Protokoll der Sitzung vom 21.02.2002

uns auch dort mit dem Thema "Gewalt" schon auseinander setzen. Auch da gibt es seitens der Koordinierungsstelle, das hören Sie dann noch einmal von mir, bereits Maßnahmen gegen Gewalt auch im Kindergartenbereich.

Vielleicht noch einige Bemerkungen zu den Maßnahmen, die im Grundschulbereich laufen: Hier, das hatten Sie bedauerlicherweise verschwiegen, Frau Dr. Stangner, z.B. den Fremdsprachenunterricht ab Klassenstufe 3

(Zwischenruf Abg. Dr. Stangner, PDS: Das Gesetz ist erst noch zu beschließen.)

oder die Neustrukturierung der veränderten Schuleingangsphase. Hier meine ich vor allem die frühere Einschulung, die Möglichkeit zur früheren Einschulung - kommt aber, machen wir ja, das wissen Sie doch, dass wir das machen oder die variable Verweildauer von ein bis drei Jahren in den zwei ersten Klassenstufen zum Beispiel. Was ich auch noch erwähnen möchte, dass von beiden Ministerien gemeinsame Fortbildungsangebote für die Kindergärtnerinnen und auch für Grundschullehrer demnächst angeboten werden und zurzeit auch erarbeitet werden.

Punkt vier, da hätte ich gern noch eine Bemerkung gemacht, weil ich vermute, dass hier noch einmal ein Seitenhieb gegen unser Personalentwicklungskonzept erfolgt, der Zweifel daran, dass wir Bedarfskündigungen durchführen mussten, müssen bei Grundschullehrern. Ich möchte Sie an dieser Stelle noch einmal mit dem Schüler-Lehrer-Verhältnis konfrontieren. Wir hatten vor der Entlassung ein Verhältnis von 15,1 zu 1; nach den Entlassungen haben wir sogar noch ein besseres Verhältnis - 14,9 zu 1. Der Bundesdurchschnitt ist, das dürfte Ihnen auch bekannt sein, an dieser Stelle ist sehr oft darüber gesprochen worden, ca. 22 zu 1. Die Ressourcen werden genutzt und wir haben eine sehr günstige Ausgangssituation.

Allerdings möchte ich auch auf ein Problem hinweisen: Wenn wir Qualität haben wollen in den Kindertagesstätten und auch in den Grundschulen, ist es natürlich sehr wichtig, dass unsere Grundschullehrer und unsere Kindergärtnerinnen motiviert sind und motiviert werden. Hier möchte ich von dieser Stelle aus noch einmal besonders den Floating-Lehrern Dank sagen, die Solidarität geübt haben, dass die Neueinstellungen möglich werden und dass die Entlassungszahl nicht höher angesetzt werden muss. Ich denke, das ist auch sehr wichtig, es geht hier nicht nur immer um Geld, es geht auch um einen Ruf oder eine Wertschätzung. Ich weiß, wenn man sich mit Lehrern unterhält, wenn man sich mit Gymnasialschullehrern unterhält oder mit Regelschullehrern und mit Grundschullehrern, merkt man, dass seitens der Regelschullehrer und Gymnasialschullehrer immer ein merkwürdiger Seitenblick auf die Grundschullehrer geworfen wird. Also, eine Geringschätzung will ich nicht sagen, aber man sagt eben, na ja, die Grundschullehrer, das sind ja nicht solche Lehrer wie wir. Ich denke, hier muss auch noch innerhalb der Lehrerschaft gearbeitet werden, auch an dem Ruf der Grundschulleh

rer, aber da sind auch die Regelschullehrer und die Gymnasialschullehrer gefragt.

