, dass wir den Rednern mit etwas mehr Ruhe folgen.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordneten, Thüringen wurde vor knapp einer Woche in Angst und Schrecken versetzt und die Landesregierung ist nicht ganz unschuldig daran.

(Beifall bei der SPD)

Wenn man das Verhalten und die Vorgehensweise der beiden zuständigen Ministerien - Innen- und Gesundheitsministerium - bei dem Verdacht eines terroristischen Anschlags mit biologischem Material betrachtet, hat man das sehr ungute Gefühl, dass hier dilettantisch vorgegangen wurde.

(Beifall bei der SPD)

Es bleiben Fragen an beide Minister: Uns interessiert, warum wurde das zuständige Ministerium oder die zuständigen Ministerien erst so spät informiert? Gibt es in solchen Fällen keine klaren Anweisungen zur Vorgehensweise? Eines kann man nach der Aussage des Gesundheitsministers sicher schlussfolgern: Der Informationsfluss innerhalb der Landesregierung und der nachgeordneten Behörden war offensichtlich nicht vorhanden.

(Beifall bei der SPD)

So wenig verantwortungsbewusst wie hier innerhalb der Landesregierung - betrachtet man den zeitlichen Ablauf gehandelt wurde, so wenig handelte der Gesundheitsminister verantwortungsbewusst, als er mit dem unbestätigten Untersuchungsergebnis an die Öffentlichkeit ging.

(Beifall bei der SPD)

Drei Stunden vor der endgültigen Verdachtsabklärung an die Presse zu gehen, macht keinerlei Sinn. Es hat lediglich dazu geführt, dass Thüringer Landesminister einmal überregional ganz vorn in den Nachrichten vorkommen durften.

(Beifall bei der SPD)

Weiterhin bleibt die Frage offen, ist das Thüringer Landesamt für Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz wirklich mit genügend Personal und Geräten ausgerüstet, wie es noch Mitte Oktober hieß? War das qualifizierte und auf solche Untersuchungen spezialisierte Personal im Landesamt oder ist es ins Gesundheitsministerium abkommandiert, um dort die hausgemachten fachlichen Lücken zu schließen? Bedenkt man, dass nach den Vorstellungen des Finanzministeriums oder des Finanzministers in der 2. Wahlperiode das Amt noch viel weiter zurückschrumpfen sollte oder am liebsten privatisiert werden sollte, so können wir von Glück reden, dass das am Widerstand unserer damaligen Gesundheitsministerin Frau Ellenberger gescheitert war.

(Beifall bei der SPD)

Von dem damals angekündigten Neubau in Bad Langensalza fehlt noch jede Spur und wie dünn ist eigentlich diese Personaldecke in diesem Amt? Das zeigt uns der vorliegende Fall aus Rudolstadt. Die schlimmste Vorstellung für mich aber ist, wäre die Probe wirklich positiv gewesen, wenn die Beamten vor Ort keine weiteren Hinweise geben können, als dass man bei auftretenden Beschwerden zum Arzt gehen solle, so klingt das wie Hohn oder doch eher wie Ahnungslosigkeit. Denn bedenkt man, dass die Inkubationszeit ca. vier Tage beträgt und dass die mit dem Brief in Kontakt Gekommenen längst erkrankt sein können, dieser Brief aber unbearbeitet eine Woche liegen bleibt, so grenzt das schon an Verantwortungslosigkeit.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Es gibt Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts über Maßnahmen zum Schutz vor gefährlichen Erregern. Ebenfalls ist an diesem Institut seit dem 10. Oktober 2001 eine Informationsstelle für biologische Kampfstoffe angesiedelt. Nach diesen Empfehlungen hätte gehandelt werden müssen und nicht anders. Deshalb eine Frage: Wann wurden die Landesbediensteten über den Umgang mit verdächtigen Poststücken nachweislich belehrt und hängt diese Empfehlung des Robert-Koch-Instituts allen zugänglich aus? Die zweite Frage: Welche konkreten Initiativen und Strategien hat die Landesregierung bisher entwickelt, um künftig derart problematische Verfahrensweisen auszuschließen? Ich fordere Sie auf, künftig nicht mit der Angst der Menschen zu spielen, sondern konsequent und schnell verdächtige Fälle aufzuklären.

(Zwischenruf Dr. Pietzsch, Minister für So- ziales, Familie und Gesundheit: Das ist eine Frechheit!)

