Protokoll der Sitzung vom 14.06.2002

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Das hat Ihnen aber nichts gebracht.)

Meine Damen und Herren, bundesweit sind die Thüringer Regelungen in die Kritik geraten. Kein einziger Bildungsexperte oder Bildungspolitiker außerhalb Thüringens

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Sie sind ja der einzigste Experte.)

hat diese Regelung auch nur im Ansatz verteidigt. Die Bürger in Thüringen haben ein klares Signal erwartet. Wir haben verstanden, wir werden verändern in einem überschaubaren Zeitrahmen. Sie, meine Damen und Herren von der CDU, zelebrieren stattdessen das traurige Schauspiel des Verzögerns. Ministerpräsident Vogel verkündet allerorten: "Über alles kann man reden."

(Zwischenruf aus der CDU-Fraktion: Da hat er ja Recht.)

Als es allerdings um konkrete Vorstellungen ging, hatte er nichts zu sagen. Die Haltung des Kultusministers umschrieb eine Thüringer Tageszeitung als "ein öffentliches Umfallen im Zeitlupentempo" und der Kollege Althaus hat verkündet, er wolle bei zwei Problemen weiterdenken. Jetzt wollen wir mal das Weiterdenken analysieren - ich zitiere: "Das eine ist diese von der Wirtschaft kritisierte Grauzone des angeblichen Nichtabschlusses". Zum Problem des mittleren Abschlusses: "Deshalb müssen wir das Instrument der schon bestehenden externen Abschlüsse weiterentwickeln."

Meine Damen und Herren, wenn ich so etwas lese, werde ich den Eindruck nicht los, dass Sie eine Änderung gar nicht wollen, sondern nur dem öffentlichen Druck nachgeben.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Für mich stellt sich dabei die Frage, ob Sie die Realität nicht zur Kenntnis nehmen können ober ob Sie die Realität nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Im Bundesdurchschnitt bleiben 9,3 Prozent der Schüler ohne Abschluss. In Thüringen dagegen sind es 13,5 Prozent. Damit nimmt Thü

ringen trotz eines geringen Anteils von Migrantenkindern einen unrühmlichen zweiten Platz in der Länderreihung ein. Für die Stadt Erfurt bedeutet dies z.B., dass im vergangenen Jahr von rund 2.500 Schülern 242 ohne Abschluss blieben, insgesamt hatte damit fast jeder zehnte Schulabgänger keinen Abschluss. Der Kollege Althaus hat in einer Pressekonferenz am 5. Juni diese Tatsachen folgendermaßen interpretiert: "Die angeblich hohe Zahl von Schülern ohne Abschluss ist völlig falsch, es geht nur um Einzelfälle, ein dringender Regelungsbedarf ist daher vor Verabschiedung des Schulgesetzes nicht gegeben." Für mich erübrigt sich dazu jeglicher Kommentar.

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Sehr gut.)

Meine Damen und Herren von der CDU, wenn Sie schon Probleme haben, die Argumente der Opposition anzuerkennen, die Argumente der Wissenschaft sollten Sie nicht so einfach ignorieren. Es wurde Professor Lüdgert, Direktor des zukünftigen Zentrums für Didaktik an der FriedrichSchiller-Universität Jena, von einer Thüringer Tageszeitung befragt, warum sich trotz intensiver Suche kein Kollege finden ließ, der das gegenwärtige Thüringer Bildungssystem verteidigen möchte. Lüdgerts Antwort: "Wenn es um die Frage der Abschlussregelung geht, werden Sie kaum einen Wissenschaftler finden, der das gegenwärtige Thüringer System verteidigt."

(Beifall bei der PDS, SPD)

Und weiter: "Thüringen ist im Hinblick auf Schülerinnen und Schüler, die keinen Abschluss bekommen, in den deutschen Flächenstaaten einsame Spitze. Das ist ein Skandal. Natürlich sind der Abiturdruck und die genannten Abschlussregelungen nicht allein daran Schuld, aber sie beeinflussen die Statistik. Wir brauchen gestufte Abschlüsse, wer sie nicht einführt, der geht an der Realität der gesellschaftlichen Wertigkeit von Schulabschlüssen vorbei. Diese wird nicht von der Regierung definiert, sondern vom Arbeits- und vom Ausbildungsmarkt." Ich denke, dem ist auch nichts hinzuzufügen.

Meine Damen und Herren der CDU, hören Sie mit Ihrer Eierei auf. Wir haben uns in der gemeinsamen Entschließung zur Regierungserklärung darauf verständigt, weitere Möglichkeiten zu Schulabschlüssen vorzusehen. Lassen Sie uns deshalb gemeinsam dies auch in die Tat umsetzen. Wer nur in Sonntagsreden den Wertekonsens beschwört, aber notwendige konkrete Veränderungen hinauszögert, weil er seine bildungspolitischen Scheuklappen nicht ablegen kann oder will, der ist nicht regierungsfähig, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Wenn die Regelungen zu den Abschlüssen im nächsten Schuljahr greifen, dann brauchen wir einen Vorlauf, um die organisatorischen und personellen Vorbereitungen treffen zu können. Jeder, der den Schulalltag kennt, weiß das.