Zusammenfassend möchte ich sagen, dass wir den SPDAntrag ablehnen werden, vor allem, weil wir auf die nationale Ergänzungsstudie zu PISA warten möchten und weil wir lieber an einem Gesamtkonzept auf dem Bewährten arbeiten werden und weil wir alle Bereiche hier ins Boot holen und alle Bereiche betrachten wollen. Dazu wollen wir eine Anhörung durchführen, hatte die CDU-Fraktion im Ausschuss beantragt und alle folgten diesem Antrag. Ich denke, wir warten erst einmal ab, was die Anhörung bringt und dann analysieren wir. So ist es zumindest ein ordentliches, vernünftiges, wissenschaftliches Herangehen. Auf der anderen Seite möchte ich aber auch der SPD mit auf den Weg geben: Natürlich sind Konzepte jederzeit gefragt, ich sehe in diesem Antrag kein Konzept. In diesem Sinne fordere ich Sie auf: Legen Sie Ihre Konzepte auf den Tisch und begrüßen Sie natürlich hier, die SPD Thüringen, willkommen in der Denkfabrik.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat der Abgeordnete Döring, SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, bei der Diskussion um Qualität und Zukunftsfähigkeit unseres Bildungssystems sind Reformen in zwei Handlungsfeldern unumstritten:

1. die Möglichkeiten der Kindertagesstätten zur Unterstützung früher Bildungsprozesse deutlich besser zu nutzen, das heißt, früher fördern oder Bildung von Anfang an und

2. die Bedingungen für die Ausschöpfung der Leistungspotenzen der Grundschule erheblich zu verbessern, das heißt, den Wert des Lernens als das Zentrum der Grundschule begreifen.

Und hier, meine Damen und Herren, gibt es einen breiten Grundkonsens. Gerade deshalb, Frau Dr. Stangner und Herr Seela, sollten wir dort beginnen, wo uns allen dies als sinnvoll und möglich erscheint und das schließt natürlich eine ganzheitliche Einbettung doch überhaupt nicht aus. Ich denke, Herr Seela, PISA ist nicht der bildungspolitische Urknall. Wir haben vorher schon über Jahre über Bildungsthemen gestritten. Es gibt klare Erkenntnisse in diesen beiden Bereichen. In diesen beiden Handlungsfeldern hat auch das Bildungsforum zwei Jahre intensiv gearbeitet. Hier liegen Ergebnisse vor. Deshalb ist es auch unsere Pflicht, etwas zu tun und Konzepte zu entwickeln. Herr Seela, Sie haben gerade erklärt, dass ja auch im Kultusministerium und auch in der Landesregierung Leitlinien erarbeitet werden - auch ministerienübergreifend -, dann halte ich es auch für völlig legitim zu fordern, dass man ein Gesamtkonzept

entwickelt, um diese Bereiche wirklich ordentlich zu reflektieren.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wenn es um die Kindertagesstätten geht, will ich gleich einen Irrtum ausschließen. Es geht hier nämlich nicht um Verschulung im Vorschulalter und schon gar nicht um Leistungsdruck. Ebenso wenig heißt reden über den Bildungsauftrag zurück zur Vorschulmappe oder stupide Übungen jenseits kindlicher Erfahrungswelten. Im Mittelpunkt aller Überlegungen muss die Frage stehen, wie ich die Potenziale der Kinder noch besser erkennen und noch besser fördern kann. Gerade in den ersten Lebensjahren sind Kinder besonders lernfähig und diese ersten Jahre sind auch entscheidend für ihre spätere Entwicklung. Deshalb gilt es sehr wohl, die kindlichen Lernprozesse bestmöglich zu entwickeln und dabei die natürliche Neugier und Entdeckungslust als Motor dieser Entwicklung zu nutzen.

Meine Damen und Herren, Bildungsinhalte müssen aus dem Lebensalltag der Kinder zusammen mit Kindern und Eltern erschlossen werden. Dies gilt auch bei der Entwicklung von Sprachkompetenz. Ich denke, die Aufforderung an die Kindertagesstätten, sich intensiver und effektiver um die Sprachentwicklung der Kinder zu kümmern, macht nur dann Sinn, wenn ich gleichzeitig die Besonderheiten des Sprachenerwerbs von Kindern in den Mittelpunkt der methodischen Überlegung stelle. Das bedeutet, das Erleben von Sprache im Kontext von Handlung und Situation zu organisieren. Damit bin ich nur dann erfolgreich, wenn ich auf die individuellen Lernwege der Kinder eingehe.