Dazu gehört ein vernünftiges Krisenmanagement der beteiligten Ministerien und Landesämter. Dazu gehört auch eine konsequente Bestrafung der Trittbrettfahrer und dazu gehört vor allem auch eine lückenlose sachliche Aufklärung der Bevölkerung im Umgang mit solchen Fällen. Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat jetzt Frau Abgeordnete Dr. Klaus, SPDFraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wir sind uns sicherlich darin einig, dass alle von uns, als uns die Nachricht am Freitag, dem 02.11.2001, erreichte, tief betroffen waren. Natürlich ist die Erleichterung groß, dass der Fall negativ ausgegangen ist und kein Milzbrandverdacht in Thüringen vorlag und somit auch kein terroristischer Anschlag. Als mich am Freitag, dem 02.11., Journalisten fragten: Was sagen Sie denn dazu, da liegt seit 25.10. ein Brief, der ist nun untersucht worden und da geht man an die Öffentlichkeit? Da habe ich gesagt: Dazu sage ich gar nichts, weil das einfach nicht sein kann. Dass es vielleicht eine Verschiebung von ein, zwei Tagen gegeben hat, das will ich glauben, aber vom Donnerstag, dem 25. Oktober, ein Brief, das ist völlig undenkbar. Nachdem die Journalisten dann noch einmal nachgefragt hatten, haben sie gesagt, es ist tatsächlich so, also 25.10.2001. Dieser Tag hat offenbart, dass die Thüringer Landesregierung in keiner Weise gerüstet ist, das Leben ihrer Bürgerinnen und Bürger vor so einem Anschlag zu schützen.

(Beifall bei der SPD)

Es hat hier Aktuelle Stunden, markige Worte gegeben und es ist offensichtlich in der Praxis nichts daraus gefolgt, denn nichts ist einfacher als Fernsehkameras zu bedienen und dann aber in der Praxis die viele Kleinarbeit zu unterlassen. Das ist offensichtlich unterblieben. Das Robert-Koch-Institut gibt an als Zeitraum der Abklärung so eines Falles je nach Schwierigkeitsgrad 8 bis 24 Stunden. In Thüringen haben wir acht Tage gebraucht, meine Damen und Herren, das muss man einmal sagen. Wenn man dann Herrn Dr. Pietzsch reden hört, dass es Probleme gegeben hat, wie er ja einräumt, dann redet er immer von dem Landesamt für Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz. Wenn man ihn im O-Ton reden hört, könnte man fast glauben, dieses Amt hat mit ihm nichts zu tun, das ist irgendein Amt.

(Beifall bei der SPD)

Herr Minister, ich hätte schon erwartet, dass Sie sich diesen Hut etwas mehr aufsetzen, weil, sich mit Ehre zu schmücken, haben Sie auch keine Hemmungen, das sei Ihnen auch herzlich gegönnt, aber wenn solche Dinge passieren, muss man auch für die Fehler in seinem Amt geradestehen. Das ist das Mindeste.

(Beifall bei der SPD)

Immerhin, das muss man hier auch einmal sagen, ist Rudolstadt inzwischen schon der zweite Fall. Ich hätte ja großes Verständnis, wenn der erste Milzbrandfall in den USA erst zwei, drei Tage zurückliegen würde, dann kann man nicht gerüstet sein, niemand ist vor terroristischen Anschlägen gefeit, aber der liegt schon Wochen zurück und Nordhausen ist immerhin schon am 10. Oktober gewesen.

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Nord- hausen.)

Nordhausen ist schon im Oktober gewesen. Da ist keine Konsequenz gezogen worden, der Fall kam nur nicht so deutlich an die Öffentlichkeit. Dabei ist es doch so einfach. Das Robert-Koch-Institut gibt Handlungsanleitungen, die sich jeder nur aus dem Internet zu ziehen braucht, nagelt sie sich an seine Bürotür und dann wird von eins bis zum Schluss das abgearbeitet und schon kann man kaum noch einen Fehler machen. Warum das in Thüringen anders gemacht wird? Das sind ja Empfehlungen, man muss das nicht so machen.

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU: Das will ich einmal erleben, wie Sie es in so einer Situation gemacht hätten.)

Nein, wir fangen in Thüringen, Herr Kretschmer, an zu diskutieren, wenn wir so einen Brief finden, was wir damit machen. Wenn da Sprengstoffverdacht besteht, fahren wir den möglichst noch dreimal durch die Gegend, weil wir dann ja wissen, wenn er nicht explodiert ist, kann es kein Sprengstoff gewesen sein. Das ist auch eine probate Methode.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Das sollte man nicht machen.

