Protokoll der Sitzung vom 13.09.2002

Nun zur Hartz-Kommission: Parallel zur Einführung des Job-Aqtiv-Gesetzes flatterte dem Bundesministerium für Arbeit bekanntlich der später öffentlich gewordene Prüfbericht des Bundesrechnungshofs zur Darstellung der Statistiken der Bundesanstalt für Arbeit auf den Tisch. Offensichtlich hat hier eine große Behörde ihr Unvermögen zur Reduzierung der Arbeitslosenzahlen damit kaschiert, über Statistiken dennoch ihre Existenzberechtigung in der vorliegenden Struktur zu begründen. Da aber offenbar merkliche Veränderungen aus der Behörde heraus nicht abzusehen waren, wurde die Kommission unter der Leitung von Peter Hartz eingesetzt. Sie hatte den eigentlichen Auftrag, Reformvorschläge für den Umbau der Bundesanstalt für Arbeit zu entwickeln und vorzulegen. Als die Kommission am 16.08.2002 ihre Vorschläge, die so genannten 13 Module, vorgelegt hat, war klar geworden, dass sie vor allem auch aufgrund der begleitenden öffentlichen Diskussion über ihren ursprünglichen Auftrag weit hinausgegangen war. Allerdings konnte sie natürlich auch nicht alle anstehenden Fragen der Wirtschaft und Beschäftigungssituation in Deutschland angehen oder gar erledigen. Die Kommission hatte nicht den Auftrag, Vorschläge für die wirtschaftliche Angleichung des Ostens an den Westen vorzulegen und schon gar nicht die aktuellen Konjunkturfragen der deutschen Wirtschaft zu lösen. Das könnte im Übrigen eine solche staatliche Kommission im Rahmen der Marktwirtschaft vom Ansatz gar nicht leisten.

Wie geht man nun mit den Hartz-Vorschlägen um? Da wir gerade im Wahlkampf sind, steht momentan die SPD im Verbund mit den Grünen allein da, diese Vorschläge anzunehmen und in politisches Handeln umzusetzen. Dies erfolgt zurzeit auf der Strecke der untergesetzlichen Regelung. Natürlich sind hier die Möglichkeiten aufgrund der vielfältigen notwendigen Gesetzesänderungen sehr begrenzt. CDU, FPD und auch PDS werden diese Vorschläge zunächst zerreden, um für ihr Klientel kurzzeitig politisches Kapital zu schlagen. Bei der PDS geschieht das weniger hier im Hause, aber massiv außerhalb, z.B. durch Frau Zimmer, die ja eigentlich hier in unser Haus gehört.

(Unruhe bei der CDU)

Aber der 22.09.2002 ist ja in 10 Tagen Geschichte. Es bleibt zu hoffen, dass dann wieder Sachlichkeit einzieht und vornehmlich die CDU-Seite sich darauf besinnt, dass viele der Hartz-Vorschläge gar nicht so neu sind und sich in den eigenen politischen Forderungen wiederfinden. Da die anstehenden Gesetzesänderungen zustimmungspflichtig im Bundesrat sind, werden sich die beiden großen Parteien über kurz oder lang ins Einvernehmen setzen müssen. Hauptthema in Deutschland ist nicht Wahlkampf, sondern Auflösung des Reformstaus.

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU: Wo ist denn Frau Heß, Herr Müller?)

Geht es Ihnen nicht gut? Oder?

Was die PDS betrifft, so sind mir ihre Verflechtungen zu den Arbeitsloseninitiativen gerade im Osten wohl bekannt. Es ist für eine Partei immer problematisch, wenn es um Reformschritte geht, die Besitzstände verändern können, wenn dabei ein erheblicher Teil der eigenen Parteimitglieder betroffen ist. Da wird man quasi basisgebremst. Einige der Arbeitslosenfunktionäre müssen sich fragen lassen, ob sie ihr Klientel sachgerecht und kompetent vertreten. Ich rede damit nicht gegen die Situation der Arbeitslosen in Thüringen an sich. Wie uns bekannt ist und wie wir aus der Veranstaltung der SPD-Fraktion am vergangenen Freitag auch statistisch untermauert erfahren haben, ist die Bereitschaft, eine Beschäftigung aufzunehmen, unter den Arbeitslosen im Osten deutlich höher als im Westen. Allein es fehlen bekanntlich die Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt. Die Schmarotzerdiskussion gehört nicht in die Arbeitsmarktsphäre im Osten, entsprechend werden die Sanktionen und Leistungseinschränkungen unsere Arbeitslosen auch kaum treffen. Das heißt, dass die Panikmache seitens der PDS gerade in diesem Punkt bei uns völlig unangebracht ist.