Es ist gut und richtig, dass die Kultusministerkonferenz in der Verbesserung der Sprachkompetenz bereits im vorschulischen Bereich ein wesentliches Handlungsfeld sieht, ebenso in einer besseren Verzahnung von vorschulischem Bereich und Grundschule. Genau in diesem Kontext, meine Damen und Herren, ist unser Antrag gestellt. Herr Minister Krapp hat dem in der Kultusministerkonferenz zugestimmt. Ich denke, es ist deshalb auch für mich nicht nachzuvollziehen, dass man hier zustimmt, und wenn es dann um die Umsetzung im Land geht, das Ganze ablehnt.

(Beifall bei der SPD; Abg. Stangner, PDS)

Meine Damen und Herren, die frühkindliche Bildung muss die Freude am Lernen entwickeln und das Interesse und die Lernbereitschaft fördern. Es geht um die Anbahnung von Kompetenzen, neben der Sprachkompetenz, die ich vorhin erwähnt hatte, auch um Verantwortlichkeit und Solidarität, um die Fähigkeit zur Entscheidungsfindung, und es geht um die Prägung und Förderung von geistigen und seelischen Anlagen. Stichworte sind hier die Erweiterung der Wahrnehmungsfähigkeit, das Nutzen der eigenen Handlungen und Erfahrungen als Quelle von Erkenntnissen und nicht zuletzt die Sensibilisierung der Sinne und die Entfaltung kreativer Potenzen.

Neben Motivation und Kompetenzentwicklung geht es in einem dritten Schwerpunkt um die Kompensation unterschiedlicher Ausgangsvoraussetzungen. Entwicklungspsychologen sagen uns deutlich, dass die Differenz im Entwicklungsstand von Einzuschulenden bis zu vier Jahren ausmachen kann. Das heißt, wir haben Einzuschulende mit einem Entwicklungsstand eines Vierjährigen und andere mit dem Entwicklungsstand eines Achtjährigen. Dass hier Handlungsbedarf vorliegt und die Schulen natürlich große Schwierigkeiten haben, um die enormen Differenzen abzubauen, liegt auf der Hand.

Natürlich weiß ich sehr wohl, dass wir in Thüringen in Bezug auf frühkindliche Bildung einen anderen Erfahrungshorizont als die alten Bundesländer haben. Wir fangen natürlich nicht beim Punkt null an. Viele Kindertagesstätten unternehmen enorme Anstrengungen, um sich den von mir skizzierten Aufgaben zu widmen. Aber natürlich brauchen sie verstärkt Unterstützung, brauchen sie Rahmenbedingungen, um ihren Bildungsauftrag in guter Qualität erfüllen zu können. Das Forum Bildung hat nach zweijähriger intensiver Arbeit ohne bildungsideologische Scheuklappen partei-, auch gesellschaftsübergreifend Empfehlungen erarbeitet, die für unser Handeln, denke ich, eine gute Richtschnur sein könnten. Ich wünschte mir, dass Bildungspolitiker nicht immer nur auf PISA schauen, sondern auch auf das Bildungsforum, denn hier sind ganz konkrete Ergebnisse festgeschrieben. Die sollten wir auch für unsere Arbeit, für unsere Entwicklung in Thüringen verstärkt nutzen. Es geht in erster Linie um die Definition von Bildungszielen und ihre curriculare Umsetzung, es geht um Transfer- und Beratungsstrukturen für die Praxis. Hier gilt es auch, denke ich, eine verstärkte Kooperation zwischen Grundschullehrern und Erziehern zu etablieren. Wir brauchen eine Aufwertung der Aus- und Weiterbildung der Erzieherinnen und Erzieher bezogen auf die neuen Aufgaben. Nicht zuletzt geht es auch um den Ausbau von Forschungskapazitäten für Frühpädagogik und wissenschaftliche Begleitung von Praxismodellen.

