Wir sind besonders, glaube ich, davon betroffen, dass, bis auf Hessen, alle unsere Nachbarn im Mittelpunkt der Schädigung stehen. Die Bayern, die Sachsen, die Sachsen-Anhaltiner und seit einigen Tagen auch die Niedersachsen. Ich habe selbstverständlich, als die ersten Nachrichten kamen, sofort, zunächst dem Kollegen Milbradt und dann den anderen Kollegen, jede uns mögliche Hilfe angeboten.
Was nun die Behebung der Schwierigkeiten betrifft, so möchte ich zunächst einmal sagen, es gibt ein paar Punkte, über die besteht Einigkeit und über die bestand auch gestern bei dem Gespräch aller meiner Kollegen und mir mit dem Bundeskanzler und den einschlägigen Ministern Einigkeit. Es handelt sich um eine nationale Katastrophe und es ist schnelle Hilfe unabdingbar geboten. Das ist gemeinsame Meinung von uns allen. Es besteht auch Einigkeit, es muss jetzt so schnell wie möglich ein allein dafür verfügbarer Fonds mit etwa 10 Mrd. Ob das reicht oder ob das nicht reicht, das weiß zur Stunde keiner, weil ja zum Teil noch Schäden zu befürchten sind, die noch gar nicht eingetreten sind. Die Summen, die
jetzt genannt werden, sind ebenfalls nur vorläufige erste Schätzungen. In Sachsen spricht man von 15 Mrd. Sachsen-Anhalt von 6 Mrd. 1 $ Meine Damen und Herren, die dürfen auch nicht einfach addiert werden, denn da sind natürlich auch Schäden darunter, für deren Behebung andere rechtlich verantwortlich sind und die Verantwortung auch wahrnehmen können. Ich sage noch einmal, es ist Einigkeit, dass jetzt ein Fonds gebildet werden muss, in dem 10 Mrd. zunächst einmal zur Verfügung stehen. Schließlich besteht Einigung, dass diese Hilfe drei Schwerpunkte haben muss: einmal unmittelbare individuelle Hilfe, wo Hausrat und anderes unwiederbringlich vernichtet ist und die Leute vor dem Nichts stehen; zweitens und vor allem, dass Betriebe - vom Handwerksbetrieb bis zur großen Industrieunternehmung - so schnell wie möglich wieder arbeitsfähig gemacht werden müssen, damit nicht weitere Arbeitslosigkeit entsteht, damit gefüllte Auftragsbücher nicht abgeworben werden von anderen, die liefern können und damit diese Betriebe ebenfalls mit beteiligt werden können an der jetzt notwendigen Aufbauarbeit.
Und drittens sind diese Mittel gedacht für Infrastrukturmaßnahmen der Kommunen, der Länder und des Bundes, weil jeder weiß, dass wahllos Kreisstraßen, Gemeindestraßen, Landesstraßen, Bundesstraßen, Fernverbindungen, Nahverbindungen der Bahn zerstört worden sind und möglichst schnell wieder hergestellt werden müssen. Diesbezüglich, alles, was ich bisher dazu genannt habe, darüber besteht Einmütigkeit. Unterschiedliche Meinung ist darüber vorhanden, wie diese 10 Mrd. ! den sollen. Meine Damen und Herren, es muss doch noch erlaubt sein, über diese nicht unwichtige Frage unterschiedliche Meinungen zu haben. Der Bund, Sie wissen es, will die zweite Stufe der Steuerreform erst ein Jahr später in Kraft treten lassen, das geltende Gesetz ändern und das Ganze vom 01.01.2003 auf den 01.01.2004 verschieben. Nicht jedermann weiß, was diese zweite Stufe beinhaltet. Diese zweite Stufe der Steuerreform beinhaltet eine deutliche Heraufsetzung des Steuerfreibetrags, Grundfreibetrags. Die zweite Stufe beinhaltet eine Absenkung des Eingangssteuersatzes und folglich auch eine Absenkung des Spitzensteuersatzes.
Verehrter Herr Kollege Gentzel, in der Tat, wir waren gegen die Steuerreform, weil wir die erste Stufe für falsch gehalten haben, die Freistellung der Kapitalgesellschaften.
Es hat sich erwiesen, dass das ein ungeheurer Fehler war, weil es eben dazu führt, dass wir so gut wie keine Einnahmen mehr aus der Körperschaftssteuer haben.
