Protokoll der Sitzung vom 23.08.2002

Verehrte Damen und Herren Abgeordnete, verehrte Vertreter auf den Regierungsbänken, verehrte Besucher auf der Besuchertribüne, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich eröffne unsere 68. Plenarsitzung des Thüringer Landtags am heutigen 23. August 2002 und begrüße Sie dazu alle sehr herzlich.

Als Schriftführer haben Platz genommen Herr Abgeordneter Braasch und Herr Abgeordneter Höhn. Herr Abgeordneter Höhn wird die Rednerliste führen.

Für die heutige Sitzung haben sich entschuldigt: Frau Abgeordnete Arenhövel und Herr Abgeordneter Buse.

Wir kommen unmittelbar zum Aufruf des Tagesordnungspunkts 1

Regierungserklärung der Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst "Thüringen - Campus für Wissenschaft und Innovation"

Ich darf Sie, Frau Ministerin Prof. Schipanski, bitten, uns die Regierungserklärung zu halten.

Roman Herzog sagte in seiner Berliner Rede schon 1997: "Innovationsfähigkeit fängt im Kopf an - bei unserer Einstellung zu neuen Techniken, zu neuen Arbeits- und Ausbildungsformen, bei unserer Haltung zur Veränderung schlechthin. Die mentale und die intellektuelle Verfassung des Standorts Deutschland ist heute schon wichtiger als der Rang des Finanzstandorts oder die Höhe der Lohnnebenkosten. Die Fähigkeit zur Innovation entscheidet über unser Schicksal." Diese Aussage ist heute so wahr wie vor fünf Jahren. Wer mit offenen Augen durch unser Land fährt, der wird erkennen, dass dieser Mentalitätswandel bei uns im Freistaat bereits Früchte zeigt. Es ist offenkundig, Thüringen ist ein Land mit Zukunft.

(Beifall bei der CDU)

Wir sind uns bewusst, wie wichtig Innovation, Kreativität, Leistungswille und soziale Verantwortung für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes sind. Globalisierung, neue Technologien und ökonomische Chancen bestimmen die Diskussion. Wir machen uns aber ebenso bewusst, wo unsere geistigen Wurzeln und Traditionen liegen, auf welchem Wertekanon unsere neu errungene demokratische Ordnung beruht. Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kunst gehören zum geistigen, kulturellen und innovati

ven Fundament eines jeden Landes. Deshalb stärken und festigen wir mit unserer Politik dieses unser Fundament.

(Beifall bei der CDU)

Die Thüringer Landesregierung sieht in besonderer Weise die Chancen, die wirtschaftliche und gesellschaftliche Innovation durch Wissenschaft und Forschung bieten.

Meine Damen und Herren Abgeordneten, wir haben die Herausforderungen der Zukunft angenommen, die Herausforderung der Schaffung neuer demokratischer und leistungsorientierter Strukturen in Wissenschaft und Forschung, die Herausforderung der Globalisierung, die Herausforderung der Wissensgesellschaft, die Herausforderung der Interdisziplinarität für die Lösung der komplexen Probleme, die wir in dieser Zeit haben, die Herausforderung des Zusammenlebens im vereinten Europa.

Meine Damen und Herren Abgeordneten, eine Lehre der technischen Revolution und des gesellschaftlichen Umbruchs, der uns die letzten Jahre begleitet hat, lautet: Neue zukunftssichere Arbeitsplätze entstehen vor allem in innovativen Bereichen. Das ist zuallererst selbstverständlich eine Aufgabe für mutige Unternehmer. Aber unsere Wissenschaftler und Forscher schaffen dafür wesentliche Voraussetzungen, wie uns gestern Abend die Forscher des Beutenberg-Campus, so meine ich, sehr anschaulich demonstriert haben.