Meine Damen und Herren, wir können diese Reformschritte allerdings nur realisieren, wenn wir so viele Kinder wie möglich erreichen. Unter diesem Aspekt werden wir nicht umhin kommen, noch einmal über die Gebührenfreiheit von Kindertagesstätten, vor allem im letzten Kindergartenjahr, nachzudenken. Die gut gemeinte Grundschulreform ist in einem Punkt, denke ich, ein wenig in die Irre gegangen. Die Überbetonung des spielerischen Lernens bedarf einer Korrektur. Auch für die Grundschule gilt: Wir brauchen eine neue Lern- und Lehrkultur, die Freude am Lernen und Freude an Leistung vermittelt. Das Interesse und die Leistungsbereitschaft von Kindern muss in der Grundschule noch besser gefördert werden.

Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände hat in ihrem Bildungspapier "Standortfaktor Schule" diesen Fakt auf den Punkt gebracht: "Die Erfahrung von Kompetenzzuwächsen ist es, die den Kindern Spaß macht und zugleich zu weiteren Anstrengungen anspornt." Ein erheblich stär

keres Augenmerk müssen wir auf die Vermittlung der Grundlagen im Lesen, Schreiben, Rechnen und im Erwerb der deutschen Sprache, also der Entwicklung der grundlegenden Kulturtechniken, legen. Hier müssen wir Lernfehler und Mindeststandards klar definieren. Es ist Aufgabe der Grundschule, bei jedem Kind das Erreichen dieser Ziele auch sicherzustellen. Wir müssen die Bedingungen für individuelle Förderung in der Grundschule verbessern. Das bedeutet differenzierte Lernangebote, um auf die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen und das soziale Umfeld der Kinder eingehen zu können. Auch in der Grundschule gilt es, Begabungen rechtzeitig zu finden und zu fördern. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Förderung und Verstetigung des Interesses für technische und naturwissenschaftliche Fragen, Fremdsprachen und im musisch-kreativen Bereich.

Nicht zuletzt geht es um eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus. Wir brauchen eine gleichberechtigte Erziehungs- und Bildungspartnerschaft, die Elternhaus und Schule zusammenbringt.

Auch für die Lernförderung ihrer Kinder, meine Damen und Herren, tragen Eltern gemeinsam mit der Schule Verantwortung. Aus dieser Mitverantwortung dürfen wir die Eltern nicht entlassen. Wenn wir bei den notwendigen Reformen erfolgreich sein wollen, müssen alle an Bildung und Erziehung Beteiligten ihre Verantwortung wahrnehmen, vor allem Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher, aber auch die Eltern wollen und müssen wir im kommenden Reformprozess als Partner gewinnen. Dazu ist ein offener und individueller Dialog mit Fachleuten, mit Lehrkräften und Eltern unabdingbar, der nicht in überkommenen Denkmustern und Ritualen verharrt.

Ich denke, mit unserem Antrag fordern wir die Landesregierung auf, dazu verlässliche Rahmenbedingungen in den Bereichen Kindertagesstätten und Grundschulen zu entwickeln. Kollege Seela, Ihre Argumentation kann ich in dem Zusammenhang überhaupt nicht nachvollziehen. Denn ich muss Ihnen nicht erklären, welche Aufgaben Legislative und Exekutive in einer parlamentarischen Demokratie haben. Ich könnte das natürlich referieren, aber wenn Sie es bisher nicht begriffen haben, denke ich, werden Sie es auch nie begreifen.