Die Schulen stellen sich gern dieser neuen Herausforderung, aber sie brauchen ein klares, ein eindeutiges Signal und, ich denke, noch ist es nicht zu spät.

(Beifall bei der PDS)

Abschließend ein Wort zu den Regelschulen: Ich nehme sehr wohl die Anmerkungen von Regelschullehrern, Eltern und Schülern ernst. Deshalb sage ich eindeutig, die Diskussion um die Abschlüsse muss auch einhergehen mit der Stärkung der Regelschule. Aber eine starke Regelschule erhalte ich nicht, indem ich das Gymnasium sozusagen abschließe. Erfahrungen der anderen Bundesländer zeigen eindeutig, die Ängste sind unbegründet. Man muss Regelschulen inhaltlich und strukturell stärken.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Ich will nur einige Stichworte nennen: Größere Durchlässigkeit, die integrierte Form stärken, zurzeit lässt die Globalisierung der Lehrerstundenzuweisung das gar nicht zu, integrierte Formen sind eindeutig benachteiligt,

(Beifall bei der PDS, SPD)

ich rede von nachmittäglichen Angeboten, Klassenleiterstunde, z.B. Wirtschaft/Technik auch für den Realschulabschluss und es geht auch um die Verbesserung der Diagnosefähigkeit und Beratungskompetenz von Grundschulenlehrern. Ich denke, nur wenn wir in diesem Sinne die Regelschule stärken, werden wir einem Bildungsbegriff gerecht, wie ihn uns Ernst Bloch ins Stammbuch geschrieben hat und das sollten wir alle bedenken: "Bildung ist Leben im aufrechten Gang." Danke.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Emde, CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Abgeordnete, ich denke, Herr Döring, den aufrechten Gang, den können wir durchaus haben. Ich werde Ihnen das auch noch mal darlegen, weil ich denke, dass die schulgesetzlichen Regelungen zu dem Thema "Abschlüsse" immer vernünftig waren und entsprechend entwickelt wurden und dass wir auch heute im Gespräch sind, diese Dinge vernünftig weiterzuentwickeln.

(Beifall bei der CDU)

Zunächst einmal zu dem Antrag: Es gab die gemeinsame Entschließung aller drei Fraktionen hier in diesem Landtag und dort wurde die Landesregierung gemeinsam aufgefordert, im Rahmen einer Schulgesetznovelle Möglichkeiten von Abschlüssen auch am Gymnasium vorzusehen.

Die Landesregierung hat sich dazu auch ausdrücklich erklärt, auch die CDU-Fraktion, dass wir dieses vorhaben und dass diese Dinge im Herbst, also nach der Sommerpause, geschehen sollen. Insofern ist es nun nicht einzusehen, dass drei Wochen danach SPD und PDS einen erneuten Antrag vorlegen und die Landesregierung zusätzlich auffordern wollen. Ich muss dazu sagen, inhaltlich ist der Antrag nicht weiter untersetzt. Einiges kam hier wenigstens in Reden, aber in den Antragsformulierungen ist inhaltlich nichts untersetzt. Da fragt man sich, will man es nicht inhaltlich untersetzen? Ich habe auch hier keine konkreten Vorschläge gehört, vielleicht scheuen Sie sich auch davor, eigene Vorschläge zu unterbreiten, die dann in der Öffentlichkeit diskutiert werden.

(Beifall bei der CDU)

Frau Dr. Stangner, Sie grinsen.

Kommt es wirklich darauf an, noch vor der ohnehin im Herbst dieses Jahres zu beschließenden Schulgesetznovelle eine frühere Regelung nur für diese Frage der Abschlüsse zu treffen?

(Zwischenruf Abg. Döring, SPD: Die Schulen müssen das umsetzen.)

An die Opposition muss ich sagen: Sie wissen ganz genau, dass sich das Verfahren zur Erstellung von Gesetzentwürfen durch die Landesregierung bis zur fertigen Vorlage in den Landtag über Wochen hinzieht. Wenn Sie Ihr Anliegen heute ehrlich gemeint hätten, dann hätten Sie einen konkreten Vorschlag darlegen müssen, wie Sie Prüfungen regeln wollen und Sie hätten auch eine Sondersitzung in den Parlamentsferien beantragen müssen heute, sonst wäre es gar nicht machbar gewesen. Da muss ich einfach sagen, Frau Dr. Stangner, statt zu lamentieren, müssten Sie heute hier konstruktiv sein.

(Beifall bei der CDU)

Die Landesregierung wird nach der Sommerpause einen Vorschlag zu den Regelungen für die Abschlüsse in die schon existierende Schulgesetznovelle einbringen, und die zeitliche Vorgabe ist eben so, dass die Regelungen noch für die Absolventen des nächsten Schuljahrs zutreffen werden, auch wenn Sie das hier anzweifeln wollen. Auch wir haben diese Zielstellung. Ich muss Ihnen sagen, auf die Auseinandersetzung mit Ihren konkreten Vorstellungen von SPD und PDS im Ausschuss für Bildung und Medien freue ich mich. Die Überweisung der Anträge sei hiermit beantragt. Wir warten erfreut darauf und ich darf Herrn Döring zitieren. Herr Döring sagt: "Wir müssen dieses Problem endlich konkret angehen." Ich warte darauf, Herr Döring.