(Zwischenruf Dr. Pietzsch, Minister für So- ziales, Familie und Gesundheit: Sie reden doch wider besseres Wissen.)

Wie gesagt, es gibt dort Handlungsanleitungen, nehmen Sie die einfach in die Hand. Wenn wir etwas Besseres in Thüringen haben, ist niemand gehindert, etwas Besseres zu machen, aber im Moment kann ich das nicht erkennen.

Wenn dann immerzu auf den Trittbrettfahrern rumgehackt wird, natürlich ist das eine schlimme Situation, wenn Bürgerinnen und Bürger, aus was für Gründen auch immer, die jetzige Situation nutzen, um weiße Pulver zu versenden. Das ist eine ganz schlimme Situation. Nur, es nützt herzlich wenig zu beantragen, dass man sie, statt maximal drei Jahre, maximal fünf Jahre einsperren kann, wenn wir erst acht Tage später mit Untersuchungen anfangen, da sind die nämlich längst weg. Wir können sicher sein, auch wenn wir sie lebenslänglich einsperren wollen, wir finden keinen einzigen von denen jemals.

Wie gesagt, Herr Dr. Pietzsch, ich hätte zumindest erwartet, dass Sie hier etwas konkreter werden, wie wir in Zukunft solche Dinge vermeiden wollen, außer durch Begleitscheine. Ich hätte auch gedacht, das ist selbstverständlich, dass man ein Papier mitsendet, wenn so ein Brief vorhanden ist. Aber offensichtlich...

(Zwischenruf Dr. Pietzsch, Minister für So- ziales, Familie und Gesundheit: Sie wollen das ja bloß an die Tür nageln.)

Das hätte Ihnen vielleicht geholfen, aber, wie gesagt, auch das haben Sie nicht gemacht, sich einmal einfach diese Unterlagen zu Gemüte zu führen bzw. in ihrer Fachabteilung, offensichtlich hat es aber nichts genützt. Zumindest wäre es schon gut, wenn man einmal ein paar konkrete Informationen hätte, dass man einigermaßen sicher sein kann, dass dieses nicht noch einmal passiert. Darüber hinaus muss man noch einmal auf den Sündenfall der Landesregierung, sprich MLVUA zurückkommen. Herr Trautvetter hat damals verhindert, dass diese Großinvestition in Größenordnung Erfurter Oper hier stattfinden konnte, und ich glaube erst, wenn ich dieses Amt stehen sehe, dass es das wirklich mit vernünftigen Arbeitsbedingungen nun unter anderem Namen und angereichert, das weiß ich ja alles, geben wird. Wenn das tatsächlich steht, freue ich mich, aber ich sehe es noch nicht stehen, vielleicht kommt es ja noch.

Doch nun zur Polizei: Es ist einfach die Frage; normalerweise, wenn es ein wichtiges Ereignis gibt, wird, soweit ich das weiß, das Lagezentrum informiert und dieses informiert dann alle anderen Zuständigen. Nun wäre es einmal wichtig zu wissen: Wann wurde dieses denn informiert? Wann hat es Informationen weitergegeben und welchen Beitrag hat es denn geleistet? Außerdem soll es ja eine neu geschaffene Koordinierungsstelle nach den Anschlägen vom 11. September geben. Was hat diese dazu beigetragen? Hatte sie nicht möglicherweise sogar ursächlich mit der Verzögerung zu tun? Wie wurde sie überhaupt eingebunden? Warum acht Tage nach dem Erhalt des Briefes willkürlich zu einer bestimmten Zeit dort Leute in diesem Arbeitsamt noch dazu in der Arztpraxis ein paar Stunden festgehalten wurden, ist überhaupt nicht nachvollziehbar.

Frau Dr. Klaus, ich muss Sie leider an die Redezeit erinnern.

Ich bin sofort fertig.

Die Frage war, wozu das gut sein soll. Ich kann es mir nur so erklären, dass es attraktive Bilder im Fernsehen gibt, einen praktischen Nutzen hatte das jedenfalls nicht. Ich bitte Sie beide, die Herren Minister, doch dafür Sorge zu tragen, dass Sie die Verantwortung übernehmen und hier deutlich machen, wie Sie in Zukunft dafür sorgen wollen, dass solche Dinge nicht mehr passieren. Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS, SPD)