(Beifall bei der SPD)

Anstatt sich Argumente zu überlegen, die noch windig sind, um unseren Antrag abzulehnen, denke ich, klären Sie auch in Ihrer Partei - das halte ich für wichtig - wer nun wirklich die Bildungshoheit hat. Ich denke, diese peinliche Posse, die wir auch in der Zeitung immer nachzulesen haben, ist hier wenig hilfreich. Lassen Sie uns lieber gemeinsam über notwendige Reformen reden. Wir sollten sie auch dann beherzt angehen. Ich denke, unser Antrag ist dafür eine gute Grundlage, und ich bitte um Zustimmung.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat der Herr Kultusminister Dr. Krapp.

Vielen Dank. Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, ohne Zweifel bewegen wir uns mit dem Thema des vorliegenden Antrags auf einem Gebiet mit hoher Bedeutung für die Bildung unserer jungen Menschen. Die Phase der frühkindlichen Bildung, die Zeit, in der Kinder erste strukturierte Lernprozesse und Erfahrungen innerhalb und außerhalb des Elternhauses erleben, ist von entscheidender Bedeutung für den weiteren Lebensweg jedes Einzelnen, aber auch für die Gesellschaft insgesamt. Denn bereits in Familien, Kindertagesstätten und in der Grundschule werden die Haltungen und Einstellungen maßgeblich geprägt, die gelingendes Leben in einer Welt wachsender Komplexität und Dynamik möglich machen.

Unbestreitbar, meine Damen und Herren, ist aber auch die Unzeit, zu der dieser Antrag gestellt wird. Man kann es drehen und wenden wie man will, es ist einfach zu spät, eine Debatte über die Bedeutung von Kindertagesstätten und Grundschulen in Thüringen erst jetzt zu initiieren. Dies wird allerdings nur deutlich, wenn man bereit ist, die Maßnahmen der Landesregierung zur Kenntnis zu nehmen, die kontinuierlich seit 11 Jahren dafür sorgen, dass in Thüringen neben einer überdurchschnittlichen Förderung von familiärer Erziehungszeit ein leistungsfähiges Netz von Kindertageseinrichtungen und Grundschulen mit Grundschulhorten vorgehalten wird. Der heutige Antrag kommt aber auch zu früh, zumindest muss man das der Begründung zum Antrag attestieren, die behauptet, dass die heute vorliegenden Ergebnisse von PISA grundsätzlich Veränderungen der pädagogischen Arbeit in Thüringer Kindertagesstätten und Grundschulen erforderlich machen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Ergebnisse der internationalen Vergleichsstudie PISA liegen in Deutschland seit dem 4. Dezember vorigen Jahres auf dem Tisch. Mit Bedacht haben die Kultusminister interessanterweise in parteiübergreifender Übereinstimmung in einer unmittelbaren Reaktion am 5. Dezember 2001 zunächst lediglich die gemeinsamen Handlungsfelder identifiziert, in denen laufende Prozesse verstärkt oder neue initiiert werden sollen. Mit Bedacht wurde dabei gleichzeitig darauf hingewiesen, dass unverzüglich eine sorgfältige Analyse der vorliegenden Ergebnisse erfolgen müsse und dass für länderspezifische Forderungen die Ergebnisse der nationalen Ergänzungsstudie zu PISA im Sommer dieses Jahres einzubinden seien. Darüber und über die von der Landesregierung eingeleiteten Schritte habe ich an dieser Stelle bereits in der Plenarsitzung am 25. Januar 2002 berichtet. Angesichts des vom Ausschuss für Bildung und Medien beschlossenen Vorgehens hatte ich den Eindruck gewonnen, dass hinsichtlich der notwendigen Verfahrensschritte in diesem Hause Einvernehmen herrschte.

Ein Antrag, der nunmehr offenbar den Eindruck vermitteln möchte, alle Detailprobleme seien offenkundig und die Lösungen seien sozusagen im Vorbeigehen auf den Tisch zu legen, missachtet die Verantwortung, die wir im Spannungsfeld zwischen Kontinuität und Wandel den Kindern, um die es hier geht, schuldig sind und die Friedrich Fröbel mit seinem berühmt gewordenen Ausspruch - "Kommt, lasst uns unseren Kindern leben" - auf den Punkt gebracht hat.