(Beifall bei der CDU)

Für uns gelten in der ganzen Sache zwei Prämissen: Erstens, es soll kein Abschluss an Schüler des Gymnasiums verschenkt werden und zweitens,

(Beifall bei der CDU)

und das ist eigentlich erstens, die Belange der Regelschulen müssen mindestens genauso stark im Blickfeld sein. Ich freue mich, Herr Döring, dass Sie wenigstens zum Ende Ihrer Rede genau dieses Thema vorgebracht haben, denn das ist das zentrale Thema, die Stärkung der Regelschule.

(Beifall bei der CDU)

Die Regelung mit externem Abschluss zur mittleren Reife war seinerseits der Versuch, den Zustrom zum Gymnasium in vernünftige Bahnen zu lenken und zu halten und eben auch die Regelschule dadurch zu stärken, auch mit dem Hinblick auf zusätzliche juristische Stärkung des Elternwunsches für die Entscheidung für die gymnasiale Schullaufbahn. Die Situation hat sich für meine Begriffe in den letzten zwei Jahren doch entscheidend geändert. Jetzt sind es nicht nur wenige Schüler, die diesen externen Realschulabschluss anstreben, sondern die Zahl ist sehr stark gewachsen, es sind sehr viele Schüler, und das ist natürlich auch eine sehr starke Belastung für die Regelschule und diese Belastung wächst derzeit. Die Regelung hat außerdem aus meiner Sicht in den letzten Jahren nicht dazu geführt, dass die Übertrittsquoten niedrig gehalten werden konnten, die Übertrittsquoten steigen. Dazu kommt natürlich auch die Situation der Schulnetzplanung, der Kampf um das Kind, die Gymnasien kämpfen auch um jedes Kind. Die tatsächliche Eignung für die gymnasiale Schullaufbahn steht oftmals nicht im Vordergrund, insofern gibt es durchaus auch von unserer Seite schon länger Gedanken darüber, wie man diese Sache angehen kann.

Ich würde auch einmal einen Vorschlag unterbreiten, wie man einen mittleren Abschluss am Gymnasium erreichen kann, der nicht einfach verschenkt wird, denn wir müssen sehen, es muss auch eine Gleichheit bestehen zwischen dem, was Realschüler zu absolvieren haben,

(Beifall bei der CDU)

und dem, was Gymnasiasten zu absolvieren haben. Es gibt dabei Probleme zu beachten: Das sind einfach schulorganisatorischer und personeller Aufwand, den man am Gymnasium sehen muss. Wir müssen ja dort auch sehen, dass eine Prüfung, so, wie sie vielleicht herkömmlich verstanden wird, gar nicht umzusetzen ist, nicht sinngerecht ist und auch mit Hinblick auf ein 12-jähriges Abitur, das von der SPD nach wie vor oder jetzt wieder mit gewollt wird, dort gar nicht hinkommen mit so einer langen Prüfung. Insofern könnte ich mir vorstellen,

(Zwischenruf Abg. Dr. Stangner, PDS: Des- halb brauchen wir auch jetzt diese Regelung, Herr Emde.)

dass wir diese Prüfung in Form von Klausuren schreiben, das könnte in Pflichtfächern und in Wahlfächern sein. Natürlich muss die Jahrgangsfortgangsnote auch entsprechend eingefügt werden und das mit einem etwas erhöhten Grad. Das wäre eine Möglichkeit, wie wir vielleicht der Sache nachkommen, wie wir die Sache befördern könnten. Ich wollte nur einmal so eine Idee mit einfügen, damit die Diskussion im Ausschuss dann auch Frucht bringend wird und vielleicht hilft Ihnen das ja auch bei Ihren Überlegungen über die Sommerpause.

Einen Punkt möchte ich in diesem Zusammenhang auch unbedingt ansprechen, das ist für mich die Frage der Schullaufbahnberatung, denn hier liegt ein gravierendes Problem. Schulleiter von Regelschulen aus dem Altkreis Meiningen haben uns geschrieben: "Die falsche Wahl der Schulform ist die Hauptursache für das Scheitern mancher Gymnasiasten." Da liegt natürlich viel Wahrheit drin. Deswegen denke ich, wir müssen uns auch darüber Gedanken machen, wie man zum Beispiel nach der Klasse 3 oder auch in 5 und 6, aber auch nach dieser Prüfung zur mittleren Reife am Gymnasium konkret Schüler und Eltern für diese Schullaufbahn berät, damit klar ist, dass der richtige Weg für das Kind gewählt wird.

Forderungen nach schärferen Übertrittsbestimmungen, wie sie sehr häufig in der Diskussion, die wir zurzeit führen, geäußert werden, sind natürlich zum Scheitern verurteilt, denn das Elternrecht auf die Wahl der Schulform ist nun einmal stärker, als das Recht des Staats, in diese Dinge einzugreifen und das haben wir ganz einfach zu akzeptieren.

(Beifall bei der CDU)