Als wir dieses kritisch sagten, Sie können es ja in den Protokollen nachlesen, sind wir immer auf die zweite Stufe verwiesen worden, weil es geheißen hat, ja die erste begünstigt die großen Kapitalgesellschaften, aber wartet nur, die zweite wird den kleinen Mann begünstigen durch die Absenkung des Eingangssteuersatzes und durch die Erhöhung des Freibetrags. Unsere Kritik setzt ein, dass diese Stufe jetzt ausgerechnet verschoben werden soll. Wir haben, und das wird doch erlaubt sein, gegen diesen Vorschlag der Bundesregierung Bedenken. Nun gibt es Parteien, die melden Bedenken an, aber sagen nicht, wie sie es denn anders machen wollen. Da gibt es eine Partei, die nicht hier im Hause vertreten ist, die ist geradezu olympiaverdächtig im Ablehnen, die aber keine Vorschläge macht. Wenn ich sage, wir sind uns einig, wir brauchen 10 Mrd. dann kann ich ja nicht sagen, ich lehne das ab und damit war es das. Im Übrigen bin ich sehr gespannt, wie die FDPRepräsentanten in den Regierungen, an denen sie beteiligt sind, das sind fünf, darunter ein bis zwei betroffene Länder, wie die sich im Abstimmungsverhalten dann darstellen werden. Das wollen wir erst einmal sehen.
Herr Westerwelle gibt flotte Erklärungen ab, aber abgestimmt wird im Bundesrat und das kann man ja dann kontrollieren.
Also, wir sind nicht für die Verschiebung der zweiten Stufe, weil wir sagen, das bedeutet soziale Schieflage, wenn jetzt die Kleinen und Mittleren allein dazu beitragen, diesen Betrag aufzubringen, und weil wir sagen, die stagnierende Konjunktur verträgt jetzt nicht, dass auf diese Steuersenkung verzichtet wird. Das ist ja nicht allein unsere Meinung. Der Vorstandschef unserer Landesbank hat dieser Tage gesagt, eine Verschiebung der nächsten Stufe der Steuerreform führt zu einer erheblichen Belastung der Konjunktur.
Meine Damen und Herren, es kommen auch wieder die Arbeitslosigkeitsmeldungen für den August in der übernächsten Woche. Dann wird plötzlich zu Recht wieder gefragt werden, was geschieht denn, um die Konjunktur anzukurbeln. Aus diesem Grund - soziale Schieflage, Stagnation der Konjunktur - sind wir der Meinung, dass dieser Weg nicht richtig sei. Dabei räume ich ein und habe das ja auch selbst immer gesagt, wenn man die zweite Stufe verschiebt, dann müsste man konsequenterweise auch die völlige Freistellung der Körperschaftssteuer rückgängig machen. Der Bund hatte das vergessen. Jetzt hat er nachgelegt und hat gestern angekündigt, er will von 25 Prozent auf 26,5 Prozent erhöhen. Das ist systematisch richtig. Wenn ich die Steuersenkung rückgängig mache, muss ich sie auch dort rückgängig machen. Ich füge allerdings hinzu, meine Damen und Herren, gegenwärtig ist das Einkommen aus der Körperschaftssteuer null. Ob ich null mit 25 Prozent besteuere oder mit 26,5 Prozent, null bleibt null.
Insofern ist zwar die Symmetrie hergestellt, das ist richtig, aber nicht mehr Geld in der Kasse. Wir bieten eine Alternative an.
Meine Damen und Herren, ich bin ja nicht gerade bekannt für Schwarzweißmalerei. Ich räume ausdrücklich ein, auch die Alternative hat ihre Probleme. Man muss nur zum Schluss abschätzen, welche Probleme man vorrangig und welche man nachrangig sieht. Der Vorteil unserer Lösung "Finanzierung aus dem Bundesbankgewinn" ist zunächst einmal, dass das Geld da ist, das heißt, dass es verlässlich da ist, während, meine Damen und Herren, die Verlegung der Steuerreform uns ja nicht sagt, ob das Geld, die 10 Mrd., tatsächlich in die Kasse kommen. Wenn die nächste Steuerschätzung vorliegt, werden wir sehen, dass möglicherweise die 6,9 Mrd. von den 10, die aus der Verschiebung der zweiten Stufe kommen sollen, nicht in die Kassen fließen. Deswegen ist unsere Lösung die verlässlichere Lösung, die nicht auf Sand gebaut ist, sondern tatsächlich sofort den notwendigen Fonds auffüllt.