Heutzutage werden von machen Experten gar zu gerne Konzepte oder gar Gesamtkonzepte eingefordert, mit denen auf vermeintliche Katastrophen im Bildungsbereich allumfassend von staatlicher Seite zu reagieren sei. Lassen Sie sich sagen, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten der antragstellenden Fraktion, die Welt ist nicht so, sie ist nicht so eindimensional und die Gestaltung erfolgreicher Bildungsprozesse - und das gilt nicht nur für den vorschulischen und den Primarbereich - gelingt nicht durch einfache Rezepturen, die regierungsbehördlich zusammengemixt werden. Ich plädiere deshalb sehr eindringlich dafür, die Aufgeschrecktheit und die medienträchtigen Schnellschüsse aus den unterschiedlichen Richtungen zugunsten der sachdienlichen Analyse und Aufarbeitung der Ursachen für das unterdurchschnittliche Abschneiden der deutschen Schülerinnen und Schüler bei der PISA-Studie aufzugeben und zu dem gefundenen Konsens zurückzukehren, der die ganze Breite verfügbarer Daten - auch eigener Studien hier im Land - in die Auswertungen einbeziehen will.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich hielte es für grundlegend falsch, wenn wir uns in eine Debatte begäben, die an einer Art bildungspolitischem Nullpunkt begänne. Es würde dem erreichten Stand Thüringer Bildungs- und Sozialpolitik nicht gerecht und es würde die vielfältigen Anstrengungen und Initiativen verkennen, mit denen nicht erst seit PISA daran gearbeitet wird, unseren Kindern bruchfreie Bildungsbiografien zu ermöglichen. Die Schnittstelle Kindertagesstätte/Grundschule - auch eine Schnittstelle hinsichtlich bestehender Ressourcezuständigkeiten innerhalb der Landesregierung und dies ist nicht mehr als eine Randbemerkung -, die entscheidenden Aufgaben dabei stellen sich vor Ort bei der Zusammenarbeit der einzelnen Einrichtungen. Dem hat die Zusammenarbeit des Kultus- und des Sozialministeriums lediglich zu dienen und dies geschieht in vielfältiger Weise:

1. Auf der Grundlage der Ergebnisse des bundesweiten Modellprojekts "Nationale Qualitätsinitiative im System der Tageseinrichtungen für Kinder", an dem im Freistaat Thüringen über 100 Kindertageseinrichtungen unterschiedlicher Trägerschaft teilnehmen, werden durch das Ministerium für Soziales, Familie und Gesundheit im Einvernehmen mit dem Kultusministerium bis 2003 Leitlinien zur frühkindlichen Bildung erarbeitet, die als Orientierung sowohl für die Eltern als auch für die Erzieherinnen und Erzieher an Kindertagesstätten gedacht sind.

2. Das Ministerium für Soziales, Familie und Gesundheit und das Kultusministerium haben in einer bereits 1999 eingesetzten Arbeitsgruppe gemeinsam Empfehlungen und Anregungen für den Übergang vom Kindergarten zur Grundschule erarbeitet. Damit soll insbesondere die lokale Kooperation zwischen den Einrichtungen verbessert werden. Die Empfehlungen werden auf einer Fachtagung am 17. April 2002 vorgestellt und Kindergärten, Schulen, Jugendärzten und Eltern kostenlos zur Verfügung gestellt werden. An ihrer Weiterentwicklung wird bereits gearbeitet. Dabei sind sich die beiden Ressorts darüber einig, dass