(Beifall bei der CDU)

Ihre Kreativität, ihr Ideenreichtum wird die Zukunft unserer nachfolgenden Generation ganz entscheidend beeinflussen. Ihr Wille zu gestalten, Chancen zu öffnen, Risiken einzugehen, wird den Mut auslösen, der andere begeistert. Wir konnten das gestern erfahren. Der Wille und die Überzeugung von der eigenen Chance des Lebens wird zu Unternehmensgründungen führen, die innovative Produkte herstellen und die auch einen neuen Markt für Ideen schaffen. Auf diesen Markt, meine Damen und Herren, müssen wir unsere Wissenschafts- und Forschungslandschaft ausrichten. Diese Aufgabe kommt unseren Hochschulen und Forschungseinrichtungen immer deutlicher zu. Ihre zukunftsfähigen Strukturen entscheiden in besonderer Weise über die Entwicklungschancen in unserem Land.

Meine Damen und Herren, Thüringen hat die Grundlagen dafür in den vergangenen Jahren durch einen kontinuierlichen und zielgerichteten Aufbau seiner Hochschul- und Forschungsinfrastruktur geschaffen. So hat die Landesregierung im Jahr 2000 pro Student 11.500 gegeben und sich damit im Bundesvergleich überdurchschnittlich engagiert.

(Beifall bei der CDU)

Zurzeit studieren 42.400 Studenten an unseren vier Universitäten, vier Fachhochschulen und an der Hochschule für Musik. Für das Jahr 2008 erwarten wir einen Anstieg auf 52.000 Studierende. Der Hochschulstandort Thüringen ist attraktiv. Er zieht Studierende aus allen Ländern Deutschlands und dem Ausland an. Rankings, die in jüngster Vergangenheit veröffentlicht wurden, zeigen immer wieder: Thüringen belegt einen Spitzenplatz im bundesdeutschen Vergleich, sei es bei der Einhaltung der Regelstudienzeit oder bei der Qualität des Studiums. Nehmen wir als Beispiel das Physikstudium in Jena. Eine Studie des Wissenschaftsrates zeigt, unsere Studenten haben in 10,7 Semestern das Diplom in der Tasche, die Studenten in Saarbrücken brauchen dafür 15 Semester. Oder das Maschinenbaustudium in Ilmenau; in diesem Ranking belegte es den ersten Platz. Nirgendwo sonst in Deutschland wird dieses Studium so zügig absolviert. An anderen Universitäten wird über zwei Jahre länger studiert.

(Beifall bei der CDU)

Das sind Ergebnisse, die sich sehen lassen können und die beachtet werden. In ihnen spiegelt sich die hohe Priorität wider, die unsere Universitäten und Fachhochschulen der Lehre geben. Transparente Studien- und Prüfungsordnungen, Verantwortung der Fakultäten für die Studiengänge, interdisziplinäre Lehre und studentenfreundliche Regelungen für Prüfungszeiten - das sind die Charakteristika unserer Hochschulen für die Lehre. Unsere Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer nehmen das verantwortungsbewusst wahr. Hier haben wir Vorbildwirkung, meine Damen und Herren Abgeordneten, für die Universitäten der alten Länder, in denen über solche Maßnahmen noch immer im Detail gestritten wird.

(Beifall bei der CDU)

An der Bauhaus-Universität Weimar erfolgte beispielsweise ganz bewusst eine Abkehr von konventionell strukturierten Ausbildungssystemen der allgemeinen deutschen Kunst- und Gesamthochschulen. Lehre und Forschung sowie künstlerische und gestalterische Fähigkeit sind hier bei uns integrale Bestandteile des Studiums. Interdisziplinäre Projektstudien verbinden Theorie und Praxis in ganz hervorragender Weise. Die Studenten werden an unseren Hochschulen zu vernetztem, zu fächerübergreifendem Denken angeregt. Auf diese Weise sind sie besser auf die Anforderungen der modernen Arbeitswelt vorbereitet.

Die moderne Arbeitswelt braucht Spezialisten, aber sie braucht zunehmend mehr Generalisten. Sie braucht vor allem aber Menschen, die sich ein Leben lang durch Lernen auf neue Herausforderungen einstellen können, und sie müssen bereit sein, Höchstleistungen zu erbringen. Die Universitäten und Fachhochschulen unseres Landes haben darauf frühzeitig reagiert. Sie haben Studiengänge Wirtschaftsinformatik, Wirtschaftsingenieurwesen, Bioinformatik und Wirtschaftsrecht eingerichtet. Das ist ihre Antwort auf die veränderten Anforderungen der Arbeitswelt

und der Wissenschaftsentwicklung.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren Abgeordneten, auch der Aufbau von Medienstudiengängen - eine ganz moderne Richtung - an allen Thüringer Universitäten ist eine Antwort von uns auf diese Entwicklung.