Aus dem Grund sage ich, die Bundesregierung schlägt die nach unserer Meinung zweitbeste Lösung vor. Weil aber Schnelligkeit geboten ist - ich hatte das vorhin unter den Punkten genannt, wo wir einig sind - haben wir die Absicht, die Maßnahmen der Bundesregierung nicht zu behindern. Denn, meine Damen und Herren, wenn wir sie blockieren und unsere nicht durchsetzen können, dann wird den Menschen nicht geholfen und das darf nicht eintreten.
Deswegen ist unsere Position völlig klar. Wir haben eine andere Alternative. Wir werden diese andere Alternative auch praktizieren, wenn wir dazu eine Mehrheit haben sollten ab September. Aber wir werden nicht bis Oktober warten, weil dann den Menschen nicht geholfen werden kann, und deswegen werde ich dem Thüringer Kabinett nach heutigem Stand vorschlagen, diesen Vorschlag der Bundesregierung im Bundesrat nicht zu blockieren, wenn wir wohl in der übernächsten Woche - zu einer Sondersitzung zusammenkommen werden.
Jetzt will ich noch eine Bemerkung machen zur europäischen Hilfe, denn zwischen 6,9 Mrd. geschätzter Einnahmen aus der Verschiebung und 10 Mrd., die wir brauchen, klafft ja noch eine Lücke. Da ist ein Betrag von 1 Mrd. aus Europa eingesetzt. Ich weiß, dass es viele Bemühungen gibt, das zu erreichen. Nur, meine Damen und Herren, wenn man die bisherigen Bereitschaftserklärungen aus Brüssel prüft, dann handelt es sich meistens um die Zustimmung, uns zustehende Mittel anders zu verwenden, und nicht um zusätzliches Geld.
Hier mache ich darauf aufmerksam, dass noch gearbeitet werden muss und dass noch ein Fragezeichen steht. Ich will also klar hier sagen: Es wird die Hilfe kommen. Wenn sie nicht auf dem nach unserer Meinung besten Weg
kommt, kommt sie auf dem zweitbesten Weg. Denn vorrangig ist, dass nach allem, was wir erlebt, und nach allem, was wir gesagt haben, jetzt tatsächlich auch geholfen wird. Ich möchte aber noch drei Dinge, die bei dieser Hilfe wichtig sind, anfügen. Erstens: Man möge bitte den Mittelstand am Aufbau dessen, was zerstört worden ist, voll beteiligen.
Es darf jetzt nicht dazu kommen, dass ein paar Großfirmen - möglicherweise aus ganz Europa - diese Aufgabe übernehmen, sondern die Aufträge müssen so erteilt werden, dass auch der Mittelstand und auch der kleine Handwerksbetrieb sich an dieser Aufbauarbeit beteiligen kann.
Zweitens, meine Damen und Herren: Die Not der Landwirtschaft darf nicht übersehen werden, auch wenn das eine kleinere Bevölkerungsgruppe ist.
Die Not besteht nicht nur darin, dass wir aus dem Gemeinschaftsprogramm Agrar- und Küstenschutz die Deiche verstärken, sondern sie steht auch in der unmittelbaren Hilfe für die Landwirte, die ihre Ernte vernichtet sehen und die ihre Chancen, eine neue Ernte im nächsten Jahr einzubringen, gemindert sehen.
Das Dritte, meine Damen und Herren, das will ich noch einmal ausdrücklich sagen: Es hatte eben nun einmal diese Katastrophe mehr ostdeutsche als westdeutsche Länder getroffen. Aber es war keine ostdeutsche Länderkatastrophe, weil eben auch Bayern und jetzt zunehmend auch die norddeutschen Länder betroffen sind. Wir dürfen durch die Bewältigung dieser Katastrophe das Ziel des weiteren Aufbaus der neuen Länder nicht aus den Augen verlieren.
Deswegen, Herr Gentzel, ich habe das auch gelesen, nur habe ich es nicht gesagt und habe deswegen dem auch sofort widersprochen - ich will jetzt noch einmal für die etwas Skeptischeren oder Langsameren sagen, ich habe von Anfang an gesagt, der Solidarpakt II ist der notwendige zweite Teil der Ausbauhilfe und ist nicht der Notgroschen für Katastrophen, die irgendwo auftauchen.
