Protokoll der Sitzung vom 21.11.2002

Es folgen keine weiteren Ausführungen, auch keine weiteren Fragen. Dann ist diese Frage auch beendet für heute. Sie können den Dialog gern fortführen. Für die Fragestunde ist jedenfalls die Zeit jetzt überschritten und damit schließe ich die Fragestunde insgesamt.

Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 22

Aktuelle Stunde

a) auf Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: "Der Rot-Grüne-Koalitionsvertrag und seine Auswirkungen auf Thüringen" Unterrichtung durch die Präsidentin des Landtags - Drucksache 3/2778

Als Erste hat das Wort Frau Abgeordnete Arenhövel, CDUFraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich denke, es ist unbestritten, dass die Bundespolitik Einfluss in den Ländern hat. Ich denke auch, dass sie besondere Auswirkungen in den neuen Ländern zeigt, weil hier noch andere Bedingungen herrschen als in den alten Ländern. Ich habe mir die Mühe gemacht und habe einmal die Wahlprogramme von SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Koalitionsvertrag, der inzwischen vorliegt, verglichen. Ich habe mich insbesondere mit den Themen Familie, Gesundheitspolitik und Rente beschäftigt. Ich denke, dass das Themen sind, die auch unsere Thüringer Bürgerinnen und Bürger insbesondere interessieren.

Im Wahlprogramm der SPD heißt es beispielsweise: "Mittelfristige Anhebung des Kindergeldes auf 200  steuerliche Absetzbarkeit von Betreuungskosten, wenn man Kinder hat bei Berufstätigkeit, um besonders allein Erziehende zu entlasten". Bei Bündnis 90/Die Grünen heißt es, man will ein einheitliches Kindergeld für alle, um die Familien steuerlich gerechter zu behandeln. Sicher kann man darüber streiten, ob das alles ausreicht, aber insgesamt ge

sehen lobenswerte Vorhaben. Man kann den Koalitionsvertrag auch mit der Lupe absuchen, zu diesen beiden Punkten gibt es schlicht und ergreifend keinerlei Aussagen. Die Gedanken und die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, kann sich jeder selber machen. Das bedeutet, dass Thüringer Familien weiter darauf warten müssen, dass sie entlastet werden, dass Familien weiter belastet sind und dass der Bund nicht bereit ist, dafür etwas zu tun.

Dann haben wir - um beim Thema "Familie" zu bleiben auch die Frage der Kinderbetreuung. Hier hat der Bund gesagt, wir wollen die Bildungs- und Betreuungsangebote fördern, wir wollen, dass Ganztagsschulen entstehen - beide Aussagen finden sich sowohl bei der SPD als auch bei Bündnis 90/Die Grünen. Im Koalitionsvertrag werden dann auch Aussagen dazu gemacht: 1,5 Mrd.     der Kinderbetreuung ab 2004. Was sind 1,5 Mrd.   ganze Bundesrepublik, meine Damen und Herren, es ist ein Tropfen auf den heißen Stein oder 10.000 Ganztagsschulen beispielsweise, auch das ist relativ wenig, wie ich meine. Man hat auch bemerkt, die bessere Situation der Kinderbetreuung in Ostdeutschland darf nicht zur Vernachlässigung dieser Einrichtungen führen. Und das, finde ich, ist eine unverschämte Behauptung, denn ich glaube, dass die Kinderbetreuung bei den Ländern und in den Kommunen hier sehr viel besser aufgehoben ist, und ich glaube, der Bundeskanzler täte besser daran, sich einmal Gedanken darüber zu machen, ob man nicht den Ländern, die sich in der Familienpolitik besonders engagieren, auch mal entgegenkommen will und ihnen beispielsweise einen Bonus einräumt beim Bund-Länder-Finanzausgleich oder ähnliche Dinge. Ich glaube, wir sind hier vorbildlich und das sollte die Bundesregierung einmal würdigen und uns nicht hier erziehen wollen.

