Protokoll der Sitzung vom 11.10.2002

Verehrter Bodo Ramelow, man muss da auch mal ein bisschen vorsichtig sein. Es ist unstrittig, dass wir wissen, wie es in den Unternehmen zugeht. Da kann man keine Pauschallösung finden. Mein Eindruck auch aus vielen Unternehmen, die ich nicht nur in der Funktion als Abgeordneter, sondern auch in einer anderen Funktion besuche, ist, welches vernünftige Klima zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Sinne des wirtschaftlichen Unternehmens herrscht. Das ist unstrittig.

(Beifall bei der CDU)

Wenn man dort hingeht und nachfragt, ob es Betriebsräte gibt, und die gibt's, dann sind die mit am Tisch und da bekommt man genau die gleiche Bestätigung in der Sache. Da ist es wenig sinnvoll, wenn wir hier so einen Klassenkampf anfangen, denn den Eindruck hatte ich schon ein Stück. Das können wir wirklich überhaupt nicht gebrauchen, das mag in einer Zeit gewesen sein, wo das Gewerkschaften auf der anderen Seite Deutschlands geübt haben, wir haben davon jetzt ein etwas anderes Verständnis. Ich finde es auch ein Stück unredlich, dem Finanzminister Janusköpfigkeit vorzuwerfen, denn eines ist schon klar und dafür plädieren wir immer, die Landesregierung von Anfang an und die Fraktionen genauso wollen die Tarifautonomie. Das ist unstrittig und da möchte ich auch nicht, dass sich die Politik in die Tarifautonomie und in die Funktion einmischt, die im öffentlichen Dienst der Arbeitgeber zu vertreten hat, ist ein Unterschied, als wenn genau das angesprochen wird, dass man in diesem Wach- und Schließgewerbe bei niedrigen Tariflöhnen liegt. Ich glaube, das ist nicht ganz fair, denn Beispiele, die mich auch als Gewerkschafter sehr ärgern, wie wir in unserm eigenen Laden, im Gewerkschaftsladen, oft damit umgehen, wenn es um Entlassungen, um Arbeitnehmerprobleme geht, denn da sind wir als Unternehmen genauso den Gesetzen unterworfen,

(Beifall bei der CDU)

wie sie es draußen in der Wirtschaft sind. Das ist nicht immer einfach und es tut auch den Menschen weh, wenn man so etwas tun muss, aber ich hätte mir schon gewünscht, dass ver.di an dem Punkt, wenn es um Tarifverhandlungen für Wach- und Schließgewerbe geht, vielleicht auch ein bisschen mehr erreicht hätte; und das ist kein Problem der Landesregierung. Danke.

(Beifall bei der CDU)

Herr Abgeordneter Ramelow, bitte schön.

Bei dieser Debatte haben wir ja aufmerksame Zuhörer, die zurzeit zum ersten Mal, was ja selten genug ist, live zuhören, was wir hier diskutieren, nicht nur draußen an der Mittelwelle, sondern die Kolleginnen und Kollegen, über die wir reden. Die hören nämlich gerade ganz aufmerksam zu. Eine Bemerkung hat ein Kollege gerade gemacht, das ist ja interessant, wenn man der CDU zuhört - kleine Betriebe - wenig Lohn, große Betriebe - mehr Lohn. Das hat er mal auf sich übersetzt, er hat gesagt: Vorher waren wir hier im Hause als Bewacher bei einem Kleinbetrieb, jetzt sind wir bei einem viel größeren Betrieb. Das Ergebnis ist, dass wir weniger Lohn haben. Das ist die erste Frage, die sie an Sie, meine Damen und Herren, jetzt in den Saal zurück übermitteln. Zweitens: Das mit der Statistik ist auch so eine Sache. Ich habe nämlich in einem Brief an die Landtagspräsidentin angesprochen, dass die Kollegen sagen, sie hätten durch den Übergang an die neue Firma einen erheblichen Lohnverlust. Daraufhin hat mir Herr Linck mitgeteilt, statistisch sei das gar kein Problem, weil sie im Schnitt 30   ten und das sei ja gar nicht so viel. Frau Vopel, Sie haben ja eben auch gesagt, statistisch sei der Abstand zu Sachsen ja nicht so viel. Aber wer von dem niedrigen Lohn leben muss, den er hier verdient, da sind statistisch 30  # sehr viel. Aber in Wirklichkeit ist es praktisch noch ein bisschen anders. Ein Teil von den Kolleginnen und Kollegen hat durch die neue Form der Beschäftigung hier im Haus über 100 -# weniger, obwohl sie die gleiche Tätigkeit für uns nach wie vor machen. Eine Frage, wo ich zurückfrage - Sie hätten doch das Beispiel Ihres Mannes zum Thema Statistik sagen sollen -, weil derjenige, der über 100      sich ein bisschen verhöhnt, wenn so ein Brief hier herumgeht, wo nur von 30  Differenz gesprochen wird. Da sage ich: Wir, meine Damen und Herren, die wir doch automatisch Jahr für Jahr unsere Diäten erhöht bekommen, sollten an der Stelle etwas mehr Sensibilität haben, wenn es darum geht,