(Beifall bei der SPD)

Aber vielleicht braucht das die PDS zurzeit zum politischen Überlebenskampf auf Bundesebene.

Meine Damen und Herren, dass wir in Deutschland ca. 1,5 Mio. offene Stellen haben, ist doch kein Phantom von Peter Hartz. Diese Zahlen finden sich doch in den monatlich vorliegenden Statistiken wieder. In der Bundesstatistik werden im Jahresdurchschnitt 500.000 offene Stellen angezeigt mit dem Vermerk, dass dies etwa ein Drittel der gemeldeten Stellen sind.

Ich finde an dieser Stelle auch, dass bei den folgenden gesetzlichen Regelungen eine Art Meldepflicht für die offenen Stellen eingeführt werden sollte. Allein mit den freiwilligen Stellschrauben wie Bonussystem, steuerlichen Vorteilen oder Förderdarlehen wird es wohl nicht gehen. Dass der Betrag von 25.000     ! sehr hoch liegt, sehe ich zunächst nicht als Nachteil an. Bekanntlich greifen ja in den drei Jahren, in denen die Ich-AG probeweise eingeführt werden soll, die sozialen Sicherungssysteme bei den Betroffenen noch. Damit wäre doch gerade im Osten noch mehr Risiko für diesen Gang in die Selbstständigkeit entschärft, was unserer schwierigen Wirtschaftslage entgegenkommt.

Wie der Status der Landesarbeitsämter oder neu der Kompetenzzentren aussieht, hängt ebenfalls von der Reform der gesamten Bundesanstalt für Arbeit ab. Wir als SPDFraktion sind z.B. schon lange der Meinung, dass wir in Thüringen mit sieben zu viele Arbeitsamtsdirektionen haben und diese auf vier, nämlich die Anzahl unserer Planungsregionen, zu reduzieren und mit den Landesstrukturen der GfAW zu verzahnen sind. Im Übrigen sieht Hartz die Bildung von Job-Centern als unterste Ebene der Arbeitsverwaltung vor, die gerade auf regionaler Ebene agieren sollen und von einem Geschäftsführer und einem regionalen Beirat geführt werden. Dieser Beirat soll die regionalen Akteure umfassen, was gestern Abend sowohl von der CDU-Fraktion als auch von der Landesregierung in Abrede gestellt wurde.

(Zwischenruf Abg. Böck, CDU: Na sicher, Sie können doch die Verantwortung nicht ändern.)

Nicht nur die Regionalbeiräte, auch die Kammern fordern mehr Beteiligung.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Des Weiteren soll auch das Ausbildungszeitwertpapier regional wirken. Es geht hier nicht um die Privatisierung der Berufsausbildung, sondern um die Bildung zusätzlicher regionaler Initiativen, die den regional auftretenden Mangel in gewissen Berufsgruppen fördern sollen, in denen der Fachkräftemangel akut ist oder wird. Dies kommt gerade den kleinen und mittleren Unternehmen zugute, die eben keine eigenen Ausbildungsplätze finanzieren und/oder betreuen können.

Wie wir wissen, haben wir in den neuen Bundesländern ein strukturelles Arbeitslosenproblem. Der Arbeitsplatz

mangel ist so groß, dass er mit den Mitteln der Arbeitsmarktpolitik im herkömmlichen Sinn nicht beseitigt werden kann. Es müssen also neue Ideen her. Eines der Hauptprobleme unserer ostdeutschen Wirtschaft ist eben doch die mangelnde Eigenkapitaldecke der Unternehmen, wie es uns von den Kammern immer wieder bestätigt wird. Gerade jetzt laufen bei vielen Unternehmen die tilgungsfreien Jahre für die Eigenkapitalhilfedarlehen aus. Aufgrund der zu Beginn der 90er-Jahre hohen Zinsen erfolgen in der Regel Umschuldungen in Hausbankdarlehen. Da damit die Bundesbürgschaften entfallen, werten die Banken diese nicht mehr als Eigenkapital ersetzend. Es müsste also eine neue EKH-Initiative her, da sich unsere Unternehmen noch lange nicht stabilisiert haben und es ohnehin noch schwerer haben als Unternehmen im Westen oder Süden der Bundesrepublik, gerade in der derzeitigen konjunkturellen Situation.

Man kann aber auch eine andere Idee haben als diese EKH-Dahrlehen zur Stärkung der Investitionskraft, nämlich den Job-Floater als Stärkung der Beschäftigung von Menschen. Stellt ein Unternehmen nach Ablauf der Probezeit einen Arbeitslosen ein, so kann es einen Job-Floater von 100.000   " #$ $$$%& kredit und 50.000 '  ()* %& kredit ist wieder Eigenkapital ersetzend, so dass damit die Finanzkraft des Unternehmens mittelfristig gestärkt wird.