(Beifall bei der CDU)

Jeder Studiengang spiegelt zugleich die spezifischen Profile der Universitäten wider. Ich nenne Ihnen als Beispiel: Medientechnologie an der Technischen Universität Ilmenau, Mediengestaltung an der künstlerisch orientierten BauhausUniversität Weimar, Kommunikationswissenschaften an der geisteswissenschaftlichen Universität Erfurt und Medienwissenschaft an der Universität Jena ergänzt durch Kommunikations- und Medientechnik an der Fachhochschule in Jena und durch Informationstechnologie an der Berufsakademie.

Meine Damen und Herren Abgeordneten, dieses Beispiel zeigt deutlich, warum wir zu Recht vom WissenschaftsCampus Thüringen sprechen. Wir setzen auf eine klare Profilbildung unserer Hochschulen auf der einen Seite und eine sinnvolle Ergänzung der Studienangebote auf der anderen Seite.

(Beifall bei der CDU)

Wir sind ein flächenmäßig überschaubares Land hier in Thüringen. So lässt sich bei uns der Gedanke des Wissenschafts-Campus Thüringen ideal verwirklichen. Wir haben alle Forschungseinrichtungen elektronisch vernetzt, wir bauen unsere verkehrstechnische Infrastruktur zügig aus, allerdings wenn wir nicht gerade vom Bund daran gehindert werden. Ich nenne hier nur den systematisch verschleppten Ausbau der ICE-Trasse Nürnberg-Erfurt. Das ist ein Skandal, meine Damen und Herren Abgeordneten.

(Beifall bei der CDU)

Unser Konzept in Thüringen beruht auf Kooperation und Zusammenwirken aller Hochschulen und Forschungseinrichtungen auch in Zusammenarbeit mit Schulen, privaten Bildungseinrichtungen und der Wirtschaft. So haben wir konsequent Doppelungen von Studiengängen vermieden und wir haben der Entwicklung von modernen Technologien und von Geisteswissenschaften Rechnung getragen. Die Profilierung der Hochschulen auf dem Campus Thüringen bietet dem Land die Möglichkeit, Exzellenz von Forschung und Lehre mit erhöhter Effizienz zu verbinden. Ich erinnere nur an gestern Abend, als uns das deutlich veranschaulicht wurde.

Aber, meine Damen und Herren Abgeordneten, lassen Sie uns einen Blick auf diesen Campus werfen. Die neue wieder gegründete Universität Erfurt ist eine geisteswissenschaftliche Modelluniversität für ganz Deutschland und damit auch ein wichtiger Impulsgeber für die Zukunft der Geisteswissenschaften in der gesamten Bundesrepublik. Ein Studium fundamentale sowie die konsequente Gliederung durch Bachelor- und Master-Abschlüsse und ein ausgeprägtes Mentorensystem sind die Spezifik dieser modernen Hochschule. Das Leitbild der BauhausUniversität Weimar basiert auf der Maxime der Einheit von Form und Funktion, der Einheit von Technik und Kunst in ökonomischer und ökologischer Verantwortung, eine Antwort auf die Herausforderung unserer Zeit. An der Hochschule für Musik "Franz Liszt" Weimar werden hervorragende junge Musiker, Musik- und Kulturwissenschaftler aus der ganzen Welt nach anerkannten exzellenten Methoden ausgebildet. Die vertraglich festgelegte Verbindung zum Musikgymnasium "Belvedere" ermöglicht eine gute Förderung und eine Auswahl besonders begabter Gymnasiasten. Meine Damen und Herren, das ist ein hervorzuhebendes Modellbeispiel der Begabtenförderung, das für ganz Deutschland von ausstrahlender Kraft ist.