3. frühkindliche Bildung im Elementarbereich und schulische Primarbildung sich aufgrund altersgemäßer Entwicklungsbesonderheiten und -möglichkeiten der Kinder unterscheiden. Kindertagesstätten sind mehr als nur eine Vorbereitung auf Schule mit anderen Mitteln. Da bin ich mit Ihnen, Herr Abgeordneter Döring, gleicher Meinung. Sie haben ein altersgerechtes, erlebnisorientiertes Bildungskonzept zum Ziel. Grundschulen systematisieren und organisieren Bildungsprozesse insbesondere durch ergebnisorientierten Unterricht. Der Übergang vom Kindergarten zur Grundschule ist also eine Zäsur im Leben aller Beteiligten; durchaus auch mit sehr positiven Aspekten. Wenn dieser Übergang von der aufnehmenden Schule systematisch begleitet wird, können die Kinder im wahrsten Sinne des Wortes dort "abgeholt" werden, wo sie in ihrer Entwicklung stehen. Die personelle Konkretisierung dieses Abholens durch die Klassenlehrerin oder den Klassenlehrer der zukünftigen Schulanfänger ist ein Ziel unserer weiterführenden Überlegungen.

4. Die neu strukturierte veränderte Schuleingangsphase schließt an diese Übergangsphase lückenlos an, soll sie doch ebenfalls die vorschulische und schulische Phase flexibel verbinden. Alle schulpflichtigen Kinder werden zudem mit einem vergrößerten Spielraum beim Einschulungsalter eingeschult, je nach Lernfortschritt ist eine variable Verweildauer von ein bis drei Jahren in den traditionellen zwei ersten Klassenstufen möglich. Auch dies ist ein bedeutender Beitrag zur systematischen Förderung frühkindlicher Bildungspotenziale.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die dritte Generation der Thüringer Lehrpläne stellt nicht von ungefähr den Begriff der Kompetenz in den Mittelpunkt. Wir haben damit eine dem neuesten Stand der Curriculumforschung entsprechenden Grundlage für den Unterricht auch in der Grundschule geschaffen. Die getroffenen Festlegungen sind anspruchsvoll und lassen keinen Zweifel an der selbstverständlichen Aufgabe der Grundschule, Grundbildung zu vermitteln, und die für das spätere Lernen notwendigen Voraussetzungen in der Beherrschung der grundlegenden Kulturtechniken zu schaffen. Die Bedingungen dazu können sich in Thüringen durchaus sehen lassen. Thüringer Schülerinnen und Schüler erhalten ein Angebot von 100 Wochenstunden in den Klassenstufen 1 bis 4. Der Bundes

durchschnitt, meine Damen und Herren, liegt bei etwa 89 Stunden. Andere neue Länder wie Brandenburg mit 83 und Mecklenburg-Vorpommern mit 86 Wochenstunden liegen noch einmal deutlich unterhalb dieses Durchschnitts. Um es noch weiter zu verdeutlichen: Umgerechnet auf die ganze Grundschulzeit macht dies eine Differenz im Unterrichtsangebot von mehr als einem halben Schuljahr aus.

Seit dem laufenden Schuljahr wird an Thüringer Grundschulen verbindlich ab Klassenstufe 3 Fremdsprachenunterricht angeboten, Herr Abgeordneter Seela hat schon darauf hingewiesen. Von dieser Neuerung, die auch ihren Niederschlag im Schulgesetz finden soll, werden die Schülerinnen und Schüler auch hinsichtlich des Erwerbs von Sprach-, Lese- und Schreibkompetenz profitieren.

Sehr geehrte Damen und Herren, es sollte wirklich Schluss sein damit, eine bedeutende Einrichtung an den Thüringer Grundschulen, um die uns andere Länder nur beneiden können, immer wieder schlechtzureden, wie dies Punkt 3 des vorliegenden Antrags indirekt durch Anmahnung höherer Effektivität tut. Thüringen ermöglicht es jedem Schulkind, einen Schulhort zu besuchen. Die Einrichtung wird von der Mehrzahl der Grundschüler besucht und auch die organisatorische Einheit von Grundschule und Hort sowie die Verantwortung des Schulleiters für beide Einrichtungen verdeutlicht, dass an der Verlässlichkeit dieses Konzepts weder theoretisch noch praktisch Abstriche gemacht werden. Die Grundschulen selbst haben die große Chance erkannt, die in der Struktur Hort an der Grundschule liegt, und entwickeln vor Ort Modelle, die eine enge Verzahnung des Schulvormittags und des -nachmittags beinhalten. Diese Entwicklung wird durch das Kultusministerium gezielt unterstützt, indem Erzieherstunden für die Arbeit am Vormittag eingeplant werden können.