(Beifall bei der PDS)

dass es ja statistisch nur so wenige Euro wären. Ich glaube, wer so wenig Einkommen hat, der fühlt sich ein bisschen auf den Arm genommen.

(Zwischenruf Abg. Seela, CDU: Heute früh war es anders.)

Frau Vopel, wenn Sie das Kaufland nehmen und das wunderbare Beispiel bringen, dann darf ich Ihnen sagen,

(Zwischenruf Abg. Vopel, CDU: Nein, "ein Einkaufsmarkt" habe ich gesagt.)

Kaufmarkt? Gut, ein Einkaufsmarkt. Da muss man einfach mal zur Kenntnis nehmen, dass wir eine Überkapazität an Einkaufsmärkten in Thüringen haben, hat etwas damit zu tun, dass wir eine mangelnde Raumordnung hatten, die verhindert hat, dass solche Überkapazitäten zu Stande gekommen sind. Wir haben in Thüringen eine ganze Reihe von Einkaufsmärkten, meine Damen und Herren, ob Sie es wahrhaben wollen oder nicht. Durch die Einzelgenehmigungen ist das im Ablauf genauso erfolgt, wie es in Briefen der Gewerkschaft HBV schon 90 bis 92 an die Landesregierung übermittelt worden ist,

(Zwischenruf Schuster, Minister für Wirt- schaft, Arbeit und Infrastruktur: Da waren Sie noch gar nicht hier.)

Entschuldigung? Da war ich hier, im Gegensatz zu Ihnen, Herr Schuster, war ich da hier - seit 28. Februar 1990 bin ich hier und Frau Präsidentin Lieberknecht in ihrem vorherigen Amt erinnert sich, dass ich damals schon der Landesregierung gesagt habe, wenn es keine schärfere Raumordnung gibt, wird am Schluss ein vernichtender Wettbewerb eintreten, der mit Wettbewerbsregeln nichts mehr zu tun hat. Wir haben einzelne Einkaufsmärkte, einen in Jena, den ich im Kopf habe, ganz konkret, da könnten die Mitarbeiter umsonst arbeiten und die roten Zahlen des Ladens würden nicht aufgewogen werden. Nur ein dauerhafter Mietvertrag zwingt den Betreiber dort drinzubleiben. Das sind Realitäten, die Sie gerne ausblenden, und deswegen, meine Damen und Herren, hat Niedriglohn nicht nur eine lösende Funktion in den Betrieben, sondern die Gewerkschaften in Thüringen haben immer sanierend begleitende Tarifverträge abgeschlossen. Wenn am Schluss der Sanierung der Lohnverzicht den Arbeitsplatz wirklich rettet, und ein Lohnverzicht, der zum Schluss trotzdem zum Konkurs führt, ist ein Lohnverzicht, der auf niedrigerem Lohn in die Arbeitslosigkeit führt und dann die Spirale abwärts in Gang setzt. An dieser Stelle sage ich, meine Damen und Herren, muss das Opfer, das man dem Arbeitnehmer abverlangt, auch in einer Relation dazu stehen, ob ihm Sicherheit auf Dauer gegeben wird, wenigstens auf eine Dauer, dass er das Geld, das er jetzt nicht bekommt, später einmal durch längere Verdienstmöglichkeit hat. Wer den Zusammenhang nicht beachtet, meine Damen und Herren, da kann ich nur sagen, das empfinde ich als Verhöhnung.