(Beifall bei der CDU)

Die Technische Universität Ilmenau hat mit dem Ausbau von Informationstechnik, Informatik, Mobilkommunikation, Mikro- und Nanotechnologien neue Akzente der wissenschaftlich fundierten wirtschaftlichen und auch der technologischen Entwicklung von Thüringen gesetzt. Ilmenau ist ein Synonym für eine moderne Technische Universität der Bundesrepublik Deutschland, die bewusst auf Innovation setzt.

Die Friedrich-Schiller-Universität Jena, traditionsreich und symbolträchtig seit 1558, ist eine Volluniversität im Humboldt'schen Sinne mit Geisteswissenschaften, Jura, Medizin und Naturwissenschaften. Hier liegt ein besonderer Schwerpunkt auf der Bio- und der Gentechnologie. Das sind Technologien, die größte Entwicklungschancen im jetzt beginnenden 21. Jahrhundert bieten. Jena ist weit über die Grenzen Thüringens hinaus bekannt und geachtet für seine vorbildlichen Ausbildungs- und Forschungsleistungen auf vielen Gebieten. Erst jüngst erhielt Frau Professor Mummendey den deutschen Psychologiepreis, das ist der deutschlandweit angesehenste Preis dieser Fachrichtung, und er ist damit auch zum ersten Mal an eine Frau vergeben worden.

(Beifall bei der CDU)

Das Universitätsklinikum Jena gehört in vielen Bereichen zu den modernsten Deutschlands. Beispielsweise in der Transplantationschirurgie und der Krebsbehandlung. Auch im Bereich der Neurowissenschaften, also bei Themen wie Lernstörungen und Schlaganfallpatienten, hat sich das Universitätsklinikum eine bundesweite Bekanntheit er

arbeitet.

Meine Damen und Herren Abgeordneten, diese Beispiele lassen sich beliebig fortsetzen. So fand vor wenigen Tagen in Jena der Weltkongress zu Fragen des Biomagnetismus statt. Besonderes Aufsehen erregte die Präsentation des weltweit ersten fötalen Magnetokardiographen. Mit diesem Gerät können Herzfehler eines Babys bereits im Mutterleib festgestellt werden. Gestern Abend konnte man sich da mal hinlegen und sehen, wie sein eigenes Herz funktioniert. Ich glaube, das war eine gute Anschauung für uns.

(Beifall bei der CDU)

Ich meine auch, wir können stolz sein auf diese Ergebnisse, die bei uns hier in Thüringen erreicht worden sind und die weltweit Anerkennung finden.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren Abgeordneten, wir gehen nicht nur in der Forschung konsequent neue Wege, auch in der Ausbildung. So haben wir beispielsweise vor zwei Jahren im Unterschied zu anderen Ländern das Fach "Informatik" nicht mit einem Numerus clausus belegt. Wir haben vielmehr durch ein Sonderprogramm mit 1,7 Mio.  die notwendige moderne Entwicklung auf diesem Gebiet gefördert.

(Beifall bei der CDU)

Dadurch sind wir der Forderung der Industrie nach Ausbildung von Arbeitskräften in diesem Bereich sehr zügig nachgekommen. Den betroffenen Hochschulen haben wir ein flexibles Instrumentarium zur Verfügung gestellt, so dass sie auf aktuelle Entwicklungen schnell reagieren konnten.

Meine Damen und Herren, es erfolgt derzeit die Ausbildung von rund 1.350 zusätzlichen Diplomingenieuren im Rahmen dieses Programms. Insgesamt haben wir fast 4.000 Informatikstudenten in Thüringen. Wir brauchen keine Green-Card-Fachleute, wir bilden unsere Spezialisten zügig selbst aus, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Die Zahl der Studierenden ingenieurwissenschaftlicher Fächer hat sich in den vergangenen zwei Jahren von 8.700 auf 10.700 erhöht. Damit liegt ihr Anteil mit 25 Prozent deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Das ist auch ein Ausweis für das Technologieland Thüringen. Das zeigt auch, dass die Akzeptanz von Technik bei unseren jungen Menschen beachtlich hoch ist. Ich sehe das auch als ein Ergebnis der Wertschätzung des naturwissenschaftlichen Unterrichts an unseren Gymnasien.