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU: Sie müssen vorher Bonität nachweisen. Ach du lieber Gott.)

Die eingestellte Arbeitskraft muss dann im Förderzeitraum eine solche Produktivität entwickeln, dass der JobFloater damit erwirtschaftet wird.

Ich halte diese Art der Beschäftigungsförderung für eine weit bessere Idee als die bisherige Förderung nach den Prinzipien "Gießkanne" oder "an der Quelle saß der Knabe"; ich sage hier nur "Spaßbäder", da werden wir uns sicher künftig auch noch einmal darüber unterhalten.

(Beifall bei der SPD)

Sie ist eine neue Idee, um gerade den Unternehmen im Osten neue Impulse zu verleihen.

Wenn es gelingt, zur Finanzierung dieses Vorhabens jährlich 10 Mio.  )* % +,   einen solchen Betrag halte ich nun wirklich für realistisch -, so können mit weiteren 10 Mio. +   Nachrangdarlehen jährlich 200.000 neue Arbeitsplätze allein durch den Job-Floater geschaffen werden. Mit den 1,5 Mio. freien Arbeitsplätzen ist die Reduzierung um 2 Mio. Arbeitslose nicht unrealistisch. Dazu kommt die Tatsache, dass gerade in den neuen Ländern viele über 55-Jährige, die nun seit über 10 Jahren arbeitslos sind oder von einer ABM zur anderen springen, gar nicht mehr in den ersten Arbeitsmarkt einsteigen wollen. Das Deutsche Insti

tut der Wirtschaft Köln gibt hier bundesweit eine Zahl von 870.000 Personen an. Für die älteren Arbeitslosen bedarf es allerdings einer Regelung, die materielle Sicherheit im Alter schafft und Altersarmut verhindert, wie sie durch das Bridge-System der Hartz-Kommission vorgeschlagen wird. Natürlich muss auch über den endgültigen Status der Personal-Service-Agenturen zwischen den Tarifpartnern und der Politik noch geredet werden. Dies steht ja noch gar nicht fest. Die Personal-Service-Agenturen bieten eine Chance, den privatwirtschaftlichen Anforderungen besser als bisher zu entsprechen und Menschen für Arbeit und nicht für Arbeitslosigkeit zu bezahlen, aber, und darauf legt die SPD größten Wert, tarifvertraglich abgesichert und eben nicht dem Lohndumping überlassen. Es schafft die von der Wirtschaft immer wieder geforderte Flexibilität, ohne den wichtigen Arbeitnehmerschutz, nämlich Tarifverträge, zu opfern. Kein Betrieb kann sich dann auf den wirtschaftlichen Zwang zu Überstunden berufen. Hier liegt eine Chance zum Abbau von Überstunden, zur Ausweitung einer an Tarifverträgen orientierten Unternehmenskultur und zur Schaffung von Arbeitsplätzen.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt also viel zu tun, meine Damen und Herren, Hartz hat Anregungen gegeben und keine fertigen Rezepte, packen wir es gemeinsam an. Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Es hat jetzt das Wort Frau Abgeordnete Vopel, CDUFraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, zwei Dinge vorab: Herr Kollege Müller, sowohl Sie als auch Ihr Kanzler

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Unser Kanzler!)

haben den Ländern Bayern und Baden-Württemberg und Sie gestern auch uns vorgeworfen, wir würden aus wahltaktischen Gründen die Arbeitslosigkeit erhöhen oder zumindest billigend in Kauf nehmen. Dass sie steigt - werfen Sie das auch Ihrer Kollegin Simonis in Schleswig-Holstein vor? Denn so, wie ich das heute Nacht gehört habe, wird wohl Mobilcom nicht zu retten sein, da stehen 5.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel. Wie gehen Sie denn damit um? Ich habe das gestern für eine ganz schöne Anmaßung gehalten.

(Beifall bei der CDU)

Zweitens, Herr Dr. Müller, Sie sagten eben Hartz hat Anregungen gegeben. Was stimmt denn nun? Ihr Kanzler sagt, die Hartz-Vorschläge werden 1 : 1 umgesetzt. Da muss

man sich schon mal entscheiden, was man möchte.

Meine Damen und Herren, am 16. August 2002, 11.00 Uhr, wurde der Hartz-Bericht übergeben. Wir haben in der Aktuellen Stunde über das Zustandekommen und auch über die Zusammensetzung der Kommission gesprochen. Herr Hartz ist es gewesen, der sich hingestellt und mit viel Tamtam gesagt hat, heute bricht um diese Zeit ein neues Zeitalter für die Arbeitslosen in Deutschland an. Nicht wir haben das gesagt.