(Beifall bei der CDU)

Beim Thema "Gesundheitspolitik" wird Prävention groß geschrieben, man will mehr Geld für Gesundheitsvorsorgeforschung usw. Schwerpunktprogramme sollen gemacht werden usw. usf. Im Koalitionsvertrag steht dann auch, dass Prävention eine eigenständige Säule sein soll und dass man ein Präventionsgesetz haben will. Wenn man die Sicht hier weiter fortsetzt, dann sieht man, dass man eine Positivliste machen will und dass unabhängige Sachverständige Behandlungsleitlinien erarbeiten sollen, um den Leistungskatalog fortzuschreiben und eine KostenNutzen-Bewertung neuer Arzneimittel vornehmen sollen. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist ja wohl die Fortführung einer dirigistischen Leitlinienmedizin, die dazu führt, dass immer weniger Ärzte diesen Beruf attraktiv finden. Ich darf darauf hinweisen, dass wir hier in Thüringen eine hohe Überalterung der Hausärzte haben und dass diese Art von Gesundheitspolitik dazu führen wird, dass dieses Netz weiter ausgedünnt wird. Ich glaube, das können wir uns beim besten Willen nicht leisten. Die Hausärzte sind ganz besonders notwendig, um die ältere Bevölkerung zu betreuen, um wohnortnah da zu sein. Die Bundesregierung täte wirklich besser daran, den Be

ruf des Arztes endlich wieder aufzuwerten und diese bürokratischen und dirigistischen Vorschriften zu lassen.

Dann findet sich bei Bündnis 90/Die Grünen eine Wahlaussage, dass durch die Strukturreform der sozialen Sicherungssysteme die Beiträge insgesamt gesehen unter 40 Prozent sinken sollen.

Frau Arenhövel, darf ich Ihr Luftholen nutzen, um zu sagen, dass Ihre Redezeit zu Ende ist.

Das ist sehr schade, Frau Präsidentin.

Ein letzter Satz, aber ein einfacher.

Gut, danke schön. Es fällt mir etwas schwer, weil es auch zu den Renten viel zu sagen gäbe, beispielsweise, dass man die Schwankungsreserve jetzt auch mindern will, was zu Unsicherheiten in der Rentenzahlung führen wird. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Es hat das Wort der Abgeordnete Gentzel, SPD-Fraktion.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Frau Arenhövel hat es eben bemerkt, wie soll man in fünf Minuten einen Koalitionsvertrag von diesem Umfang werten und messen. Kein Redner wird das bewältigen, was Sie, meine Damen und Herren von der CDU, angeregt haben. Es tut mir schon ein bisschen Leid, Frau Arenhövel, dass Sie die Erste sind, die an dieser Aufgabe gescheitert ist.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Es war ja auch nie das Ziel der Veranstaltung, wirklich über den Koalitionsvertrag zu reden, sondern man wollte einzelne Dinge herausselektieren, die nach oben heben und dann einen gewissen Eindruck erwecken, je nachdem, durch welche Brille man im Augenblick schaut. Es sei nur am Rande erwähnt, diese Bundesregierung ist noch nicht mal 100 Tage im Amt und schon werden solche Abschlussrechnungen vorgelegt. Man muss sich nämlich zuerst einmal die Frage stellen, was kann man denn überhaupt in einem Koalitionsvertrag festschreiben. Was geht denn überhaupt auf diese Sicht von vier Jahren, in Thüringen sind es ja fünf. Sicherlich kann man inhaltliche

Schwerpunkte setzen, sicherlich kann man die Ziele der Politik beschreiben, aber solche Dinge wie der 11. September, wie die Umweltkatastrophe in Sachsen und auch wie wirtschaftspolitische Entwicklungen in Zeiten von immer mehr Globalisierung, diese Dinge sind nicht mehr so klar festzumachen und deshalb, und das sollte man ruhig eingestehen, werden in Koalitionsverträgen Dinge auch offen formuliert. Da die CDU im Augenblick zu den Hauptkritikern gehört, habe auch ich mal einen Vergleich gemacht, ich habe mir nämlich mal die Koalitionsvereinbarung von 1994 der CDU/CSU-FDP-Regierung angeguckt und den Tatsachen gegenübergestellt.

Ich mache mal den finanzpolitischen Teil, wir haben nur fünf Minuten. Zum Thema "Steuern" O-Text im Koalitionsvertrag der CDU: "Wir werden die Steuer- und Abgabenlast schrittweise senken", steht drin. Sie haben vergessen hineinzuschreiben: "Wir werden dann die Mineralölsteuer erhöhen, wir werden dann die Versicherungssteuer erhöhen, wir werden dann die Grunderwerbssteuer erhöhen und als Höhepunkt, wir werden natürlich die Mehrwertsteuer erhöhen."