(Beifall bei der PDS)

Letzte Bemerkung, Frau Kollegin Vopel. Wenn Sie sagen, ich hätte das gestern Abend der Landesregierung alles schon vorgeworfen. Gestern abend habe ich schon deutlich gesagt, wer das vorgeworfen hat, ich habe das nur wiederholt. Das scheint Ihnen nicht zu passen. Das hat die Industrie- und Handelskammer den drei Fraktionsvorsitzenden nicht vorgeworfen, sondern genau in der Form der Zahlen offeriert und Forderungen an die Politik gestellt. Wenn dann das Wiederholen der kritischen Zahlen, der IstWerte der Industrie- und Handelskammer, dazu führt, dass das eine Kritik an der Landesregierung ist, meine Damen und Herren, dann denke ich, das ist wie früher. Die Partei hat früher auch keine Kritik zugelassen.

(Beifall bei der PDS)

Herr Minister Schuster, bitte schön, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, es ist halt immer dasselbe, wer nicht für mich ist, der ist gegen mich.

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU: Das stimmt.)

Nach diesem Motto handelt Herr Ramelow.

(Beifall bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Buse, PDS: Ich glaube, eher die mittlere Fraktion.)

(Beifall bei der CDU)

Es ist derjenige nach seiner Meinung für soziale Demontage, der überlegt, wie man aus den Schwierigkeiten herauskommen könnte und müsste. Um diesem Eindruck entgegenzutreten, weise ich nochmals darauf hin: Es muss in unserem Land über Mindestlöhne gesprochen werden und darüber, wie man den freien Fall der Löhne nach unten vermeiden kann. Es gibt irgendwo ein Niveau, das darf nicht unterschritten werden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Wenn man dann über die Niedriglohngruppen redet, dann wird einem der Vorwurf gemacht, man wolle überhaupt das Lohnniveau senken und auf Niedriglöhne festschreiben. Wenn man über die Niedriglohngruppen und über die Einstiegstarife redet, dann, um die Einstiegschancen zu verbessern. Was haben wir denn gewonnen, wenn wir ein hohes Tariflohnniveau haben und eine hohe Zahl von Arbeitnehmern, die zu diesen Tariflöhnen überhaupt nicht mehr eingestellt werden, meine Damen und Herren? Das ist doch

das Problem.

(Beifall bei der CDU)

Es geht darum, die Einstiegschancen zu verbessern, es geht aber auch darum, die Aufstiegschancen zu verbessern, um berufliche Karriere zu machen. Es geht auch darum, die Organisation der Arbeit zu verbessern. Der Freistaat Thüringen hat im Bundesrat einen Antrag eingebracht, so genannte Dienstleistungsagenturen einzurichten, einmal, um im Bereich der haushaltsnahen Dienstleistungen mehr Arbeitsplätze zu schaffen, und zwar nicht Zeitarbeitsplätze, sondern Dauerarbeitsplätze, indem man solche Agenturen einrichtet. Solche und ähnliche Modelle müssen diskutiert, erprobt werden, um noch mehr Arbeit in Arbeitsplätze zu gießen.

Nun hat Herr Ramelow das Thema "Investivlöhne" angesprochen. Was er nicht gesagt hat, ist, dass es die Gewerkschaften waren, die jahrelang die Einführung von Tariflöhnen entschieden abgelehnt haben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Was er auch nicht gesagt hat, ist die Tatsache, dass unser Ministerpräsident seit langem die Einführung der Investivlöhne fordert und eine Kommission eingerichtet hat, um genau dieses Modell auch in unserem Lande auf den Weg zu bringen.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, PDS: Da war ich drin in der Kommission für die Gewerk- schaft, da habe ich mitgearbeitet.)