(Beifall bei der CDU)

Externe Kommissionen sind ja zunächst mal nichts Schlechtes. Nur, die gab es ja nun zum wiederholten Male. Wir haben den Zeitpunkt angeprangert, wenige Monate vor der Wahl und der Bericht fünf Wochen vor der Wahl.

Meine Damen und Herren, das Bündnis für Arbeit - ja, ja, das gab es oder es gibt es noch, ich weiß nicht, man hört nichts mehr davon, aber es gab es mal - hat 1999 Folgendes beschlossen: Das Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit unterstreicht die Bedeutung des Benchmarkingansatzes für seine Arbeit. Ziel des Benchmarking ist es, unter Auswertung der Erfahrungen anderer Länder den für Deutschland besten Weg zu mehr Arbeitsplätzen aufzuzeigen. Das war ein Auftrag und daraufhin wurde eine unabhängige Kommission eingesetzt und die hat Vorgaben bekommen und hat sich Ziele gesetzt. Da ging es nicht nur um den bloßen Vergleich, die besten Praktiken zu identifizieren, sondern auch Reformmöglichkeiten für Deutschland aufzuzeigen und Problemlagen und Problemlösungen anzuzeigen, zum Beispiel die Entwicklung des Arbeitsmarkts, makro-ökonomische Aspekte, Lohnbildung und Tarifpolitik, Regulierung und Dynamik von Arbeitsmärkten, Arbeitsmarktpolitik, Steuern, Abgaben, Sozialtransfers, Arbeitszeitpolitik, Kostenstruktur der Unternehmen und einiges mehr. Dieser Bericht liegt seit über einem Jahr vor, er hat viele, viele gute Ansätze. Es ist ein Riesenbericht von über 400 Seiten. Es sind notwendige Reformschritte aufgezeigt worden, meine Damen und Herren, und was ist damit passiert? Er ist in einem Panzerschrank des Kanzleramts verschwunden, er ist weder diskutiert worden, noch ist irgendetwas anderes damit passiert.

(Zwischenruf Abg. Dr. Müller, SPD: Woher wissen Sie das?)

Natürlich wissen wir das. Ist er bei Ihnen diskutiert worden? Gut. Er passte nämlich nicht ins Bild. Fast zeitgleich wurde das Job-Aqtiv-Gesetz erarbeitet und hoch gelobt. So eine Veranstaltung, die am vergangenen Freitag hier stattgefunden hat, hat zum Job-Aqtiv-Gesetz auch stattgefunden, natürlich nur mit Lobreden. Wenn man das damals geglaubt hätte, hätte schon im Vorfeld die Arbeitslosigkeit reduziert werden müssen. Wir haben davor gewarnt. Es zeigt sich, dass es weder in den neuen Bundesländern das habe ich damals noch nicht erwartet - noch in den alten Bundesländern greift. Ich habe zumindest erwartet, dass es

in den alten Bundesländern besser greifen würde. Die Hinweise der neuen Bundesländer waren unerwünscht, der Entschließungsantrag Thüringens und Bayerns ist abgelehnt worden. Herr Gerstenberger, wenn Sie jetzt fordern, die Landesregierung möge sich im Bundesrat für diese Umsetzung oder für das Einbringen, dass die neuen Länder besser berücksichtigt werden, einsetzen, dann muss ich Ihnen sagen, das ist schon geschehen, es ist aber abgelehnt worden. Das muss man Ihnen immer wieder sagen, vielleicht glauben Sie es dann irgendwann einmal.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich will damit sagen, dass es genug Diagnosen und Therapievorschläge gibt. Für den Patienten Deutschland muss ein Therapieplan erstellt und darf nicht länger hinausgezögert werden.

(Beifall bei der CDU)

Wir wissen alle, wenn wir krank sind und je länger wir warten, umso schlimmer wird der nötige Eingriff. Ich wage zu bezweifeln, dass der Therapieplan, der jetzt in diesen einzelnen Modulen vorliegt, wirklich das ist, was die Arbeitslosen in Arbeit bringt.

(Beifall bei der CDU)

Module, wie die Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, neue Zumutbarkeit und Freiwilligkeit, JobCenter, Beweislastumkehr und noch vieles andere mehr, fallen für mich in die Kategorie "abgeschrieben", denn das steht in so vielen Papieren und Vorschlägen von uns.

(Beifall bei der CDU)

Mein Kollege Bergemann wird nachher sicher noch darauf eingehen.