Meine Damen und Herren, ein ähnliches Bild bei den Sozialabgaben. "Wir werden die Steuern und Abgabenlast senken", steht im Koalitionsvertrag der CDU. Sie haben nicht geschrieben: "Wir werden bei der Rentenversorgung die Rentenbeiträge um 1,4 Prozentpunkte erhöhen, wir werden die Krankenversicherung Ost um 1 Prozentpunkt erhöhen" und Sie haben auch nicht hineingeschrieben, dass Sie die Sozialausgaben insgesamt um 2 Prozent erhöhen werden in dieser Legislaturperiode. Nur, um das noch mal ganz klarzustellen: Die Abgabenlast in diesem Bereich "Sozialabgaben" lag bei Übernahme von SPD und Grüne immer noch höher als heute. Schauen Sie sich bei der Bundesversicherungsanstalt im Computer um, dann werden Sie diesen Unterschied bemerken. Aber eines gestehe ich doch gerne zu. Keiner, und nicht mal die CDU, erhöht gern Steuern und Abgaben. Es muss Gründe gegeben haben und den Grund gab es doch. Das Wirtschaftswachstum ist 1995 stärker eingebrochen als prognostiziert. 1995 ist die Bundesrepublik Deutschland das erste Mal auf dem letzten Platz beim Wirtschaftswachstum angekommen. Diesen Platz haben Sie dann 1996/97 und 1998 tapfer verteidigt. Erst 1999 haben wir uns von diesem Platz wieder gelöst. Es gehört zur Wahrheit, dass wir ihn im Augenblick wieder einnehmen. Ich will Ihnen an dieser Stelle nur sagen, wer mit dem Finger auf den einen zeigt, muss immer wissen, dass vier andere Finger auf denjenigen zurückzeigen.

(Beifall bei der SPD)

Und um die ganze Sache komplett zu machen, wie heißt es so schön in Ihrem Koalitionsvertrag? "Wir werden die Steuern und Abgabenlast schrittweise senken." Sie haben die Steuern erhöht, Sie haben die Abgaben erhöht und haben aber gleichzeitig Schulden aufgenommen wie nie zuvor in dieser Geschichte, obwohl im Koalitionsvertrag

steht: "In den kommenden Jahren geht es darum, die öffentlichen Haushalte zu konsolidieren." Was haben Sie gemacht? Sie haben 117 Mrd. &      in dieser Koalitionszeit. Und um eines endgültig auszuräumen, weil diese Diskussion ja von Ihnen auch sehr gern geführt wird, schauen Sie doch mal unter der Überschrift "Infrastruktur", wo da ein ICE steht, wo da nur eine Autobahn beschrieben ist - nichts. Dort steht einfach drin: "Wir werden die Straßen und die Schienen zukünftig weiter nach ökologischen Gesichtspunkten ausbauen." Ich würde mich freuen, Sie würden an Koalitionsvereinbarungen der anderen den gleichen Maßstab anlegen wie an die eigenen. Sie hätten nur ein Problem, Sie wären wesentlich ruhiger in diesem Haus. Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Thierbach oder Abgeordneter Huster? Frau Thierbach, bitte. Die eine saß auf dem Sprung und der andere rührte sich nicht.

Frauen sind eben manchmal doch schneller als Männer. Frau Präsidentin, meine Damen und Herren

(Zwischenruf Abg. Huster, PDS: Das war Gender Mainstreaming.)

- genau -, 71 Seiten Absichtserklärungen hat die CDUFraktion zum Gegenstand einer Aktuellen Stunde gemacht, Absichtserklärungen, von denen draußen die Leute, die uns hoffentlich jetzt nicht zuhören, überhaupt nichts haben. Ich möchte auch nicht in Parteien- oder sonstwelche Schuldzuweisungen reinkrauchen, ich habe mir drei Probleme genommen, um Ihnen zu zeigen, dass diese Aktuelle Stunde einfach Kokolores ist, weil wir nämlich aus dieser

(Beifall bei der PDS, SPD)

auch kein politisches Handeln ableiten können. Das ist nur Rufen in den Wind, weil es nur Absichtserklärungen sind. Die Rentenreformen von Blüm über Seehofer über Riester haben alle zum selben Ergebnis geführt, dass draußen die Leute punktuell mehr Rente vielleicht haben, dass aber die Rentenkonstrukte so geändert werden, dass die zukünftigen Rentner heute schon genau wissen, dass sie noch nicht einmal eine Eckwertrente der heutigen Rentner kriegen und dass noch nicht einmal 35 Arbeitsjahre reichen werden, um eine durchschnittliche Rente zu bekommen, sondern wir wissen heute schon, es wurde so herummanipuliert, dass man die Leute in die private Vorsorge drängelt, dass man ihnen sagt, dass man sogar überlegen muss, dass die private Vorsorge eine Pflicht wird. Wie soll dieses klappen bei der Arbeitsmarktsituation, wo man noch nicht einmal einem 18-Jährigen sagen kann,

dass er 35 Arbeitsjahre vielleicht zusammenkriegt? Das ist das Konstrukt von CDU- und auch von SPD-Rentenreform.