Schließlich, meine Damen und Herren, wenn die erste Not behoben ist, die hat jetzt Vorrang, dann empfehle ich allen, auch uns - wir, Herr Kollege Schuchardt, sollten uns dann auch die Zeit nehmen, Lehren aus dem, was geschehen ist, zu ziehen. Es gibt eine Menge Lehren, sowohl für den aktiven Hilfsdienst als auch für die langfristige Gefahrenabwehr, die aus dem Erlebnis, das Gott
sei Dank niemand, der heute lebt, schon erlebt hat, zu ziehen sind. Was den steuerrechtlichen Teil der Frage des Berichtsersuchens der SPD-Fraktion betrifft, wird Herr Kollege Trautvetter noch kurz Stellung nehmen, weil das seine Sache ist. Ich will nur noch einmal sagen: Schnelle Hilfe hat absolute Priorität. Wir werden diese schnelle Hilfe nicht verhindern, auch wenn wir meinen, der gewählte Weg sei nicht der beste, und wenn wir die Möglichkeit haben, werden wir den besten Weg wählen.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich kann ich meine Ausführungen nicht beginnen, ohne auch von meiner Seite meine Hochachtung und meinen Respekt vor all denjenigen zu bekunden, die in den betroffenen Hochwassergebieten teilweise unter Einsatz ihres Lebens gekämpft haben und immer noch kämpfen. Ich möchte aber einige Ausführungen von Herrn Kollegen Althaus und auch von Ihnen, verehrter Herr Ministerpräsident, zum Anlass nehmen und hier noch einige Dinge klarstellen, die einfach klargestellt werden müssen, wenn wir sachlich fair mit diesem Thema umgehen wollen.
Zur Chronologie des Ganzen: Der Bundeskanzler hat bei seinem allerersten Besuch in dem Katastrophengebiet unter dem auch für ihn sichtlich erschütternden Eindruck zunächst in der Tat den Satz gesagt, dass man die Möglichkeit erwägen könne, den Solidarpakt vorzuziehen. Was ist daraufhin passiert? Ob Sie das nun, Herr Ministerpräsident, jetzt so, wie von Herrn Gentzel angesprochen, gesagt oder nicht gesagt haben, am Ende bleibt der Fakt, dass aus den Reihen der Union unisono eine Ablehnung dieses Weges, den Solidarpakt vorzuziehen, von vornherein vormarkiert worden ist. Das bleibt ja eine Tatsache. Ich will die anderen widersprüchlichen Aussagen zunächst gar nicht weiter bewerten.
Dann gab es am Samstag letzter Woche ein Treffen, das hat schon für Furore gesorgt, allerdings, glaube ich, zu einer recht zweifelhaften Furore. Als nämlich sich die Ministerpräsidenten der betroffenen Länder - halt, ich muss einschränken, unter Nichteinbeziehung eines anderen betroffenen Landes - getroffen haben und darüber beraten haben, wie hoch denn die Schäden sein könnten, sind sie diesbezüglich zu keinem Ergebnis gekommen, aber haben schon von vornherein der Öffentlichkeit mitgeteilt, dass alles, was die Bundesregierung zur Verfügung stellen wird, ohnehin zu wenig sei.
Herr Kollege Höhn, Sie haben eben behauptet, ein Land wäre nicht beteiligt gewesen bei diesem Gespräch. Würden Sie mir zustimmen, dass eine Beteiligung gegeben ist, wenn der stellvertretende Ministerpräsident dieses Landes teilnimmt? Und das ist geschehen.
Ich hielt es für geboten, dass man die Ebene beibehält und dass der Ministerpräsident des Landes Brandenburg an dieser Beratung teilgenommen hätte.
(Zwischenruf Abg. Dr. Zeh, CDU: Der In- nenminister war doch da. Herr Platzeck hatte wohl keine Zeit.)
Wie die Öffentlichkeit diesen Umstand bewertet hat, muss ich Ihnen ja nicht noch einmal darlegen. Aber ich will das Thema an dieser Stelle überhaupt nicht vertiefen. Fakt ist eins, Sie haben zumindest schon am letzten Samstag versucht dieses Thema parteipolitisch zu instrumentalisieren, das bleibt eine Tatsache.