Ich habe eingangs bereits die in der Kultusministerkonferenz einvernehmlich identifizierten Handlungsfelder in der Folge der PISA-Ergebnisse angesprochen. Eines dieser Handlungsfelder richtet sich auf die Verbesserung der Professionalität der Lehrertätigkeit, insbesondere im Hinblick auf diagnostische und methodische Kompetenzen als Bestandteil systematischer Schulentwicklung. Zunächst kann hierzu festgestellt werden, dass es in Thüringen ein gestuftes System schulischer Hilfen für die Diagnose von und den Umgang mit besonderen Lernschwierigkeiten gibt. Ist das gesteckte Unterrichtsziel nicht im Rahmen des Regelunterrichts zu erreichen, können zunächst Ergänzungsstunden als zusätzliche Hilfe genutzt werden. Darüber hinaus können die mobilen sonderpädagogischen Dienste hinzugezogen werden, die ein Konzept für die weitere sonderpädagogische Förderung in Zusammenarbeit mit dem Lehrer und den Eltern erarbeiten. Insgesamt arbeiten 180 ausgebildete Förderschullehrer thüringenweit in diesem mobilen sonderpädagogischen Dienst. Ergänzt wird das System der schulischen Förderung z.B. auch durch die schulvorbereitenden Einrichtungen an insgesamt 31 staatlichen Förderschulen in Thüringen. Seit dem 1. Februar dieses Jahres wird die fachliche Fortbildung der hier tätigen sonderpädagogi

schen Fachkräfte durch einen Landesfachberater für sonderpädagogische Förderung im Vorschulbereich unterstützt.

Meine Damen und Herren, noch weiter zum Thema "Fortbildung". Das Thüringer Kultusministerium hat am 30. Juni 1998 bereits eine Richtlinie Fördermaßnahmen für Kinder und Jugendliche mit besonderen Lernschwierigkeiten in den allgemein bildenden Schulen außer Förderschulen in Thüringen in Kraft gesetzt, die diesen Schulen die Möglichkeit eröffnet, alle Kinder und Jugendlichen zu fördern und zu fordern. Die Richtlinie weist auf die hohe Verantwortung von Lehrern und Erziehern bezüglich der Unterrichtsgestaltung und der inneren Differenzierung hin. Der Förderansatz setzt insbesondere auf Prävention sowie Maßnahmen zur Behebung bzw. Minderung von Lernschwierigkeiten. Dabei wird die Früherkennung von Lernschwierigkeiten und die Bedeutung des Anfangsunterrichts betont und auf folgende Lernschwierigkeiten ausdrücklich Bezug genommen: Erstens, Probleme beim Sprechen, Lesen und Schreiben; zweitens, Probleme beim Rechnen; drittens Probleme im Verhalten. Um den Lehrern Hilfestellung und Anregung zur Veränderung des Anfangsunterrichts zu geben und Möglichkeiten der Förderung aufzuzeigen, wurde in diesem Zusammenhang im Frühjahr 2000 eine verpflichtende Fortbildung durch das Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien ausgewiesen. Lehrer, die in der Schuleingangsphase, also Klassenstufe 1 und 2 der Grundschule, unterrichten, müssen eine Qualifizierung hinsichtlich der Gestaltung des Anfangsunterrichts mit dem Schwerpunkt "Förderung" nachweisen. Die praktische Handlungskompetenz und Diagnosefähigkeit der Lehrer soll mit diesem Ansatz gezielt verstärkt werden.