Dann krähen jetzt neuerdings viele Politiker, wieso denn Abgeordnete nicht in die Rente einzahlen? Es ist doch fast nicht mehr zu glauben, dass dieses die CDU in ihren Reihen sogar duldet. Ich will Ihnen sagen warum. Was haben Sie denn gemacht? Mit der Wiedergründung des Landes Thüringen nach der Wende kamen die Artikel-Gesetze. Was haben Sie denn gemacht? Sie haben begonnen die Leute aus der gesetzlichen Rentenversicherung herauszuholen, die ein relativ günstiges Einkommen haben, die mit ihren Beiträgen in der gesetzlichen Rentenversicherung auch solidarisch hätten sein können. Dieses haben Sie verhindert.

Das Nächste was Sie verhindert haben, wo die PDSFraktion angestrebt und durchgeführt hat, ist die Verfassungsgerichtsklage zur Abgeordnetenbedienungsmentalität bei der Altersversorgung. Für diese Klage hat die PDS sogar Recht bekommen beim Landesverfassungsgericht. Können Sie sich an Ihre Spagate erinnern, wie Sie versucht haben, ja keine Einbußen hinzunehmen? Das ist das Thema Rente, wo Sie der Meinung sind, der Koalitionsvertrag würde nichts taugen. Ich verbinde es mit dem, was Sie an konkreter Rentenpolitik machen, das hätte nämlich Ihnen ein Recht abgesprochen auf einen anderen zu zeigen, denn die CDU hat genauso bei der Rente hingelangt wie alle anderen Regierungen bisher.

(Beifall bei der PDS)

Sie haben Windungen hier vollbracht, um Formulierungen hinzukriegen, damit der Anspruch ab 56 Jahre auf Rente als Abgeordneter bzw. Entschädigung ja in einer Form gezahlt werden muss, der 75 Arbeitsjahren einer Beschäftigung entspricht. Damit rede ich nicht von den Jahren nach denen man im Bundestag Rente bekommt, wofür ein Beschäftigter aber bis über 100 Jahre arbeiten muss.

"Sozialhilfe modern gestalten" heißt es in der Koalitionsvereinbarung, die eine Absichtserklärung ist. Die Absichtserklärung der Landesregierung hatte ich in Form eines Gesetzentwurfs die Sozialhilfe modern zu gestalten, nämlich so modern, dass das Pflegewohngeld zum Glück wieder zurückgezogen wurde, weil eine Ungleichbehandlung von zu Pflegenden entstanden wäre, weil, und dies ist eine Tatsache, man 11 Mio. auf Kosten von Pflegebedürftigen im Lande Thüringen einsparen wollte. Allein dieser Satz müsste Ihnen doch absprechen, über Absichtserklärungen anderer schon zu urteilen.

(Beifall bei der PDS)

Gesundheitspolitik in der Koalitionsvereinbarung: Ich würde mich schämen, aus einer Absichtserklärung ein Ergebnis abzuleiten, wenn ich weiß, dass seit Seehofer, Blüm die Gesundheitsreformen alle Reförmchen waren mit falschem Ansatz. Nicht in einer dieser Reformen war

das Patientenwohl im Mittelpunkt, sondern dort waren immer nur die betriebswirtschaftlichen Aspekte. Nicht einmal war es in dieser Zeit möglich, eine Reform zu beginnen, die am Patientenwohl ausgerichtet ist.

(Beifall bei der SPD)

Frau Abgeordnete, auch Ihre Redezeit ist zu Ende, letzter Satz.

Letzter Satz: Wer eine Gesundheitsreform in Angriff nimmt, und dies auch an die SPD, der sollte ermöglichen, dass wir tatsächlich Patienteninteresse im Mittelpunkt haben, ein öffentliches Gesundheitswesen stärken, Polykliniken wieder möglich werden und die Einheitskasse vielleicht als Zielorientierung steht.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Als Nächster hat das Wort Mike Mohring, CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, sehen Sie, Frau Thierbach, es taugt halt wenig, wenn man über einen Koalitionsvertrag einer Regierung, die gerade erst im Jahre 2002 gewählt wurde, über zurückgezogene Gesetze der Landesregierung hier zu reden, noch taugt es natürlich etwas, Herr Gentzel, über einen Koalitionsvertrag einer CDU/FDP-Regierung aus dem Jahr 1994 zu reden,