(Beifall bei der CDU)

Die Frage, die dann auch aufgeworfen wurde, ist die Lohnangleichung im öffentlichen Sektor. Auch hier kann ich auf Aussagen unseres Ministerpräsidenten verweisen, unseres Finanzministers, die ganz klare Perspektiven dafür genannt haben.

Vergaberecht: Sie tun immer so, als würde unser Vergaberecht vorsehen, dass konsequent der Billigstanbieter berücksichtigt wird. Sie müssten inzwischen wissen, dass dem nicht so ist, dass wir nicht dem billigsten Angebot den Zuschlag geben, sondern dem wirtschaftlichsten, das heißt, dass das Preis-Leistungs-Verhältnis berücksichtigt werden soll. Ich weiß sehr wohl, dass die Praxis dem Anspruch, insbesondere im kommunalen Bereich, nicht immer entspricht. Aber bei unseren vergaberechtlichen Bestimmungen haben wir keinen Nachholbedarf. Aus Ihrer Sicht vielleicht deshalb, weil wir die vergabefremden Kriterien stets abgelehnt haben, weil sie sich nach allgemeiner Auffassung nicht empfehlen.

Sie haben dann eben noch das Thema "Raumordnung" und "Einzelhandel" angesprochen. Ich war damals zuständig

für das Baurecht im Innenministerium und habe einen verzweifelten Kampf gegen viele Projekte geführt, großflächige Einzelhandelsunternehmen am Rande der Städte in möglichst kleinen Gemeinden anzusiedeln, weil man immer sicher sein konnte, dass der Bürgermeister der Versuchung nicht widerstehen konnte, solche Ansiedlungen zu genehmigen und Arbeitsplätze zu schaffen und Steuereinnahmen zu erzielen. Diese Argumente haben nicht nur Bürgermeister und Gemeinderäte beeindruckt, sondern auch die Gewerkschaften, Herr Ramelow. Auch die haben sich damals für diese Projekte ausgesprochen. Ich erinnere mich noch sehr genau an den Vorgang damals in Egstedt oben,

(Beifall bei der CDU)

was damals gelaufen ist, wie wir versucht haben, diese Ansiedlung zu verhindern im Interesse der Stadt Erfurt, im Interesse des Naturschutzes, des Wasserschutzes und dergleichen mehr. Ich weiß ganz genau, wie die Bataillone damals aufgestellt waren. Nun komme ich noch einmal zu meinem Appell, hier die Ideologie abzulegen und zu einem Miteinander, zu einer konzertierten Aktion zu kommen.

Herr Ramelow, wir sind seit Jahren immer wieder in der Situation, Verhandlungen zu führen, um Unternehmen zu retten. Wir machen immer wieder die Erfahrung, dass wir dabei Seite an Seite mit den Betriebsräten kämpfen. Die Betriebsräte praktizieren meistens mit uns den Schulterschluss, weil sie erkannt haben, dass man gemeinsam antreten muss, um Arbeitsplätze zu retten bzw. neue zu schaffen. Mit denen haben wir jedes Mal eine völlige Übereinstimmung hinsichtlich dessen, was geschehen muss, mit Ihnen nicht. Aber ich sage Ihnen ganz ehrlich: Mir ist es wichtiger, dass die Zusammenarbeit mit den Betriebsräten gut läuft. Dass wir Ihre Unterstützung bekommen werden, davon gehe ich sowieso nicht aus,

(Beifall bei der CDU)

aber vielleicht wäre es sinnvoll, Sie würden gelegentlich mit Ihrem Kollegen Gerstenberger über diese Fragen reden.

(Beifall bei der CDU)

Es gibt eine weitere Wortmeldung. Herr Abgeordneter Ramelow, bitte.

(Unruhe bei der CDU)

Die wenigen Minuten werden Sie noch aushalten, die Sitzung ist ja gleich zu Ende.

Aber, Herr Minister, dass Sie hier einfach die Unwahrheit sagen, ich weiß nicht, ob Sie es einfach nicht besser